TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/10 I407 2179176-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.07.2018
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Entscheidungsdatum

10.07.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I407 2179176-1/22E

Schriftliche Ausfertigung des am 26.04.2018

mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Stefan MUMELTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Wien vom 10.11.2017, Zl. 1071428110 + 151007863, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.4.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG stattgegeben und XXXX der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 AsylG kommt XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zu.

Gemäß § 3 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 29.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er bei seiner Erstbefragung am 30.05.2015 wie folgt begründetet:

"Warum haben Sie Ihr Land verlassen (Fluchtgrund):

Ich habe in Ägypten an mehreren Demos teilgenommen und werde von der Polizei gesucht. Ich wurde während der Revolution angeschossen und schwer verletzt.

Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?

Ich habe Angst eingesperrt zu werden."

2. Bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 20.02.2017 machte er folgende Angaben:

"LA: Sie werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen können. Ich möchte sicher sein können, das alles, was Sie gesagt haben, auch so gemeint wurde. Wenn Bedarf besteht, machen wir eine Pause.

VP: Ich habe verstanden.

LA: Wie geht es Ihnen?

VP: Ich bin jetzt nervös. Ich lege verschiedene Befunde meiner Schussverletzungen vor. Mir geht es ansonsten gut. Befragt gebe ich an, dass ich bei der Erstbefragung erschöpft war. Ein paar Sachen sind falsch. Ich bin zum Beispiel am XXXX geboren. Ich weiß nicht ob sonst was falsch war. Ich habe keine Kopie erhalten. Den Dolmetsch habe ich damals verstanden.

LA: Fühlen Sie sich physisch und psychisch in der Lage der Einvernahme zu folgen?

VP: Ja.

LA: Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen die anwesenden Personen vor?

VP: Nein.

LA: Werden Sie im Verfahren von jemanden vertreten oder besteht für jemand eine Zustellvollmacht?

VP: Ich habe einen Anwalt. Ich habe aber nichts dagegen, dass die Einvernahme ohne meine rechtliche Vertretung durchgeführt wird. Ich werde von Dr. Binder vertreten.

LA: Wie verstehen Sie den anwesenden Dolmetscher?

VP: Sehr gut.

LA: Können Sie identitätsbezeugende Dokumente oder sonstige Beweismittel in Vorlage bringen?

VP: Ich lege vor:

? Röntgenbefunde

? Ärztliche Bestätigung bezüglich einer Schussverletzung.

Der Schlepper hat mir den Reisepass weggenommen. Der Schlepper hat den ganzen Rucksack weggenommen. Ich wollte nur einfach weiterfahren. Ich kann die Geburtsurkunde später nachbringen. Ich muss meine Familie fragen wie lange es dauert.

Ich lege außerdem vor:

Ich habe Röntgen aus Ägypten mitgebracht. Aus dem XXXX Spital in XXXX. Diese Aufnahmen wurden zwischen Mai 2013 und Dezember 2013 aufgenommen. Ich habe diese Aufnahmen nachgeschickt bekommen. Damit meine ich das meine Familie sie mir nachgeschickt hat.

Anmerkung: Werden in Kopie dem Akt beigelegt

LA: Wieso haben Sie keinen neuen Pass beantragt?

VP: Bei der Erstbefragung hat mir niemand gesagt, dass ich ein Dokument brauche das mich ausweist. Meine Angaben stimmten immer. Ich habe nie gelogen.

LA: Wann haben Sie den Asylantrag gestellt?

VP: Das war im April 2015. Die Polizei hat uns vom Westbahnhof an einen Ort geschickt wo wir zwei Tage blieben. Dann kam ich nach Traiskirchen und dann nach Salzburg.

LA: Was haben Sie bei der Polizei angegeben, die Sie aufgehalten hat?

VP: Ich habe gesagt, dass ich einen Asylantrag stellen möchte.

LA: Waren Sie alleine als Sie aufgehalten wurden?

VP: Wir waren eine Gruppe. Es war auch ein Syrer mit. Und zwei weitere Ägypter.

XXXX

XXXX (Nachnamen kenne ich nicht)

Den Syrer habe ich unterwegs kennengelernt. Ich weiß nicht wie er heißt. Nachgefragt gebe ich an, dass es sich um XXXX Mahmud</nichtanonym><anonym>XXXX</anonym></person> handelt.

LA: Wieso haben Sie nicht selbstständig einen Asylantrag gestellt?

VP: Als ich ausgestiegen bin wurde ich sofort aufgehalten.

LA: Was haben Sie den bezüglich Ihrer Staatsangehörigkeit angegeben bei der Polizei?

VP: Am Anfang waren wir nervös und wir haben angegeben, dass wir Syrer sind. Dann später haben wir gesagt, dass wir Ägypter sind.

LA: Haben Sie weitere Beweismittel?

VP: Geburtsurkunde bringe ich nach. Der Pass hat der Schlepper abgenommen. Ich bringe auch eine ID nach. Röntgen von Oberschenkel, rechts und links. Schulterbereich. Unterarm.

Anmerkung: Röntgenaufnahmen in Augenschein genommen. Partei zeigt verschiedene Narben auf seinem Oberkörper. In der Brust sind noch ein paar Splitter. Die Ärzte diskutieren noch ob sie es entfernen können. Ich hatte hier drei Operationen. Ich habe auch eine Platte in der Brust. Auch Narben auf den Füßen und Beinen werden gezeigt.

LA: Nehmen Sie Medikamente aufgrund dieser Verletzungen?

VP: Ja, Schmerztabletten. Tramal retart 200 Gramm. Bis die Ärzte entscheiden ob ich weiter operiert werde oder nicht. Wer so viel erlebt hat wie ich, kann sich auch nicht so gut konzentrieren. Ich habe viele Sachen vergessen seit auf mich geschossen wurde.

LA: Ihre Freunde die mit Ihnen durch die Polizei aufgegriffen wurden, in welchem Verhältnis stehen Sie zueinander?

VP: Sie sind mit mir nicht eng befreundet. Ich habe sie unterwegs kennengelernt. Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihnen.

LA: Bei der Erstbefragung haben Sie angegeben, dass Sie den Pass in der Türkei verloren haben. Was stimmt nun?

VP: Ich habe gesagt, als wir in das Schlauchboot eingestiegen sind wurde mir der Rucksack abgenommen. Befragt gebe ich an, dass ich ihn vielleicht verloren habe oder vielleicht wurde er mir abgenommen. Sie können protokollieren was ich in der Erstbefragung angegeben habe.

LA: Geben Sie ihren vollständigen Namen, Geburtstag und Geburtsort an.

VP: XXXX - geb. am: XXXX in Kairo XXXX (Stadtteil).

LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an? Welchem Stamm?

VP: Araber.

LA: Welche Religion haben Sie?

VP: Moslem/Sunnit

LA: Wo waren Sie zuletzt in Ägypten wohnhaft? Haben Sie noch in anderen Ländern gewohnt?

VP: Immer in Kairo XXXX.

LA: Nennen Sie bitte den Namen, das Geburtsdatum und den derzeitigen Aufenthaltsort Ihrer engeren Familienmitglieder.

VP: Vater: XXXX, ist verstorben 2016 oder 2015 ca. 80 Jahre

Mutter: XXXX, ca. 55 Jahre

Bruder: XXXX, ca. 29 Jahre

XXXX, ca. 17 Jahre

Schwester: XXXX und XXXX sind verstorben

XXXX, ca. 40 Jahre

Ich habe drei Halbgeschwister. Drei Brüder. Sie sind alle älter als ich.

Ich war verheiratet. Ich bin geschieden. Meine Exfrau hat wieder geheiratet.

Tochter: XXXX, ca. 11 Jahre

Ich habe auch sonst noch viele Verwandte. Eine große Familie. Alle in Ägypten.

LA: Wer sorgt für das Auskommen Ihrer Familie bzw. Ihrer Kinder?

VP: Mein Bruder XXXX arbeitet und kümmert sich um meine Mutter. Er arbeitet aber nicht immer. Die Lage in Ägypten ist schlecht.

LA: Wie würden Sie die finanzielle Situation Ihrer Familie bezeichnen?

VP: Nicht so gut. Keine Grundstücke oder Häuser. Wir haben eine Wohnung. Wir zahlen Miete an die Stadt.

LA: Haben Sie regelmäßigen Kontakt zu Ihren Verwandten?

VP: Ja, mit meiner Tochter.

LA: Welche Sprachen sprechen Sie?

VP: Arabisch. Ich warte noch immer auf den Deutschkurs.

LA: Welche Schulbildung haben Sie?

VP: Ich habe die Schule neun Jahre ohne Abschluss besucht.

LA: Was war Ihre berufliche Tätigkeit?

VP: Ich habe in Ägypten in einer Konditorei gearbeitet. Ich war Bäcker für Süßigkeiten.

LA: Haben Sie Militärdienst geleistet?

VP: Ja. Ich habe vor ca. 10 Jahren den Militärdienst geleistet. Ich war 20 Jahre.

LA: Bitte schildern Sie Ihre Fluchtroute nach Österreich. Wie hoch waren die Kosten der Flucht?

Anmerkung: AW denkt nach.

VP: Ich bin 2014 ausgereist. Ich glaub es war Sommer. Ich habe den Alexandria Flughafen in die Türkei verlassen. Ich bin legal ausgereist. Ein Offizier hat mich am Flughafen angehalten und ich musste Schmiergeld zahlen damit ich weiterreisen konnte. Er hat meinen Reisepass genommen und ich hatte Angst. Deshalb habe ich ihn sofort Schmiergeld bezahlt. Man kann es illegal nennen, die Ausreise meine ich. Ich war dann ca. 8 Monate in der Türkei. Ich musste die Türkei verlassen, weil die Leute dort Rassisten sind. Dann bin ich mit dem Schlauchboot nach Griechenland. Dann nach Mazedonien, Serbien. Dann nach Ungarn. Und dann weiter nach Österreich. Ich bin im Mai 2015 nach Österreich gekommen.

LA: Wieso haben Sie nicht in einem der durchgereisten Länder um Asyl angesucht?

VP: Ich bin in den anderen Ländern nicht lange geblieben. Wir haben gehört, dass es Rassismus woanders gibt. Unterwegs haben wir von anderen gehört, dass die Polizei anderswo die Leute schlagen oder auch das es Banden gibt. Mit "wir" meine ich viele Leute mit denen ich unterwegs war. Nicht die drei mit denen ich aufgegriffen wurde.

LA: Woher kennen Sie diese drei Leute jetzt?

VP: Manche habe ich in Ungarn kennengelernt. Manche unterwegs.

LA: War Österreich Ihr Zielland?

VP: Ich hatte kein Zielland. Die Leute hier haben mich gut behandelt. Ich hatte hier eine Operation. Das hätte ich ohne Hilfe nicht bekommen. Die Ärzte wollten mir unbedingt eine Operation geben.

LA: Verstehen Sie weiterhin alles?

VP: Ja.

LA: Bitte schildern Sie Ihre Fluchtgründe?

VP: In Ägypten hatte ich ein gutes Leben. Ich habe gearbeitet und mich um meine Tochter gekümmert. Ich musste das Land verlassen, nachdem ich von der Polizei und dem Militär unter Druck gesetzt wurde und schlecht behandelt wurde. Nachdem ich angeschossen wurde, musste ich mein Land verlassen. Die Polizei ist zu mir nach Hause gekommen. Ich war aber in der Arbeit. Meine Familie hat ihnen aus Angst gesagt wo ich arbeite. Dann ist die Polizei zur Arbeit gekommen, aber ich war schon weg. Das ganze passierte nach der Revolution.

Auff.: Werden Sie genauer. Sie machen nur ungenaue Angaben.

VP: Ich habe an einer Demonstration teilgenommen. Das war am 14.08.2013

Anmerkung: Partei liest Datum vom Handy ab. (youtube)

VP: Diese Demonstration war keine normale Demo. Wir waren gegen die neue Regierung. Wir wollten das Mursi wieder an die Macht kommt. Deshalb ist die Polizei auf uns losgegangen und ich wurde angeschossen. Mehr kann ich erklären wenn Sie die Videos ansehen.

LA: Wie viele Leute waren auf dieser Demo?

VP: Viele. 1.000. Mehr. Ich bin auf dem Video zu sehen.

Anmerkung: Partei zeigt Video auf seinem Handy. Partei ist darauf zu sehen, wie sie verletzt am Boden liegt.

LA: Wurde Sie durch die Polizei kontrolliert bei dieser Demo?

VP: Nein. Sie haben sofort geschossen. Es gab sogar Hubschrauber aus denen Soldaten auf uns geschossen haben. Manche Soldaten waren auf dem Dach und haben auf uns geschossen.

LA: Durch wenn wurde denn diese Demonstration organisiert?

VP: Die Moslembrüder. Nicht nur die, auch andere. Ich bin kein Moslembruder. Ich gehöre zu keiner bestimmten Gruppierung. Auch viele aus dem Volk waren dabei. Weil viele Moslembrüder dabei waren, dachten viele, dass nur Moslembrüder dabei waren. Die Polizei wollte, dass wir nicht mehr demonstrieren. Es gab auch Kinder die da dabei waren. Die Kinder wissen nicht worum es geht. Sie haben dennoch teilgenommen.

LA: Haben Freunde von Ihnen auch teilgenommen?

VP: Ja, ein paar Freunde von mir. Einer ist ums Leben gekommen, einer wurde angeschossen, einer wurde festgenommen. Es wurde einige am selben Tag festgenommen, andere ein paar Tage später. Manche sind auch geflüchtet. Ich war in ärztlicher Behandlung. Bin dann aber auch geflüchtet.

LA: Wie lange waren Sie den in ärztlicher Behandlung?

VP: Ca. ein Jahr. Ich nehme immer noch Schmerztabletten. Ich warte was die Ärzte mir sagen wegen der Platte in meinem Körper. Ich möchte wieder arbeiten gehen. Ich war in einem privaten Spital. Manche die verletzt wurden, wurden sofort zur Polizei gebracht. Ich hatte aber Glück, dass ich ins Spital gebracht wurde. Eine Person die dort gewohnt hat wo die Demo war, hat mich zu verschiedenen Krankenhäusern gebracht. Aber viele wollten mich nicht aufnehmen. Ich war bewusstlos. Ich war ein Jahr in ärztlicher Behandlung. Im Spital blieb ich ein bis drei Monate.

LA: Was passierte als Sie aus dem Spital entlassen wurden?

VP: Nach mir kamen Leute die auch an dieser Demo teilgenommen hatte und ärztliche Behandlung benötigen. Deshalb muss ich gehen. Ich bin dann aber wieder gekommen wegen meiner ärztlichen Behandlung. Dann bin ich nicht mehr arbeiten gegangen. Es war unmöglich. Ich habe das Land verlassen während meiner ärztlichen Behandlung. Befragt gebe ich nochmal an, dass ich nicht mehr gearbeitet habe, nachdem ich das Spital verlassen hatte.

LA: Sie haben erwähnt die Polizei war bei Ihnen?

VP: Meine Mutter und meine Tochter waren zu Hause. Ich war in der Arbeit. Das war vor der Demonstration. Die Polizei hat viele festgenommen die in die Moschee gegangen sind oder sich einer bestimmten Gruppierung angeschlossen haben. Sie sind nicht nur zu mir gekommen, sondern zu jedem der für Gerechtigkeit sorgen möchte wie ich.

LA: Aber wieso ist die Polizei gerade zu Ihnen gekommen?

VP: Die Polizei kam zu mir, weil ich an Demos teilgenommen habe und auch beten gegangen bin. Ich glaube sie sind auf mich aufmerksam geworden durch den Geheimdienst. Sie sind auch zu mir in die Arbeit gekommen. Ich war aber schon weg. Dann bin ich zur Demonstration gegangen.

LA: Wie lange vor der Demonstration war das?

VP: Zuerst kam die Polizei zur Mutter. Eine Woche später kam die Polizei zu mir in die Arbeit. Die Demo war an einem anderen Tag. Die Demo war an mehreren Tagen. Ich bin immer hingegangen. Das hat zwei bis drei Monate gedauert. Das war sofort nachdem Mursi nicht mehr an der Macht war. Ich bin nach der Arbeit dorthin gegangen. Die Polizei war im Juni bei mir. Also etwa zwei Monate vor der Demo. Danach bin ich nicht wieder nach Hause gegangen. Ich bin nur nachts arbeiten gegangen. Dann hab ich eine andere Arbeit gefunden, damit die Polizei mich nicht findet. Ich habe dann woanders als Bäcker gearbeitet. Ich habe meine Tochter nachts besucht. Manchmal habe ich sie in der Nähe unserer Wohnung gesehen. Ich glaub nicht dass die Polizei nochmal zu Hause war. Ca. 40.000 Menschen haben auch demonstriert und die Polizei war sehr damit beschäftigt. Ich habe bei der Demo auf der Straße geschlafen. Es gab dort Zelte.

LA: Zwischen dem Besuch der Polizei und der Demo waren zwei Monate. Wo waren Sie in dieser Zeit?

VP: Die Demo war da schon. Sie hat zwei Monate vor dem Datum begonnen wo ich angeschossen wurde. Die Polizei kam zu mir im Juni. Die Demo hat drei Monate gedauert. Befragt gebe ich an, dass die Polizei bei mir war und ich von dem Tag an immer auf der Demo geschlafen habe. Manchmal habe ich bei uns auf dem Dach geschlafen.

LA: Also waren Sie doch daheim?

VP: Das war nur ein oder zweimal.

LA: Was passierte nach Ihrem Krankenhausaufenthalt?

VP: Ich war zu Hause und manchmal bei meiner Schwester. Ich habe meine Adresse immer geändert. Während ich im Krankenhaus war, kamen ein paar Polizisten, aber die Ärzte haben uns versteckt. Die Polizei kam dann auch wieder zu uns nach Hause. Deshalb bin ich immer wieder umgezogen. Ca. drei Mal kamen sie. Ich habe meine Operationen gemacht bin nach Hause gegangen und dann zu meiner Schwester. Dann kamen sie. Die Polizei hat mich nie angetroffen.

LA: Was war dann der fluchtauslösende Moment?

VP: Als die Polizei mich auf Dauer gesucht hat, als ein paar Freunde festgenommen wurden und ich nicht mehr bleiben konnte habe ich das Land verlassen.

LA: Wieso sind Sie nicht an einen anderen Ort in Ägypten gegangen?

VP: Ich war verletzt und ich war in ärztlicher Behandlung. Ich wollte mich auch nicht immer verstecken. Ich wollte meine Tochter ernähren. Wenn die Polizei jemanden finden möchte dann findet die Polizei diese Person auch. Die haben viele Geheimdienstinformationen. Sie hätten mich überall gefunden.

LA: In Ägypten gibt es kein Meldewesen. Wie hätten Sie gefunden werden sollen?

VP: Durch den Geheimdienst.

LA: Wie passt das zu Ihrer Aussage, dass Sie legal mit Visum und Flugzeug das Land verlassen haben? Wenn Sie der Geheimdienst wie Sie sagen suchen würden, wäre dies wohl kaum möglich gewesen.

VP: Das stimmt. Deshalb musste ich auch Schmiergeld bezahlen. Jetzt hat die Regierung neue Regeln. Wenn man das Land verlassen möchte braucht man eine Bestätigung der inneren Sicherheit. Aber in meiner Zeit gab es diese Regeln nicht.

LA: Möchten Sie weitere Fluchtgründe geltend machen? Möchten Sie noch etwas hinzufügen?

VP: Ich bin ein Mensch und möchte normal leben. Ich hatte ein normales Leben und eine gute Arbeit. Wieso hätte ich mein Land und meine Tochter verlassen sollen. Die suchen mich überall.

LA: Wurden Sie jemals in irgendeiner Weise persönlich aufgrund Ihrer Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit oder aufgrund Ihrer Nationalität bedroht?

VP: Es gab nur die Probleme die ich geschildert habe.

LA: Hatten Sie jemals Probleme mit der Polizei in Österreich?

VP: Nein.

LA: Waren Sie jemals in Haft? Wurden Sie jemals festgenommen, damit meine ich nicht die Befragung?

VP: Nein.

LA: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr nach Ägypten?

VP: Ich habe Angst verhaftet oder umgebracht zu werden. Befragt ob es einen Haftbefehl gegen mich gibt, gebe ich an, dass ich das nicht weiß.

LA: Könnten Sie sich Umstände vorstellen wieder nach Ägypten zurück zu kehren?

VP: Wenn eine andere Regierung an die Macht kommt.

LA: Sind Sie in Österreich Mitglied in einem Verein oder einer Organisation?

VP: Nein.

LA: Möchten Sie noch irgendetwas angeben?

VP: Ich mag Österreich. Die Leute hier sind sehr nett. Ich möchte mich um meine Tochter kümmern. Ich möchte gut behandelt werden und meine ärztliche Behandlung fortsetzen.

LA: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in das vom BFA zur Beurteilung Ihres Falles herangezogene Länderinformationsblatt zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

VP: Ich verzichte

LA: Die Einvernahme wird Ihnen nun rückübersetzt werden. Mit Ihrer Unterschrift bestätigen Sie die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift und die erfolgte Rückübersetzung!

VP: Ich möchte noch ein paar Anmerkungen machen. Mursi war ein Zivilpräsident. Seit 60 Jahren haben wir in Ägypten nur Militär an der Macht. Meine Familie hat aus Angst verraten wo ich arbeite. Die Polizei hat ca. 40.000 Menschen festgenommen, aber viel mehr haben an der Demonstration teilgenommen. Die Regierung baut jetzt sogar neue Gefängnisse damit die Gefangenen dort hingebracht werden. Ich habe das Land verlassen weil es keine Gerechtigkeit gibt und weil wir unter Druck gesetzt werden."

3. Mit dem Bescheid vom 10.11.2017, Zl. 1071428110 + 151007863, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Ägypten (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht (Spruchpunkt VI.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VII.).

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 06.12.2017 (bei der belangten Behörde eingelangt am selben Tag).

5. Mit Schriftsatz vom 06.12.2017, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 11.12.2017 legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

6. Mit Beschluss zu 2179176-1/3Z vom 11.12.2017 hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde vom 06.12.2017 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

7. Dr. XXXX, Facharzt für Gerichtsmedizin, erstattete im Auftrag des BVwG am 01.03.2018 ein Gutachten über den Beschwerdeführer.

8. Am 26.04.2018 hat eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG in Gegenwart des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung stattgefunden. Die belangte Behörde hat vor der Verhandlung auf eine Teilnahme verzichtet.

Die wesentlichen Teile der Verhandlung lauten:

"RI: Leiden Sie an chronischen Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF: Ja, der Arzt hat das bestätigt. Psychisch geht es mir nicht gut, ich leide unter Schlafstörungen. Ich kann nicht gut schlafen, wegen dem, was ich gesehen habe, wegen den Protesten. Ich wurde bedroht. Aufgrund dessen habe ich psychische Probleme. Die Ärzte haben dies bestätigt.

RI: Haben Sie heute Medikamente genommen?

BF: Nein, ich habe keine Medikamente genommen. Ich habe Schmerzmittel mit, aber ich habe sie nicht eingenommen.

RV: Es handelt sich beim Gutachten nicht um ein Gutachten für eine Strafsache. Die gerichtsärztliche Befragung beschränkt sich auf den Fluchtgrund, die Medikamentengabe ist ersichtlich. Es ist nicht ersichtlich, ob und welche klinischen Untersuchungen stattgefunden haben. Es folgt eine Zusammenfassung von verschiedenen Befunden. Auf den Status bzw. die Folgen und die Verletzungen wurde nicht ausreichend eingegangen. Es wird auf der Seite 6 verwiesen, dass der Sachverständige in Einklang gebracht hat, dass die Verletzungen im Zuge des Beschusses des Militärs erlitten worden sind. Auf Seite 7 wird beschrieben, dass es sich um eine dauerhaft zu behandelnde Krankheit ist. Anzumerken ist, dass der Sachverständige auf Seite 7 festgestellt hat, dass es sich um Medikamente handelt, die im allgemeinen Welthandel erhältlich sind, diese Frage ist vom Gericht nicht gestellt worden. Es ist verwunderlich, dass der Sachverständige zu diesem Sachverhalt Stellung genommen hat. Der BF hat angegeben, dass er vom Sachverständigen auf einen Arzt verwiesen wurde. Neue medizinische Unterlagen gibt es nicht.

RI: Sie waren mit einem Dolmetscher bei einem Facharzt für Gerichtsmedizin. Dieser Arzt hat Sie zu einem anderen Arzt weitergeschickt, zu welchem?

BF: Das war Dr. XXXX. Ich war beim Arzt, er hat mich untersucht. Er hat auch ein Röntgen gemacht wegen meiner Schussverletzungen. Er wollte Informationen, welche Untersuchungen ich schon hatte und welche Medikamente ich nehme. Er wollte alles über meine psychische Situation wissen. Ich habe ihm alles erzählt. Der Arzt hat mir sehr starke Schmerztabletten verschrieben. Er fragte mich auch, ob ich andere Medikamente einnehme und ich antwortete, dass ich viele verschiedene Tabletten einnahm und, dass der Dr. XXXX sich gemeldet hat und ihm die Details gab. Er bekam auch einen Bericht, was ich für Medikamente nahm. Er sagte mir auch, dass er mich zu einem Facharzt verweist, damit er mich einer Gesamtuntersuchung unterziehen kann. Ich war noch nicht bei diesem Arzt.

RI: Haben Sie schon einen Termin bei diesem Arzt?

BF: Nein.

RI: Welcher Arzt wird die Gesamtuntersuchung durchführen?

BF: Das weiß ich nicht. Wenn ich geladen werde gehe ich hin und wenn ich gefragt werde antworte ich darauf. Der Arzt sagte mir, dass sie einen anderen Arzt von der Polizei holen werden, der mich untersucht.

RI: Hat Dr. XXXX Sie untersucht?

BF: Er hat mich befragt. Ich habe die Aufnahme mitgenommen, auch ärztliche Berichte aus Ägypten und Österreich. Ich habe die Berichte vorgelegt in denen steht, dass ich viele Operationen hatte und sich noch Splitterreste in meinem Körper befinden. Der Arzt fragte mich, ob ich noch Operationen brauche, ich sagte ihm, dass ich zwei Operationen gehabt habe und, dass es mir psychisch nicht gut geht. Ich sagte, dass ich Schmerzen im Arm und im Bein habe.

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sie heißen XXXX und sind am XXXX in Ägypten geboren?

BF: Ich heiße XXXX, das ist mein Vorname. XXXX ist mein Nachname. Ich bin am XXXX geboren. Als ich in Österreich angekommen bin wurde mein Geburtsdatum falsch aufgenommen, ich habe dann gemeldet, dass ich XXXX und nicht XXXX geboren wurde.

RI: Gehören Sie einer bestimmten ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe an?

BF: Ich bin Araber.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an?

BF: Ich bin Moslem.

RI: Sind Sie verheiratet oder leben Sie in einer Lebensgemeinschaft?

BF: Ich war verheiratet, inzwischen bin ich geschieden.

RI: Waren Sie in Ägypten verheiratet?

BF: Ja, in Ägypten.

RI: Haben Sie Kinder?

BF: Ich habe ein Kind, ein Mädchen. Sie lebt in Ägypten.

RI: Können Sie Dokumente vorlegen, die Ihre Angaben zu Ihrer Identität belegen (zB Reisepass, Personalausweis, Geburtsurkunde, Heiratsurkunde)?

BF: Einen Ausweis habe ich schon vorgelegt. Ich habe meinen Personalausweis in Kopie und meine Geburtsurkunde.

Diese Unterlagen werden als Anlage zum Akt genommen.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schulausbildung absolviert bzw. einen Beruf erlernt?

BF: Ich bin neun Jahre in die Schule gegangen und habe Konditor gelernt.

RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient?

BF: Ich habe als Konditor gearbeitet.

RI: Für wie lange?

BF: Ich habe viele Jahre als Konditor gearbeitet, ca. 15 Jahre.

RI: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen?

BF: Ich habe Ägypten 2014 nach dem Vorfall verlassen. Am 14.08.2013 ist was passiert, das steht in den Unterlagen. Am 14.08.2014 habe ich Ägypten verlassen.

RI: Was ist am 14.08.2013 passiert?

BF: Wir haben protestiert. Wir haben nicht demonstriert. Alles hat im Juli 2013 angefangen und dauerte drei Monate. An dem Tag wurden wir vom Militär und der Polizei umzingelt. Zuerst wurde auf uns mit Tränengas geschossen, dann wurde auf uns geschossen, mit Munitionen, die in den Körper eindringen und im Körper sofort explodieren. Ich habe alles auf dem Video. Es gab Flugzeuge und bewaffnete Soldaten auf den Dächern. An dem Tag wurden die Proteste beendet, indem Gewalt eingesetzt wurde und auf uns geschossen wurde.

RI: Wer hat auf Sie geschossen?

BF: Die Polizei und das Militär.

RI: Wie lange waren Sie auf dem Protest?

BF: Ich war von Anfang an dabei, von Juni bis zur Auflösung.

RI: Dieses Video ist auf YouTube?

BF: Ja.

RI: Können Sie mir sagen, was wir auf YouTube suchen müssen?

Der BF und der Dolmetscher zeigen dem Gericht in Gegenwart der RV ein Video über die gewaltsame Niederschlagung der Demonstration vom 14.08.2013. Der BF bezeichnet einen schwer Verletzten als seine Person.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI: Sie wurden bereits vom Bundesamt zu Ihren Fluchtgründen befragt. Die diesbezüglichen Niederschriften liegen im Akt ein. Erinnern Sie sich noch an Ihre Angaben und halten Sie diese aufrecht? Oder wollen Sie etwas ergänzen oder berichtigen?

BF: Ja, ich halte alles aufrecht. Ich möchte ergänzen: Ich habe gut und normal gelebt, ich habe gearbeitet. Ich wollte nur meine Meinung äußern. Ich weine gerade wegen den Menschen, die gestorben sind. Freunde von mir sind an dem Tag auch gestorben. Wer nicht gestorben ist wurde verhaftet. Einige haben das Land verlassen und sind auf der Flucht. Ich habe meine Tochter seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Ich hätte Ägypten nicht verlassen, aber sie haben mir nicht erlaubt normal zu leben und meine Meinung zu äußern. Ich bin kein Mitglied von irgendwelchen politischen Parteien. Ich bin jung und wollte leben wie alle anderen Menschen. Ich weiß noch immer nicht, wieso sie das mit uns gemacht haben. Mein Bruder erzählte mir, dass ein Freund von mir namens Mohammad Ahlam im August 2015 verhaftet wurde und er sitzt seit damals im Gefängnis und wurde immer noch nicht verurteilt. Mein Bruder teilte mir mit, dass der Geheimdienst auch bei ihm zuhause war und nach mir fragte. Wenn Sie auf YouTube diesen Abteil des Geheimdienstes eingeben, werden Sie sehen, wie Menschen verhaftet und geschlagen werden. Ich bin ein Mann der nur seine Meinung äußern wollte. Ich bin Anhänger der Demokratie und gegen den Militärputsch. Der Präsident, der gewählt wird soll regieren. Der Mann wurde gewählt und erst nach Neuwahlen kann er sein Amt abtreten. Ich bin gegen den Militärputsch in Ägypten und auch in anderen Ländern.

RI: Auf Sie wurde geschossen und Sie wurden schwer verletzt, was ist dann passiert?

BF: Ich wurde sechs Mal getroffen. Ich wurde ins Krankenhaus mitgenommen und wurde in die Notfallambulanz gekommen, um die Blutung zu stoppen, ich habe viel Blut verloren. Der Arzt sprach von vier Kilo Blut. Einige verletzte Personen wurden im Krankenhaus getötet. Das Krankenhaus wurde auch mit Tränengas beschossen. Die Ärzte und andere Menschen haben das Gebäude verlassen. Einige verletzte Personen wurden von der Polizei verhaftet. Die anderen wurden erschossen und sind tot. Als der Protest mit Gewalt beendet wurde und alle Kranken aus dem Krankenhaus hinausgegangen sind, war ich fast die letzte Person die das Krankenhaus verlassen hat. Ich wurde mit einem Auto in ein anderes Krankenhaus transportiert. In diesem Krankenhaus werden nur leicht Verletzte behandelt, schwer Verletzte werden dort nicht behandelt. Ein Mann namens Abu Omar hat mich im Krankenhaus gesucht, als sie bereit waren mich aufzunehmen. Er hat einen Freund angerufen, der selbst Arzt ist und dann wurde ich in dem Krankenhaus aufgenommen und behandelt.

Die Verhandlung wird für fünf Minuten unterbrochen.

RI: Wie hat der Platz geheißen, auf dem der Protest stattgefunden hat?

Der BF notiert den Namen des Platzes und den Namen des Notfallkrankenhauses und den Namen des Krankenhauses, in dem er im Anschluss war.

Diese Notiz wird zum Akt genommen.

RI: In welchem Bett sind Sie gelegen?

BF: Ich habe viel Blut verloren, ich habe Blut gespuckt. Meine Rippen wurden auch getroffen. Ich kann Ihnen auch meinen Körper zeigen.

RI: Ich möchte wissen wie es ausgesehen hat. Was haben Sie im Krankenhaus gesehen, wer war dort? War dieses Krankenhaus im Juni schon dort?

BF: Ich war in Ohnmacht, habe viel Blut verloren, die Ärzte haben mich liegen gelassen. Ja, dieses Krankenhaus ist berühmt.

RI: Sie waren dann in einem anderen Krankenhaus, was ist dann passiert?

BF: Sie haben mich zuerst nach meinem Namen befragt, ich wurde untersucht, ich lag im Sterben. Ich habe geblutet, ich bekam Blutinfusionen. Meine Eltern haben nach mir gesucht, sie haben nicht gewusst in welchem Krankenhaus ich mich befinde. Eine Person, die im Krankenhaus war, stammte aus meiner Region und wusste, weil er meinen Namen gehört hat, dass ich auch aus dieser Region war, er hat meine Eltern informiert.

RI: Nachdem Sie aus dem Krankenhaus entlassen wurden, was ist dann passiert?

BF: Ich bin nach Hause gegangen, habe das Krankenhaus aber für die weitere Behandlung noch öfter besucht, um rauszufinden, ob ich noch mehrere Operationen brauche. Ich hatte tatsächlich auch noch eine zweite Operation, dies steht auch in den Unterlagen.

RI: Sind Sie wieder arbeiten gegangen?

BF: Nein, es ging nicht. Ich bin ein Jahr in Ägypten geblieben, ich habe mich behandeln lassen, habe eine Operation gehabt und habe Therapie machen müssen.

RI: Wieso haben Sie dann Ägypten verlassen?

BF: Nach mir wurde im Krankenhaus gesucht, die Ärzte haben mich versteckt. Die Ordination des Arztes, der mich zu Beginn operiert hat, wurde zerstört. Der Arzt wurde auch verhaftet. Danach hat mich ein anderer Arzt behandelt.

RI: Warum hat die Polizei gerade Sie gesucht?

BF: Die Polizei hat alle Menschen gesucht, die ihre eigene Meinung geäußert haben. Alle jungen Männer wollten die Demokratie und nicht unterdrückt werden. Deshalb hat dies alles stattgefunden, sie wollten Freiheit, Mubarak hat die Menschen 30 Jahre unterdrückt.

RI: Warum wurden gerade Sie gesucht?

BF: Weil sie wussten, dass die verletzten Personen zu diesem Krankenhaus gebracht wurden. Ich gehörte zur Opposition.

RI: Woher wusste die Polizei das?

BF: In meiner Region war ich bekannt als nicht Anhänger des Regimes. Einige Menschen haben bei der Revolution gegen Mubarak Polizisten geschlagen, ich habe das nicht akzeptiert, ich wollte nur meine Meinung äußern. Ich bin Anhänger der Demokratie, ich wollte keine Unterdrückung annehmen.

RI: Das konnte ja niemand wissen?

BF: Der Geheimdienst.

RI: Der Geheimdienst hat nach Ihnen gesucht?

BF: Diese staatliche Sicherheit des Geheimdienstes hat nach mir gesucht. Nachdem ich Ägypten verlassen habe, haben sie auch 2015 nach mir gesucht.

RI: Wie hat die staatliche Sicherheit davon erfahren, dass Sie für die Demokratie eintreten?

BF: Sie haben viele Augen. Sie tragen Zivilkleidung auf der Straße und wissen vieles über alle Menschen.

RI: Sie haben vor dem BFA gesagt, dass die Polizei nach Ihnen gesucht hat und zu Ihnen nach Hause gekommen ist, stimmt das?

BF: Wann? Ich habe das erwähnt. Im Krankenhaus hat man nach mir gefragt und auch zuhause, ich war in diesem Moment aber im Krankenhaus. Als die Behandlung im Krankenhaus fertig war, bin ich zu meiner Schwester gegangen.

RI: Sie haben vor dem BFA gesagt, dass die Polizei nach Ihnen suchte, als Sie in der Arbeit waren, was sagen Sie dazu?

BF: Das passierte bevor ich verletzt wurde.

RI Vorhalt niederschriftliche Einvernahme Seite 5 von 9: Seitdem ich angeschossen wurde, musste ich das Land verlassen, ich war aber in der Arbeit. Meine Familie hat ihnen aus Angst gesagt wo ich arbeite.

BF: Vielleicht wurde es falsch übersetzt. In diesem Jahr habe ich nicht gearbeitet. Ich konnte nicht mehr arbeiten, ich konnte mich kaum bewegen. In meinem linken Unterarm habe ich Splitter. Auf mein rechtes Bein wurde geschossen. Ich wurde zwei Mal operiert.

RI: Wie sind Sie aus Ägypten ausgereist?

BF: Mit dem Flugzeug.

RI: Von wo?

BF: Vom Flughafen Alexandria. Man konnte dort die Sicherheitskräfte bestechen. Ich wurde auch am Flughafen angehalten, mein Reisepass wurde weggenommen, ich habe dann die Bestechung bezahlt, damit ich meinen Pass wieder bekomme.

RI: Sie wurden vom Geheimdienst gesucht, haben Bestechung bezahlt und durften dann ausreisen?

BF: Nicht der Geheimdienst, sondern die staatliche Sicherheit. Ich war nicht alleine betroffen, es waren Tausende Menschen betroffen.

RI: Wurden Sie von der staatlichen Sicherheit gesucht oder nicht?

BF: Ja, ich und die anderen, die ihre Meinung gegen das Regime geäußert haben.

RI: Sie haben also Bestechung bezahlt und durften dann ausreisen?

BF: Ja, ich spürte, dass etwas passiert, also habe ich bezahlt. Das waren aber normale Polizisten und niemand von der staatlichen Sicherheit.

Die Verhandlung wird um 13:25 Uhr für 10 Minuten unterbrochen.

Die Verhandlung wird um 13:53 Uhr fortgesetzt.

RI: Wann ist Präsident Morsi gewählt worden?

BF: Ich erinnere mich nicht mehr genau, wann die Wahlen stattgefunden haben. Ich kann alles auf YouTube auch finden. Ich glaube das war im Jahr 2012. Ich kann Sommer sagen, aber ich kann mich nicht mehr an das Datum erinnern.

RI: Wann ist er abgesetzt worden?

BF: Als der Militärputsch passiert ist.

RI: Wann war das?

BF: 2013.

RI: Wann 2013?

BF: Ich erinnere mich nicht mehr an das genaue Datum. Ich weiß nicht ob das im Jänner, Februar... war. Ich erinnere mich nicht mehr an das Datum erinnern. Man kann das alles auf YouTube nachvollziehen. Er war ein Jahr und ein paar Monate Präsident.

RI: Wann ist er dann abgesetzt worden? Er ist im Sommer gewählt worden.

BF: Ich erinnere mich nicht mehr an das genaue Datum. Man kann alles auf YouTube nachsehen. 2013 war das, wann genau kann ich nicht sagen. Ich kann mich nicht mehr erinnern.

RI: Wie ist er abgesetzt worden?

BF: Zuerst wurde er in seinem eigenen Palast gefangen gehalten und dann wurde er an einem anderen Ort gebracht. Niemand hat gewusst, wo er sich befindet. Das war ein Militärputsch.

RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF: Man wird mich verhaften. Man wird mich umbringen. Sie haben selbst auf YouTube gesehen, was sie mit meinen Freunden gemacht haben. Das gleiche Schicksal erwartet alle. Es reicht, wenn man die eigene Meinung äußert. Man wirft dann vor, dass man ein Terrorist ist. Es ist egal, welcher Partei man angehört. Islamische Partei oder andere Parteien.

RI: Werden Sie in Ägypten gesucht?

BF: Ja, und der Beweis ist, dass sie, nachdem ich geflüchtet bin, nach mir gefragt haben.

RI: Wer hat nach Ihnen gefragt?

BF: Die Staatsicherheit.

RI: Wie haben Sie davon erfahren?

BF: Mein Bruder hat mir das erzählt.

RI: Was hat Ihr Bruder gesagt, wo Sie sind?

BF: Er hat gesagt, dass ich mich in der Türkei befinde. Die Türkei sieht das auch als Militärputsch, was in Ägypten passiert ist, deswegen betrachtet das Regime in Ägypten jeden, der in die Türkei einreist als Terroristen.

RI: Unter der Annahme, dass Sie die von Ihnen geschilderten Probleme oder Schwierigkeiten nicht hätten, könnten Sie dann wieder in Ihrem Herkunftsstaat leben?

BF: Ich wünsche es mir in Ägypten zu leben. Nur die Probleme und die Unterdrückung gibt mir keine Möglichkeit. Das ist auch das, was wir uns heute angeschaut haben. 17-Jährige Mädchen können auch verhaftet. Sie können auf YouTube die Anzahl der Verhafteten sehen.

RV: Sie haben angegeben, dass wenn Sie zurückkehren, getötet oder inhaftiert werden. Was sind die Haftbedingungen in Ägypten?

BF: Das ist wie ein Friedhof. Dort werden in 20 m2 Zellen 30 bis 40 Menschen gehalten.

RV: Werden da hinsichtlich der Haftbedingungen Unterschied zwischen normalen und politischen Gefangenen gemacht?

BF: Ja, man kann auf YouTube alles sehen. Man kann die Anzahl der gestorbenen Gefangenen sehen. Das sind alles Parteien. Die Insassen bekommen keine Medikamente, man darf sie nicht besuchen und sie bekommen nichts zum Essen.

RV: Ist das möglich in Ägypten, dass die Polizei korrupt ist und Bestechungsgeld annehmen?

BF: Ja. Die Beweise kann man auch auf YouTube sehen. Man kann auf YouTube angeben die Bestechung und was die Regierung von den Völkern nimmt. Gerechtigkeit gibt's nicht.

RV legt einen Bericht der Amnesty International vor, über die Lage von Menschenrechte in Ägypten, welches die Angaben des BF bestätigt. Der als Anlage C zum Akt genommen wird.

RI: Sie waren seit Juni 2013 auf diesem Protest am XXXX. Das Militär hat Sie aufgefordert den Platz zu verlassen.

BF: Das haben sie behauptet, dass sie mit einem Mikrophon die Leute versucht haben, den Platz zu verlassen. Sie haben aber Tränengas eingesetzt. Sie sind mit Hubschraubern geflogen und haben Tränengas eingesetzt. Es waren auch Kinder dort.

Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat:

Der RI bringt die im Akt einliegenden Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat in das gegenständliche Verfahren ein, die dem BF bereits mit der Ladung übermittelt worden sind.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte.

Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

Der RI gibt der Partei die Möglichkeit, in diese herkunftsstaatsbezogenen Berichte Einsicht zu nehmen sowie zu den vom RI dargelegten Feststellungen eine Stellungnahme abzugeben.

BF: Ich möchte nur bekräftigen, dass die Regierung die Menschen unterdrückt und es keine Gerechtigkeit gibt. Ein Militärputsch und das Ergebnis ist auch korrupt.

RV: Das LIB bestätigt die Angaben des BF.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus und wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF: Ja, ich kontaktiere mein Tochter.

RI: Wie alt ist sie?

BF: Sie ist jetzt 12 Jahre alt.

RI: Wo lebt sie?

BF: Sie wohnt bei der Großmutter in Kairo im Bezirk Helouan.

RI: Haben Sie sonst noch Kontakte in Ägypten?

BF: Mit meinem Bruder, aber selten.

RI: Wie oft haben Sie Kontakt zu Ihrer Tochter?

BF: Unterschiedlich. Manchmal jeden dritten Tag, manchmal einmal in der Woche.

RI: Welche Verwandten leben sonst noch in Ägypten?

BF: Meine Tante mütterlicherseits, mein Onkel mütterlicherseits. Ich habe andere Geschwister. Zu meinem Vater. Er hatte schon einmal geheiratet und in dieser Beziehung Kinder. Mit meiner Mutter hat mein Vater drei Töchter, zwei davon sind inzwischen schon gestorben und dann noch drei Söhne inklusiv mich.

RI: Wie heißen die Söhne?

BF: XXXX und XXXX.

RI: Wie heißt die Schwester, die noch lebt?

BF: XXXX.

RI: Lebt der Vater noch?

BF: Inzwischen ist er gestorben, als ich nach Österreich kam.

RI: Haben Sie in Österreich lebende Verwandte?

BF: Nein.

Der RI ersucht den Dolmetscher, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen.

RI: Sprechen Sie ein bisschen deutsch?

BF: Heute spreche ich nicht so gut, aber später schon. Mein Deutsch ist klein.

RI: Wo wohnen Sie?

BF: Ich wohne in Wien.

RI: Sie wohnen in Wien?

BF: Ja.

RI: Was haben Sie gestern gemacht?

BF: Gestern war ich in Wien.

RI hält fest, dass der BF kaum Deutsch spricht.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie bereits einen Deutschkurs besucht?

BF: Ja, diesen haben ich auch besucht.

RI: Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF: Nein.

RI Beziehen Sie derzeit Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung (zB Taschengeld, Unterkunft)?

BF: Ja, ich bekomme 330 €.

RI: Wo wohnen Sie?

BF:

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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