TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/27 W123 2180440-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.08.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W123 2180440-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.11.2017, Zl. 1098085603-151938697, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 05.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 06.12.2015 durchgeführten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer, befragt zu seinem Fluchtgrund, an, dass er als Wachmann und Fahrer für eine ausländische Organisation gearbeitet habe. Aufgrund dieser Tätigkeit sei er von unbekannten Personen mit dem Tode bedroht worden.

3. Am 18.09.2017 erfolgte die Einvernahme vor der belangten Behörde.

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

"[...]

LA: Geben Sie einen kurzen Lebenslauf von sich an!

VP: Ich bin im Jahr 1982 geboren. Ich habe sechs Jahre die Schule besucht. Ich war noch sehr klein, als meine Familie nach Pakistan geflüchtet ist. Wir hatten eine private Feindschaft, deswegen wurde mein Vater in Pakistan getötet. Vor zwölf oder dreizehn Jahren, bin ich aus Pakistan nach England gereist. Acht oder neun Jahre habe ich dort gelebt. Danach bin ich nach Afghanistan zurückgekehrt. Von den englischen Behörden wurde mir gesagt, in Kabul leben könnte. Ich ging nach Kabul. Dort habe ich mir ein Haus gekauft und habe begonnen mit XXXX zu arbeiten. Er hat für eine ausländische Organisation gearbeitet. Er hat ausländische Mitarbeiter cheaufiert. Ich hatte ein privates Auto und habe dieses beim Innen und Außenministerium registrieren lassen. So konnte ich auch mit XXXX aus Cheaufeur arbeiten.

[...]

LA: Sie haben nunmehr die Möglichkeit, Ihre Beweggründe für das Verlassen Ihrer Heimat zu schildern. Bitte schildern Sie möglichst lebensnahe, also konkret und mit sämtlichen Details, sodass auch unbeteiligte Personen Ihre Darstellung nachvollziehen können.

VP: Ich bin von England nach Kabul zurückgekehrt, mit der Hoffnung, dass ich dort mein Leben weiterführen werde. Ich habe mir dort einen Mercedes gekauft. Ich habe XXXX kennen gelernt. Er hat mir angeboten gemeinsam mit ihm zu arbeiten. Ich habe das Angebot angenommen und habe mich an seinem Projekt beteiligt. Wir haben mit Ausländern zusammen gearbeitet. Einige Personen haben mich telefonisch aufgefordert ihnen Informationen über die Ausländer, die ich cheaufiert habe, zu geben. Außerdem sagten sie mir, dass sie mir einige Waren geben werden, wenn ich außerhalb von Kabul unterwegs bin. Ich soll diese waren nach Kabul schmuggeln, da mein Auto nicht kontrolliert wird. Ich hatte nämlich eine eigene Karte für mein Fahrzeug. Mein Auto wurde zwar gelegentlich kontrolliert, jedoch nicht oft. Ich wollte diesen Leuten nicht helfen oder sie unterstützen. Ich wollte ihnen keine Informaionen über andere Leute geben. Ich wollte auch keine Ware für diese Leute transportieren. Ich wurde einige Male telefonisch an Handy aufgefordert und bedroht, diese Arbeiten zu verrichten. Eines Tages war ich in einem Hotel und habe gegessen. Drei Personen kamen zu mir. Sie waren bewaffnet, hatten Waffen bei sich versteckt. Einer von ihnen zeigte mir seine Waffe und sagte mir, ich soll ruhig bleiben und sie unterstützen, da sie mich ansonsten auf der Stelle erschießen können. Ich war verängstigt und habe sofort gesagt, dass ich bereit bin sie zu unterstützen. Danach habe ich XXXX davon in Kenntnis gesetzt und ihn erzählt, dass ich telefonisch und jetzt auch persönlich bedroht wurde. Er sagte mir, dass es für mich keinen anderen Ausweg gibt. Entweder unterstütze ich diese Leute oder ich flüchte. Das war der Grund warum ich aus Afghanistan weggegangen bin. Ich wollte nicht selbst getötet werden und wollte auch nicht bei Tötung anderer Menschen mitwirken.

Nachdem ich persönlich bedroht wurde bin ich auch zu der Polizeizone gegangen. Am zweiten Tag bekam ich neuerlich einen Anruf von diesen Leuten. Sie sagten mir, dass sie wissen, dass ich bei der Polizei war und dass sie mich nicht am Leben lassen werden. Sie sagten mir, sie werden mich auf eine Art und Weise töten, dass die ganze Welt staunen wird. Aus diesem Grund bin ich geflüchtet.

LA: Haben Sie dem Vorbringen zur Gefährdungslage etwas hinzuzufügen? Haben Sie noch Details Ihrer Schilderung hinzuzufügen?

VP: Nein, das wars.

LA: Ist XXXX auch bedroht worden?

VP: Er wurde auch bedroht, er musste sein Büro schließen und hat auch die Absicht zu flüchten. Damals als ich noch dort war, hat er eigene Leibwächter gehabt. Ich hatte diese Möglichkeit nicht.

LA: Seit wann haben Sie als Cheaufeur gearbeitet?

VP: Von 07.2012 bis 08.2015.

LA: Wie lange hat Ihre Reise hierher gedauert?

VP: Zweieinhalb Monate.

LA: Wann wurden Sie das erste Mal bedroht?

VP: An das Datum kann ich mich nicht erinnern.

LA: Wie lange vor der Ausreise war das?

VP: Das kann ich nicht sagen, ich wurde am Handy angerufen.

LA: Wie oft wurden Sie angerufen?

VP: Etwa vier Mal.

LA: In welchem Zeitraum?

VP: Das kann ich nicht sagen.

LA: Wie oft wurden angerufen, bevor Sie dann persönlich bedroht worden sind?

VP: Vier Mal, dann wurde ich persönlich bedroht, nach der persönlichen Bedrohung, bin ich dann geflüchtet.

LA: Wie viel Zeit verging von der letzten telefonischen Bedrohung zur persönlichen Bedrohung?

VP: Das kann ich nicht sagen. Aber ich wurde am 17. oder am 16.08.2015 persönlich bedroht.

LA: Wann sind Sie dann genau ausgereist?

VP: Am 20.08..2015.

LA: Was haben Sie diese paar Tage noch gemacht?

VP: Es waren drei Tage. Als nächstes bin ich zu XXXX gegangen. Er hat mir angeraten von hier weg zu gehen. Dann habe ich mir einen Schlepper organisiert. Ich habe mein Auto dem Schlepper übergeben und im Gegenzug hat er mich dann hierher gebracht. Mein Auto hatte für den Schlepper einen Wert von 8.000$.

LA: Was hat Ihre Familie dazu gesagt?

VP: Ich habe mit meiner Familie darüber gesprochen und sie waren einverstanden.

LA: Warum haben Sie diese nicht mitgenommen?

VP: Das war finanziell nicht möglich.

LA: Was wurde bei der ersten Drohung zu Ihnen gesagt?

VP: Ich wurde um Unterstützung gebeten, ich solle diesen Leuten Informationen geben, wann welche Ausländer, wohin gebracht werden.

LA: Was haben Sie geantwortet?

VP: Ich habe das als Scherz gesehen und habe einfach aufgelegt.

LA: Wie viel später ist der zweite Anruf gekommen?

VP: Das kann ich nicht sagen. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Da wurde mir gesagt, dass diese Leute in unser Land eingedrungen sind, sie würden unserem Land Schaden und unser Land hätte keinen Nutzen davon. Sie sagten mir, wenn ich sie unterstütze, würde ich auch Geld bekommen.

LA: Wie viel später war dann der dritte Anruf?

VP: Das kann ich auch nicht sagen. Sie sagten mir, ob ich einverstanden bin, sie zu unterstützen, sie hätten auch die Möglichkeit, mich samt meinem Auto in die Luft zu sprengen.

LA: Wie viel später war der vierte Anruf?

VP: Das kann ich auch nicht sagen. Nach dem zweiten Anruf, war ich ziemlich verängstigt und fragte mich, wer hinter diesen Anrufen steckt.

LA: Wie viel später war der fünfte Anruf?

VP: Ich bekam keinen fünften Anruf, es waren nur vier.

LA: Haben Sie nach dem ersten Anruf jemanden davon erzählt?

VP: Ich habe mit XXXX daüber gesprochen, er sagte mir, es sei bestimmt ein Scherz.

LA: Nach dem zweiten?

VP: Über den habe ich niemanden erzählt. Erst über den dritten und vierten habe ich wieder XXXX erzählt. Ich sagte ihm, dass ich bedroht werde. Er hat mir angeraten auf mich aufzupassen. Deshalb habe ich mir auch einen jungen Arbeiter genommen. Dem habe ich pro Tag 200 Afghani gezahlt. Ich habe ihn dafür engagiert, damit er auf mein Auto aufpasst und niemand eine Bombe unter meinem Auto versteckt.

[...]

LA: Warum sind Sie nicht schon zuvor ausgereist?

VP: Davor habe ich nicht so gravierende Probleme gehabt. Ich hatte zwar die persönliche Feindschaft, aber ich habe mich davor geschützt.

LA: Welche persönliche Feindschaft?

VP: Die Feindschaft hat meinen Vater betroffen.

LA: Also war es nicht Ihre!

VP: Mein Vater hatte einige Taten verrichtet, aus diesem Grund entstand die Feindschaft, er wurde getötet und waren auch hinter mit her.

LA: Was hat Ihr Vater gemacht?

VP: Er war früher bei den Mujehhadin.

LA: Hatten Sie in Kabul Probleme deswegen?

VP: Nein. Ich habe zwar in Angst gelebt, es gab aber keine Vorfälle.

[...]"

4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Im Rahmen der Beweiswürdigung hielt die belangte Behörde fest, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers zum behaupteten Fluchtgrund zur Gänze jegliche Glaubwürdigkeit abzusprechen sei, umso mehr die Ausführungen des Beschwerdeführers vage, widersprüchlich und zudem in keiner Weise plausibel gehalten gewesen seien.

5. Gegen den obgenannten Bescheid der belangten Behörde richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 13.12.2017. Die belangte Behörde habe ihre Ermittlungspflichten verletzt: Sie hätte feststellen müssen, dass der Beschwerdeführer an in Afghanistan nicht behandelbaren Depressionen leide, ferner an nicht behandelbaren Allergien bzw. nicht behandelbarem Asthma. Der Beschwerdeführer habe zwar angegeben, dass er arbeitsfähig sei, dies sei jedoch im Zusammenhang mit seinen medizinischen Behandlungen in Österreich zu sehen. Zum Beweis für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Beschwerdeführers bzw. seiner Verfolgung und der Glaubhaftigkeit seines sonstigen Vorbringens werde die Ladung und Einvernahme des Zeugen und ehemaligen Arbeitgebers des Beschwerdeführers beantragt. Ferner sei der Beschwerdeführer wegen eines Vorfalles seines Vaters in der Vergangenheit der Gefahr einer Blutrache ausgesetzt.

6. Am 08.08.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

7. Mit Schriftsatz vom 22.08.2018 wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass sich aus dem aktuellen LIB ergebe, dass die Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in den städtischen Zentren, höchst instabil sei. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer eine erhebliche Zeit seines Lebens in Pakistan und in England verbracht habe, weshalb von einer Verwestlichung auszugehen sei, die nach UNHCR ein zusätzliches Risiko der Verfolgung mit sich bringe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer ist ein lediger und volljähriger afghanischer Staatsangehörige der Volksgruppe der Paschtunen. Der Beschwerdeführer stammt ursprünglich aus der Provinz Laghman, ist jedoch bereits im Kindesalter mit seiner Familie nach Pakistan gezogen. Im Jahr 2004 ist der Beschwerdeführer aus Pakistan nach England gereist und hat dort insgesamt ca. 8 Jahre alleine verbracht. Der Beschwerdeführer hat sich in England eine Wohnung gemietet und begonnen, bei "Pizza Hut" zu arbeiten; danach hat der Beschwerdeführer in einem italienischen Restaurant gearbeitet. Im Jahr 2012 ist der Beschwerdeführer nach Afghanistan, Stadt Kabul, zurückgekehrt und lebte dort bis zu seiner Flucht nach Europa. In Kabul hat der Beschwerdeführer als Chauffeur gearbeitet. Der Beschwerdeführer hat insgesamt sechs Jahre die Schule besucht.

Der Vater des Beschwerdeführers ist noch in der Zeit, als die Familie in Pakistan war, verstorben. Folgende Angehörige des Beschwerdeführers leben in der Stadt Kabul: Frau, sechs Kinder, Tante mütterlicherseits, Mutter, Schwiegermutter und Schwager. Die Schwägerin des Beschwerdeführers lebt in der Provinz Kabul. Der Beschwerdeführer hat Kontakt mit seiner Frau und seinen Kindern, mit Ausnahme des ältesten Sohnes. Der Beschwerdeführer besitzt zwei Häuser in der Stadt Kabul.

Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Er ist in Afghanistan weder vorbestraft noch war er in Afghanistan inhaftiert.

Es kann nicht die Feststellung getroffen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt wäre.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Städte Herat, Mazar-e-Sharif oder Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Bei einer Rückkehr kann er mit finanzieller Hilfe seiner Familie rechnen und könnte seine Existenz dort auch - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern.

Der Beschwerdeführer kann die Hauptstadt Kabul und die Städte Mazar-e-Sharif und Herat - über Kabul - von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und unbescholten. Der Beschwerdeführer verfügt über das ÖSD Zertifikat A1. Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner entgeltlichen Tätigkeit nach und verfügt auch nicht über eine schriftliche Einstellungszusage eines Dienstgebers. Der Beschwerdeführer spielt in St. Pölten Cricket; eine darüberhinausgehende Mitgliedschaft in einem Verein beseht nicht.

1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:

1.2.1. Auszug Staatendokumentation (Stand 29.06.2018)

4. Sicherheitslage

[...]

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

[...]

4.1. Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

[...]

4.5. Balkh

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).

Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:

Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Balkh

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

[...]

4.13. Herat

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun, werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen. Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz min. 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).

Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).

Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 Km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).

Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).

Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Herat

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;

vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;

vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).

ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).

[...]

17.1. Paschtunen

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 20.4.2018). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Ausführliche Informationen zu Paschtunen und dem Paschtunwali, können dem Dossier der Staatendokumentation (7.2016) entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

1.2.2. EASO-Bericht "Afghanistan Netzwerke" aus Jänner 2018

Die Unterstützungspflicht der Großfamilie

Die wechselseitige Verpflichtung, einander innerhalb der Großfamilie zu helfen und zu unterstützen, ist stark, und die Traditionen, Verantwortung für Menschen innerhalb der Gruppe zu übernehmen, sind tief verwurzelt. Je enger die Verwandtschaft, desto stärker ist die Pflicht zu helfen und zu unterstützen. Mehrere Menschen, mit denen Landinfo in Kabul sprach, äußerten die Ansicht, dass es unmöglich sei, Menschen aus dem engsten Umfeld wie Brüder, die Kinder des Bruders des Vaters etc. zurückzuweisen, es sei denn, es besteht ein schwerwiegender Konflikt innerhalb der Familie. Man könne sich unmöglich vorstellen, dass ein Afghane kein Dach über dem Kopf anbietet, wenn die Alternative wäre, dass ein enges Familienmitglied auf der Straße stünde. Es ist kulturell inakzeptabel, eine Person, die um Zuflucht ersucht, abzuweisen, und das gilt insbesondere für enge Verwandte. Die Dauer des Aufenthaltes ist von den Mitteln der Familie abhängig. Die Pflichten gegenüber der Großfamilie gelten für alle Afghanen ungeachtet der ethnischen Zugehörigkeit, unter Paschtunen sind sie aber wahrscheinlich am stärksten ausgeprägt.

Stämme und Clans

Die soziale Organisation in Stämmen und Clans beruht auf der Annahme eines gemeinsamen Vorfahren und somit einer vermuteten Beziehung zwischen den Mitgliedern des Stammes/Clans. Einige Stämme und Clans der Paschtunen sind groß und umfassen Millionen Menschen.

Es wird angenommen, dass die Paschtunen die größte Stammesgesellschaft der Welt bilden; ihre Sozialstruktur besteht aus Stämmen, die ihrerseits in Clans gegliedert sind. Der Begriff Clan wird auch von anderen ethnischen Gruppen verwendet und bilden einen wichtigen Teil der Sozialstruktur in ländlichen Gebieten Afghanistans. So ist die Abstammung zum Beispiel auch für Hazara wichtig und gilt als Grundlage ihrer Sozialstruktur, obwohl die meisten ihre Vorfahren höchstens acht Generationen zurückverfolgen können. Im Gegensatz zu den Paschtunen und Hazara ist die tadschikische Bevölkerung Afghanistans nicht in Stämmen und Clans organisiert, sie hat auch keine Vorstellungen eines gemeinsamen Ahnen.

In Afghanistan besteht eine Tradition der lokalen Selbstverwaltung, und der Stammesführer verfügt in diesem Zusammenhang über große Macht. Die führenden Familien innerhalb der Stämme genießen hohen sozialen und wirtschaftlichen Status. Die Identifikation mit einem Stamm/Clan ist ein wichtiger sozialer Indikator um zu zeigen: ‚Ich bin einer von euch'. Die verschiedenen Stämme/Clans bilden jedoch keine homogene Gruppe, unterschiedliche politische, wirtschaftliche, soziale und wertebezogene Trennlinien können die Mitglieder spalten. Die verschiedenen Regime, die das Land regiert haben, hatten sowohl Anhänger als auch Gegner innerhalb desselben Stammes und Clans. Das gilt auch noch heute, in den meisten Stämmen findet man Anhänger und Gegner sowohl des Staatsbildungsprojektes als auch der bewaffneten Opposition.

Zugang zum Arbeitsmarkt

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht zu einem großen Teil aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder.

Ein Mitarbeiter einer Botschaft vor Ort beschrieb, wie Tagelöhner von der Straße weg angeheuert werden. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Diese Treffpunkte befinden sich an speziellen Orten der Stadt. Hier treffen sich Arbeitssuchende und Anbieter von Arbeit am frühen Morgen und einigen sich über Tagelöhnerschaft und kurzzeitige geringfügige Tätigkeiten, für gewöhnlich manuelle Hilfsarbeit, manchmal auch qualifiziertere Arbeit. Durch das Mitführen seiner eigenen Werkzeuge oder Ausrüstung zeigt der Arbeitssuchende, was er kann. Nach einem kurzen Gespräch und einer Prüfung entscheidet der "Arbeitgeber", wer angeheuert wird. Viele bewerben sich, aber nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können.

Zugang zur Unterkunft

Für Fahrer und andere Reisende, Tagelöhner, Straßenverkäufer, Jugendliche, unverheiratete Männer und andere, die über keine permanente Wohnmöglichkeit in der Gegend verfügen, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität. Dabei handelt es sich um einfache, große Zimmer, wo Tee und einfaches, billiges Essen aufgetischt wird. Um wenig Geld kann man hier auch übernachten. Nach Quellen von Landinfo beträgt der Preis zwischen 30 und 100 Afghani (in etwa USD 0,4 bis 1,4) pro Nacht. Diese Lokale werden örtlich als chai khana bezeichnet - generell bekannt als samawar - oder übersetzt Teehaus. In Kabul und den anderen großen Städten gibt es viele solcher chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden, und es ist nichts Ungewöhnliches, dass Gäste alleine kommen. Der afghanische Forscher Hafizullah Emadi bezeichnet die chai khana als wichtige Treffpunkte und Orte der Sozialisierung.

Hilfe aus entfernten Netzwerken

In einer Empfehlung des UNHCR an Asylländer im Juni 2005 heißt es, dass Hilfe und Unterstützung durch Netzwerke auf Gebiete beschränkt seien, wo diese Netzwerke physisch präsent sind. Nach Einschätzung von Landinfo verliert der Faktor geografische Nähe durch technologische Entwicklungen an Wichtigkeit für den Zugriff auf Netzwerke. Wie schon erwähnt, ist der Besitz von Mobiltelefonen "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten.

Geld kann über das Bankensystem überwiesen werden, doch nicht alle Afghanen verfügen über ein Bankkonto. Dies gilt vor allem für die ländliche Bevölkerung. In der Durchschnittsbevölkerung ist das Vertrauen in Banken und den Bankenapparat gering. Wer das Bankensystem nicht nutzen kann oder möchte, kann Geld über ein informelles Geldüberweisungssystem (hawala) überweisen. Es gibt ein gut etabliertes System für grenzüberschreitende Zahlungen und Überweisungen, in das die Menschen Vertrauen haben. Ein gewisser Prozentsatz der transferierten Summe wird als Gebühr verrechnet. Geld kann in alle Landesteile überwiesen werden, auch in die und aus den Nachbarstaaten, etwa Iran und Pakistan.

1.2.3. Auszug BFA (Hrsg.), Dossier der Staatendokumentation AfPak. Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur (2016), "Das Pashtunwali:

Eine Analyse der Lebensweise der Paschtunen"

Das Pashtunwali ist ein gesellschaftlicher, kultureller und gesetzesähnlicher Kodex, der die Lebensführung, den Charakter und die Ordnung der Paschtunen größtenteils regelt, leitet und ausgleicht. Als Pashtunwali wird das Gewohnheitsrecht bezeichnet, das die geistige Lebenseinstellung, die allen Paschtunen gemeinsam ist, widerspiegelt und für die Paschtunen schon seit grauer Vorzeit gilt. Auch, wenn das Pashtunwali nicht das staatliche Recht darstellt, behandelt es alle Sitten, Traditionen, das gesamte Erbe, Gewohnheitsrecht, Brauchtum und die gesellschaftlichen Beziehungen und bildet so das System der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen des Stammes vollständig ab. Es verkörpert alle Merkmale oder Verhaltensweisen, die man von einem Paschtunen erwartet. Obwohl es nicht schriftlich niedergelegt oder genau definiert ist, stellt es den Kern der sozialen Verhaltensregeln der Paschtunen dar. Es ist teilweise Dichtung und teilweise Realität und manifestiert sich in Erzählungen, Liedern, Sprichwörtern, Metaphern usw. Somit ist es im täglichen Leben allen immer präsent. Viele der grundlegenden Konzepte des Pashtunwali entstammen dem mosaischen Gesetz "Zahn um Zahn" und verfolgen den Grundsatz der Gleichheit.

In der Gesellschaft der Paschtunen wird das Pashtunwali zur Regelung aller gesellschaftlichen und internen Angelegenheiten der Gemeinschaft als zentrale Autorität herangezogen, so wie sie sich in den Vorschriften des Pashtunwali manifestiert. Dieses sind die Folgenden: Melmastiya (Gastfreundschaft), Nang (Ehre), Nanawatai (Abbitte leisten), Ghairat (Würde) usw. Die gesellschaftlichen Institutionen wie die Jirga (Ältestenversammlung zur Lösung von Streitigkeiten), Maraka (Ältestenrat zur Lösung kleinerer Probleme) usw. stellen demokratische Strukturen dar. Desgleichen gibt es für Rechtsangelegenheiten eine reguläre Justiz in Form der Jirga (alternative Streitbeilegung), Tigah (Waffenruhe), Nogha (Strafzahlung) usw. Auch eine reguläre Exekutive ist vorgesehen in Form der Lashkar (Bürgermiliz), Tsalwashtees (Friedenskräfte), Cheegha (Aufruf zum Handeln) und Ähnliches.

Das Pashtunwali gilt für jeden, der in einem Siedlungsgebiet der Paschtunen lebt. Ein Paschtune, der an einem anderen Ort auf der Welt lebt, müsste sein Leben auch gemäß dem Pashtunwali führen, da er seiner Abstammung nach Paschtune ist; es ist überall gleichermaßen gültig. Obwohl die Grundsätze des Pashtunwali überall gleich sind, weicht die Interpretation je nach Ort leicht voneinander ab. Diese Interpretation wird als Narkh bezeichnet (Regelwerk des Pashtunwali über die Strafmaß und Bestrafung). So sprechen beispielsweise die Paschtunen im nördlichen Bereich Pakistans den Yousafzai-Dialekt, diejenigen im südlichen Pakistan und in Nordafghanistan dagegen den Qandahari-Dialekt.

[...]

Melmastiya (Gastfreundschaft) ist ein wesentlicher Aspekt des Pashtunwali. Melmastiya bedeutet allen Besuchern Gastfreundschaft und tiefempfundenen Respekt entgegenzubringen, unabhängig von Rasse, Religion, nationaler Zughörigkeit und wirtschaftlichem Status und ohne Erwartung einer Belohnung oder von Vorteilen. Melmastiya verlangt auch, dass dem Gast Sicherheit gewährt wird und hat manchmal Vorrang vor der Badal (Vergeltung). Das bedeutet, wenn ein Feind anklopft und Zuflucht sucht, muss man ihm diese gewähren. Dieser Teil der Melmastiya war ein großer Streitpunkt zwischen den britischen Kolonialherren und den Paschtunenstämmen. So konnte sich z. B. ein Gesetzesbrecher oder Straftäter aus den besiedelten Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa in die Stammesgebiete Pakistans flüchten (FATA) und dort Zuflucht und Schutz finden.19 Für die Paschtunen gilt ein Malma (Gast) als ein Segen Gottes. [...]

[...]

Pflichten und Aufgaben nach dem Pashtunwali

In der paschtunischen Gesellschaft hat jedes Mitglied (Kind, Jugendlicher, Mann, Frau, Ältester) in den einzelnen Lebensabschnitten bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Der Mitarbeiter der Pashto Academy der Universität Peshawar Fazal Azeem sagt: "Die Aufgaben und Pflichten richten sich nach dem Alter, der Lebenslage usw. In den meisten Gebieten werden den Jugendlichen Pflichten auferlegt, wenn sie alt genug sind, zwischen gut und böse zu unterscheiden." Dies ist jedoch auch von Region zu Region unterschiedlich. Shaikh Janzada, ein Stammesältester aus Bajaur Agency erklärt: "In einigen Gebieten werden den Stammesmitgliedern erst nach der Verheiratung Pflichten auferlegt, in anderen müssen schon Kinder, die zwischen Gut und Böse unterscheiden können, bestimmte Pflichten in ihren Gemeinschaften erfüllen. In den meisten Gebieten werden die Pflichten je nach Alter und Reifegrad der Person verteilt.

Laut Pashtunwali wird die Gemeinschaft von den Mashar (Ältesten) geführt. Ein Mashar ist ein älterer, weiser und glaubwürdiger Mann, der das Vertrauen des gesamten Qaum (Stamm) genießt. Es wird erwartet, dass er sich dieses Vertrauen durch verschiedene Taten im Laufe seines Lebens erworben hat. Er sollte stets die Lage des Gemeinwesens kennen und alles im Blick haben, was ihm an guten und schlechten Dingen widerfahren kann. Er befürwortet oder missbilligt die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und wenn er es für notwendig erachtet, verweist er ein Thema zur Vermittlung einer Lösung an die Jirga. Mashar sollten Wohlwollen gegenüber den jungen Leuten zeigen. Weil ein Mashar über Erfahrung und umfassendes Wissen verfügt wenden sich viele an ihn, um Streitigkeiten beizulegen, um etwas über die Familiengeschichte, das Land oder die traditionellen Sitten, Gebräuche und Geschichten zu erfahren usw. Ein Mashar kann als "lebendige Geschichte" angesehen werden, denn er gibt die Erzählungen an die Jugend weiter, damit sie etwas über die Geschichte lernt, über positive und negative Ereignisse und über die Regeln des Pashtunwali. In allen Angelegenheiten wendet man sich zuerst an ihn und sein Rat wird widerspruchslos befolgt. Ein Kashar (junger Mensch) hat den Mashar (Ältesten) Respekt zu zollen, er soll deren Lehren in seinem Leben befolgen, andere Jugendliche von schlechtem Tun abbringen und anderen Gutes tun. Außerdem leistet ein Kashar freiwillige Dienste, sorgt für die Gäste und die Ältesten, beschafft Nahrungsmittel, kümmert sich um das Dorf und die Sicherheit des Gemeinwesens. Die Jugendlichen und die unverheirateten Männer des Dorfes schlafen im Hujra, um über das Dorf zu wachen, falls ein unvorhergesehenes Ereignis eintritt, d.h. Blutfehden, Raubüberfälle usw. Sie helfen den Ältesten im Dorf bei den Vorbereitungen für Hochzeiten, Beerdigungen, religiöse oder traditionelle Festlichkeiten. Bei einem Todesfall beispielsweise, helfen die Jüngeren den Ältesten ihres Stammes bei der Vorbereitung des Grabes, bei der Ghusal (Leichenwaschung), den Abschiedsgebeten usw. Die Jungen und die Ältesten kümmern sich auch gemeinsam um die Armen, Behinderten, Kranken und Alten der Gemeinschaft. Die Jungen leisten die praktische Hilfe, die Ältesten sorgen für Finanzhilfen für die Behandlung, das tägliche Essen, Unterhaltung usw. Die Jungen müssen alle Regeln des Pashtunwali befolgen, ein Verstoß gilt als Sharam (Schande) für das ganze Gemeinwesen. Wenn ein junger Mensch jedoch etwas zu Ehren der Gemeinschaft unternimmt, erhält er ungeachtet der möglichen Folgen deren volle Unterstützung.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Identität, Sprachkenntnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand ("Der Beschwerdeführer ist gesund") gründet sich darauf, dass der Beschwerdeführer weder vor der belangten Behörde, noch vor dem Bundesverwaltungsgericht ärztliche Attests vorgelegt hat, die bescheinigen würden, dass der Beschwerdeführer an einer chronischen Erkrankung leidet. Der Beschwerdeführer hat sogar vor der belangten Behörde, befragt, ob er sich gesundheitlich in der Lage sehe, Angaben zu machen, wortwörtlich ausgesagt: "Ja. Ich bin gesund, nehme Medikamente und könnte jederzeit arbeiten." Auch war der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht im

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten