TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/20 I412 2194244-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.2018
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Entscheidungsdatum

20.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

I412 2194244-1/10E

I412 2121523-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX, geb. am XXXX und XXXX, geb. XXXX, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, beide StA. NIGERIA, gegen die Bescheide des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich vom 03.02.2016 und vom 25.04.2018, Zl. XXXX und Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.08.2018 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Verfahren der am XXXX geborenen Erstbeschwerdeführerin sowie ihrer minderjährigen Tochter, der am XXXX geborenen Zeitbeschwerdeführerin sind im Sinne des § 34 AsylG 2005 gemeinsam als Familienverfahren zu führen.

Die Beschwerdeführerin stellte am 8.8.2013 nach illegaler Einreise nach Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei ihrer ersten Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihrem Fluchtgrund befragt an, ihre Eltern hätten sich Geld von einem Mann geliehen. Da sie es nicht zurückzahlen hätten können, habe der Mann vorgeschlagen, sie anstelle des Geldes zu heiraten. Der Mann sei etwa 40 Jahre alt gewesen und zu alt für sie. Außerdem sei ein böser Mensch. Er habe ihr gedroht, solle sie ihn nicht freiwillig heiraten, dann würde er sie mit Gewalt dazu bringen. Ihre Eltern hätten den Mann gebeten, ihnen Zeit zu geben, sie würden den Betrag schon zahlen, er solle sie aber in Ruhe lassen. Da sie keinen Ausweg gewusst habe, und der Mann auf sie bestanden habe, sei sie nach Lagos geflüchtet. In Lagos habe sie eine Frau getroffen, die ihr helfen habe wollen und sei mit ihr gegangen. Danach habe sich herausgestellt, dass diese Frau lesbisch sei und habe sie diese bedrängt. Sie habe dies aber nicht gewollt und sei wieder geflüchtet. In Nigeria sei dies von der Polizei nicht toleriert und deshalb habe sie Angst.

Auf die Frage nach ihren Rückkehrbefürchtungen gab sie schließlich an, sie habe Angst vor der Polizei. Fremde Leute hätten sie mit der Frau, welche lesbisch sei, gesehen, wie diese sie umarmt habe und die Polizei gerufen. Sie seien beide festgenommen worden. Der Vater dieser Frau habe sie ausgelöst. Wenn sie jetzt zurückkehre und ein zweites Mal von der Polizei erwischt würde, dann würde sie für 14 Jahre ins Gefängnis kommen. Außerdem habe sie Angst vor ihren Eltern, da sie unfolgsam gewesen sei und diesen Mann nicht geheiratet habe, weshalb ihre Eltern sie verstoßen hätten.

2. In einer niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 21.4.2015 gab die Erstbeschwerdeführerin an, ihre Eltern hätten sich Geld von dem Mann geborgt, der ihnen sein Land zur Verfügung gestellt habe. Dieser habe sie heiraten wollen, weil sie ein schönes Mädchen sei. Ihre Familie habe angeboten, ihm das Geld zu bezahlen. Der Mann habe das abgelehnt und darauf bestanden, sie zu heiraten. Da ihre Familie das Geld nicht gehabt habe, wollte sie sie schließlich für diesen Geldbetrag austauschen, der Mann habe dies jedoch abgelehnt. Sie habe die Heirat mit diesem Mann abgelehnt, die Familie habe dann gemeint, dass sie ihnen nicht gehorche, daher würden sie sie verstoßen. In der Folge sei sie nach Lagos gegangen. Dort habe sie niemanden gekannt, ein Mädchen habe dann gemeint, sie könne zu ihr nach Hause kommen und bei ihr wohnen. Sie sei zu dem Haus des Mädchens gegangen. Diese habe ihr dann die Bedingung gestellt, mit ihr zu schlafen; da sie sonst niemanden gekannt habe, habe sie dem zugestimmt und mit ihr Liebe gemacht. Das sei für sie das erste Mal gewesen. Nachdem sie es das erste Mal gemacht habe, habe sie es richtig gemocht, also hätten sie es weiter getan. Einmal hätten sie sich auf der Straße geküsst und umarmt. Nachbarn hätten sie gesehen und sie aufgefordert, dies nicht mehr zu tun, das wäre nicht gut. Die gleichen Nachbarn hätten sie schließlich noch einmal dabei erwischt, als sie sich umarmt und geküsst hätten, diesmal hätten sie die Polizei geholt. Sie seien zur Polizeistation gebracht worden, der Vater des Mädchens sei hergekommen und habe für seine Tochter die Kaution bezahlt. Sie habe dort keine Familie gehabt, niemand der für sie zahlen hätte können, also habe das Mädchen den Vater gebeten, auch für sie die Kaution zu bezahlen, was er auch getan habe. Weil die Beschwerdeführerin danach Angst gehabt habe, es noch mal zu tun, und Angst vor einer möglichen Steinigung oder irgendeinem anderen körperlichen Angriff ihrerseits gehabt habe, habe sie beschlossen das Land zu verlassen. Gegenwärtig habe sie Probleme mit ihrer Familie, da sie nicht wisse ob diese ihren neuen Lebensstil akzeptieren würden. Im Weiteren gab die Erstbeschwerdeführerin an, sich dem gleichen Geschlecht hingezogen zu fühlen.

3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 03.02.2016 wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Staates der Asylberechtigten sowie des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Erstbeschwerdeführerin nicht erteilt und gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Als Frist für eine freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgestellt (Spruchpunkt IV.).

4. Mit Schriftsatz vom 12.2.2016 erhob die Erstbeschwerdeführerin rechtzeitig und zulässig Beschwerde gegen den angeführten Bescheid, welche sich in erster Linie dagegen richtet, dass ihrer Homosexualität kein Glauben geschenkt wurde.

5. Am XXXX wurde die Zweitbeschwerdeführerin geboren und am 7.3.2018 durch die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin ein Asylantrag für diese eingebracht.

Aus dem Asylantrag der Zweitbeschwerdeführerin geht hervor, dass das Kind keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen habe, der Antrag beziehe sich ausschließlich auf die Gründe der Mutter.

6. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 13.4.2018 wurde der Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 7.3.2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Staates der Asylberichtigten als auch hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Zweitbeschwerdeführerin nicht erteilt (Spruchpunkt III.), weiters wurde gegen diese eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Als Frist für eine freiwillige Ausreise wurden 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgestellt (Spruchpunkt VI.)

7. Am 05.04.2018 wurde gegen diesen Bescheid rechtzeitig und zulässig Beschwerde erhoben, welche sich ebenfalls auf die Fluchtgründe der Erstbeschwerdeführerin bezieht.

Am 16.5.2018 wurde eine Ergänzung der Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin eingebracht, in welche zusammengefasst ausgeführt wird, dass dieser in Nigeria die Gefahr einer Genitalverstümmelung drohe. Die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertretung der Zweitbeschwerdeführerin sei selbst Opfer dieser, in Nigeria weit verbreiteten menschenrechtswidrigen Praxis geworden und lehne diese Praxis entschieden ab. Aus Länderberichten zu Nigeria gehe jedoch hervor, dass vor allem im Süden und Südosten Nigerias, woher die Mutter der Beschwerdeführerin stamme, zahlreiche Beschneidungen durchgeführt werden. Aus Länderberichten über FGM in Nigeria werden Gründe für die weit verbreitete Praxis der Genitalverstümmelung bei Frauen aufgezählt und beschrieben, welcher große gesellschaftliche Druck hinter der Entscheidung stehe, junge Mädchen und Frauen beschneiden zu lassen. Aus eine Anfragebeantwortung des Immigration and Refugee Boeard of Canada vom 30.10.2006 gehe hervor, dass die Weigerung der Beschneidung von Mädchen zum einen gesellschaftliche Konsequenzen haben könne, da eine unbeschnittene Frau weitaus geringere Chancen auf dem Heiratsmarkt habe. Zudem werde auch berichtet, dass es zu Zwangsbescheidungen im Zuge von Entführungen während einer Schwangerschaft kommen könne. Obgleich in vielen Teilen des Landes FGM gesetzlich verboten sei, sei der Staat nicht willens/nicht in der Lage Mädchen und Frauen vor Genitalverstümmelung zu schützen. Daraus lasse sich ableiten, dass nicht etwa nur der Wille der Mutter dafür ausschlaggebend sein werde, ob die Zweitbeschwerdeführerin von Genitalverstümmelung betroffen sein könne, sondern zu einem großen Teil das soziale Umfeld der Erstbeschwerdeführerin. Da davon ausgegangen werden müsse, dass die Erstbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht in der Lage sein werde, selbständig für ihren Lebensunterhalt und den der Zweitbeschwerdeführerin sorgen zu können, werde sie sich entweder in die Abhängigkeit von ihrer Familie oder in die Abhängigkeit von ihrem Lebenspartner begeben müssen. Bezüglich des Lebensgefährten der Zweitbeschwerdeführerin sei fraglich, ob er als Rückkehrer aus Europa in Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit in Nigeria in der Lage sein werde, die Beschwerdeführerinnen zu erhalten.

Aus den Länderberichten gehe zudem hervor, dass die Polizei nicht gewillt sei, Gewalt an Frauen ernst zu nehmen und Anschuldigungen weiterzuverfolgen. Die Zahl an Fällen strafrechtlicher Verfolgung von häuslicher Gewalt sei niedrig, obwohl die Gerichte diese Vergehen zunehmend ernst nehmen würden. Im Allgemeinen seien die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz von nichtstaatlichen Akteuren zu bieten, wobei Frauen mit größeren Schwierigkeiten bei der Suche und beim Erhalt von Schutz insbesondere von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert seien als Männer. In Anbetracht dessen, dass Fälle geschlechtsspezifische Gewalt, worunter auch Beschneidung falle, von der nigerianischen Polizei nicht entsprechend geahndet werde, Opfer in vielen Fällen keine Unterstützung erhalten würden und die nigerianischen Sicherheitskräfte selbst in den letzten Jahren zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen hätten, könne nicht von einer Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit nigerianischen Behörden im Fall der Zweitbeschwerdeführerin ausgegangen werden. Die Beschwerdeführerin wäre somit bei einer Rückkehr nach Nigeria asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Bei korrekter Würdigung der Situation hätte die belangte Behörde feststellen müssen, dass die Zweitbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Nigeria in eine existenzbedrohende, unzumutbare Notlage geraten werde. Diese weise als Kleinkind einen erhöhten ganztägigen Betreuungsbedarf auf, wobei es für ihre Mutter bei einer Rückkehr äußerst schwierig wäre, einer Beschäftigung nachzugehen, mit welcher sie für ihren und für den Lebensunterhalt der Zweitbeschwerdeführerin aufkommen könne. Die Mutter der Beschwerdeführerin verfüge über keine Berufsausbildung. Darüber hinaus müsste die Zweitbeschwerdeführerin während der Arbeitszeit der Mutter fremdbetreut werden. Ob der Vater der Zweitbeschwerdeführerin in der Lage und gewillt wäre, mit den Beschwerdeführerinnen nach Nigeria zurückzukehren und dort für sie zu sorgen, sei ungeklärt.

Der Erstbeschwerdeführerin sei nicht zumutbar, sich dem Schutz ihre Familie zu unterstellen bzw. mit Unterstützung einer Rückkehr zu rechnen. Diese habe sich aufgrund der Erfahrungen in jeder Familie von dieser losgesagt. Zudem sei unklar, mit welchen familiären und vielmehr gesellschaftlichen Konsequenzen in Mutter der die Erstbeschwerdeführerin rechnen müsse, da es sich bei der Zweitbeschwerdeführerin um ein uneheliches Kind handle. Die Beschwerdeführer seien besonders vulnerabel, was von der langen belangte Behörde entsprechend zu berücksichtigen gewesen wäre.

8. Am 01.10.2017 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung I412 neu zugeteilt und am 14.08.2018 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen und zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerinnen:

Die BF sind Staatsangehörige Nigerias und somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 20b AsylG. Die Identität der Erstbeschwerdeführerin steht nicht fest, jene der Zweitbeschwerdeführerin steht fest.

Die Erstbeschwerdeführerin hält sich seit spätestens 8.8.2013 in Österreich auf. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde am 24.02.2018 in Österreich geboren.

Betreffend die Erstbeschwerdeführerin scheint im Strafregister der Republik Österreich keine Verurteilung auf.

Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin, XXXX, geb. XXXX, ist ebenfalls nigerianischer Staatsangehöriger. Dessen zweiter Asylantrag wurde von der belangten Behörde mit Bescheid vom 09.06.2017 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen, sowie festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Nigeria zulässig ist. Diese Entscheidung wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.09.2017, Zl. I416 2163403, bestätigt.

Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin ist arbeitsfähig.

Die Erstbeschwerdeführerin lebt nicht mit dem Vater der Zweitbeschwerdeführerin in gemeinsamen Haushalt; ob die beiden eine Beziehung führen, kann nicht festgestellt werden.

Die Erstbeschwerdeführerin leidet an keinen die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigenden Krankheiten, die Zweitbeschwerdeführerin ist gesund.

Die Familie der Erstbeschwerdeführerin ist in Nigeria aufhältig. Es ist davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr auf Unterstützung zurückgreifen könnte.

Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus Agbor und hat einige Jahre die Schule besucht sowie zu ihrem Lebensunterhalt durch den Verkauf von Eis beigetragen.

Die Erstbeschwerdeführerin verfügt in Österreich über keine familiären und über keine maßgeblichen privaten Anknüpfungspunkte.

Die Erstbeschwerdeführerin besuchte Deutschkurse auf A2 Niveau und kann sich in geringem Maße auf Deutsch verständigen, eine überdurchschnittliche Integration darüber hinaus in Österreich ist nicht gegeben, ohne ihre diesbezüglichen Bemühungen in Form von Freiwilligenarbeit, den Besuch von Veranstaltungen und Kursen, zu verkennen.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

Es ist nicht glaubhaft, dass die Erstbeschwerdeführerin auf Grund homosexueller Neigungen oder der Gefahr einer Zwangsheirat in Nigeria der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt ist.

Im Fall der Zweitbeschwerdeführerin ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass diese bei einer Rückkehr nicht Opfer von Genitalverstümmelung wird.

1.3. Zur Situation in Nigeria:

Die wesentlichen Feststellungen lauten:

Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Wahlen von Präsident und Nationalversammlung 2015 und die seitdem stattgefundenen Wahlen der Gouverneur- und Landesparlamente in 31 von 36 Bundesstaaten haben die politische Landschaft in Nigeria grundlegend verändert. Die seit 2013 im All Progressives' Congress (APC) vereinigte Opposition gewann neben der Präsidentschaftswahl eine klare Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments und regiert nun auch in 23 der 36 Bundesstaaten. Die seit 1999 dominierende People-s Democratic Party (PDP) musste zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung stark geschwächt. Lediglich in den südöstlichen Bundesstaaten des ölreichen Niger-Deltas konnte sie sich als Regierungs-partei behaupten (AA 21.11.2016). Bei den Präsidentschaftswahlen am 28.3.2015 besiegte der frühere Militärmachthaber und Kandidat der Opposition, Muhammadu Buhari, den bisherigen Amtsinhaber Goodluck Jonathan mit 54,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei diesen Wahlen, die von der internationalen Öffentlichkeit als beispielhaft für die Demokratie Afrikas gelobt wurden, kam es zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Nigerias zu einem demokratischen Machtwechsel (GIZ 7.2017a).

Im Länderbericht ergibt die geschilderte allgemeine Sicherheitslage keine konkrete gegen die Person der Beschwerdeführerin gerichtete Verfolgungsgefahr, die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land, sodass sich Bürger in jedem Teil des Landes niederlassen können. Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o.ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Darüberhinaus sind im Allgemeinen die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten. Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen. Prinzipiell sollte es einer Person, die von nichtstaatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen.

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o.ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken Nigerian Police Force (NPF). Die NPF untersteht dem Generalinspektor der Polizei. Er ist für die Durchsetzung der Gesetze verantwortlich. Ihm unterstehen in jedem Bundesstaat Assistenten zur Leitung der Polizeikräfte. Bundesstaaten dürfen gemäß Verfassung über keine eigenen Sicherheitskräfte verfügen. In Notsituationen kann die Bundespolizei jedoch dem Gouverneur eines Staates unterstellt werden (USDOS 13.4.2016). Etwa 100.000 Polizisten sollen als Sicherheitskräfte bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen tätig sein. Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee. Jedoch sind im Allgemeinen die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten (UKHO 8.2016b).

In Nigeria sind rund 50 Prozent der Bevölkerung Muslime, 40-45 Prozent Christen und 5-10 Prozent Anhänger von Naturreligionen (CIA 7.6.2017; vgl. GIZ 7.2017b). Der Norden ist überwiegend muslimisch, der Süden überwiegend christlich bzw. "christlich-animistisch" (AA 21.11.2016). Allerdings gibt es im Norden, wo die moslemischen Hausa-Fulani überwiegen, auch signifikante Anteile christlicher Bevölkerung. Das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen ist äußerst gespannt. Oft genügt ein geringer Anlass, um blutige Unruhen auszulösen. Ein Teil des Landes ist von starker Verfolgung betroffen (der Teil, der überwiegend von Muslimen bewohnt wird), wohingegen der andere, überwiegend von Christen bewohnte, Landesteil überhaupt nicht beeinträchtigt ist.

Zur wirtschaftlichen Lage ist allgemein auszuführen, dass Nigeria seit 2014 als die größte Volkswirtschaft Afrikas gilt, im Jahr 2014 wurde sogar das Bruttoinlandsprodukt von Südafrika übertroffen (GIZ 6.2016c; vgl. AA 5.2016), neben der Öl- und Gasförderung sind der (informelle) Handel und die Landwirtschaft von Bedeutung, die dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bietet (AA 3.12.2015).

Selbst wenn man davon ausgeht, dass in Nigeria beschäftigungslose Angehörige von der Großfamilie unterstützt werden und die Beschwerdeführerin diese Unterstützung nicht erhält, ist davon auszugehen, dass in Nigeria eine zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern kann, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖBA 7.2014).

Heimkehrer können gegen Gebühr eine Wohnung in jeder Region Nigerias mieten. Es gibt keine speziellen Unterkünfte für Heimkehrer. Reintegrationshilfe kann durch Regierungsprogramme wie etwa NDE, NAPEP, NAPTIP, COSUDOW, UBE, SMEDAN, NACRDB erhalten werden und nichtstaatliche Organisationen wie etwa die Lift above Poverty-Organisation (LAPO) bieten allgemeine Reintegrationshilfe (IOM 8.2014).

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (AA 3.12.2015; vgl. ÖBA 7.2014). Auch ein nationales funktionierendes polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Damit ist es in der Praxis äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, nach verdächtigen Personen national zu fahnden, wenn diese untergetaucht sind. Das Fehlen von Meldeämtern und gesamtnigerianischen polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung "unterzutauchen" (ÖBA 7.2014).

Nigeria verfügt über ein sehr kompliziertes Gesundheitssystem. Die meisten Landeshauptstädte haben öffentliche und private Krankenhäuser sowie Fachkliniken, und jede Stadt hat darüber hinaus eine Universitätsklinik. (IOM 8.2014). Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen. Sie ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den großen Städten findet man jedoch einige Privatkliniken mit besserem Standard (AA 4.7.2017). Laut dem Gesundheitsministerium gibt es weniger als 150 Psychiater in Nigeria (IRIN 13.7.2017). Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten dagegen als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 21.11.2016). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 21.11.2016). Hat eine Person keine Dokumente, führt dieser Umstand nicht zur Verweigerung medizinischer Versorgung oder zum Ausschluss von anderen öffentlichen Diensten (z.B. Bildung) (USDOS 3.3.2017). In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten An-tibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 21.11.2016).

Es besteht auch wie im Länderbericht ausgeführt, keine Gefahr dahingehend, dass ein ob eines abgelehnten Asylantrages rückgeführter Asylwerber bei seiner Rückkehr nach Nigeria mit staatlichen Repressionen zu rechnen habe. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt außerdem darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖBA 7.2014).

Diese Feststellungen basieren im Wesentlichen auf den folgenden Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

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AA - Auswärtiges Amt (5.7.2017): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/NigeriaSicherheit.html, Zugriff 5.7.2017

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AA - Auswärtiges Amt (24.7.2017): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/NigeriaSicherheit.html, Zugriff 24.7.2017

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BMEIA - Außenministerium (24.7.2017): Reiseinformationen - Nigeria,

http://www.bmeia.gv.at/aussenministerium/buergerservice/reiseinformation/a-z-laender/nigeria-de.html, Zugriff 24.7.2017

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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Nigeria - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 12.6.2017

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Nigeria, http://www.ecoi.net/local_link/336585/479262_de.html, Zugriff 12.6.2017

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VA1 - Vertrauensanwalt 1 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

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ÖBA - Österreichische Botschaft Abuja (9.2016): Asylländerbericht Nigeria

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UKHO - United Kingdom Home Office (10.8.2016): Country Information and Guidance Nigeria: Background information, including actors of protection and internal relocation, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1471849541_cig-nigeria-background-v2-0-august-2016.pdf, Zugriff 29.8.2016

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USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Nigeria, http://www.ecoi.net/local_link/337224/479988_de.html, Zugriff 8.6.2017

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FH - Freedom House (2.6.2017): Freedom in the World 2017 - Nigeria, http://www.refworld.org/docid/5936a4663.html, Zugriff 8.6.2017

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IOM - International Organization for Migration (8.2013): Nigeria - Country Fact Sheet,

https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698704/8628861/16296710/16800759/Nigeria_-_Country_Fact_Sheet_2013%2C_deutsch.pdf?nodeid=16801531&vernum=-2, Zugriff 8.6.2017

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IOM - International Organization for Migration (8.2014): Nigeria - Country Fact Sheet,

https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698704/8628861/17247436/17297905/Nigeria_-_Country_Fact_Sheet_2014%2C_deutsch.pdf?nodeid=17298000&vernum=-2, Zugriff 4.7.2017

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ÖBA - Österreichische Botschaft Abuja (7.2014): Asylländerbericht Nigeria

1.4. Zur Situation von Frauen in Nigeria:

Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht, kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 3.3.2017). Frauen werden in der patriarchalischen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias dennoch in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt. Dies wird am deutlichsten in Bereichen, in denen vor allem traditionelle Regeln gelten: So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen (AA 21.11.2016). Allerdings berichtet die Bertelsmann Stiftung, dass der Oberste Gerichtshof in einem bahnbrechenden Urteil entschied, dass Witwen das Recht haben von dem Verstorbenen zu erben (BS 2016). Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwenzeremonien über sich ergehen lassen (z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt). Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 21.11.2016). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden. Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen jedoch kaum eine Rolle (BS 2016).

Frauen mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz. So findet sich z.B. beim Obersten Gerichtshof eine oberste Richterin, auch die Minister für Finanz und für Erdöl sind Frauen (BS 2016). Insgesamt bleiben Frauen in politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. In den 36 Bundesstaaten Nigerias gibt es keine Gouverneurin, allerdings vier Vizegouverneurinnen (AA 21.11.2016). Die Zahl weiblicher Abgeordneter ist gering - nur 6 von 109 Senatoren und 14 von 360 Mitgliedern des Repräsentantenhauses sind Frauen (AA 4.2017a). In der informellen Wirtschaft haben Frauen eine bedeutende Rolle (Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Märkte, Handel) (USDOS 3.3.2017).

Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sich mit sexueller Gewalt, körperlicher Gewalt, psychologischer Gewalt, schädlichen traditionellen Praktiken und sozioökonomischen Gewalt. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, FGM/C usw. Straftatbestände da. Opfer haben Anspruch auf umfassende medizinische, psychologische, soziale und rechtliche Unterstützung. Das Gesetz ist nur im Federal Capital Territory (FCT) gültig, solange es nicht in den anderen Bundesstaaten verabschiedet wird (USDOS 3.3.2017).

Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert. Die Polizei schreitet oft bei häuslichen Disputen nicht ein. In ländlichen Gebieten zögerten die Polizei und die Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht überstieg (USDOS 3.3.2017).

Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Einige Bundesstaaten, hauptsächlich im Süden gelegene, haben Gesetze, die geschlechtsspezifische Gewalt verbieten oder versuchen bestimmte Rechte zu schützen. Für häusliche Gewalt sieht das VAPP eine Haftstrafe von Maximum drei Jahren, eine Geldstrafe von höchstens 200.000 Naira oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 3.3.2017). Frauen zögern oft, Misshandlungsfälle bei den Behörden zu melden. Viele Misshandlungen werden nicht gemeldet. Begründet wird dies damit, dass die Polizei nicht gewillt ist, Gewalt an Frauen ernst zu nehmen und Anschuldigungen weiterzuverfolgen. Die Zahl an Fällen strafrechtlicher Verfolgung von häuslicher Gewalt ist niedrig, obwohl die Gerichte diese Vergehen zunehmend ernst nehmen. Die Polizei arbeitet in Kooperation mit anderen Behörden, um die Reaktion und die Haltung gegenüber geschlechtsspezifischer Gewalt zu verbessern. Dies beinhaltet den Aufbau von Referenzeinrichtungen für Opfer sexueller Misshandlung, sowie die Neuerrichtung eines Genderreferats. Im Allgemeinen sind die nigerianischen Beh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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