TE Vwgh Erkenntnis 1999/11/9 98/11/0161

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Veröffentlicht am 09.11.1999
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Index

60/04 Arbeitsrecht allgemein;

Norm

ARG 1984 §11 Abs1 Z2;
ARG 1984 §3 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf, Senatspräsident Dr. Waldner und Hofrat Dr. Gall als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des W P in P, vertreten durch Braunegg, Hoffmann & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Gonzagagasse 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 29. April 1998, Zl. UVS-04/A/30/00127/96, betreffend Übertretungen des Arbeitsruhegesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der M GmbH schuldig erkannt, an einem Sonntag (13. November 1994) in einer näher bezeichneten neuen Betriebsstätte im 16. Wiener Gemeindebezirk zwischen 10.30 Uhr und 11.30 Uhr 66 namentlich genannte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt und damit gegen § 3 Abs. 2 ARG verstoßen zu haben. Über ihn wurden deshalb Geldstrafen in Höhe von insgesamt S 132.000,-- (je Arbeitnehmer S 2.000,--) verhängt.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist in Bezug auf jene Arbeitnehmer, die am 13. November 1994 mit anderen als Wareneinschlichtungsarbeiten beschäftigt wurden, nicht Verfolgungsverjährung eingetreten. Bei der bereits in der ersten Verfolgungshandlung aufscheinenden, im angefochtenen Bescheid fallen gelassenen Spezifikation der Art der Beschäftigung ("mit Wareneinschlichtungsarbeiten") handelt es sich nicht um ein für eine vollständige Tatumschreibung gemäß § 44a Z. 1 VStG wesentliches Sachverhaltselement; dafür genügt in diesem Zusammenhang die Angabe, dass die Arbeitnehmer "beschäftigt" wurden, einer näheren Umschreibung der jeweils ausgeübten Tätigkeit bedurfte es nicht.

2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde habe nicht geprüft, ob ein außergewöhnlicher Fall im Sinne des § 11 Abs. 1 Z. 2 (dritte Alternative) ARG vorgelegen sei.

Der Beschwerdeführer ist damit im Recht. Nach der genannten Bestimmung dürfen während der Wochenend- und Feiertagsruhe Arbeitnehmer in außergewöhnlichen Fällen mit vorübergehenden und unaufschiebbaren Arbeiten beschäftigt werden, soweit diese zur Verhütung eines sonstigen unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Schadens erforderlich sind, wenn unvorhergesehene und nicht zu verhindernde Gründe vorliegen und andere zumutbare Maßnahmen zu diesem Zweck nicht möglich sind. Gemäß § 3 Abs. 1 zweiter Satz darf während der Zeit der Wochenendruhe ein Arbeitnehmer nur beschäftigt werden, wenn dies auf Grund der §§ 2 Abs. 2, 10 bis 18 zulässig ist. Demnach werden durch die Beschäftigung von Arbeitnehmern bei Vorliegen eines außergewöhnlichen Falles im Sinne des § 11 ARG die Bestimmungen über die Wochenendruhe (§ 3 ARG) nicht verletzt. Hierbei handelt es sich um eine Frage des objektiven Tatbestandes.

Bereits im erstinstanzlichen Verfahren hatte sich der als Zeuge vernommene Leiter desPersonalwesens ausdrücklich auf das Vorliegen eines außergewöhnlichen Falles im Sinne des § 11 Abs. 1 Z. 2 ARG berufen (AS 67 verso). In der Berufung (S 10f) führte der Beschwerdeführer aus, der Arbeitseinsatz sei erfolgt, um von der Gesellschaft einen unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Schaden auf Grund unvorhergesehener und nicht zu verhindernder Umstände abzuwenden. Dadurch, dass diverse Bauunternehmen bei der Erbringung ihrer vertraglich zugesicherten und terminlich fixierten Leistungen erheblich in Verzug geraten seien, sei der seit langem geplante Eröffnungstermin für die neu errichtete Filiale (17. November 1994) gefährdet gewesen. Für diesen Termin seien bereits umfangreiche Vorarbeiten und erhebliche Investitionen getätigt worden; der Eröffnungstermin sei durch eine Plakataktion in Wien und Niederösterreich sowie durch Prospekte angekündigt worden. Der als Stargast für die Eröffnungsfeierlichkeiten verpflichtete, namentlich genannte Schauspieler hätte bei einer Terminverschiebung erhebliche Schadenersatzansprüche geltend gemacht. In der mündlichen Verhandlung vom 17. September 1997 ergänzte der Beschwerdeführer das Vorbringen dahin, dass die zu erwartenden Schadenersatzforderungen "über eine Million Schilling" betragen hätten und dass über eine Million Prospekte mit dem Eröffnungstermin 17. November 1994 verschickt worden seien.

Angesichts dieses Vorbringens wäre von der belangten Behörde das Vorliegen eines außergewöhnlichen Falles im Sinne des § 11 Abs. 1 Z. 2 (dritte Alternative) ARG zu prüfen gewesen. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage fehlt im angefochtenen Bescheid. Die belangte Behörde hat sich - im Zusammenhang mit der behaupteten drohenden Schadenersatzforderung von über 1 Mio. S - lediglich mit dem Vorliegen von Notstand (§ 6 VStG) befasst und dies verneint, weil ein Schaden in dieser Höhe im Hinblick auf den Jahresumsatz des vom Beschwerdeführer geleiteten Unternehmens nicht als existenzbedrohend anzusehen sei. Die ausdrücklich auf § 6 VStG abstellende Begründung vermag angesichts der unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen die fehlende Begründung hinsichtlich des (Ausnahme-)Tatbestandes des § 11 Abs. 1 Z. 2 ARG nicht zu ersetzen. Ebenso wenig kann durch die Ausführungen in der Gegenschrift das Fehlen entsprechender Feststellungen und Ausführungen zu dieser Frage im angefochtenen Bescheid ersetzt werden. Der aufgezeigte Mangel ist wesentlich, weil die belangte Behörde bei seiner Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

3. Der Beschwerdeführer vermisst ferner eine hinreichende Prüfung dahin, welche der im Schuldspruch genannten Personen als leitende Angestellte, denen im Sinne des § 1 Abs. 2 Z. 5 ARG maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind, von den Bestimmungen dieses Gesetzes ausgenommen seien. Dazu zählten jedenfalls die Filialleiter G und H, denen jeweils rund 100 Mitarbeiter der Gesellschaft unterstünden, sowie weitere sechs namentlich genannte Abteilungsleiter mit acht und mehr Untergebenen.

Auch diese Verfahrensrüge ist (mit Ausnahme des Filialleiters

G und des Abteilungsleiters P, deren Beschäftigung dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid nicht angelastet wurde) begründet. Der Beschwerdeführer hat bereits in der Berufung (S. 8) sechs namentlich genannte Personen (darunter H) als "leitende Führungskräfte" der Gesellschaft bezeichnet und in der mündlichen Verhandlung vom 17. September 1997 (S. 4 der Niederschrift) ausdrücklich angegeben, dass sich unter den "inkriminierten Mitarbeitern" auch "leitende Angestellte im Sinne des ARG" befänden. Dieses Vorbringen hätte die belangte Behörde zur näheren Prüfung des Einwandes und zu entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid veranlassen müssen. Dies ist jedoch unterblieben. Begründet wird dies mit dem - nach dem vorhin Gesagten aktenwidrigen - Hinweis, der Beschwerdeführer habe in seinem gesamten Vorbringen nicht behauptet, die im Straferkenntnis genannten Arbeitnehmer seien leitende Angestellte im Sinne des "§ 1 Abs. 2 Z. 8 AZG" (gemeint wohl: § 1 Abs. 2 Z. 5 ARG). Konkrete Ausführungen finden sich im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen nur in Bezug auf den im Schuldspruch nicht genannten Abteilungsleiter P. Der angefochtene Bescheid ist daher auch insoweit mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet.

4. Aus den vorhin genannten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste.

Für das fortgesetzte Verfahren wird unter dem Aspekt des § 44a Z. 2 VStG bemerkt, dass das dem Beschwerdeführer angelastete Verhalten nicht gegen die Regelung des Beginnes der Wochenendruhe (§ 3 Abs. 2 ARG), sondern gegen das im § 3 Abs. 1 ARG grundgelegte Verbot der Sonntagsarbeit verstößt.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 9. November 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1998110161.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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