Entscheidungsdatum
29.05.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W168 2185750-1/7E
W168 2185752-1/6E
W168 2185755-1/6E
W168 2185754-1/6E
W168 2185748-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerden von
1.) XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2018, ZL: 1097947607 / 151934756,
2.) XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, geben den Bescheid des Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2018, ZL: 1097947705 / 151934730,
3.) XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, geben den Bescheid des Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2018, ZL: 1097947901 / 151934764,
4.) XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, geben den Bescheid des Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2018, ZL: 1097947803 / 151934772,
5.) XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch die Kindesmutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, geben den Bescheid des Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2018, ZL: 1173896805 / 171282753,
beschlossen:
A)
Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufgehoben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Die Erst- bis Vierbeschwerdeführer (BF1 bis BF4) gelangten unberechtigt in das Bundesgebiet und stellten am 04.12.2015 gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz. Der Fünftbeschwerdeführer wurde am 13.10.2017 in Österreich geboren und ein Antrag auf internationalen Schutz wurde am 16.11.2017 durch den gesetzlichen Vertreter gestellt.
Bei der Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin durch das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 22.11.2017 gab diese unter Anderem an, dass sie das Haus nicht alleine verlassen hätte können und sich nicht frei bewegen hätte können. Auch hätte sie keine Freiheit in Afghanistan gehabt. (AS. 34) Weiters führte diese aus, dass sie es in Afghanistan schwer gehabt hätte. Sie wolle frei und ohne Angst leben. (AS.39)
Mit den nunmehr angefochtenem Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass ein Verlassen Afghanistans aus wohlbegründeter Furcht, bzw. asylrelevanter individueller Verfolgung nicht glaubhaft gemacht werden hätte können. Der Familie sei eine Rückkehr nach Afghanistan zumutbar. Betreffend der Erstbeschwerdeführerin wurde festgehalten, dass außer den landesüblichen Einschränkungen die Frauen in Afghanistan unterlegen sind, keine gesonderten Gründe angegeben worden seien. Die Erstbeschwerdeführerin hätte angegeben, dass sie als Schneiderin vor ihrer Heirat in Kabul gearbeitet hätte. Es wäre für die Behörde daher nicht glaubhaft, dass sie sie sich in Afghanistan nicht nach den ortüblichen Gebräuchen hätte frei bewegen dürfen. Es sei den BF insgesamt möglich und zumutbar ihren Lebensmittelpunkt wieder in Afghanistan zu erneuern. Die Erstbeschwerdeführerin würde keine Medikamente nehmen. Die Familie könnte auch mit finanzieller Unterstützung von Verwandten Wohnraum beschaffen und in Afghanistan eine berufliche Existenz aufbauen. Es gäbe keine Hinweise dafür, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden. Den Länderfeststellungen zufolge sei die Lage insbesondere im Raum Kabul zufrieden stellend. Im Fall der Rückkehr bestünde für die BF keine Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK. Einer gemeinsamen Ausweisung des BF stünde auch nicht eine Verletzung des Art. 8 EMRK entgegen. Die BF verfügen über keine weiteren relevanten familiären oder freundschaftlichen Anknüpfungspunkte in Österreich. Gründe für das Vorhandensein einer besonders berücksichtigungswürdigen besonderen Integration wären nicht hervorgekommen.
Gegen die gegenständlichen Bescheide des BFA erhoben die BF fristgerecht Beschwerden. In diesen wurde inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht, bzw. würden diese Bescheide im vollen Umfang angefochten werden. Begründend wurde insbesondere hinsichtlich Spruchpunkt I ausgeführt, dass insbesondere die BF1 angegeben hätte, dass sie gegenwärtig keine Medikamente nehmen würde, da sie schwanger wäre. Die BF1 hätte Befunde vorgelegt aus denen erschließlich wäre, dass der die BF1 behandelnde Arzt nur aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Schwangerschaft keine Medikamente verordnet hätte, bzw. erst in Folge geklärt werden müsse, welche Therapie diese erhalten solle. Dieses Vorbringen wäre jedoch im angefochtenen Bescheid nicht gewürdigt worden. Gänzlich würden auch Berichte zur Verfolgung von westlich orientierten Frauen und Mädchen fehlen. Die belangte Behörde hätte es unterlassen die BF1 zu ihrer westlichen Gesinnung bzw. ihrem westlichen Lebensstil zu befragen (Ausbildungs- bzw. Bildungswunsch, westliche Kleidung, freies Bewegen, etc.) Dies, obwohl die BF1 in ihrer niederschriftlichen Einvernahme angegeben hätte, dass für sie kein freies Leben in Afghanistan möglich gewesen wäre, bzw. sie in Österreich in Freiheit leben wolle. Auch der VwGh würde von der Notwendigkeit der konkreten Prüfung der angestrebten Lebensweise eine afghanischen Asylwerberin ausgehen. (etwa. VwGH Zlen RA 2014/20/0017 und 0018-9, 28.05.2014). Diese Ermittlungen wären im gegenständlichen Verfahren indiziert gewesen, da sich die westliche Einstellung der BF1 bereits aus ihrem äußeren Erscheinungsbild ergäbe, bzw. augenscheinlich wäre. Die BF1 hätte gefärbte Haare, trage Schmuck und wäre geschminkt und westlich gekleidet. Das Bundesamt hätte prüfen müssen, welche Lebensweise die BF1 in Österreich anstrebe, bzw. ob diese gewillt wäre, sich in das traditionelle islamische Rollenbild der Frau in Afghanistan einzufügen. Auch hätte es das BFA unterlassen diese näher zu ihrer Lebensführung in Österreich zu befragen. Das BFA hätte auch bezüglich einer Möglichkeit in Afghanistan als Frau ein selbstbestimmtes Leben zu führen Ermittlungen anstellen müssen. Zudem würden sich in den Bescheiden der 3 Kinder keine Länderfeststellungen befinden. Dies würde einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellen, wodurch diese Bescheide mit Rechtswidrigkeit belastet wären. Hierzu wäre etwa auf das Erkenntnis des VwGH 16.05.2015, Ra 2015/19/0036, sowie etwa BVwG zu W161 2123629 - 1 zu verweisen. Die BF würden hinsichtlich der jüngsten UNHCR Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfes für afghanische Asylwerber 4 der hierin angegebenen Risikoprofile entsprechen. Aus diesen Gründen hätte diesen internationaler Schutz gewährt werden müssen. Auch hätte die BF bereits in der Einvernahme vor der BFA angegeben, dass sie Angst um ihre Söhne hätte. Da sie aus einer Gegend stammen würden in der die Taliban an der Macht wären, hätte sie Angst vor einer Zwangsrekrutierung ihrer Kinder. Auch wäre ausgeführt worden, dass die Taliban zu den BF bereits gesagt hätten, dass 2 der Kinder bereits alt genug wären um islamischen Unterricht zu erhalten und für die Religion zu kämpfen. (As 347) Diese Aussagen wären in den gegenständlichen Bescheiden jedoch in keinster Weise gewürdigt worden. Die BF1 würde entgegen den Würdigungen der belangten Behörde, in Afghanistan einer individuellen, konkreten und gegen sie gerichteten Verfolgung aus Gründen einer ihr unterstellten politischen/gesellschaftlichen Gesinnung, sowie aus Gründen der Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der westlich orientierten Frauen ausgesetzt sein. Die BF1 wäre von ihrer persönlichen Wertehaltung her überwiegend an dem in Europa gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen.- und Gesellschaftsbild selbstbestimmt leben zu wollen orientiert sein. Obwohl diese Orientierung augenscheinlich gewesen wäre, wären keine diesbezüglichen Fragen gestellt worden. In ähnlich gelagerten Verfahren wäre den weiblichen Beschwerdeführern aufgrund ihrer westlichen Orientierung Asyl gewährt worden. (etwa VwGH vom 22.03.2017, Ra 2016/18/0388, BVwG 191 2141884 -1/10E, oder auch BVwG 152 2134532 -1), bzw. würden die beiden älteren Kinder von einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban bedroht sein. Hinsichtlich Spruchpunkt II sei auszuführen, dass bei einer Rückkehr nach Afghanistan für die BF das reale Risiko einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK bestehen würde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative würde für diese nicht bestehen. Subsidiärer Schutz hätte zuerkannt werden müssen. Betreffend Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass sich die BF um eine Integration in Österreich bemühen würden. Die BF hätten viele Kontakte geknüpft und würden über ein großes Netzwerk an österreichischen Bekannten verfügen und hätten sich einen westlichen Lebensstil angeeignet. Die Interessensabwägung wäre individualisiert nicht vorgenommen worden. Die Rückkehrentscheidung hätte daher für dauerhaft unzulässig erklärt werden müssen und das BFA hätte gem. §58 Abs. 2 AsylG den BF eine Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen zu erteilen gehabt. Hinsichtlich des Bestehens einer IFA wurde ausgeführt, dass der Begriff der Zumutbarkeit bzw. des Vernüftigkeitsmaßstabes weiter reichen würde, als das bloße Fehlen einer existentiellen Bedrohung. Hierzu wäre auf angeführte Erkenntnisse des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes etwa zu 10 C 11.07, Rz 35, vom 29.05.2008, sowie auch auf die diesbezüglichen Ausführungen des UNHCR in dessen Handbuch zu Art. 8 Abs 1 Status RL zu verweisen. Aus diesem Grund würden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den BF einen Verbesserungsauftrag betreffend der nicht in der Beschwerde geltend gemachten Beschwerdepunkte vornehmen zu können, die angefochtenen Bescheide - allenfalls nach Beschwerdeergänzung- zu beheben, den Status von Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, bzw. in eventu subsidiären Schutz gemäß § 8 AsylG zuzuerkennen, sowie festzustellen, dass die gem. §52 FPG erlassenen Rückkehrentscheidungen gem. §9 Abs. 3 BVA - VG unzulässig wären und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen (plus) gem. §55 AsylG vorliegen würden, dem BF daher gem. §58 Abs. 2 AsylG Aufenthaltsberechtigungen (plus) gem. §58 Abs. 2 AsylG von Amts wegen zu erteilen, sowie in eventu Aufenthaltsberechtigungen besonderer Schutz gem. §57 Abs. 1 AsylG von Amts wegen zu erteilen, bzw. in eventu die angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.
Mit Schreiben vom 24.04.2018 wurde ein Fachärztlicher Befund einer FA für Psychiatrie und Psychotherapie durch das interkulturellen Beratungs - und Therapiezentrums Zebra vorgelegt, wonach hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin der Verdacht auf das Vorliegen einer PTSD bestehen würde, bzw. sich diese gegenwärtig in einer mittelgradig depressiven Episode befinden würde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.1. Gemäß § 7 BFA-VG idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher im vorliegenden Beschwerdeverfahren gegeben.
Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde
1.2. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0168).
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten insbesondere ausgeführt:
"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommenden Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."
1.3. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl. 2003/20/0389).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, in nunmehr ständiger Rechtsprechung (vgl. Erkenntnis vom 24.02.2009, Zl. U 179/08-14 u. a.) ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit dem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg.15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m.w.N., 14.421/1996, 15.743/2000).
2. In seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063-4 hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in Hinblick auf die nach § 28 Abs. 3 VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit ausgesprochen, dass prinzipiell eine meritorische Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte bestehe und von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden könne. Diesbezüglich führte er aus, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht komme, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
3. Die belangte Behörde hat die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderten Maßstäbe eines umfassend ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens in den gegenständlichen Verfahren missachtet. In den gegenständlichen Verfahren wurde ebenso gegen die in § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten verstoßen. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 18 AsylG 2005 bestimmt nämlich, dass das Bundesamt in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 iVm. § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde darstellt, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, hat die belangte Behörde in diesem Verfahren jedoch missachtet.
Das Bundesamt hat betreffend mehrerer wesentlicher Verfahrensfragen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht, bzw. grundlegend nicht ausreichend ermittelt, hat verfahrenswesentliche Feststellungen nicht getroffen und entsprechende Länderfeststellungen den gegenständlichen Bescheiden nicht zu Grunde gelegt.
Zunächst ist unter Verweis auch auf jüngste Entscheidungen des VfGH (etwa E 3507/2017-15 vom 27. Februar 2018) festzuhalten, dass die im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichte unter anderem nur allgemeine Ausführungen zur Situation von Kindern, insbesondere Kleinkindern in Afghanistan enthalten. Aus den den gegenständlichen Bescheiden zu Grunde gelegten Länderfeststellungen geht insbesondere hervor, dass die Menschenrechtssituation von Kindern in Afghanistan insgesamt Anlass zur Sorge gäbe. So wird hierin ausgeführt, dass körperliche Züchtigungen und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei verbreitet seien und der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem sei. Der sexuelle Missbrauch von Jungen sei weit verbreitet, eine polizeiliche Aufklärung finde nicht statt. Die Länderberichte nennen Kinderarbeit als Problem. Die Regierung zeige auch nur geringe Bemühungen, Kinderarbeit zu verhindern oder Kinder aus ausbeuterischen Verhältnissen zu befreien. Rund 22% der Kinder in Afghanistan würden einer Arbeit nachzugehen haben. Betreffend der Ausbildungssituation wären Defizite zu erkennen. Den gegenständlichen Länderinformationen ist insbesondere weiters auch zu entnehmen, dass viele Kinder in Afghanistan unterernährt seien und ca. 10% der Kinder vor ihrem fünften Lebensjahr sterben würden. In seiner Begründung, insbesondere zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, setzt sich das BFA jedoch nicht weiter mit der konkreten Situation von insbesondere Babys und Kleinkindern, als auch Minderjährigen in Afghanistan (Kabul) insgesamt und diesbezüglich eben auch nicht mit den in den angefochtenen Bescheiden zitierten Länderberichten auseinander, bzw. würdigt auf die Informationen der den angefochtenen Bescheide zugrunde gelegten Länderfeststellungen aufbauend nicht ausreichend die individuell konkrete Situation der Familie bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan. Diesbezüglich werden ausschließlich allgemeine Ausführungen betreffend der Möglichkeiten der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit seitens der Eltern der Kinder angeführt. Das BFA unterlässt damit jedoch eine vertiefende bzw. individuelle Auseinandersetzung mit den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten kinderspezifischen Länderberichten und der Frage, ob den drei Kindern, es handelt sich zum Zeitpunkt der Entscheidung insbesondere um ein erst vor wenigen Monaten geborenes Baby, bzw. um 2 Kinder im Alter von 8 und 10 Jahren, im Falle einer Rückkehr eine Verletzung ihrer gemäß Art. 2 und Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte droht (vgl. hiezu jüngst VfGH 21.9.2017, E 2130/2017 ua.; 11.10.2017 E 1734/2017 ua.; 11.10.2017 1803/2017 ua.).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass den Bescheiden der Kinder insgesamt keine eigenen Länderberichte zugrunde gelegt wurden, sondern in den Bescheiden der drei minderjährigen Kinder ausschließlich auf die Länderberichte in den Bescheiden der beiden Eltern verwiesen wird.
Zudem ist festzuhalten, dass auch hinsichtlich des von der Erstbeschwerdeführerin im Zuge der Befragung vor dem BFA erstatteten Vorbringens wesentliche verfahrensrelevante Nachfragen und damit verfahrensrelevante Abklärungen unterlassen worden sind. So führt diese unter Anderem während ihrer Einvernahme vor dem BFA explizit aus, dass sie in Afghanistan keine Freiheit gehabt habe, sich dort nicht frei bewegen hätte können, das Haus nicht alleine und dann nur mit Burka verlassen habe dürfen, bzw. nunmehr mit ihren Kindern und ihren Mann frei und ohne Angst leben wolle. In Österreich hätte sie bereits an Deutschkursen teilgenommen. Wie auch in der Beschwerde ausgeführt wurde, hätten betreffend der BF1 auch bereits mehrere während der Einvernahme erkennbare äußere Erscheinungsmerkmale auf eine möglicherweise bestehende westliche Orientierung hingewiesen. Weitere diesbezügliche Nachfragen bzw. Abklärungen wurden im gegenständlichen Verfahren jedoch gänzlich nicht vorgenommen. So wurde im gegenständlichen Verfahren etwa auch nicht auf Basis konkreter Feststellungen zur aktuellen Lebensweise der BF1 - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - die zu erwartende Reaktion in Afghanistan auf eine von ihr angestrebte Lebensweise geprüft. (etwa VwGH, Zlen RA 2014/20/0017 und 0018-9, 28.05.2014). Wenn das BFA in Folge ausführt dass die Angaben der BF1, dass sie in Afghanistan nicht frei leben könnte von dieser nicht glaubhaft vorgebracht worden sind, bzw. es für die Behörde nicht glaubhaft sei, dass diese sich in Afghanistan nicht nach den ortsüblichen Gebräuchen hätte frei bewegen dürfen (AS. 264), so übersieht das BFA, dass dieses aufgrund seiner Ermittlungspflicht bereits wie im gegenständlichen Verfahren vorhandenen Hinweisen auf eine diesbezüglich insbesondere bei Frauen relevante westliche Gesinnung entsprechende Nachforschungen und Nachfragen in Verfahren zu tätigen hat. Bereits im erstinstanzlichen Verfahren ist zu ermitteln und festzuhalten, inwieweit aus insbesondere solcherart Aussagen, aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes und eines Ausbildungswunsches eine verfahrensrelevant fundierte westliche Gesinnung oder ein relevanter westlicher Lebensstil abzuleiten ist. Das Unterlassen jeglicher weiterer hierauf bezogener Abklärungstätigkeit stellt im gegenständlichen Verfahren einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel dar. Auch kann aufgrund des gänzlichen Unterlassens von weiteren Nachfragen in casu nicht nachvollzogen werden, auf welchen Grundlagen die Aussagen der BF1, dass diese in Afghanistan nicht frei hätte leben können, seitens des BFA als unglaubwürdig beurteilt worden sind. (AS. 265).
Das BFA geht in den angefochtenen Bescheiden somit auf wesentliche Verfahrensfragen nicht ausreichend ein, bzw. unterlässt die diesbezüglich erforderlichen Abklärungen gänzlich. Der von der Verwaltungsbehörde diesbezüglich ermittelte Sachverhalt ist somit diesbezüglich grundlegend ergänzungsbedürftig und die angefochtenen Bescheide sind damit in den angeführten Punkten begründungslos ergangen.
Das BFA wird somit diese Ermittlungen im Zuge einer ergänzenden Befragung nachzuholen, als auch bezogen auf die jüngst vorgelegen fachärztlichen Befunde den aktuellen Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin abzuklären und entsprechend zu würdigen haben.
Die Vornahme solcherart verfahrenswesentlicher Abklärungen kann nicht gänzlich zur erstmaligen bzw. vollständigen Ermittlung im Beschwerdeverfahren an das BVwG delegiert werden. Eine solcherart gänzliche erstmalige Vornahme eines in den angeführten Punkten verfahrenswesentlich durchzuführenden Ermittlungsverfahrens als auch eine solcherart darauf aufbauende erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann jedenfalls nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dies insbesondere auch unter besonderer Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und eine sämtliche verfahrensrelevanten Aspekte abdeckende Prüfung des Antrages nicht erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteiverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes- nicht ersichtlich.
Da der maßgebliche Sachverhalt in den gegenständlichen Verfahren somit nach wie vor in verfahrensrelevant wesentlichen Punkten nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen den Anträgen der Beschwerdeführer die angefochtenen Bescheide zu beheben und an das BFA zurückzuverweisen stattzugeben.
Auf Grundlage der neuen Ermittlungsergebnisse wird das BFA nach Vornahme von entsprechenden Abklärungen und unter Zugrundelegung von aktuellen, die oben angeführten Punkte abklärenden Länderfeststellungen, neue Bescheide zu erlassen haben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil der gegenständliche Fall rein tatsachenlastig ist und keinerlei Rechtsfragen - schon gar nicht von grundsätzlicher Bedeutung - aufwirft. Der Vollständigkeit halber sei ausgeführt, dass die Judikatur zu § 66 Abs. 2 AVG in ihrem Kernbereich auf § 28 Abs. 3 VwGVG anzuwenden ist und diesbezüglich seit jeher Einheitlichkeit gegeben ist.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen, Behebung der Entscheidung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W168.2185754.1.00Zuletzt aktualisiert am
22.10.2018