Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Oktober 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Manfred H***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 zweiter und vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 15. Mai 2018, GZ 10 Hv 69/16t-133, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manfred H***** des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, (gemeint [US 29]:) Abs 4 zweiter und vierter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er in S***** vom 18. Februar 2014 bis zum 14. Februar 2016, somit länger als ein Jahr hindurch, gegen seine Lebensgefährtin J*****, die seiner Obhut unterstand und wegen Gebrechlichkeit und Krankheit wehrlos war, dadurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, dass er
sie mehrmals wöchentlich vorsätzlich am Körper misshandelte (§ 83 Abs 2 StGB), indem er ihr mit der flachen Hand Schläge gegen Kopf und Körper versetzte, wodurch sie (US 5:) Schmerzen und teilweise Hautrötungen erlitt;
sie mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen (§ 107 Abs 1 StGB), indem er mit seinen Händen die Form eines Gewehrs nachempfand und auf sie zielte;
ihr körperliche und seelische Qualen zufügte (§ 92 Abs 1 StGB), indem er die oben genannten und die nachstehenden Tathandlungen setzte sowie sie nahezu täglich in herabwürdigender Weise beschimpfte,
wobei er im Rahmen dieser fortgesetzten Gewaltausübung wiederholt Straftaten (nach § 205 Abs 1 StGB, somit) gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung beging, indem er die wehrlose J***** (US 5 f:) in drei Angriffen, und zwar einmal in der Zeit von Mai bis Juli 2014 und zweimal im Februar 2016 jeweils unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbrauchte, dass er an ihr eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung vornahm, nämlich einen Finger tief in ihre Scheide einführte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Die Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert die Abweisung (ON 132 S 16) eines Antrags auf „Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen“ zum Beweis dafür, dass der Angeklagte „aus körperlichen Gründen zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs nicht fähig“ sei. Einen solchen, in einem zuvor eingebrachten Schriftsatz (ON 24) formulierten Antrag hat der Angeklagte jedoch – der Beschwerde zuwider – (nach dem ungerügt gebliebenen Protokollsinhalt) in der Hauptverhandlung weder am 25. Oktober 2016 noch am 15. Mai 2018 „mündlich wiederholt“, sondern (jeweils) bloß „aufrecht“ zu halten erklärt (ON 35 S 29; ON 132 S 15). Den Kriterien prozessordnungskonformer Antragstellung genügte dies (von vornherein) nicht (RIS-Justiz RS0099099 [insbesondere T8, T11], RS0099511 [insbesondere T1, T5, T6, T7, T8]). Überdies nahmen die Tatrichter die Durchführung eines Geschlechtsverkehrs gar nicht an (US 6).
Davon, dass bei mehreren, während des Tatzeitraums durchgeführten ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen der J***** „keinerlei Spuren von Misshandlungen“ festgestellt wurden, ging das Erstgericht ohnehin aus (US 28 f). Schon deshalb wurde der zum Beweis hierfür gestellte Antrag des Angeklagten auf Ladung und Vernehmung des Dr. Kurt M***** als Zeugen sowie Beischaffung „sämtlicher Krankengeschichten und Einholung eines ärztlichen Gutachtens“ (ON 132 S 15) – entgegen dem weiteren Vorbringen – ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO; RIS-Justiz RS0099135 [insbesondere T4, T8]).
In der Beschwerde nachgetragenes Antragsvorbringen ist prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).
Das Erstgericht stellte fest, dass der Angeklagte dem Opfer vom 18. Februar 2014 bis zum 14. Februar 2016 „zumindest mehrmals wöchentlich“ (aus nichtigem Anlass, etwa, wenn sie ihren Zahnersatz nicht schnell genug herausnehmen, nicht essen oder sich nicht ausziehen wollte) schmerzhafte Schläge versetzte (US 4 f). Diese Konstatierung stützte es auf die vom Gericht als glaubhaft erachteten Zeugenaussagen einer Vielzahl von Pflegekräften, die „über den Tatzeitraum regelmäßig verteilt“ nacheinander im Haushalt des Angeklagten und der J***** beschäftigt gewesen waren und die – jeweils (nur) für den Zeitraum ihrer Tätigkeit dortselbst – entsprechende Gewaltakte des Angeklagten gegenüber seiner pflegebedürftigen Lebensgefährtin bezeugen konnten (US 8 ff, insbesondere US 26).
Mit dem Argument, für die (vom angenommenen Tatzeitraum umfassten) Monate Februar und März 2015, Juni bis September 2015 sowie Dezember 2015 und Jänner 2016 läge keine derartige Zeugenaussage vor, bekämpft die Mängelrüge das Feststellungssubstrat, der Angeklagte habe das Opfer (auch) in diesen Monaten (mit gleicher Häufigkeit) geschlagen, als unbegründet (Z 5 vierter Fall).
Was den Zeitraum von Juni bis September 2015 anlangt, übergeht sie dabei, dass sich das Erstgericht insoweit auf belastende Aussagen der „im Sommer 2015“ beim Angeklagten und seinem Opfer beschäftigten Zeugin H***** stützte (US 21 f).
Im übrigen Umfang berührt der Einwand keinen entscheidenden Aspekt (RIS-Justiz RS0127374). Denn bei der festgestellten Dauer, Dichte und Intensität (US 4 bis 7) der Gewaltausübung während des sonstigen Tatzeitraums (18. Februar 2014 bis Jänner 2015; April 2015 bis November 2015; 1. bis 14. Februar 2016) hätte selbst deren (zweimal jeweils) zweimonatige (vollständige) Unterbrechung ihre – mit dem Tatbestandselement „fortgesetzt“ verlangte (Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 23) – Regelmäßigkeit nicht beseitigt (vgl RIS-Justiz RS0129716 [T1]): Auch dann wäre vielmehr – fallkonkret und auf Basis der unbekämpften Feststellungen zum subjektiven Handlungselement (US 6 f) – von der Verwirklichung eines nach § 107b Abs 4 vierter Fall StGB qualifizierten (und nicht: mehrerer [jeweils mangels Überschreitens der Jahresfrist] nicht nach dieser Bestimmung qualifizierter) Verbrechen auszugehen (vgl 13 Os 14/18k; zur Auslösung der in § 107b Abs 4 vierter Fall StGB normierten Jahresfrist bereits durch den ersten nach Abs 1 und Abs 3 leg cit tatbestandsmäßigen Aggressionsakt siehe RIS-Justiz RS0127378).
Damit verfehlt das diesbezügliche Vorbringen zur Mängelrüge – insgesamt – die Ausrichtung nach der Verfahrensordnung (RIS-Justiz RS0119370, RS0117499).
Soweit die Beschwerde das Unterbleiben einer (zusätzlichen) Subsumtion nach § 107b Abs 4 erster Fall StGB trotz (auch) diese rechtliche Annahme tragenden Urteilsinhalts beanstandet (nominell Z 5 dritter Fall, der Sache nach Z 10), ist sie nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt.
Gleiches gilt für das – mit dem (alleinigen) Argument, die konstatierten drei Taten nach § 205 Abs 1 StGB würden das Kriterium wiederholter Begehung von Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung (im Rahmen einer fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 3 StGB) nicht erfüllen – gegen die rechtliche Annahme der Qualifikation nach § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB gerichtete Vorbringen zur Subsumtionsrüge (Z 10):
Nach den diesbezüglichen (insoweit unbekämpften) Urteilsfeststellungen erfüllen jene drei Taten, die das Erstgericht als qualifikationsbegründend erachtete, (jeweils) den (Anknüpfungs-)Tatbestand des § 205 Abs 1 StGB, dessen Strafsatz gleich streng ist wie der des § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB. Letzterer verdrängt indes – bei Tat- und Opferidentität – nicht strenger strafbedrohte Anknüpfungstatbestände infolge Spezialität (RIS-Justiz RS0128942; weist hingegen der Anknüpfungstatbestand die strengere Strafdrohung auf, greift die Subsidiaritätsklausel des § 107b Abs 5 StGB). Der angestrebte Wegfall der in Rede stehenden Qualifikation hätte demnach zur Folge, dass die betreffenden Taten (stattdessen) mehreren – mit dem (verbleibenden) Verbrechen nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB echt konkurrierenden – Verbrechen nach § 205 Abs 1 StGB zu unterstellen wären, ohne dass der (hier im Übrigen ohnehin nach § 107b Abs 4 vierter Fall StGB zu bildende) Strafrahmen dadurch vermindert würde. Solcherart müsste der Oberste Gerichtshof (angesichts der im Urteil getroffenen Feststellungen) eine – in der Annahme mehrerer (zusätzlicher) strafbarer Handlungen gelegene – ungünstigere Subsumtion vornehmen (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO), sodass die Rüge schon deshalb unzulässig ist (RIS-Justiz RS0121424, RS0118274; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 654 ff).
Das (auf eine Stelle im wissenschaftlichen Schrifttum gestützte) Beschwerdeargument, für die „Bejahung einer wiederholten Begehung“ im Sinn des § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB wäre „die Feststellung von zumindest fünf Taten notwendig gewesen“, trifft im Übrigen nicht zu. Vielmehr ist die Verwirklichung dieses Qualifikationstatbestands – ähnlich wie beim Grundtatbestand des § 107b Abs 1 StGB – anhand (nicht schematischer, sondern) einzelfallbezogener Betrachtung der Faktoren Art, Intensität und Anzahl der Angriffe zu beurteilen (13 Os 148/15m). Dabei können – wie vom Gesetzeswortlaut (arg „wiederholt“) vorgegeben – schon zwei (im Rahmen einer fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 3 StGB begangene) Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung diese Qualifikation begründen, wenn sie von entsprechender Art und Intensität sind (aA Winkler, SbgK § 107b Rz 135, der für „Tathandlungen nach §§ 201–207“ StGB unterschieds- und begründungslos eine „Mindestanzahl von fünf Übergriffen“ verlangt, und ihm folgend Schwaighofer in WK2 StGB § 107b Rz 50).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur nach hierzu erstatteter Äußerung des Angeklagten – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO).
Textnummer
E122999European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00099.18W.1016.000Im RIS seit
24.10.2018Zuletzt aktualisiert am
28.07.2021