TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/24 W131 2131331-1

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Veröffentlicht am 24.08.2018
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Entscheidungsdatum

24.08.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W131 2131331-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK über die Beschwerde des XXXX, geb XXXX, StA Afghanistan, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2016, Zl XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer (= Bf) am 15.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Anlässlich seiner am darauffolgenden Tag durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme gab der Bf, befragt nach seinen Fluchtgründen an, dass sein Geschäft und somit auch seine Existenz durch einen Bombenanschlag der Taliban vollkommen zerstört worden sei. Da er sich den Taliban nicht habe anschließen wollen, habe er um sein Leben fürchten müssen. Er habe Afghanistan verlassen, um in einem anderen Land ein besseres Leben führen zu können. Am 12.07.2016 fand die Einvernahme des Bf vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (= belangte Behörde) statt. Befragt zu seinen Fluchtgründen brachte der Bf erneut den Bombenanschlag auf sein Geschäft vor.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 15.07.2016 wies die belangte Behörde den Antrag des Bf auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch subsidiären Schutz zu und gewährte ihm eine entsprechende befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkte II. und III.). Gleichzeitig wurde dem Bf die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (= BVwG) amtswegig zur Seite gestellt.

3. Die dagegen - ausschließlich gegen Spruchpunkt I. - gerichtete Beschwerde, langte am 26.07.2016 bei der belangten Behörde ein. Darin wird das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren moniert und geltend gemacht, dass es aufgrund einer mangelhaften Beweiswürdigung zu unrichtigen Sachverhaltsfeststellungen gekommen sei, woraus eine unrichtige rechtliche Beurteilung resultiere. Nach Ansicht der Beschwerde hätte dem Bf jedenfalls der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müssen.

4. Mit Schreiben vom 27.07.2016 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt dazugehörigen Verwaltungsakten dem BVwG zur Entscheidung vor und wurden diese nach anderweitiger gerichtsabteilungsmäßiger Vorzuständigkeit schließlich der hier erkennenden Gerichtsabteilung zugewiesen.

Mit Schreiben vom 18.09.2017 teilte die belangte Behörde mit, dass eine Teilnahme an der für den 24.10.2017 anberaumten mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei.

5. Am 24.10.2017 fand schließlich vor dem BVwG unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an der auch der Bf in Begleitung seiner Rechtsberaterin teilnahm. Am Schluss der mündlichen Verhandlung wurde dem Bf eine Frist zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bis zum 07.11.2017 eingeräumt.

Fristgerecht langte eine schriftliche Stellungnahme ein. Neben einem abschließenden Vorbringen zu § 3 AsylG und dem Versuch die Vorhalte des Richters anlässlich der mündlichen Verhandlung aufzuklären wurde auch zu den mit der Ladung übermittelten Länderberichten Stellung genommen. Abschließend wurde "[f]ür den Fall, dass das BVwG trotz Vorlage zahlreicher Beweismittel im Original, die Glaubhaftmachung des Vorbringens zu § 3 AsylG des BF" verneint werde, "der Antrag auf Ermittlungen im Herkunftsland zum Beweis dafür, dass sich die vom BF vorgebrachten fluchtauslösenden Ereignisse, insbesondere die Explosion in seinem Geschäft, tatsächlich zugetragen haben" gestellt. Dieser Stellungnahme waren zusätzlich noch weitere Unterlagen angeschlossen, darunter zB auch ein mit 10.07.2017 datierter Bescheid der belangten Behörde, aus welchem hervorgeht, dass dem Bf seine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 14.07.2019 verlängert wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Bf

Der Bf ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX in der afghanischen Provinz Baghlan geboren und ist auch dort aufgewachsen. Der Bf hat in Afghanistan die Grundschule besucht. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich selbst zum islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Bis zu seiner Ausreise war er Besitzer eines Bekleidungsgeschäftes. In Afghanistan lebte der Bf in wirtschaftlich guten Verhältnissen.

Der Bf ist ledig, gesund und arbeitsfähig. Er ist strafgerichtlich unbescholten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Bf bereits der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine entsprechende befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt, die ihm von der belangten Behörde mit Bescheid vom 10.07.2017 bis zum 14.07.2019 verlängert wurde.

1.2. Zu den vorgebrachten Fluchtgründen des Bf

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bf im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Dritte, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hätte.

Als wahr unterstellt (und daher in diesem Punkt ohne abschließende Ermittlung und Beweiswürdigung angenommen) wird die Behauptung des Bf, dass sein Geschäftslokal bei einer Explosion zerstört wurde.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

Unter Bezugnahme auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 02.03.2017), werden folgende entscheidungsrelevanten, die Person des Bf individuell betreffenden Feststellungen zur Lage in Afghanistan getroffen:

1.3.1. Baghlan

Baghlan liegt in Nordostafghanistan und wird als eine der industriellen Provinzen Afghanistans gesehen. Sie ist von strategischer Bedeutung, da sie an sieben weitere Provinzen, inklusive Kabul, grenzt. Baghlan hat folgende administrative Bezirke, inklusive der Provinzhauptstadt Puli Khumri: Kinjan, Dushi, Banu, Dih Salah, Puli Hisar, Jilgah, Khost, Talawa Barfak, Farang, Guzargah-a-Noor, Nahrin, Burkah und Dahana-i-Ghori. Im Nordosten grenzt sie an die Provinzen Panjsher, Takhar und Kunduz, im Westen an Samangan und Bamyan, im Süden grenzt sie an die Provinz Parwan (Pajhwok o.D.h). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 926.969 geschätzt (CSO 2016).

Gewalt gegen Einzelpersonen 31

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe 174

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen 65

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften 71

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt 12

Andere Vorfälle 1

Insgesamt 354

Im Zeitraum 1.1. - 31.8.2015 wurden in der Provinz Baghlan 354 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 21.1.2016).

Baghlan zählt zu den relativ volatilen Provinzen Nordafghanistans; die Taliban sind in einer Anzahl von abgelegenen Bezirken aktiv (Khaama Press 5.9.2016). In den letzten Monaten war die einst relativ friedliche Region - die Provinzen Baghlan, Kunduz und Takhar - von heftigen Zusammenstößen zwischen Taliban und Regierungskräften betroffen (Khaama Press 24.1.2017; Khaama Press 15.5.2016; Global Times China 15.1.2017; vgl. auch: News Ghana 30.1.2017).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 10.1.2017; Pajhwok 9.1.2017; Khaama Press 8.1.2017; Khaama Press 5.1.2016; Bakhtar News 22.8.2016). Bei diesen Militäroperationen hatten Aufständische Verluste zu verzeichnen (Pajhwok 9.1.2017; Bakhtar News 22.8.2016). In manchen Fällen wurden Talibankommandanten getötet (Tolonews 23.12.2016; Pajhwok 23.12.2016; Khaama Press 5.1.2016; Independent 27.2.2016).

...

1.3.2. Ethnische Minderheiten und Paschtunen

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

Paschtunen:

Ethnische Pashtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 13.4.2016). Die Pashtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

Paschtunen siedeln sich in einem halbmondförmigen Gürtel an, der sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

...

1.3.3. Regierungsfeindliche Gruppierungen, insbesondere Taliban

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

...

1.3.4. Wehrdienst, Wehrdienstverweigerung/Desertion

Afghanistan kennt keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre. Mögliche Zwangsrekrutierungen bei der afghanischen Armee (oder Polizei) sind nicht auszuschließen. Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, erscheint die Notwendigkeit für Zwangsrekrutierungen jedoch eher unwahrscheinlich (AA 9.2016).

Laut Verteidigungsministerium gibt es keine Strafe für Desertion. (NYT 27.6.2011; vgl. auch: Stars and Stripes 3.9.2015).

Wehrdienstverweigerung und Desertion

Man muss zwischen Desertion und unerlaubter Abwesenheit unterscheiden. Desertion bedeutet das Fliehen aus einer Kriegszone, während einer Militäroperation oder das Unterstützen des Feindes. Davon gab es in den vergangen Jahren nur wenige Fälle. Logistische, familiäre und persönliche Probleme können zu unerlaubter Abwesenheit führen. Die Soldaten kehren später wieder in ihre Stützpunkte zurück. Auch gibt es andere Gründe: wenn z.B. der Vater eines Soldaten stirbt, muss er eventuell die Verantwortung für die Familie übernehmen - wozu er dann auch berechtigt ist (Afghanistan Today 3.4.2011).

Als die Hauptgründe der Abwesenheit von der ANDSF gelten:

-

inadäquate Betreuung des Personals und niedrige Lebensqualität

-

alternative Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der ANDSF

-

schwache Führung und Personalmanagement (USDOD 6.2016).

Das Problem der Abwesenheit in der ANA wird ebenso damit begründet, dass Soldaten oftmals nicht in ihrer Heimatprovinz dienen. Viele von ihnen müssen einen langen Reiseweg auf sich nehmen, um in ihre Heimatdörfer zu gelangen und ihren Familien die Löhne geben zu können (CRS 8.11.2016; vgl. auch: USDOD 6.2016). Diese "Deserteure" werden, schon aufgrund der sehr hohen Zahlen bei vorübergehenden Abwesenheiten, nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen (AA 9.2016). Auch kehren sie oftmals nach langer Abwesenheit wieder zur ANA zurück. In den letzten Jahren wurde fast jede Bezahlung der ANA elektronisch durchgeführt wurde (CRS 8.11.2016).

...

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des Verfahrensaktes des BVwG.

2.2. Die Feststellungen hinsichtlich der Person des Bf, seines persönlichen und beruflichen Werdeganges beruhen auf den diesbezüglichen gleichlautendenden und insoweit glaubhaften Aussagen des Bf während des gesamten Verfahrens.

2.3. Anders verhält es sich jedoch mit den vom Bf behaupteten Fluchtursachen. Zwar schließt sich das Bundesverwaltungsgericht der - bereits im angefochtenen Bescheid enthaltenen - Beweiswürdigung dahingehend an, als auch hg davon ausgegangen wird, dass das Geschäftslokal durch eine Bombenexplosion zerstört wurde (weshalb aus diesem Grund auch auf den in der im Anschluss an die mündliche Verhandlung erstatteten schriftlichen Stellungnahme enthaltenen Antrag auf Ermittlungen im Herkunftsstaat nicht weiter einzugehen war), allerdings ergibt sich dadurch keine (aktuelle) asylrelevante Verfolgung des Bf in seinem Herkunftsstaat. Dass die Ausführungen des Bf iZm der von ihm vorgebrachten Bedrohung durch die Taliban als nicht glaubhaft angesehen werden konnten, ergibt sich für das erkennende Gericht zunächst aus den folgenden widersprüchlichen Aussagen des Bf im Laufe des Verfahrens:

2.3.1. Bei der Schilderung der Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates führte der Bf anlässlich seiner Einvernahme vor der belangten Behörde ua noch aus "Ich glaube es waren Taliban. Die Taliban sagten, es sei verboten nach der Scharia, diese Kleidung und Kosmetik zu verkaufen. Außerdem wollten sie, dass ich mich ihnen anschließe" (AS 66). In der mündlichen Verhandlung antwortete der Bf nunmehr auf die Frage des Richters, ob der Bombenanschlag samt Drohbriefen der einzige Grund gewesen sei, weshalb er von den Taliban geflohen sei "Sie haben eine Bombe in meinem Geschäft explodieren lassen. Damit wollten sie mich umbringen. Mit meinem Geschäft hatten sie nichts zu tun gehabt." (S 6 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Inwiefern sich dieser Widerspruch durch die in der nachgereichten schriftlichen Stellungnahme enthaltende Begründung ("Als Bestrafung für das doppelte Fehlverhalten des BF [Verkauf von Frauenbekleidung, unterstellte Spionage für die Regierung und Beteiligung an der Verhaftung vom XXXX [...] sollte der BF getötet werden und platzierten die Taliban eine Bombe im Geschäft des BF.") aufgeklärt werden könne, erschließt sich dem Gericht nicht. Im Zusammenhang mit dieser Aussage ergibt sich eine weitere Ungereimtheit, so wird in der Beschwerde ua angeführt, dass die Taliban gewollt hätten, dass sich der Bf ihnen anschließt und wird in der nachgereichten Stellungnahme nunmehr angegeben, dass die Taliban den Bf mit dem Bombenanschlag haben töten wollen.

2.3.2. Auch hinsichtlich des Umstandes, ob der Bf jemals persönlich von den Taliban aufgefordert worden sei, sich ihnen anzuschließen, verstrickte sich der Bf in Widersprüche, die auch durch die Bemühungen der Rechtsberaterin in der mündlichen Verhandlung nicht gänzlich aufgeklärt haben werden können. Bei seiner Einvernahme gab der Bf noch an von den Taliban nie persönlich bedroht worden zu sein (AS 67). In der Beschwerde wurde ausgeführt, dass der Bf mehrfach von den Taliban bedroht worden sei, da sie gewollt hätten, dass er sich ihnen anschließt. In der mündlichen Verhandlung war die Rechtsberaterin sichtlich bemüht diese Ungereimtheiten klarzustellen indem sie an den Bf folgende Frage richtete: "RV: Sie haben beim BFA gesagt, Sie wurden nie persönlich aufgefordert, für die Taliban zu arbeiten. Wie war das aber gemeint, dass die Taliban von Ihnen gefordert hätten, sich Ihnen anzuschließen?" worauf der Bf zu Protokoll gab "Die Taliban haben mich nicht direkt aufgefordert, mich ihnen anzuschließen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wenn sie mich direkt gesehen hätten, hätten sie mich umgebracht. Ich habe bereits erwähnt, dass in der Gegend, wo ich gewohnt habe, jede Familie ein bis zwei Personen hat, die mit den Taliban zusammenarbeiten. Das war mein persönlicher Eindruck, dass die damit nicht einverstanden waren, dass ich jeden Tag in die Stadt zu meinem Geschäft gefahren bin und am Abend zurückgekommen bin und dass sie auch von mir erwartet hätten." (S 8 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

2.3.3. Abgesehen davon ist nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Bf bei einer derzeit ohnehin nur hypothetisch möglichen Rückkehr nach Afghanistan (dem Bf wurde nämlich erst kürzlich von der belangten Behörde seine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 14.07.2019 verlängert) - auch unter Beachtung der mittlerweile beachtlichen Zeitspanne von ungefähr drei Jahren - aktuell einer unmittelbaren und individuellen von den Taliban ausgehenden Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre. Aus diesem Grund kann es im vorliegenden Fall auch dahingestellt bleiben, ob die vom Bf in Vorlage gebrachten Taliban-Drohbriefe echt und inhaltlich richtig sind, so dass die Zweifel, die die Berichtslage daran erweckte (danach sind in erheblichem Ausmaß gefälschte Drohbriefe der Taliban im Umlauf und aufgrund einiger Berichte ist zudem auch davon auszugehen, dass die Taliban selbst von der Versendung von Drohbriefen Abstand genommen haben), für die Entscheidung hier nicht weiter tragend werden.

2.3.4. Abschließend sei an dieser Stelle auch noch festzuhalten, dass selbst unter der Prämisse, der inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Drohbriefe, die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Bf durch die vermeintliche Bedrohung durch die Taliban auch dadurch nicht verstärkt werden würde, sondern damit viel mehr der gegenteilige Effekt eintritt. In der Einvernahme wurde der Bf zum Inhalt der vorgelegten Drohbriefe gefragt ("In den Drohbriefen stand, sie hätten Kontakte zur Regierung, was ist damit gemeint?" AS 67), worauf er antwortete selbst nicht genau zu wissen, was damit gemeint sei ("Mit Spionage habe ich nichts zu tun, ich weiß nicht weshalb sie das geschrieben haben." AS 67). Auch die Beschwerde enthielt keine diesbezüglichen Ausführungen. Erst in der mündlichen Beschwerdeverhandlung brachte der Bf erstmals vor, von den Taliban der Spionage bezichtigt worden zu sein (vgl die hier auszugsweise wiedergegebenen Aussagen des Bf im Rahmen der mündlichen Verhandlung: "Diese Gegend steht vollkommen unter der Kontrolle der Taliban. Sie können diesbezüglich auch Informationen holen. Die Taliban haben mir zunächst einen Drohbrief geschickt. Diesen Brief habe ich bereits dem BFA vorgelegt. Ein Anführer der Taliban namens XXXX, welcher nach Pakistan unterwegs war, wurde von den Regierungskräften festgenommen. Die Taliban haben mir die Spionagearbeit für die Regierung vorgeworfen und haben mich beschuldigt, dass ich über den genannten Anführer der Taliban Informationen der Regierung verraten hätte. Ich hatte weder mit der Regierung etwas zu tun gehabt, noch mit den Taliban. Ich war mit meinem Geschäft beschäftigt und ging es mir dabei sehr gut finanziell. Sie haben mich in diesem Brief mit dem Tod bedroht gehabt und dass sie mich auf keinen Fall am Leben lassen werden."

[...] "Auf der anderen Seite betrachten die Taliban meine Arbeit bzw. mein Geschäft als unislamisch, weil ich Frauenkleider und Schminksachen verkauft habe. Des Weiteren ist die Festnahme von dem genannten XXXX, dass sie mich dafür beschuldigen, dass ich über ihn bei der Regierung spioniert habe." S 3 und 4 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Dieses erst im Laufe des Verfahrens erstattete Vorbringen, legt die Vermutung nahe, dass der Bf damit versucht, der ihm in seinem Herkunftsstaat drohenden Gefahr mehr Aussagekraft verleihen zu wollen. Im vorliegenden Fall führt dies allerdings zum Gegenteil. So geht auch der VwGH davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).

2.4. Die auszugsweise unter Pkt II. 1.3 wiedergegebenen Länderfeststellungen ergeben sich aus den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten.

Dass sich seit der Erlassung des bekämpften Bescheides der belangten Behörde in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall (insbesondere im Hinblick auf eine Asylrelevanz des Vorbringens des Bf) relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann in diesem Fall verneint werden. Die Lage in Afghanistan stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (ua durch Einsicht in aktuelle Berichte, wie in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in seiner aktuellen Fassung) versichert hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, mit dem der Antrag des Bf auf internationalen Schutz vom 15.05.2015 "hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" abgewiesen wurde.

3.2.1. § 3 Abs 1 AsylG 2005 verweist auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199). Flüchtling im Sinne der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 25.03.1999, 98/20/0431 uva).

3.2.2. Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm. Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, mwN).

3.2.3. Nach § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die wohlbegründete Furcht im beschriebenen Sinn (zumindest) "glaubhaft" ist.

3.2.4. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132; 13.09.2016, Ra 2016/01/0054). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233; VwSlg 16.084 A/2003; VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0220). Es ist für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass in der Vergangenheit eine Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212).

Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, hätte eine Verfolgung - wie sie vom Bf behauptet wurde - im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aktuelle Auswirkungen auf den Bf.

3.3. Wenn in der schriftlichen Stellungnahme zum ersten Mal auf eine "Verwestlichung" des Bf und den für ihn daraus möglicherweise drohenden negativen Folgen hingewiesen wird, so ist festzuhalten, dass auch darin keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Gefahr erblickt werden kann.

Nach der Rechtsprechung des VwGH können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt werden würden (vgl etwa VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017- 0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren.

Mit der Lage von Frauen in einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaft wie jener in Afghanistan ist allerdings die Lage der Männer, hinsichtlich der Möglichkeit "selbstbestimmt" zu leben, von vornherein kaum vergleichbar. Das Vorbringen des Bf lässt auch sonst nicht erkennen, welche - als "westlich" erachteten - Verhaltensweisen er sich angeeignet hätte, die für ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würden und die ein solch wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden wären, dass es für ihn eine Verfolgung bedeuten würde, diese zu unterdrücken. Der gegenständliche Sachverhalt ist daher nicht mit den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum "selbstbestimmten westlichen Lebensstil" von Frauen behandelten Fällen vergleichbar (vgl VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0329; 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; 15.12.2015, Ra 2014/18/0118 und 0119). Im Übrigen konnten für den Fall von Rückkehrern allenfalls Schwierigkeiten bei der Reintegration (ebenso wie Ausgrenzung, Diskriminierung etc) festgestellt werden, die allerdings keine asylrelevante Verfolgungsintensität erreichen; zudem ist nicht ersichtlich, inwieweit diese Schwierigkeiten - dasselbe gilt für die behauptete allgemeine Verschlechterung der Sicherheitslage - für sich genommen Ursachen in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätten.

3.4. Zudem lässt sich auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan für den Bf eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl etwa VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist (dies gilt gleichermaßen für die vom Bf angedeuteten Gefahren, die sich aus der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan ergeben).

3.5. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass einer allfälligen - nicht asylrelevanten - Gefährdung des Bf durch die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan im vorliegenden Fall bereits durch die Entscheidung der belangten Behörde (ihm wurde, wie bereits mehrfach erwähnt, mit angefochtenem Bescheid vom 15.07.2016 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt) ausreichend Rechnung getragen wurde.

Aufgrund der obigen Ausführungen kann das Bundesverwaltungsgericht der mit Spruchpunkt I. ausgesprochenen Abweisung des Antrags hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht entgegentreten. Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

3.6. Der Vollständigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, dass bei diesem Ergebnis eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative entfallen kann, da die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (s die unter Punkt II. zitierte Rechtsprechung) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

gesteigertes Vorbringen, Glaubwürdigkeit, mangelnde Asylrelevanz,
Verfolgungsgefahr, westliche Orientierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W131.2131331.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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