Entscheidungsdatum
25.09.2018Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §6 Abs1Text
Das Verwaltungsgericht Wien fasst durch seine Richterin MMag. Dr. Ollram in den Beschwerdeverfahren des A. B., ..., Wien, gegen die Bescheide des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 59,
1. vom 30.1.2017, MA 59..., betreffend Räumung des Marktplatzes Nr. ... in Wien, ... Markt, nach Erlöschen der bescheidmäßigen Zuweisung (§ 18 Abs. 1 iVm § 15 Z 6 Marktordnung 2006)
2. vom 18.1.2017, MA 59..., betreffend Widerruf der Zuweisung des Marktplatzes Nr. ... in Wien, ... Markt, wegen Gebührenrückstands und Räumung des Marktplatzes (§ 17 Abs. 1 Z 8; § 18 Abs. 1 Marktordnung 2006), gemäß § 31 VwGVG den
BESCHLUSS:
I. Die Beschwerden werden gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 Abs. 1 AVG wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen.
II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die im Spruchkopf genannten Verfügungen nach der Marktordnung 2006 getroffen. In der jeweiligen Rechtsmittelbelehrung ist festgehalten, dass gegen den Bescheid innerhalb von vier Wochen nach Zustellung Beschwerde erhoben werden könne, welche bestimmte Inhalte aufzuweisen habe und bei der belangten Behörde einzubringen sei. Mit Schreiben vom 15.2.2017 legte die belangte Behörde dem VGW die fristgerecht und im Ergebnis mängelfrei eingebrachten Beschwerden samt Akten zur Entscheidung vor. Ein in beiden Verfahren nach Ablauf der Beschwerdefrist gestellter Antrag auf Verfahrenshilfe wurde (nach Vorstellung gegen die Entscheidung der Rechtspflegerin) mit Beschluss des VGW vom 10.9.2018, VGW-... und VGW-..., abgewiesen. Mit Aktenvermerk vom 23.9.2018 zog die zuständige Richterin die Verfahren aufgrund der im Raum stehenden Zuständigkeitsfrage gemäß § 4 Abs. 5 VGWG zur weiteren Bearbeitung und Erledigung an sich.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 17 VwGVG iVm § 6 Abs. 1 AVG hat das Verwaltungsgericht seine sachliche und örtliche Zuständigkeit – in jeder Lage des Verfahrens (vgl. etwa VwGH 12.9.2012, 2009/08/0054) – von Amts wegen wahrzunehmen. Langen bei ihm Anbringen ein, zu deren Behandlung es nicht zuständig ist, hat es diese an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen. Steht die Zuständigkeit in Frage bzw. ist aus Rechtsschutzgründen eine bekämpfbare Entscheidung geboten, hat eine formelle Zurückweisung wegen Unzuständigkeit gemäß § 6 Abs. 1 AVG zu erfolgen (vgl. etwa VwGH 18.5.2018, Ra 2017/02/0029 mwV; sg. VwGH 19.6.2018, Ko 2018/03/0002 zum negativen Kompetenzkonflikt; VwGH 27.1.2004, 2000/10/0062).
Gemäß § 286 Abs. 1, § 289 und § 293 GewO 1994 hat die Gemeinde hinsichtlich des Marktes oder der Märkte ihres Gebietes eine Marktordnung mit bestimmten gesetzlich vordeterminierten obligatorischen bzw. fakultativen Inhalten zu erlassen. Zu den obligatorischen Inhalten zählen gemäß § 293 Abs. 1 Z 6 unter anderem die Regelung des Verlustes (Widerrufes) von Marktplätzen und Markteinrichtungen bei Vergabe durch Bescheid.
§ 337 Abs. 1 GewO 1994 verweist unter anderem die in den §§ 286 und 289 bis 293 festgelegten Aufgaben mit Ausnahme der Durchführung des Verwaltungsstrafverfahrens in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.
§ 286 Abs. 1, § 289 und § 293 GewO 1994 bilden die gesetzliche Grundlage der Verordnung des Magistrats der Stadt Wien, mit der eine Marktordnung erlassen wird - Marktordnung 2006, ABl. Nr. 22/2006 idgF. Auf der Grundlage sacheinschlägiger Bestimmungen dieser Marktordnung hat die belangte Behörde im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde die angefochtenen Bescheide erlassen. Vor der Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, hatte über Rechtsmittel gegen solche Bescheide der im Instanzenzug übergeordnete weisungsfreie Berufungssenat zu entscheiden (§ 48 a Abs. 1 und § 48 b Abs. 6 Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, Wiener Stadtverfassung – WStV, LGBl. Nr. 1968/28 aF).
Die verfassungsrechtliche Übergangsregelung des Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG anlässlich der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 lautet:
Mit 1. Jänner 2014 werden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, das Bundesvergabeamt und der unabhängige Finanzsenat (im Folgenden: unabhängige Verwaltungsbehörden) aufgelöst; ferner werden die in der Anlage [sic!] genannten Verwaltungsbehörden (im Folgenden: sonstige unabhängige Verwaltungsbehörden) aufgelöst. Die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des 31. Dezember 2013 bei diesen Behörden anhängigen Verfahren sowie der bei den Aufsichtsbehörden anhängigen Verfahren über Vorstellungen (Art. 119a Abs. 5) geht auf die Verwaltungsgerichte über; dies gilt auch für die bei sonstigen Behörden anhängigen Verfahren, in denen diese Behörden sachlich in Betracht kommende Oberbehörde oder im Instanzenzug übergeordnete Behörde sind, mit Ausnahme von Organen der Gemeinde.
Die gemäß lit. J. der verwiesenen Anlage aufgelösten unabhängigen Verwaltungsbehörden des Landes Wien waren:
1. Bauoberbehörde gemäß § 138 des Wiener Stadtentwicklungs-, Stadtplanungs- und Baugesetzbuches (Bauordnung für Wien – BO für Wien), LGBl. Nr. 11/1930;
2. Oberschiedskommission gemäß § 116 des Gesetzes über die Regelung des Jagdwesens (Wiener Jagdgesetz), LGBl. Nr. 6/1948;
3. Abgabenberufungskommission gemäß § 203 des Gesetzes über das Wiener Abgabenorganisationsrecht (WAOR), LGBl. Nr. 21/1962;
4. Berufungssenat gemäß § 48a Abs. 1 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien (Wiener Stadtverfassung – WStV), LGBl. Nr. 28/1968;
5. Leistungsfeststellungsoberkommission beim Stadtschulrat für Wien gemäß § 4 Abs. 1 lit. b des Gesetzes betreffend die Zuständigkeit zur Ausübung der Diensthoheit über die Wiener Landeslehrer und Landeslehrerinnen für Volks-, Haupt-, Sonderschulen und Polytechnische Schulen sowie für Berufsschulen (Wiener Landeslehrer und Landeslehrerinnen-Diensthoheitsgesetz 1978 – LDHG 1978), LGBl. Nr. 4/1979;
6. Disziplinaroberkommission beim Stadtschulrat für Wien gemäß § 9 Abs. 1 lit. c des Gesetzes betreffend die Zuständigkeit zur Ausübung der Diensthoheit über die Wiener Landeslehrer und Landeslehrerinnen für Volks-, Haupt-, Sonderschulen und Polytechnische Schulen sowie für Berufsschulen (Wiener Landeslehrer und Landeslehrerinnen-Diensthoheitsgesetz 1978 – LDHG 1978), LGBl. Nr. 4/1979;
7. Dienstrechtssenat gemäß § 74a des Gesetzes über das Dienstrecht der Beamten der Bundeshauptstadt Wien (Dienstordnung 1994 – DO 1994), LGBl. Nr. 56;
8. Vergabekontrollsenat gemäß § 3 des Wiener Vergaberechtsschutzgesetzes 2007 (WVRG 2007), LGBl. Nr. 65/2006.
Im neu etablierten Regime erkennen gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit die Verwaltungsgerichte. Für im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu vollziehende Angelegenheiten gelten nunmehr folgende besonderen verfassungsrechtlichen Vorgaben:
Art. 118 Abs. 4 B-VG:
Die Gemeinde hat die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes in eigener Verantwortung frei von Weisungen und unter Ausschluss eines Rechtsmittels an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde zu besorgen. In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches besteht ein zweistufiger Instanzenzug; dieser kann gesetzlich ausgeschlossen werden. In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches kommt dem Bund und dem Land ein Aufsichtsrecht über die Gemeinde (Art. 119a) zu.
Art. 132 Abs. 6 B-VG:
In den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde kann Beschwerde beim Verwaltungsgericht erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden.
Art 115 Abs. 2 B-VG:
Soweit nicht ausdrücklich eine Zuständigkeit des Bundes festgesetzt ist, hat die Landesgesetzgebung das Gemeinderecht nach den Grundsätzen der folgenden Artikel dieses Abschnittes zu regeln. Die Zuständigkeit zur Regelung der gemäß den Art. 118, 118a und 119 von den Gemeinden zu besorgenden Angelegenheiten einschließlich eines allfälligen Ausschlusses des Instanzenzuges bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften dieses Bundesverfassungsgesetzes.
Art. 112 erster Satz B-VG:
Nach Maßgabe der Art. 108 und 109 gelten für die Bundeshauptstadt Wien im Übrigen die Bestimmungen des Abschnittes A des fünften Hauptstückes mit Ausnahme des Art. 117 Abs. 6 zweiter Satz, des Art. 119 Abs. 4 und des Art. 119a.
§ 75 Abs. 1 WStV unter der Überschrift „Eigener Wirkungsbereich“ lautet nunmehr:
Die Gemeinde hat die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches im Rahmen der Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes in eigener Verantwortung frei von Weisungen zu besorgen. Ein Instanzenzug findet nicht statt.
Gemäß dem auf die Bundeshauptstadt Wien anzuwendenden Art. 115 Abs. 2 B-VG bestimmt sich der allfällige Ausschluss des Prinzips des zweistufigen innergemeindlichen Instanzenzuges (Art. 118 Abs. 4) nach den allgemeinen Vorschriften des B-VG, sohin insbesondere nach den Kompetenzregelungen der Art. 10 ff. Ein solcher Ausschluss obliegt daher ausschließlich dem verfassungsrechtlich zuständigen Materiengesetzgeber, woran auch der Umstand nichts ändert, dass eine entsprechende Regelung nicht zwingend im jeweiligen Materiengesetz zu erfolgen hat. Wurde der Instanzenzug daher durch den Landesgesetzgeber in einer Gemeindeordnung bzw. einem Stadtstatut – wie gegenständlich im oben zitierten § 75 Abs. 1 WStV idgF – generell ausgeschlossen, so kann dies bei verfassungskonformer Interpretation nur für Materien gelten, die in der Gesetzgebung Landessache sind. Für Angelegenheiten, die in die Kompetenz des Bundesgesetzgebers fallen, kommen in erster Linie einschlägige Materiengesetze in Betracht. Ein genereller (materienübergreifender) Ausschluss des Instanzenzuges durch einfaches Bundesgesetz könnte wohl insofern problematisch sein, als dadurch - im Zusammenhalt mit entsprechenden landesgesetzlichen Ausschlüssen - das verfassungsrechtlich etablierte Prinzip des zweistufigen innergemeindlichen Instanzenzuges unterlaufen bzw. dezimiert würde.
Gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 8 B-VG sind Gewerbeangelegenheiten, zu welchen auch die verfahrensgegenständlichen marktrechtlichen Angelegenheiten zählen, in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache (vgl. auch VfGH 28.6.2004, B769/03). Die GewO 1994, deren eingangs zitierter § 337 Abs. 1 administrative Marktangelegenheiten in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde verweist, ist ein Bundesgesetz. Der zweistufige Instanzenzug ist in Marktangelegenheiten weder in der GewO 1994 noch in einem anderen Bundesgesetz ausgeschlossen. Als einzige in Betracht kommende Möglichkeit verbliebe hier ein Ausschluss dieses Instanzenzuges durch den Bundesverfassungsgesetzgeber selbst. Von einem solchen verfassungsrechtlichen Ausschluss wird teilweise in der Literatur ausgegangen (vgl. Pauer, Justizstaat: Chance oder Risiko?, S. 251 ff; Kolonivits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10, Rz 526, Kneihs/Urtz, Verwaltungsgerichtliche Verfahren, Rz 27), dies offenbar im Wesentlichen mit der Argumentation, dass mit den verfassungsrechtlichen Übergangsbestimmungen des Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG iVm lit. J. der verwiesenen Anlage insgesamt acht Wiener „sonstige unabhängige Verwaltungsbehörden“, darunter der für Rechtsmittel gegen Entscheidungen im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zuständige Berufungssenat, aufgelöst wurden und die Zuständigkeit zur Weiterführung dort anhängiger Verfahren auf die Verwaltungsgerichte (BVerwG, VGW) überging; gleichartige Behörden dürften in Wien auch nicht mehr geschaffen werden. Hingegen seien in anderen Bundesländern Rechtsmittelbehörden auf Gemeindeebene nicht aufgelöst worden.
Das VGW kann diese Schlussfolgerung aus folgenden Gründen nicht teilen:
Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des Art. 112 B-VG gelten die im Abschnitt A des fünften Hauptstückes des B-VB etablierten verfassungsrechtlichen Vorgaben für Gemeinden (Art. 115 bis 120) ausdrücklich auch für die Bundeshauptstadt Wien. Ausgenommen sind lediglich einzelne, in abschließender Aufzählung angeführte Bestimmungen, zu welchen weder Art. 115 Abs. 2 noch Art. 118 Abs. 4 gehören. Bereits hier zeigt sich, dass nach dem klaren Willen des Verfassungsgesetzgebers die reformbedingt überarbeiteten Grundregeln für den innergemeindlichen Instanzenzug - einschließlich seines potenziellen gesetzlichen Ausschlusses - in allen neun Bundesländern in gleicher Weise gelten sollen.
Auch in den Erläuterungen (RV 1618 BlgNR 24. GP, 11) zum reformbedingten Entfall des ehemaligen Art. 111 B-VG als verfassungsrechtliche Grundlage der Bauoberbehörde und der Abgabenberufungskommission ist im sachlichen Zusammenhang wörtlich ausgeführt (Hervorhebung VGW):
Art. 111 B-VG, der für die Bundeshauptstadt Wien in den Angelegenheiten des Bauwesens und des Abgabenwesens eine Entscheidung in oberster Instanz durch besondere Kollegialbehörden vorsieht, soll entfallen (was freilich nichts daran ändert, dass der in Z 56 vorgeschlagene Art. 118 Abs. 4 gemäß Art. 112 B-VG auch für die von der Bundeshauptstadt Wien zu besorgenden Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches gelten soll). Der für Rechtsmittel in (sonstigen) Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde Wien zuständige Berufungssenat war im B-VG selbst nicht geregelt, weshalb sich hier eine entsprechende Bestimmung („Entfall“) samt Erläuterungen erübrigte.
Entwicklungshistorisch betrachtet wurde der Rechtsschutz gegen verwaltungsbehördliche Bescheide - auch in gemeinderechtlicher Hinsicht - im Rahmen einer umfassenden Reform durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit-Novelle 2012 von Grund auf neu konzipiert. Diesem neuen Regime, in welchem andere Grundsätze und Regeln gelten als zuvor, wurden alle neun Bundesländer (unter Berücksichtigung der gleichzeitig überarbeiteten Sonderbestimmungen für die Bundeshauptstadt Wien) grundsätzlich in gleicher Weise unterstellt. Eliminiert wurden für das frühere System charakteristische Differenzierungen wie etwa in Wien der Instanzenzug an den Berufungssenat bzw. in den anderen acht Bundesländern die Vorstellung an die Gemeindeaufsichtsbehörde. Zum (nunmehr in einem neuen systematischen und teleologischen Zusammenhang stehenden) innergemeindlichen Instanzenzug hat der VwGH bereits ausgesprochen, dass eine fehlende Regelung der Instanzen durch den Organisationsgesetzgeber – anders als vor der Reform – nichts daran ändert, dass der als verfassungsrechtliches Prinzip vorgegebene und nicht entsprechend ausgeschlossene Instanzenzug aufrecht bleibt. Ist in den Organisationsvorschriften keine zweite Instanz geregelt, greift Art 118 Abs. 5 B-VG, der als oberstes Organ der Gemeinde von Verfassungs wegen den Gemeinderat etabliert, und geht der innergemeindliche Instanzenzug in solchen Fällen an diesen (vgl. VwGH 13.10.2015, Ro 2015/02/0012, mwV). Gemäß Art. 112 B-VG gilt Art. 118 Abs. 5 auch für die Bundeshauptstadt Wien.
Eine Argumentation dahingehend, dass die Übergangsbestimmung des Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG iVm lit. J. der Anlage im Verhältnis zu Art. 112, 115 und 118 quasi eine Art implizite „lex specialis“ darstellen soll, die über den Wortlautgehalt der Behördenauflösung und des Verfahrensübergangs hinaus – ausschließlich für das Bundesland Wien – auf Dauer und materienübergreifend einen Ausschluss des innergemeindlichen Instanzenzuges verankert hätte, überzeugt auch in systematischer Hinsicht nicht: Dem Verfassungsgesetzgeber, der selbst von einem auch für die Gesetzgebung relevanten Bestimmtheitsgebot in Form des Legalitätsprinzips (Art. 18 B-VG) ausgeht, ist nämlich nicht zuzusinnen, zuerst an exponierter und sachlogischer Stelle (Abschnitt A des fünften Hauptstücks betreffend Gemeinden; Abschnitt B des vierten Hauptstücks betreffend die Bundeshauptstadt Wien) eine explizite Grundregelung zu treffen und diese gleichzeitig versteckt, nämlich verwoben in eine Anhäufung von Übergangsbestimmungen mit natur- und erwartungsgemäß zeitlich begrenzt relevantem Inhalt und hier wiederum nur implizit und unter der Voraussetzung eines besonderen Interpretationsaufwands, wieder auszuhebeln. Auch in den Materialien findet sich kein einziger in diese Richtung weisender Anhaltspunkt. Nebenbei sei noch bemerkt, dass die Annahme eines generellen bundesverfassungsrechtlichen Ausschlusses des innergemeindlichen Instanzenzuges für das Bundesland Wien die Regelung des § 75 Abs. 1 zweiter Satz WStV entbehrlich erscheinen ließe.
Allgemein stellt das Übergangsregime der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 reformbedingt ein eigenes Konstrukt mit intentionsgemäß zeitlich begrenzten Charakteristika dar, welche nicht zwingend auch im neu etablierten System gelten. Beispielsweise ist hier auf Art. 151 Abs. 51 Z 9 B-VG zu verweisen, wonach die Verwaltungsgerichte anstelle der belangten Behörden in die am 31.12.2013 bei den Höchstgerichten anhängigen Verfahren eintraten, während ihnen nach der neuen Rechtslage im Revisionsverfahren vor dem VwGH keine Parteistellung zukommt. Die in Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG geregelte Weiterführung der am 31.12.2013 beim weisungsfreien Berufungssenat (und sonstigen Berufungsinstanzen) anhängigen Verfahren durch die unabhängigen und ebenfalls weisungsfreien Verwaltungsgerichte ist eine logische bzw. teleologische Konsequenz des Grundgedankens dieser Verwaltungsreform, deren Ziel es war, den Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren durch eine unabhängige - nunmehr explizit gerichtliche – Einrichtung zu verstärken bzw. erstmals umfassend zu etablieren. Dass der Berufungssenat aufgelöst wurde, ist ebenfalls konsequent, da dieser als weisungsfreie gerichtliche „Vorstufe“ ausschließlich Aufgaben zu besorgen hatte, die nunmehr gemäß Art. 130 B-VG in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fallen. Von selbst versteht sich in diesem Zusammenhang auch, dass „gleichartige“ unabhängige Behörden nach Art des weisungsfreien Berufungssenats mit entsprechenden Aufgaben in Wien (ebenso wie in den anderen Bundesländern) nicht mehr geschaffen werden dürfen, da der unabhängige und weisungsfreie Rechtsschutz nunmehr von Verfassungs wegen bei den zehn Verwaltungsgerichten konzentriert ist. Dies alles steht jedoch in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Frage, wie viele Instanzen nach Auslaufen der Übergangsphase gemäß der neu etablierten Rechtslage im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde vor Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichte zu durchlaufen sind. Auch der allfällige Erhalt ehemaliger Rechtsmittelbehörden in anderen Bundesländern, ihre nunmehrigen Aufgaben oder eine allfällige Funktion als zweite Instanz im innergemeindlichen Instanzenzug sagen per se nichts darüber aus, ob und in welchen Materien ein solcher Instanzenzug stattfindet.
Letztlich ist auch kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb der Bundesverfassungsgesetzgeber Rechtsmittelwerber bzw. Verfahren mit Anknüpfungspunkt zum Bundesland bzw. zur Gemeinde Wien vorweg anders hätte behandeln wollen, indem er hier beim Vollzug derselben bundesrechtlichen Verwaltungsvorschriften (gegenständlich der marktrechtlichen Bestimmungen der GewO 1994) von vornherein eine Instanz weniger zur Verfügung stellte als in den anderen acht Bundesländern. Vielmehr ist davon auszugehen, dass hier zumindest in Materien, die in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers fallen, bundesweit gleiche Bedingungen gelten sollen.
Aus allen vorerörterten Gründen kommt das VGW nach Wortlaut, Systematik, Historie und Zweck der einschlägigen Regelungen der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 zum Schluss, dass das Erfordernis eines zweistufigen innergemeindlichen Instanzenzuges auch im Bundesland bzw. in der Gemeinde Wien nach den Vorgaben der Art 115 Abs. 2 und Art. 118 Abs. 4 B-VG und insofern materienbezogen zu beurteilen ist.
Da der durch Art. 118 Abs. 4 B-VG vorgegebene Instanzenzug, wie eingangs dargelegt, für das marktrechtliche Widerrufs- und Räumungsverfahren nicht ausgeschlossen wurde, waren Bescheidbeschwerden iSd Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG gegen die im eigenen Wirkungsbereich ergangenen Bescheide des Magistrats der Stadt Wien in diesem Stadium gemäß Art. 132 Abs. 6 B-VG nicht zulässig. Da die vorliegenden Begehren des nicht rechtskundig vertretenen Rechtsmittelwerbers aber grundsätzlich auf eine Sachentscheidung der nächstzuständigen Stelle gerichtet sind (zumal die Rechtsmittelbelehrung der belangten Behörde das VGW gar nicht erwähnt), ist davon auszugehen, dass die Bezeichnung hier nicht schadet, die Rechtsmittel daher als gemäß § 61 Abs. 3 AVG fristgerecht eingebrachte Berufungen gelten (vgl. sg. VwGH 23.10.2015, Ra 2015/02/0029; 18.03.2013, 2011/16/0200) und von der belangten Behörde der nach den landesrechtlichen Organisationsvorschriften zuständigen Stelle vorzulegen sind. Sofern sich aus diesen Vorschriften nichts anderes ergibt, wäre, wie bereits erwähnt, die Funktion der zweiten Instanz im Hinblick auf Art. 118 Abs. 5 B-VG vom Gemeinderat wahrzunehmen (vgl. VwGH 13.10.2015, Ro 2015/02/0012, mwV). Aus dem Vorgesagten folgt, dass das VGW die ihm vorgelegten Rechtsmittel wegen Unzuständigkeit, nicht jedoch wegen Unzulässigkeit der Beschwerden im Wortsinn (iSv Begehren auf ausschließlich gerichtliche Sachentscheidung) zurückzuweisen hat. In diesem Licht ist auch davon auszugehen, dass die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel erhalten bleibt und sich Wiedereinsetzungsanträge wegen Versäumung der Berufungsfrist aufgrund unrichtiger Rechtsmittelbelehrung erübrigen.
Zur Zulässigkeit der Revision (§ 25 a Abs. 4 VwGG):
Die Rechtslage erscheint im gegenständlichen Fall grundsätzlich eindeutig. Da jedoch (insbesondere aufgrund der verwiesenen Literaturbeiträge) anzunehmen ist, dass im Land Wien eine andere Rechtsmeinung vertreten wird, die Zuständigkeitsfrage aus Rechtsschutzgründen für die weitere Vollzugspraxis von grundlegender Bedeutung ist und augenscheinlich noch keine einschlägige Rechtsprechung des VwGH zum Vollzug bundesgesetzlich zu regelnder Materien im eigenen Wirkungsbereich der Stadt Wien vorliegt, war die Revision für zulässig zu erklären.
Schlagworte
Sachliche Zuständigkeit, eigener Wirkungsbereich der Gemeinde, zweistufiger Instanzenzug, administrativer Instanzenzug, Ausschluss des zweistufigen innergemeindlichen Instanzenzuges, Materiengesetzgeber, Organisationsgesetzgeber, Bundesverfassungsgesetzgeber, Interpretation, BerufungsbehördeAnmerkung
VwGH v. 12.11.2021, Ro 2019/04/0001; AbweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.221.079.2552.2017.AZuletzt aktualisiert am
23.12.2021