Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des MN, zuletzt in Innsbruck, geboren am 5. Juni 1965, vertreten durch Dr. Andreas Kolar, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Neuhauserstraße 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 21. August 1997, Zl. III 147 - 1/97, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsbürger, ist gemäß seinen Angaben am 3. Februar 1997 in das Bundesgebiet eingereist. Seinen Asylantrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 18. April 1997 ab, einer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 17. Juni 1997 keine Folge.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 21. August 1997 sprach die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (die belangte Behörde) aus, dass dem Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung, dass seine Abschiebung in den Iran unzulässig sei, gemäß § 54 Abs. 1 iVm § 37 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz - FrG, BGBl. 838/1992, nicht stattgegeben werde. Zur Begründung verwies die belangte Behörde auf die Bescheide der Asylbehörden, deren Ausführungen auch für ihre Entscheidung maßgeblich seien. "Aus den dort genannten Gründen" werde dem Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Behauptung, im Iran einer Verfolgung oder der Gefahr einer Verfolgung iSd § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG ausgesetzt zu sein "die Glaubhaftigkeit abgesprochen". Sein Vorbringen im gegenständlichen Verfahren sei mit dem Vorbringen im Asylverfahren ident. Was die (zum Nachweis behaupteter Folterungen während einer Inhaftierung ab Februar 1996) vorgelegten ärztlichen Bestätigungen aus dem Iran anlange, so habe bereits die erstinstanzliche Behörde richtig darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer im Asylverfahren einer ärztlichen Untersuchung durch einen Gerichtsmediziner unterzogen worden sei; dieser habe festgestellt, dass seine Angaben betreffend das angebliche Ausschlagen der Backenzähne "aus medizinischer Sicht hochgradig anzuzweifeln sind". Im Zusammenhang mit dem Gesamtbild des Beschwerdeführers ergebe "das" einwandfrei den Schluss auf seine mangelnde Glaubhaftigkeit. Seine Verletzungen würden eine Verfolgung nach § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG im Iran keineswegs glaubhaft machen. Die vorgelegten Bestätigungen änderten daran nichts, weil ohnehin festgestellt worden sei, dass Backenzähne entfernt und ersetzt worden seien. Aus der Bestätigung über einen stationären Krankenhausaufenthalt zwischen dem 9. und dem 18. Mai 1996 könne zwar die Tatsache eines Krankenhausaufenthaltes abgeleitet werden, nicht aber die Art der Verletzung und schon gar nicht deren Ursache.
Zu der in der Berufung vorgelegten Bestätigung über die Mitgliedschaft in der "Konstitutionalistischen Partei des Iran" werde bemerkt - so die belangte Behörde weiter -, dass diese Tatsache allein gemäß den Ausführungen im Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. April 1997 keine akute Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers im Iran begründe. Was die in der Berufung gestellten Beweisanträge anlange, so seien diese etwas variiert bereits im Asylverfahren gestellt worden. Dort sei ihnen nicht stattgegeben worden, es bestehe kein Grund, diesen Beweisanträgen "jetzt im § 54-FrG-Verfahren" stattzugeben. Entbehrlich sei (insbesondere) angesichts "des Gesamt-Bildes" und der bereits im Asylverfahren erfolgten Begutachtung der Verletzungen des Beschwerdeführers durch einen medizinischen Sachverständigen die beantragte ergänzende Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens zur Frage, woher die Folterspuren stammten. Gemäß den Angaben des Beschwerdeführers seien ihm die Folterungen während einer Haft im Iran Anfang 1996 zugefügt worden. In diesem Zusammenhang spreche nicht für seine Glaubwürdigkeit, dass er am 7. Februar 1997 anlässlich seiner ersten persönlichen Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Innsbruck von dieser Haft überhaupt nichts gesagt, sondern im Gegenteil angegeben habe, nie in Haft gewesen zu sein. Es widerspreche jeglicher Lebenserfahrung, dass ein derartiges Ereignis, wenn es wahr wäre, nicht bei der ersten Einvernahme im Gastland angegeben werde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes "und" wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte Kostenersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. September 1999, Zl. 97/21/0725).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer seinen Antrag nach § 54 FrG damit begründet, dass er Mitglied der "Konstitutionalistischen Partei des Iran" sei. Diese - verbotene - Gruppierung strebe die Einführung einer demokratischen Monarchie unter der Führung des Schah nach spanischem Vorbild an. Jedes öffentliche Bekenntnis für diese Partei bzw. jede Aktivität zu ihrer Unterstützung werde mit Gefängnisstrafen geahndet, wobei im Iran Personen bis zu einem Jahr ohne Gerichtsbeschluss in Gewahrsam gehalten werden könnten. Er, der Beschwerdeführer, sei wegen seiner Aktivitäten für die genannte Partei im Februar 1996 für vier Monate inhaftiert worden. Während der Haft habe man ihn täglich geschlagen, wobei er Verletzungen an der linken Hand und am linken Ohr erlitten habe. Weiters seien ihm von Gefängniswärtern vorsätzlich die Backenzähne ausgeschlagen worden, was eine vielfach angewandte Foltermethode darstelle, um einerseits große Schmerzen zuzufügen und andererseits "die religiöse Pflicht des Brotkauens zu verunmöglichen". Die Verletzungsfolgen an der linken Hand und am linken Ohr seien mit freiem Auge sichtbar, die Zähne seien mittlerweile erneuert worden. Durch Bestechung habe er seine Haftentlassung erreicht. Dabei habe er sich jedoch verpflichten müssen, jede politische Tätigkeit einzustellen. Für den Wiederholungsfall sei ihm die sofortige Verhaftung und Hinrichtung angedroht worden. Über abermalige Bestechung sei es ihm (dem Beschwerdeführer) in weiterer Folge auch möglich gewesen, einen Reisepass mit österreichischem Visum zu erhalten. Er habe (im November 1996) nach Österreich ausreisen können, wo er an einer Parteiversammlung in Wien habe teilnehmen wollen. Bei seiner Rückkehr in den Iran sei er an der türkisch-iranischen Grenze im Besitz von Propagandamaterial festgenommen worden (gemäß den Angaben im Asylverfahren habe er dieses Propagandamaterial in Wien erhalten und sei die Festnahme am 5. Dezember 1996 erfolgt). Auf Grund der guten Kontakte seiner Partei zu den Sicherheitskräften im Grenzgebiet habe er - im Einzelnen wurde das bei der Vernehmung durch das Bundesasylamt dargestellt - unter nochmaliger Ausnutzung der äußerst korrupten Verwaltung des Iran zurück in die Türkei fliehen können. Da er (der Beschwerdeführer) bereits Anfang 1996 wegen seiner politischen Aktivitäten inhaftiert und während der Haft schwer misshandelt worden sei, bestehe die dringende Befürchtung, dass er im Fall seiner Abschiebung in den Iran von den dortigen Sicherheitskräften sofort wieder in Haft genommen werde, zumal er gegen die ihm bei seiner Entlassung vorgeschriebene Auflage verstoßen habe, sich nicht mehr politisch zu betätigen. Er habe zumindest mit einer langjährigen Haftstrafe zu rechnen und könne nicht mehr darauf hoffen, durch Korruption seine Lage zu entschärfen. Es sei hinlänglich bekannt, dass die Haftbedingungen im Iran für Regimegegner so hart seien, dass eine langjährige Haftstrafe einem Todesurteil gleichkomme. Nach Auskunft seines Vaters sei bereits ein Haftbefehl erlassen worden und werde er im Iran gesucht.
Diese Darstellung, ihre Richtigkeit unterstellt, würde den zuvor genannten Anforderungen an ein zweckentsprechendes Vorbringen im Verfahren nach § 54 Abs. 1 FrG genügen. Für den Fall seiner Abschiebung in den Iran hätte der Beschwerdeführer demnach nämlich einerseits wegen seiner oppositionellen Tätigkeit - versuchte Einfuhr von regimekritischem Propagandamaterial am 5. Dezember 1996 - mit gutem Grund mit einer Verhaftung zu rechnen (sohin mit einer Bedrohung seiner Freiheit aus Gründen seiner politischen Ansichten im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG), andererseits müsste er im Hinblick auf die behaupteten Folterungen anlässlich seiner Haft im ersten Halbjahr 1996 erneut unmenschliche Behandlung (§ 37 Abs. 1 FrG) befürchten. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer allerdings (siehe oben) die Glaubwürdigkeit versagt.
Gegen die zu diesem Ergebnis führende Beweiswürdigung richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht überdies als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, dass die belangte Behörde die von ihm beantragte Einvernahme des "Vorsitzenden der Westeuropäischen Fraktion der Partei der Konstitutionalisten des Iran", K. B., unterlassen (und außerdem weitere Beweisanträge übergangen) habe.
Richtig ist, dass der Beschwerdeführer zum Beweis seines Vorbringens - u.a.- die zeugenschaftliche Einvernahme des K. B., Vorsitzender der Westeuropäischen Fraktion der Partei der Konstitutionalisten des Iran, beantragte. Diesem Antrag wurde weder von der erstinstanzlichen Behörde noch - ungeachtet der wiederholten Antragstellung in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid - von der belangten Behörde entsprochen. Die belangte Behörde führte hiezu aus, dass einem - etwas variierten - Antrag schon im Asylverfahren nicht stattgegeben worden sei und kein Grund bestehe, dem Antrag "jetzt im § 54-FrG-Verfahren" Folge zu leisten. Im verwiesenen Asylverfahren war zu der beantragten zeugenschaftlichen Einvernahme festgehalten worden, dass diese Einvernahme zu unterlassen sei, weil der Beschwerdeführer nicht ersichtlich gemacht habe, welche von ihm behauptete Verfolgung diese Person durch eigene Wahrnehmung vor Ort bezeugen solle; vom Ergebnis der (beantragten) Beweisaufnahme sei "kein im Wesentlichen anders lautender Bescheid zu erwarten".
Diese Argumentation, die auf eine antizipierende Beweiswürdigung hinausläuft, vermag indes - jedenfalls für das hier zu beurteilende Verfahren - die Abstandnahme von der beantragten Zeugeneinvernahme nicht zu rechtfertigen. Beweisanträge dürfen nämlich nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder wenn das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich bzw. an sich nicht geeignet ist, über den Gegenstand einen Beweis zu liefern (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 zu § 45 AVG sub E 234 ff zitierte hg. Judikatur). Keine dieser Konstellationen liegt hier vor. Dass die belangte Behörde den Angaben des Beschwerdeführers keinen Glauben geschenkt hat, wurde bereits mehrfach erwähnt. Davon ausgenommen ist allenfalls - richtig weist die Beschwerde darauf hin, dass die darauf bezugnehmenden Ausführungen im bekämpften Bescheid mehrdeutig sind - nur die Behauptung, er sei Mitglied der "Konstitutionalistischen Partei des Iran". Die Einvernahme des K. B. wurde jedoch nicht bloß zu diesem Umstand, sondern - wie jedenfalls in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid klargestellt wurde - insbesondere auch zum Nachweis dessen beantragt, dass der Beschwerdeführer nach seiner Einreise nach Österreich im November 1996 ihm hier ausgefolgtes Propagandamaterial von Wien in den Iran transportierte. Dass es sich hiebei um eine relevante Tatsache handelt, deren Nachweis die Darstellung des Beschwerdeführers bezüglich seines Schicksals ab November 1996 nachhaltig stützen würde, bedarf keiner näheren Erörterung, zumal die Asylbehörden, deren Überlegungen sich die belangte Behörde wie dargestellt angeschlossen hat, davon ausgingen, dass der Beschwerdeführer nach seinem Wien-Besuch im November 1996 nicht mehr in den Iran zurückgekehrt sei. Es kann aber auch nicht die Rede davon sein, dass die beantragte Einvernahme des K. B. an sich nicht geeignet sei, die behauptete Tatsache (Transport von Propagandamaterial von Wien in den Iran) zu erweisen. Gemäß den Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren handelt es sich bei K. B. nämlich um einen wesentlichen Proponenten jener Oppositionsgruppe, der der Beschwerdeführer anzugehören behauptet; er sei in Wien aufhältig und erhalte direkt von "Rezah Shah dem II. aus Amerika" Gelder, die er in den Iran weiterleite; der Beschwerdeführer habe ihn anlässlich seines Wienbesuches im November 1996 kennen gelernt und im Zusammenhang damit die Flugblätter, Bilder und Poster von "Rezah Shah dem II."
ausgehändigt erhalten, die bei der Rückreise des Beschwerdeführers beim Grenzübertritt in seinem Koffer vorgefunden worden seien und in der Folge zu seiner Verhaftung geführt hätten.
Diesem Kalkül steht das eingeholte medizinische Sachverständigen-Gutachten nicht entgegen, bezieht sich dieses doch ausschließlich auf die schon für das erste Halbjahr 1996 behaupteten Folterungen bzw. die davon zurückgebliebenen Spuren, während die Befragung des K. B. dem Nachweis des Geschehens ab November 1996 (das in Anbetracht der geschilderten Verhaftung nach Auffinden des Propagandamaterials durch die Grenzbeamten schon für sich allein das Vorliegen einer Gefahr im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG begründen würde) dienen soll.
Nach dem Gesagten erweist sich die Verfahrensrüge des Beschwerdeführers, insoweit er darin das Unterbleiben der Einvernahme des K. B. geltend macht, als berechtigt. Im Hinblick darauf ist der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Er war daher schon deswegen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere, das Übergehen anderer Beweisanträge und die Beweiswürdigung der belangten Behörde rügende Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 5. November 1999
Schlagworte
Ablehnung eines BeweismittelsEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997210881.X00Im RIS seit
20.11.2000