TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/31 W255 2169464-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2018
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Entscheidungsdatum

31.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W255 2169464-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2017, Zl. 1091941606-151601200, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.08.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt IV. zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste am 21.10.2015 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 22.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am 22.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischer Muslim, Tadschike und am XXXX in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , geboren zu sein. Der BF habe in Afghanistan sieben Jahre die Grundschule besucht und sei mit seinen Eltern, zwei Brüdern und vier Schwestern aufgewachsen. Sein älterer Bruder, XXXX , befinde sich seit ca. zwei Jahren in Österreich. Der BF habe Afghanistan verlassen, da vor ca. zwei Jahren zwei bewaffnete Talibankämpfer ins Elternhaus des BF gekommen seien und sich im Elternhaus versteckt hätten. Die afghanische Armee und ausländische Soldaten hätten das erfahren und seien um Mitternacht (desselben Tages) in das Elternhaus des BF gekommen. Die Soldaten hätten die zwei Taliban, den Vater, den Onkel und den Cousin des BF mitgenommen. Nach ca. drei Tagen seien der Vater, der Onkel und der Cousin des BF freigelassen worden. Dann hätten die Taliban die Familie des BF beschuldigt, mit der afghanischen Armee zusammenzuarbeiten. Die Familie des BF sei von den Taliban bedroht worden, daher habe der BF Afghanistan verlassen. Zunächst sei sein älterer Bruder XXXX aus Afghanistan ausgereist, dann der Rest der Familie. Die Familie sei an der Grenze zwischen Afghanistan und dem Iran zurückgeblieben, nur der BF in den Iran gereist. Der BF sei dreimal vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden, jeweils aber sofort wieder in den Iran gereist. Dann habe er den Iran verlassen und sei nach Europa gereist.

1.3. Am 28.01.2016 wurde der BF zwecks Feststellung seiner Minder- bzw. Volljährigkeit von einem seitens des BFA bestellten medizinischen Sachverständigen untersucht. In dessen Gutachten vom 06.02.2016 kommt der Sachverständige zum Schluss, dass das (spätest mögliche) fiktive Geburtsdatum des BF XXXX laute und das vom BF im Rahmen der Erstbefragung bekannt gegebene Geburtsdatum nicht mit dem festgestellten Mindestalter vereinbar sei.

1.4. Am 22.06.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX (im Folgenden: BFA), einvernommen. Dabei gab der BF an, dass er im Dorf XXXX aufgewachsen und sieben Jahre die Schule besucht habe. Seine Familie habe ein Haus mit einer Grundstücksfläche von 3 Jirib besessen. Der BF habe in Afghanistan nie gearbeitet, jedoch während seines eineinhalbjährigen Aufenthalts im Iran. Er habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, ausgenommen seinem in Österreich lebenden Bruder XXXX . Zwei seiner Schwestern und ein Onkel würden in XXXX leben, aber der BF habe keinen Kontakt mit ihnen.

Der BF habe Afghanistan verlassen, da im November 2012 Taliban zum Elternhaus des BF gekommen seien und gegen den Willen der Familie das Haus betreten hätten. Die Taliban hätten Verpflegung und einen Schlafplatz haben wollen. Sie seien über Nacht geblieben. Gegen Mitternacht sei die Regierung samt Amerikanern gekommen und hätten den BF, seinen Onkel, seinen Vater, seine Mutter und seinen Bruder mitgenommen, gefesselt und die Augen verbunden. Sie hätten das Haus durchsucht und die Familie des BF habe bis 04:00 Uhr früh draußen warten müssen. Dann hätten sie den Vater, Onkel und Cousin des BF mitgenommen und den BF, seinen Bruder und seine Mutter zurückgelassen. Die Taliban hätten das Elternaus des BF neuerlich aufgesucht und gefragt, warum der BF und sein Bruder von den Amerikanern nicht mitgenommen worden seien. Die Taliban hätten den BF der Spionage verdächtigt. Nach drei Tagen seien der Vater und Onkel des BF von den Amerikanern freigelassen worden. Die Taliban seien wiedergekommen und hätten den Vater des BF mitgenommen und geschlagen. Danach sei der Vater zurückgekehrt und die Familie habe ständig Drohbriefe erhalten. Der Bruder des BF ( XXXX ) sei im Visier der Taliban gewesen und er habe sich deshalb drei Monate lang bei einer Schwester (drei Dörfer weiter) versteckt. Dann sei XXXX in den Iran gereist. Die Familie sei weiter von den Taliban bedroht worden. Daher seien der BF, seine Eltern, zwei Schwestern und der jüngere Bruder Richtung Iran geflüchtet. An der Grenze habe der BF seine Familie aus den Augen verloren uns bis heute keinen Kontakt mehr mit ihr. Im Iran habe der BF seinen Bruder XXXX über Skype gefunden.

Der BF legte die folgenden Dokumente vor:

* A1/2 - Deutschkursbesuchsbestätigung der Volkshochschule XXXX vom 01.06.2017

* Alphabetisierungskurs 2 - Kursbesuchsbestätigung der Volkshochschule XXXX vom 26.09.2016

* Drohbrief der Taliban an den Bruder des BF

* Karte für subsidiär Schutzberechtigte des Bruders des BF

* Tazkira des Bruders des BF

1.5. Das BFA wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 10.08.2017, Zl. 1091941606-151601200, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.). Das BFA erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von "2 ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung" bestimmt (Spruchpunkt IV.).

1.6. Gegen den unter Punkt 1.5. genannten Bescheid richtet sich die vom BF fristgerecht erhobene Beschwerde. Darin wiederholte der BF im Wesentlichen sein Vorbringen, dass seine Familie einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt gewesen sei. Von einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei nicht auszugehen, da der BF sein ganzes Leben in XXXX verbracht habe und über kein soziales und familiäres Netzwerk in Afghanistan verfüge.

1.7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 31.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

1.8. Die für 12.04.2018 anberaumte Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde kurzfristig abgesagt, da der BF dem Bundesverwaltungsgericht am 11.04.2018 um 20:09 Uhr schriftlich mitteilte, dass er aus gesundheitlichen Gründen verhindert sei. Dem Schreiben war eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung der XXXX für den Zeitraum vom 11.04.2018 bis 12.04.2018 beigefügt.

1.9. Mit Schreiben vom 18.07.2018 wurden dem BF vom Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderfeststellungen betreffend Afghanistan übermittelt.

?1.10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.08.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari sowie im Beisein des BF und seiner Lebensgefährtin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei gab der BF an, dass er in der Provinz XXXX mit seinen Eltern, vier Schwestern und zwei Brüdern aufgewachsen sei. Die Familie habe ein Lebensmittelgeschäft und viele Grundstücke gehabt. Der BF wisse seit 2013 nichts mehr von seinen Eltern und Geschwistern. Der BF sei in den Iran geflüchtet und seine Familienangehörigen in Afghanistan geblieben. Seitdem wisse er nichts mehr von ihnen. Zwei Schwestern hätten nicht versucht zu flüchten, sondern seien gemeinsam mit ihren Ehegatten in XXXX geblieben. Der BF habe ein Jahr und acht Monate im Iran verbracht und als Bauarbeiter gearbeitet. Dann sei er nach Österreich geflüchtet.

Im August 2012 seien zwei Taliban zum Elternhaus des BF gekommen und gegen den Willen der Familie des BF mit Gewalt in das Haus eingedrungen. Es habe sich herumgesprochen, dass die Taliban im Haus der Familie des BF seien, daher hätten sich ausländische Truppen auf den Weg gemacht und seien um Mitternacht eingetroffen. Die ausländischen Truppen hätten die Familie des BF ausgeraubt, viel Geld und Gold mitgenommen. Sie hätten dem BF und seiner Familie due Augen und Hände verbunden und hinausgeschickt. Die ausländischen Truppen seien von Mitternacht bis vier Uhr früh geblieben, hätten das Haus durchsucht und die zwei Taliban, die sich im Haus des BF befunden hätten, sowie den Vater, Onkel und Cousin des BF mitgenommen. Die Taliban hätten sich nicht gewährt, da sie geschlafen hätten. Die Taliban hätten im Haus gegessen und sich dann hingelegt. Es seien ca. 40 bis 50 Mann der ausländischen Truppen gekommen. Sie seien mit einem Helikopter gekommen.

Um 8 Uhr früh seien Nachbarn gekommen und hätten dem BF, seinem Bruder und der Mutter die Augen entbunden. Der BF habe gesehen, dass in der Wohnung Chaos geherrscht habe und der Vater, Onkel und Cousin nicht mehr da gewesen sein., Drei bis vier Tage später sei der Vater zurückgekehrt und habe erzählt, dass man ihm unterstellt habe, mit den Taliban unter einer Decke zu stehen. Auch der Onkel sei am selben Tag wie der Vater entlassen worden, der Cousin zwei Tage später.

Die Taliban seien wieder gekommen und hätten der Familie des BF unterstellt, mit der Regierung unter einer Deckung zu stecken. Sie hätten den Vater für zwei Tage entführt und misshandelt. Sie hätten auch den BF und den Bruder des BF wollen, der Vater habe das aber nicht 7zulassen. Der BF und sein Bruder hätten sich in einer Tonne für Mehl versteckt. Die Taliban seien zwei Wochen lang alle zwei oder drei Tage gekommen und hätten den BF und seinen Bruder nie gefunden. Der Vater des BF sei zwei oder drei Mal entführt worden. Ca. vier Monate nach den Ereignissen sei der Bruder des BF in den Iran gereist. Danach sei auch der BF ausgereist. Die Taliban hätten ständig auch Drohbriefe hinterlassen. Der BF wisse nicht, wieviele es gewesen seien. Die Drohbriefe seien an seinen Bruder gerichtet gewesen.

Der Onkel habe im selben Haus wie der BF gelebt, der Cousin, der ebenso entführt worden sei. in der Nähe. Der BF wisse nicht, ob der Onkel und der Cousin nach der Entführung durch die ausländischen Truppen noch Probleme gehabt haben.

Der BF habe in Österreich vor einem Monat die afghanische Staatsangehörige XXXX , geb XXXX , geheiratet und lebe seit vier oder fünf Tagen an einer neuen Adresse in XXXX , nunmehr gemeinsam mit seiner Ehegattin. Auf Nachfrage korrigierte er dies dahingehend, dass er nur traditionell im Flüchtlingsheim geheiratet habe, eine standesamtliche Hochzeit aber nicht möglich gewesen sei. Der BF habe diesbezüglich nichts, was er nachweisen könne. Der BF kenne seine Lebensgefährtin seit zwei Jahren und zwei Monaten aus XXXX . Er führe auch seit zwei Jahren und zwei Monaten eine Beziehung mit ihr. Der BF habe von Anfang an auf ihre zwei kleinen Kinder aufgepasst. Der leibliche Vater der Kinder sei aus Afghanistan nach Österreich gekommen, aber seine Lebensgefährtin habe sich vom leiblichen Vater der Kinder getrennt, nachdem dieser gewalttätig geworden sei. Der BF und seine Lebensgefährtin würden aber (doch) nicht in einer gemeinsamen Wohnung leben. Er besuche sie ein bis zweimal wöchentlich und komme dann von XXXX nach XXXX , weil die Kinder seiner Lebensgefährtin sehr oft nach ihm fragen würden. Er wohne deshalb nicht mit seiner Lebensgefährtin zusammen, da sein Asylverfahren noch offen sei und er deshalb nicht die Möglichkeit habe, zu übersiedeln. Der BF habe in Österreich den A1-Kurs gemacht, aber nicht bestanden. Der BF habe zwei Freunde in seine Flüchtlingsunterkunft eingeladen und sei deswegen aus der Unterkunft hinausgeschmissen worden. Nun lebe er mit vier weiteren Personen, drei davon aus Afghanistan und einem Kurden, in einem anderen Heim. Der BF habe in Österreich noch nie gearbeitet, aber freiwillig im Flüchtlingsheim geholfen, z.B. die Wände gestrichen. Der BF legte eine Einstellungszusage der XXXX vor und gab dazu an, dass er selbst nie mit dem Besitzer des Restaurants, der die Bestätigung ausgestellt habe, gesprochen habe, sondern nur sein Bruder. Der BF habe außerhalb des Restaurants gewartet, da er frisch aus XXXX angekommen und erschöpft gewesen sei.

Seine Lebensgefährtin lebe in XXXX , arbeite derzeit nicht und sei auf der Suche nach einer Arbeit. Sie wohne mit ihren zwei Kindern in einer Mietwohnung und erhalte Unterstützung von der Caritas und vom AMS. Der BF gehe ab und zu laufen, Fußball spielen, ins Fitness Studio, Volleyballspiel usw. Er spiele mit Freunden aus seiner Unterkunft. Der BF habe seine Lebensgefährtin in der Einvernahme vor dem BFA deshalb nicht erwähnt, weil er nicht nach ihr gefragt worden sei.

Der BF telefoniere in Österreich drei bis fünfmal pro Woche mit seinem Bruder. Dieser lebe in XXXX .

Die Lebensgefährtin des BF gab als Zeugin befragt an, dass ihr vor ca. zwei Monaten in Österreich Asyl gewährt worden sei. Sie sei gemeinsam mit ihrem Ehemann und den beiden Kindern von Afghanistan nach Österreich gekommen. Ihr Ehemann habe sie geschlagen, sei sechs Monate im Gefängnis gewesen und nach Afghanistan abgeschoben worden. Sie kenne den BF seit zwei Jahren und führe seither eine Beziehung mit ihm. Sie würden mehrmals täglich miteinander telefonieren und sich zweimal wöchentlich sehen. Ihre Kinder hätten sich sehr an ihn gewöhnt. Sie habe den BF in Österreich nur in Anwesenheit eines Mullahs geheiratet, standesamtlich jedoch nicht. Sie würden deshalb nicht zusammenleben, da sie zuerst heiraten müssten, damit es möglich wäre, das der BF zu ihr nach XXXX komme. Sie wisse nicht, warum der BF Afghanistan verlassen habe. Sie hätten nie darüber gesprochen. Sie besuche einen Deutschkurs und arbeite nicht. Sie habe zwar eine Ausbildung als Küchengehilfin angeboten bekommen, jedoch das Angebot nicht annehmen können, da das Angebot ein Vollzeitjob gewesen sei und die BF Alleinerzieherin sei. Sie habe den Bruder des BF, der in Österreich lebe, bisher nicht kennenlernt.

Der BF legte die folgenden Dokumente vor:

* Konventionspass seiner Lebensgefährtin und deren Kinder

* Meldezettel

* Teilnahmebestätigung an einem "Werte- und Orientierungskurs"

* Unterstützungsschreiben des Leiters der Grundversorgung XXXX

* A1/2 - Deutschkursbesuchsbestätigung der Volkshochschule XXXX vom 01.06.2017

* Alphabetisierungskurs 2 - Kursbesuchsbestätigung der Volkshochschule XXXX vom 26.09.2016

* Bestätigung der Vorsprache des BF zwecks Spracheinstufung

* Anmeldung zum Deutschkurs A1/A2

* Liste des Magistrats der XXXX "Dokumente für Eheschließung oder Ehefähigkeitszeugnis"

* Karte für subsidiär Schutzberechtigte des Bruders des BF

* Tazkira des Bruders des BF

2. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 09.08.2018, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt betreffend den BF, seine Lebensgefährtin ( XXXX , geb. XXXX , Zahl 1104711200-160194182) und seinen in Österreich lebenden Bruder ( XXXX , Zahl 831700605-1755166 bzw. GZ W222 2103830-1), das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1. Zur Person des BF:

2.1.1. Der BF führt den Namen XXXX und ist am XXXX im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz XXXX , geboren und aufgewachsen.

2.1.2. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Muslim. Die Muttersprache des BF ist Dari.

2.1.3. Der BF wuchs in seinem Heimatdorf gemeinsam mit seinen Eltern, vier Schwestern, zwei Brüdern, seinem Onkel und einem Cousin auf und besuchte in seinem Heimatdorf sieben Jahre die Grundschule.

2.1.4. Der BF ist gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er hat keine Kinder.

2.1.5. Die Eltern des BF, zwei Schwestern, der jüngere Bruder, ein Onkel mütterlicherseits und sein Cousin leben nach wie vor im Heimatdorf des BF. Zwei Schwestern und drei Onkel väterlicherseits leben im selben Distrikt, aber anderen Dörfern. Die Familie des BF besitzt ein Lebensmittelgeschäft und viele Grundstücke samt Wohnhaus.

2.1.6. Der BF verließ Afghanistan ca. Ende 2013 und reiste in den Iran, wo er 1 Jahr und 8 Monate blieb und sich seinen Lebensunterhalt als Bauarbeiter verdiente. Im Oktober 2015 reiste der BF vom Iran nach Österreich, wo er am 22.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2.2. Zur Integration des BF in Österreich:

2.2.1. Der BF besuchte von 03.05.2016 bis 16.08.2016 einen Kurs "Deutsch für Asylwerbende - Alphabetisierung 2" und von 24.02.2017 bis Juni 2017 einen Kurs "Deutsch für Asylwerbende - A1/2". Er nahm am 04.07.2018 an einem eintägigen Werte- und Orientierungskurs teil. Der BF hat in Österreich bisher keine Deutschprüfung bestanden. Er besucht zum Entscheidungszeitpunkt keinen Deutschkurs.

2.2.2. Der BF ist nicht Mitglied eines Vereins. Er hat sich bisher nur vereinzelt in seiner Flüchtlingsunterkunft bei Koch/Putz/Organisationstätigkeit eingesetzt, sich darüber hinaus aber nie ehrenamtlich engagiert und ist bisher keiner bezahlten regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachgegangen.

2.2.3. Der BF verfügt über keine rechtlich verbindliche Einstellungszusage.

2.2.4. Der BF ist in Österreich im Rahmen der Grundversorgung untergebracht. Der BF wurde einmal an einem nicht feststellbaren Tag aus disziplinären Gründen von seiner Unterkunft in eine andere Unterkunft verlegt. In weiterer Folge wurde er am 27.07.2018 neuerlich aus disziplinären Gründen aus der Grundversorgung des Landes XXXX entlassen und mit 06.08.2018 wieder in die Grundversorgung des Landes XXXX aufgenommen wurde.

2.2.5. Der BF führt eine Fernbeziehung mit der afghanischen Staatsangehörigen XXXX , der ca. im Juni 2018 in Österreich Asyl gewährt wurde. XXXX reiste im Jahr 2016 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann (und Vater der beiden Kinder) sowie ihren beiden Kindern XXXX , und XXXX , in Österreich ein. Der damalige Ehemann der BF schlug XXXX , wurde in Österreich inhaftiert und nach Afghanistan abgeschoben. XXXX hält keinen Kontakt mehr zu ihrem damaligen Ehemann. Ihr kommt das alleinige Sorgerecht für die beiden minderjährigen Kinder zu. Sie lebt mit ihren beiden Kindern in einer privat angemieteten Wohnung in XXXX . Der BF und XXXX lernten sich im August 2016 in XXXX kennen und führen seither eine Beziehung. Der BF besucht XXXX und ihre beiden Kinder zweimal wöchentlich in XXXX , während er in XXXX wohnt. Zudem telefonieren sie regelmäßig miteinander. Der BF und XXXX sind nicht miteinander verheiratet und bisher keinen Heiratstermin vereinbart. Die Begründung eines gemeinsamen Wohnsitzes ist erst für den Fall der Gewährung von Asyl / Erteilung eines Aufenthaltstitels an den BF angedacht. Den Umstand, dass der BF nicht gemeinsam mit XXXX und ihren Kindern lebt, erklärte der BF - rechtlich falsch - damit, dass es ihm während des Asylverfahrens nicht erlaubt wäre, in XXXX in der privaten Mietwohnung von XXXX zu leben. Ein Umzug des BF von XXXX nach XXXX zu seiner Lebensgefährtin würde mit hoher Wahrscheinlichkeit den Verlust von Leistungen aus der Grundversorgung mit sich bringen, weshalb der BF aus diesem Grund von der Übersiedlung zu seiner Lebensgefährtin bisher Abstand genommen hat.

2.2.6. Der ältere Bruder des BF, XXXX , StA. Afghanistan, lebt in XXXX . Er reiste direkt von Afghanistan nach Österreich, wo er am 18.11.2013 ankam und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Ihm wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.09.2015, GZ W222 2103830-1/7E, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA (Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Zuerkennung des Asylberechtigten) wurde vom Bruder des BF im Zuge des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht zurückgezogen. Der BF telefoniert mehrmals wöchentlich mit seinem Bruder.

2.2.7. Ein Cousin väterlicherseits des BF, namens XXXX , lebt mit seiner Familie in Österreich. Der BF steht mit diesem Cousin und dessen Familie nicht in regelmäßigem Kontakt.

2.2.8. Der BF verfügt über keine weiteren als den unter 2.2.1. bis 2.2.7. dargestellten familiären und sozialen Bindungen in Österreich.

2.2.9. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2.3. Zu den Fluchtgründen des BF und einer Rückkehr nach Afghanistan:

2.3.1. Der Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates Afghanistan konnte nicht festgestellt werden.

2.3.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF und/oder sein Bruder, sein Vater, sein Onkel oder sein Cousin Drohungen oder Verfolgung seitens der Taliban ausgesetzt waren oder im Falle der Rückkehr sein würden.

2.3.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF und/oder sein Bruder, sein Vater, sein Onkel oder sein Cousin Drohungen oder Verfolgung seitens der afghanischen Armee oder internationaler Truppen ausgesetzt waren oder im Falle der Rückkehr sein würden.

2.3.4. Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seiner Rasse, Nationalität, seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

2.3.5. Im Falle der Rückkehr in seine Herkunftsprovinz XXXX würde dem BF ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

2.3.6. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle der Rückkehr nach XXXX ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach XXXX Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Familie des BF wäre bei seiner Rückkehr in der Lage ihn wirtschaftlich zu unterstützen, sollte dies notwendig sein.

2.3.7. Der BF ist volljährig, anpassungsfähig, mobil, gesund, arbeitsfähig und hat keine Kinder. Er verfügt über familiäre Unterstützung in Afghanistan. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach XXXX Gefahr liefe, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten oder sich seine Gesundheit in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde. Es sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere körperliche oder psychische Erkrankungen einer Rückführung des BF in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

2.3.8. Der BF kann die Stadt XXXX von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug und sein Heimatdorf, das ca. 50 Minuten mit dem Auto von der Stadt XXXX entfernt, nördlich der Stadt XXXX liegt, auf dem Landweg sicher erreichen.

2.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

2.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 29.06.2018:

1. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

[...]

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

1.1. Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

1.2. Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017).

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

1.3. Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

1.4. Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

1.5. Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

1.6. Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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