Entscheidungsdatum
08.08.2018Norm
WRG 1959 §81 Abs2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Hofrat Mag. Franz Kramer über die Beschwerde der Wassergenossenschaft A, vertreten durch die B Rechtsanwälte OG, in ***, ***, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt *** vom 24. Mai 2018, Zl. ***, betreffend Einbeziehung der Grundstücke *** und ***, beide KG ***, in die Wassergenossenschaft ***, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
I. Der Bescheid des Bürgermeisters der Stadt *** vom 24. Mai 2018, Zl. ***, wird ersatzlos behoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§§ 24 Abs. 1, 27 und 28 Abs. 1 VwGVG (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 i.d.g.F.)
§ 13 Abs. 1 und 7 AVG (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 i.d.g.F.)
§§ 81 Abs. 2 und 85 Abs. 1 WRG 1959 (Wasserrechtsgesetz 1959, BGBl. Nr. 215/1959 idgF)
§ 25a Abs. 1 VwGG (Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 i.d.g.F.)
Art. 133 Abs. 4 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 i.d.g.F.)
Entscheidungsgründe
1. Sachverhalt
Die Wassergenossenschaft *** (in der Folge: die Genossenschaft) betreibt mit wasserrechtlicher Bewilligung eine Wasserversorgungsanlage zur Bewässerung von Weingärten. B strebt den Anschluss der Grundstücke Nr. *** und ***, KG ***, an die Anlagen der Genossenschaft zwecks Bewässerung der darauf befindlichen Kulturen an.
Mit Schreiben vom 18. August 2017 ersuchte er die Genossenschaft um Anschluss dieser Liegenschaften an die genossenschaftliche Bewässerungsanlage.
Die Genossenschaft lehnte dieses Begehren mit an die Mutter des B gerichtetem Schreiben ab, welches diesem nach dem 18. Dezember 2017 zukam.
Mit Schreiben vom 9. Jänner 2018 rief er die Schlichtungsstelle der Genossenschaft an, welche am 19. Jänner 2018 den Spruch fällte, dass die Grundstücke Nr. *** und ***, KG ***, in die Genossenschaft aufzunehmen seien, sobald dies technisch möglich sei.
Mit Schreiben vom 1. Februar 2018 an die Wasserrechtsbehörde erklärte B, gegen den Beschluss der Schlichtungsstelle „Berufung“ zu erheben. Dieser sei nicht rechtens, da die betroffenen Grundstücke bereits in einem wasserrechtlichen Kollaudierungsoperat aus dem Jahre 2010 als Teil der Beregnungsflächen der Genossenschaft enthalten seien, woraus auf ein vorausgegangenes Ansuchen seiner Eltern auf Aufnahme der Liegenschaften in die Genossenschaft zu schließen sei.
Mit Bescheid vom 24. Mai 2018, Zl. ***, entschied der Bürgermeister der Stadt *** nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens über dieses Begehren, indem er feststellte, dass die Grundstücke Nr. *** und ***, KG ***, als nachträglich im Sinne des § 81 WRG 1959 in die Genossenschaft als einbezogen zu gelten hätte, sowie auf welche Weise die „provisorische“ Versorgung dieser Liegenschaften zu bewerkstelligen wäre.
Als Rechtsgrundlagen sind die §§ 85 Abs. 1, 77 Abs. 3 lit i und 98 WRG 1959 angeführt.
Begründend legt die Behörde dar, dass die „Berufung“ als Anrufung der Aufsichts-behörde im Sinne des § 85 Abs. 1 erster Satz WRG 1959 zu werten sei.
Nach Darlegung von Ermittlungsergebnissen kommt sie schließlich zum Schluss, dass „im Zweifel“ aufgrund der Aufnahme der strittigen Grundstücke in die von einer Landesdienststelle für die Genossenschaft erstellten wasserrechtlichen Ausführungsunterlagen von einer erfolgten nachträglichen Einbeziehung auszugehen sei. Unter Berücksichtigung der Argumente beider Seiten sei die Regelung der Versorgung dieser Liegenschaften mit Wasser zu regeln.
Innerhalb der vierwöchigen Beschwerdefrist erhob die Genossenschaft gegen diesen Bescheid Beschwerde, worin sie mit näherer Begründung die Abweisung des Antrags des B begehrt.
Die ebenfalls beantragte mündliche Verhandlung führte das Landesverwaltungs-gericht Niederösterreich am 7. August 2018 durch; dabei wurden die Parteien gehört, von diesen Schriftstücke vorgelegt, sowie Mitglieder der Schlichtungsstelle befragt.
Schließlich erklärte B, die erfolgte Anrufung der Wasserrechtsbehörde zurückzuziehen.
2. Erwägungen des Gerichts
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat sich bei seiner Entscheidung von folgenden Erwägungen leiten lassen:
2.1. Anzuwendende Rechtsvorschriften
VwGVG
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
§ 27. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(…)
AVG
§ 13. (1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen bei der Behörde schriftlich, mündlich oder telefonisch eingebracht werden. Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, sind schriftlich einzubringen. Erscheint die telefonische Einbringung eines Anbringens der Natur der Sache nach nicht tunlich, so kann die Behörde dem Einschreiter auftragen, es innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich oder mündlich einzubringen.
(…)
(7) Anbringen können in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden.
(…)
WRG
§ 81. (1) Im Einvernehmen zwischen der Genossenschaft und den betreffenden Eigentümern (Berechtigten) können Liegenschaften oder Anlagen auch nachträglich einbezogen werden.
(2) Die Genossenschaft ist verpflichtet, soweit der Zweck der Genossenschaft nicht geändert wird, benachbarte oder im Bereich des genossenschaftlichen Unternehmens befindliche Liegenschaften und Anlagen auf Antrag ihres Eigentümers oder Berechtigten nachträglich einzubeziehen, wenn ihnen hiedurch wesentliche Vorteile und den bisherigen Mitgliedern keine wesentlichen Nachteile erwachsen können.
(…)
§ 85. (1) Die Aufsicht über die Wassergenossenschaften obliegt der zuständigen Wasserrechtsbehörde, die auch über alle aus dem Genossenschaftsverhältnis und den wasserrechtlichen Verpflichtungen der Genossenschaft entspringenden Streitfälle zu entscheiden hat, die nicht im Sinne des § 77 Abs. 3 lit. i beigelegt werden. Die Wasserrechtsbehörde ist in Wahrnehmung der Aufsicht berechtigt, die Tätigkeit der Genossenschaft zu überwachen, Einsicht in deren Unterlagen sowie entsprechende Auskünfte zu verlangen und an Versammlungen der Genossenschaftsmitglieder teilzunehmen. Sie hat dabei die Einhaltung dieses Bundesgesetzes durch die Genossenschaft zu überwachen, die Zweckmäßigkeit der Tätigkeit der Genossenschaft sowie deren finanzielle Gebarung nur insoweit, als hiedurch öffentliche Interessen (§§ 50 Abs. 7 sowie 105) berührt werden. Sie kann sich zur Aufsicht über die Genossenschaften geeigneter Personen oder Einrichtungen bedienen; § 120 findet sinngemäß Anwendung.
(…)
VwGG
§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
(…)
B-VG
Art. 133 (…)
(4) Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Hat das Erkenntnis nur eine geringe Geldstrafe zum Gegenstand, kann durch Bundesgesetz vorgesehen werden, dass die Revision unzulässig ist.
(…)
2.2. Feststellungen und Beweiswürdigung
Der unter 1. beschriebene Sachverhalt bzw. Inhalt von Schriftstücken ergibt sich aus den unbedenklichen Akten der belangten Behörde sowie dem Vorbringen der Parteien bei der mündlichen Verhandlung am 7. August 2018 und den dabei vorgelegten Unterlagen und ist unstrittig. Er kann daher der Entscheidung des Gerichts zu Grunde gelegt werden.
2.3. Rechtliche Beurteilung
Im vorliegenden Fall wurde die belangte Behörde tätig, weil sie im Sinne des § 85 Abs. 1 WRG 1959 in einem Streitfall zwischen der Wassergenossenschaft A und B von letzterem angerufen wurde. Es besteht auch kein Zweifel, dass der angefochtene Bescheid ausschließlich in einer derartigen Streitentscheidung besteht.
Mit Recht hat die Behörde das Schreiben des B nicht als Berufung im Sinne des AVG sondern seinem materiellen Gehalt zufolge als Anrufung der Wasserrechtsbehörde nach § 85 Abs.1 WRG 1959 betrachtet. Dabei handelt es sich um ein Anbringen im Sinne des § 13 Abs. 1 AVG, welches nach dessen Abs. 7 in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden kann. Die Zurückziehung eines Antrags ist solange zulässig, als dieser noch unerledigt ist und daher noch zurück-gezogen werden kann; im Falle einer Beschwerde ist die Zurückziehung bis zur Ent-scheidung über die Beschwerde möglich (vgl. VwGH 06.07.2016, Ra 2016/08/0041 betreffend die Übertragbarkeit der früher betreffend das Berufungsverfahren ergangenen Rechtsprechung).
Liegt ein auf einen antragsbedürftigen Verwaltungsakt gerichtetes Anbringen nicht vor, so darf dieser Verwaltungsakt nicht ergehen.
Die Antragsrückziehung im Beschwerdeverfahren bewirkt, dass für die Erlassung eines antragsbedürftigen Verwaltungsaktes eine Voraussetzung fehlt, er somit (nachträglich) rechtswidrig geworden ist und aufgehoben werden muss (zB VwGH 10.9.1991, 90/04/0302).
Nichts anderes gilt, wenn – wie vorliegend - ein Begehren auf Streitentscheidung zurückgezogen wird, ist doch auch in diesem Fall der Wasserrechtsbehörde die Zuständigkeit entzogen bzw. fehlt es auch an einer Voraussetzung für die behördliche Entscheidung, nämlich dem Vorliegen eines Streites. Mit der Zurückziehung der Anrufung der Aufsichtsbehörde akzeptiert der Betreffende nämlich den Schlichtspruch bzw. den Standpunkt des (bisherigen) Streitgegners.
Somit war der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben, ohne dass es einer weitergehenden inhaltlichen Prüfung bedurfte.
Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass
- die Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Genossenschaftsverhältnis neben einer Anrufung durch einen Streitteil auch voraussetzt, dass sich dessen Begehren mit dem Gegenstand des genossenschaftsinternen Streitschlichtungsverfahrens deckt
- zwar der Streit über das Bestehen der Mitgliedschaft eine Streitigkeit aus dem Genossenschaftsverhältnis darstellt (etwa auch, ob eine Aufnahme in der Vergangenheit erfolgt war oder nicht), nicht aber ein Streit darüber, ob die Voraussetzungen für eine (künftige) nachträglichen Einbeziehung im Sinne des § 81 Abs. 2 WRG 1959 vorliegen. In ersterem Fall setzt die Anrufung der Behörde einen über dieses Thema durchgeführten Schlichtungsversuch voraus; in zweitem Fall besteht keine „Zuständigkeit“ der genossenschafts-internen Streitschichtungsstelle, sondern kann die Behörde von einer Streitpartei unmittelbar angerufen werden.
Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (Art. 133 Abs. 4 B-VG) war im vorliegenden Fall nicht zu lösen, da die Rechtslage eindeutig ist und diese Entscheidung im Einklang mit der nicht widersprüchlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die angegebenen Judikaturbelege) steht. Die Revision gegen dieses Erkenntnis ist daher nicht zulässig.
Schlagworte
Umweltrecht; Wasserrecht; Verfahrensrecht; Anbringen; Antrag; Zurückziehung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.AV.727.001.2018Zuletzt aktualisiert am
22.10.2018