TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/31 W237 1258678-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2018
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Entscheidungsdatum

31.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §53 Abs3 Z6
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 1258678-3/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2018, Zl. 732503810/180359020, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird betreffend die Spruchpunkte I., II. und VI. des angefochtenen Bescheids gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, iVm § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: AsylG 2005), § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: FPG), und § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: BFA-VG), sowie § 53 Abs. 3 Z 6 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird betreffend Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids stattgegeben und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 iVm § 50 FPG in die Russische Föderation unzulässig ist.

III. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids wird ersatzlos behoben.

IV. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass dieser zu lauten hat:

"Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die damals minderjährige Beschwerdeführerin reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 14.08.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 30.06.2005 wurde diesem Antrag stattgegeben und der Beschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten im Wege des Familienverfahrens nach den damaligen asylrechtlichen Bestimmungen zuerkannt (eigene Fluchtgründe hatte die Beschwerdeführerin nicht vorgebracht).

2. Infolge einer polizeilichen Anzeige wurde am 20.08.2014 ein Verfahren zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten eingeleitet.

2.1. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wurde die Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 19 Monaten verurteilt. Die seit dem XXXX verbüßte Vorhaft wurde dabei auf die Haftdauer angerechnet.

Am XXXX wurde die Beschwerdeführerin unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren unter Anordnung von Bewährungshilfe mit der Weisung aus der Strafhaft entlassen, eine Psychotherapie zu absolvieren und darüber in vierteljährlichem Abstand Nachweise vorzulegen.

2.2. Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde in weiterer Folge ein als "Sozialbericht" betiteltes Schreiben der die Beschwerdeführerin betreuenden Sozialarbeiterin eines Vereins für mobile Jugendarbeit vomXXXX vorgelegt. Dem Schreiben ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass die Sozialarbeiterin die Beschwerdeführerin seit Juli XXXX einmal pro Woche in der Haft besucht und ein- bis zweistündige Gespräche mit ihr geführt habe, in denen der Fokus von Beginn an auf der Vereinbarkeit ihrer religiösen Identität und der Gestaltung des Alltagslebens in Österreich als demokratischer Staat gelegen sei, wobei die Beschwerdeführerin die Termine auch nach Haftentlassung neben der per gerichtlicher Weisung vorgeschriebenen Termine wahrnehme. Die Beschwerdeführerin habe sich in ihrer religiösen Ausrichtung für eine sehr konservative Schule des Islam entschieden, sehe jedoch ihren Lebensmittelpunkt in Österreich. Die Geburt ihrer Tochter habe bei ihr eine Neubewertung des Ausreisewunsches in das vom Islamischen Staat kontrollierte Gebiet bewirkt. Die Beschwerdeführerin wolle ihre Tochter in Frieden aufwachsen sehen und habe nach eigenen Angaben nicht mehr den Wunsch, in o.g. Gebiet auszureisen oder die Organisation Islamischer Staat auf sonstige Weise zu unterstützen. Sie sei bestrebt, in Wien eine Zukunft für sich und ihre Familie aufzubauen, was eine gesicherte Wohnsituation, eine Berufsausbildung und einen geregelten Alltag beinhalte. Die Wohnsituation der Beschwerdeführerin sei derzeit noch ungünstig, weil sie seit ihrer Haftentlassung zwischen der Wohnung ihrer Mutter und jener der Familie des Kindesvaters hin und her pendle. Dies sei nach ihren Angaben sehr belastend für sie. Sie wünsche sich einen fixen Wohnplatz für sich und ihre Tochter und habe ein Bewerbungsgespräch für einen Platz in einem Mutter-Kind-Heim der Caritas gehabt. Zusätzlich erschwert werde die Entwicklung langfristiger Perspektiven durch das laufende Asylaberkennungsverfahren, weil die Möglichkeit einer Rückführung in die Russische Föderation/Republik Tschetschenien für ein hohes Maß an Unsicherheit und Angst bei der Beschwerdeführerin sorge. Sie verfüge dort über kein soziales Netzwerk und müsste bei einer Rückführung Repressionen von staatlicher Seite befürchten. Diese Repressionen seien einerseits in der Flucht ihrer Familie und andererseits in ihrer strafgerichtlichen Verurteilung begründet.

2.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte mit der Beschwerdeführerin am 30.06.2016 eine niederschriftliche Einvernahme durch, in der sie angab, sich aufgrund einer Schwangerschaft schwach zu fühlen und Eisentabletten einzunehmen. Sie befinde sich aufgrund ihrer Verurteilung in Psychotherapie. Diese Psychotherapie sei eine Auflage für die bedingte Entlassung aus der Haft. Ihrem Gatten und ihrem Kind gehe es gesundheitlich gut. Sie wohne seit Dezember 2015 in einer vom Hilfswerk betreuten Wohnung zusammen mit ihrem Gatten und dem gemeinsamen Kind. Die Beschwerdeführerin lebe vom Arbeitslosengeld ihres Gatten, den sie im Februar 2014 nach islamischem Recht in Wien geheiratet habe. Dieser sei wegen desselben Delikts wie sie verurteilt worden. Im September 2016 erwarte sie von ihm ihr zweites Kind. Sie besuche keine Kurse bzw. Fortbildungsmaßnahmen, habe keine Berufsausbildung und sei auch nie erwerbstätig gewesen. In Österreich habe sie die Pflichtschule absolviert und zwei Jahre die Handelsakademie besucht. Hier lebten auch ihre Eltern sowie Geschwister. Ihre Eltern seien geschieden und hätten getrennte Wohnsitze; ihre Mutter arbeite als Reinigungskraft, der Vater sei arbeitslos. Bei der Mutter würden zwei jüngere Geschwister wohnen. Eine weitere Schwester habe zwei Kinder und lebe von der Sozialhilfe. Ein Bruder der Beschwerdeführerin sei vor etwa zwei Monaten aus Österreich abgeschoben worden und lebe derzeit in Grosny. Die Beschwerdeführerin befürchte Probleme bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland, weil "alle Extremisten" in Tschetschenien in Gefahr seien. Sie fürchte Probleme, da ihre Religion sich von der Religion der Tschetschenen unterscheide. Ihr Religionsbekenntnis werde dort nicht anerkannt. Sie gehöre den Sunniten an, die Tschetschenen seien Sufisten und das vertrage sich nicht. Sie könnte in der Heimat wegen ihrer Straffälligkeit in Österreich festgenommen werden. Sie befürchte, dass ihre Kinder und sie in Tschetschenien umgebracht würden. Von ihrem Schwiegervater, dessen Name ihr nicht geläufig sei, habe sie erfahren, dass ihre Verbrechen in ihrer Heimat bekannt geworden und ihr Gatte und sie in Tschetschenien im Fernsehen gezeigt worden seien. Zwar gebe es in Tschetschenien keine Doppelbestrafung, doch befürchte sie Folter aufgrund der Tatsache, dass sie gegen die Regierung sei. Auch ihre Verschleierung wäre für die "Kadyrovsky" genug, sie einfach mitzunehmen. Das Tragen des Niqab sei in Tschetschenien verboten. Ein Onkel der Beschwerdeführerin habe im Jänner dieses Jahres einen Brief bekommen und sei wegen ihr von Sicherheitskräften befragt worden.

2.4. Mit Bescheid vom 02.07.2016 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Beschwerdeführerin den mit Bescheid vom 30.06.2005 zuerkannten Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 leg.cit. fest, dass der Beschwerdeführerin die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Weiters erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 leg.cit den Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zu. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation wurde gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 leg.cit. für unzulässig erklärt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 leg.cit. wurde der Beschwerdeführerin nicht erteilt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin und führte begründend zusammengefasst aus, dass die Unterstützung einer terroristischen Organisation zweifelsohne ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Artikel 1 Abschnitt F der GFK darstelle. Durch ihre Beteiligung an der Vereinigung IS-Islamic State und der in Angriff genommenen Ausreise aus Österreich nach Syrien habe sich die Beschwerdeführerin eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Die Beschwerdeführerin habe - wie im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX ersichtlich - Österreich am XXXX mit dem Ziel Syrien (jenes Gebiet, welches vom IS kontrolliert werde) verlassen, wobei sie an der türkisch-syrischen Grenze von der türkischen Polizei festgenommen und nach Österreich abgeschoben worden sei. Am XXXX sei die Beschwerdeführerin erneut aus Österreich mit dem Ziel Syrien ausgereist, jedoch an der rumänisch-bulgarischen Grenze zurückgewiesen worden. Am XXXX habe die Beschwerdeführerin schließlich ein weiteres Mal versucht, nach Syrien auszureisen, sei jedoch am österreichischen Grenzübergang festgenommen worden. Durch den wiederholten Antritt der Reise nach den Anwerbungen habe die Beschwerdeführerin unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, den IS in seinen terroristischen Zielen zu unterstützen und zu fördern. Im gegenständlichen Fall liege ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: GFK) vor, womit der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 2 leg.cit. erfüllt sei. Weiters ergebe sich ob der Verurteilung der Beschwerdeführerin zweifelsfrei, dass sie eine terroristische Vereinigung, konkret den IS-Islamic State, unterstützt habe, weshalb auch der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 3 leg.cit. gegeben sei. Weil ein in Art. 1 Abschnitt F GFK genannter Asylausschlussgrund vorliege, sei auch die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten von Vornherein ausgeschlossen. Im Verfahren hätten sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, welche die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 leg.cit. rechtfertigen würden. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet werde gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, geduldet.

2.5. Die gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11.10.2016 als vollinhaltlich unbegründet ab. Es stellte fest, dass die Beschwerdeführerin die ihrer strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Straftat begangen und am XXXX, XXXX und XXXX versucht habe, nach Syrien zu reisen, um sich dort am bewaffneten Kampf der Terrororganisation IS, durch logistische Unterstützungshandlungen, finanziell oder auf sonstige Art und Weise zu beteiligen. Sie habe sich durch ihre wissentliche Unterstützung der Terrororganisation IS eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Sinne des Art. 1 Abschnitt F GFK schuldig gemacht. Da "somit ein Aberkennungstatbestand nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005" vorliege, sei "der Entscheidung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 nicht entgegenzutreten". Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich in seiner Entscheidung den im Bescheid vom 02.07.2016 getroffenen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation an. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen erachtete das Bundesverwaltungsgericht als nicht gegeben.

3. In der Folge beantragte die Beschwerdeführerin am 19.12.2016 die Ausstellung einer Duldungskarte gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016. Mit Aktenvermerk vom 31.05.2017 hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass die Voraussetzungen der genannten Bestimmung vorlägen und eine Karte für Geduldete unter Berufung auf diese Ziffer ausgestellt werde, weil die "Abschiebung in die Russische Föderation gem. § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig" sei. Die Beschwerdeführerin wurde in weiterer Folge wiederholt zur Abholung der Duldungskarte zur Behörde geladen, befolgte diese Ladungen allerdings nicht.

4.1. Am 24.05.2018 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Dabei meinte sie zunächst, die Duldungskarte nicht abgeholt zu haben, weil sie die Ladungen immer erst zu Zeitpunkten nach den jeweiligen Ladungsterminen erhalten habe; zuletzt habe sie kein Geld zur Verfügung gehabt, um die Duldungskarte abzuholen. Auf Vorhalt des bisherigen Verfahrensgangs und ihrer strafgerichtlichen Verurteilung meinte die Beschwerdeführerin, sie sei ihre Ausreise nach Syrien nicht angetreten, um sich dort dem Islamischen Staat anzuschließen, sondern habe damals den Niqab getragen und sich in Österreich nicht mehr wohlgefühlt, weil sie ständig angespuckt worden sei. Zur gleichen Zeit habe sie ein Mädchen aus Deutschland kennen gelernt, die nach Syrien gegangen sei. Sie habe von ihr Bilder geschickt und gesagt bekommen, dass es dort sehr schön sei. Da sich auch ihr Mann "nicht in Österreich wohlgefühlt" habe, hätten sie beide die Ausreise angetreten. Es sei aber nie ihre Absicht gewesen, sich irgendeiner Terrororganisation anzuschließen. Nunmehr besuche sie alle zwei Wochen Psychotherapie und erhalte Bewährungshilfe. Auf die Frage zu ihrer nunmehrigen Beziehung zur Republik Österreich meinte die Beschwerdeführerin, sie fühle sich jetzt wohl in Österreich, zumal ihre Kinder den Kindergarten besuchten und sie mit 01.09.2018 in einem Kindergarten zu arbeiten beginnen werde. Sie habe keinen Kontakt zu IS-Mitgliedern.

Zu ihrer Ausbildung befragt gab die Beschwerdeführerin an, in Österreich die Volksschule, die Hauptschule und dann zwei Jahre die Handelsakademie besucht zu haben. Sie habe nie gearbeitet, es stünden ihr aber in etwa 500,- Euro pro Monat für sich und ihre beiden Kinder zur Verfügung. Diese seien die leiblichen Kinder ihres nach islamischem Ritus geehelichten Mannes. Die Ehe sei nie standesamtlich geschlossen worden, damit sie im Falle einer Scheidung die Kinder leichter bei sich behalten könne. Eine gemeinsame Wohnung mit ihrem Mann könne sich die Beschwerdeführerin nicht leisten. Derzeit lebe sie in einem Mutter-Kind-Heim.

In Österreich lebten noch ihre Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüder, die alle asylberechtigt seien; ein weiterer Bruder sei vor zwei oder drei Jahren in die Russische Föderation abgeschoben worden. Ihre Eltern hätten sich gegen ihr Ausreisevorhaben ausgesprochen, nunmehr werde sie aber in ihrem Leben in Österreich von ihnen unterstützt. In der Russischen Föderation lebten nunmehr ein Bruder sowie Onkeln und Tanten; zu diesen habe sie jedoch keinen Kontakt. Ihr in Grosny wohnender Bruder sei wegen ihrer Verurteilung bereits "öfters" von tschetschenischen Sicherheitskräften vorgeladen worden und dann drei Tage verschwunden. Man habe ihn gezwungen, Informationen über die Beschwerdeführerin zu liefern, dann habe man ihn wieder gehen lassen. Viel mehr könne er nicht erzählen, weil sein Handy abgehört werde. Von zwei Personen, die mit der Beschwerdeführerin verurteilt worden seien, fehle jede Spur. In Russland würde sie aufgrund ihrer Verurteilung wegen terroristischer Vereinigung verschleppt werden.

Der Beschwerdeführerin wurde daraufhin vorgehalten, dass ihr laut Länderinformationsblatt der Staatendokumentation bei einer Rückkehr in die Russische Föderation keine generelle Verfolgung drohe und sie innerhalb des Staatsgebiets volle Bewegungsfreiheit genieße. Ihr wurde weiters vorgehalten, dass sie nach Ansicht des Bundesamts eine Gefährdung für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle. Der österreichische Staat habe ein gesteigertes Interesse daran, den Aufenthalt der Beschwerdeführerin zu beenden, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung beabsichtigt sei; in diesem Zusammenhang sei auf näher angeführte Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) zu verweisen. Die Beschwerdeführerin gab daraufhin an, eine Haftstrafe verbüßt und ihre Einstellung geändert zu haben; sie wolle nunmehr in Österreich arbeiten und ein neues Leben beginnen. Auf die Erlangung eines Heimreisezertifikats gerichtete Fragen wolle sie aber nicht antworten, weil ihr Leben in der Russischen Föderation in Gefahr sei.

4.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 08.06.2018 einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: AsylG 2005), nicht zu (Spruchpunkt I.), erließ im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: BFA-VG), eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: FPG), (Spruchpunkt II.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.); die Behörde erkannte einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.) und gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 3 Z 6 FPG wurde schließlich gegenüber der Beschwerdeführerin ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

4.2.1. Begründend führte das Bundesamt aus, die Beschwerdeführerin habe keiner der Ladungen zur Ausstellung einer Duldungskarte Folge geleistet. Da der Aufenthalt erst mit Ausstellung einer entsprechenden Karte als geduldet gelte, sei der Beschwerdeführerin die Duldung nicht zugekommen. Zudem sei sie wegen einer schwerwiegenden Straftat verurteilt worden und stelle eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Es sei somit keine Voraussetzung des § 57 AsylG 2005 erfüllt, weshalb kein Aufenthaltstitel nach dieser Bestimmung zu erteilen sei.

4.2.2. Die Beschwerdeführerin halte sich nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Dieser stehe auch das Recht der Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK nicht entgegen: So werde durch eine Rückkehrentscheidung nicht in ihr Familienleben eingegriffen, weil gegenüber dem nach Aberkennung seines Asylstatus illegal im Bundesgebiet befindlichen Lebensgefährten der Beschwerdeführerin ebenfalls ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung anhängig sei. Hinsichtlich der Anträge der Kinder der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sei festzuhalten, dass die Gewährung eines Schutzstatus unwahrscheinlich und dies auch im Wege des Familienverfahrens nicht möglich sei, weil beiden Elternteilen der Asylstatus ab- bzw. der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt worden sei - auch im Verfahren der Kinder sei also eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Mögen die Eltern und vier Geschwister der Beschwerdeführerin auch in Österreich leben, so habe sie sich doch nicht davon abbringen lassen, drei Mal ihre Ausreise nach Syrien - und damit die Aufgabe ihres Lebens mit ihnen in Österreich - zu versuchen. Der durch die Rückkehrentscheidung erfolgende Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin sei statthaft, weil sie wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung verurteilt worden sei und ihr Aufenthalt im Bundesgebiet eine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich darstelle. Außerdem könne gemäß den Darstellungen in einem Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vom 23.03.2018 nicht von einer relevanten Integration der Beschwerdeführerin in die österreichische Gesellschaft ausgegangen werden, zumal sie Bedenken geäußert habe, ihre Kinder in den Kindergarten zu schicken, weil dort musiziert werde, sie in der Vergangenheit den Niqab getragen und den Kontakt mit Andersgläubigen gemieden habe; sie habe auch versucht, missionarisch aufzutreten.

4.2.3. Die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation sei zulässig, weil sie Nachweise für ihr Verfolgungsvorbringen nicht habe vorlegen können. Es stünde ihr bei ihrer Rückkehr dorthin eine innerstaatliche Fluchtalternative offen; aus dem Verfahren gehe nicht hervor, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls nach Tschetschenien zurückkehren müsste, zumal sie bei einer Niederlassung in anderen Landesteilen der Russischen Föderation von der tschetschenischen Diaspora Unterstützung erfahren könnte. Aus der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts ergäben sich keine Hinweise darauf, dass die Beschwerdeführerin entweder durch tschetschenische Sicherheitskräfte gefunden und misshandelt oder von russischen Sicherheitskräften "präventiv" misshandelt werden würde, selbst wenn die Verurteilung durch ein österreichisches Strafgericht bekannt sein sollte. Dies lasse sich auch nicht aus Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation und von ACCORD ableiten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zitierte in diesem Zusammenhang - neben aktuellen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation - ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, in dem das Urteil des EGMR vom 07.11.2017, Appl. 54646/17, X. gg. Deutschland, wiedergegeben wurde. Außerdem habe das Bundesverwaltungsgericht in einem anderen Fall entschieden, dass nicht davon auszugehen sei, die russischen Behörden würden von strafgerichtlichen Verurteilungen russischer Staatsangehöriger in Österreich erfahren; die Russische Föderation sei im Rahmen der EMRK auch zum Prinzip "ne bis in idem" verpflichtet, bei dessen Verletzung eine Beschwerde an den EGMR möglich sei.

4.2.4. Der Verbleib der Beschwerdeführerin in Österreich stelle eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich dar, weshalb ihre sofortige Ausreise erforderlich sei. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung sei somit gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung abzuerkennen. Der Beschwerdeführerin sei folglich auch keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren.

Angesichts der Schwere des strafrechtlichen Fehlverhaltens sei unter Bezugnahme auf näher angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbots geboten.

4.3. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 13.06.2018 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für ihr Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt und die Beschwerdeführerin über ihr verpflichtendes Rückkehrberatungsgespräch bis zum 28.06.2018 in Kenntnis gesetzt.

5. Mit Schriftsatz vom 11.07.2018 erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsvertreter gegen den angeführten Bescheid vollumfänglich Beschwerde.

5.1. Darin wird unter näherer Begründung ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in unmittelbare Gefahr geriete, dort verschleppt, gefoltert und/oder ermordet zu werden, weil ihr immer noch eine ideologische Nähe zu islamistisch-extremistischen Kräften unterstellt werden würde. Um das Leben der Beschwerdeführerin nicht in Gefahr zu bringen, werde dringend angeregt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG zuzuerkennen. Aus den im angefochtenen Bescheid angeführten Länderberichten gehe klar hervor, dass Angehörige von Personengruppen, denen eine Nähe zu extremistischen Kräften unterstellt werde, keinesfalls in die Russische Föderation zurückkehren könnten. Ebenso werde betont, dass Personen aus Tschetschenien eine Neuansiedlung in anderen Teilen Russlands nicht möglich sei. Die Beschwerdeführerin habe insbesondere vorgebracht, dass ein im Herkunftsstaat lebendes Familienmitglied aufgrund ihrer strafgerichtlichen Verurteilung in Zusammenhang mit ihren versuchten Ausreisen in das syrische IS-Gebiet befragt, diskriminiert und gefoltert worden sei. Familiäre oder soziale Bezugspunkte außerhalb Tschetscheniens habe die Beschwerdeführerin nicht. In russischen Medien sei namentlich über sie als IS-Mitglied berichtet worden. Von zwei Personen, die gemeinsam mit der Beschwerdeführerin verurteilt worden seien, fehle jede Spur, weshalb kein Zweifel daran bestehen könne, dass die russischen und tschetschenischen Behörden von der Verurteilung der Beschwerdeführerin wüssten.

Vermeintlich mit dem vorliegenden Fall vergleichbare Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, des deutschen Bundesverfassungsgerichts und des EGMR seien nicht tauglich, im konkreten Fall als Entscheidungshilfe herangezogen zu werden. So sei bei der Beschwerdeführerin zu beurteilen, ob die Rückkehr auch ihres Lebensgefährten und der minderjährigen Kinder möglich sei; als Jungfamilienverband seien sie besonders vulnerabel. In den meisten anderen Entscheidungen sei lediglich zu beurteilen gewesen, ob die Rückkehr einem alleinstehenden Mann zugemutet werden könne. Der Beschwerdeführerin würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen. Überdies stelle eine Abschiebung der Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte nach Art. 8 EMRK dar, weil sie bereits seit langem in Österreich lebe und hier ein schützenswertes Privat- und Familienleben führe.

Die Beschwerdeführerin stelle auch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, weil sie sich nach Verbüßung ihrer Haftstrafe von ihren bisherigen ideologischen und religiösen Überzeugungen zunehmend entfernt habe. Sie habe eine Einstellungszusage, besuche regelmäßig die gerichtlich auferlegten Bewährungshilfetermine, befinde sich immer noch in psychotherapeutischer Behandlung und sozialarbeiterischer Betreuung und habe sich auch schon vor der belangten Behörde explizit von ihren früheren Taten distanziert; freiwillig besuche sie regelmäßig die Beratungsstelle "Back Bone - Mobile Jugendarbeit 20".

In der Beschwerde wird folglich auf mehrere Passagen der im angefochtenen Bescheid angeführten Länderberichte verwiesen, mit denen die Beschwerdeführerin das dargestellte Beschwerdevorbringen zu stützen beabsichtigt. Angesichts der von der belangten Behörde selbst ins Treffen geführten Berichte sei das Verfolgungsvorbringen der Beschwerdeführerin glaubhaft.

5.2. Ihrer Beschwerde legte die Beschwerdeführerin eine auf den 25.06.2018 datierende Stellungnahme ihrer Bewährungshelferin vom Verein Neustart bei, der zufolge sie seit August 2017 in einem Heim der Caritas lebe. Sie halte ihre Termine bei der Bewährungshilfe ein und habe zur Bewährungshelferin schnell Vertrauen gefasst. Dabei zeige sie sich gesprächsbereit und pflichtbewusst, auch die Weisung zu einer Psychotherapie einzuhalten. Themen dabei seien vor allem die ideologiekritische Auseinandersetzung, die Deliktbearbeitung und ihre strenge Auslegung des Islam sowie Fragen der Kindererziehung. Die Beschwerdeführerin kümmere sich liebevoll um die Erziehung ihrer Kinder und versorge diese hinsichtlich Pflege und Hygiene gut. Allerdings habe es seitens der Bewährungshelferin, der Heimleiterin sowie der Betreuerin des Vereins "Back Bone" Bedenken gegeben, inwiefern die religiöse Haltung der Beschwerdeführerin mit einem westlichen Verständnis von Grundwerten der Erziehung und Betreuung von Kindern übereinstimme, weshalb im März 2018 eine Meldung an das zuständige Amt für Jugend und Familie erfolgt sei. Den daraufhin anberaumten Gesprächstermin sowie die dabei erteilten Auflagen habe die Beschwerdeführerin eingehalten. Sie nehme nunmehr an einem vom Innenministerium koordinierten Deradikalisierungsprogramm teil und besuche auch regelmäßig die Termine beim Verein DERAD; diese Teilnahme sei kein Hinweis auf eine erhöhte Radikalisierung. Die Beschwerdeführerin habe die vergangenen 15 Jahre den Großteil ihres Lebens in Österreich zugebracht, ein Großteil ihrer Familie und Freunde lebe hier; Deutsch habe sie als zweite Muttersprache angenommen. Demgegenüber würden sich die in Tschetschenien lebenden Verwandten von ihr abwenden, weil über sie und ihren Lebensgefährten unter voller Nennung ihres Namens im russischen Fernsehen berichtet worden sei. Ihr Bruder habe von tagelangen Vernehmungen und Folter berichtet. Sie mache sich daher um ihre Sicherheit und das Leben ihrer Kinder große Sorgen, sollte sie nach Tschetschenien zurückkehren müssen. Es werde daher ersucht, der Beschwerdeführerin und ihrer Familie eine Chance in Österreich zu geben, zumal ihr Leben in Tschetschenien nicht sicher sei.

Weiters legte die Beschwerdeführerin mit der Beschwerde eine Stellungnahme der sie betreuenden Sozialarbeiterin des Vereins "Back Bone" bei, laut der sie seit Juli XXXX von Mitwirkenden dieses Vereins betreut werde. Im Zeitraum von Juli bis September XXXX hätten wöchentliche Haftbesuche von jeweils ein bis zwei Stunden stattgefunden, in denen ideologische, weltanschauliche und demokratiepolitische Themen bearbeitet worden seien. Die Beschwerdeführerin habe sich damals interessiert und mitwirkend gezeigt. Nach ihrer Haftentlassung sei sie weiter sozialarbeiterisch unterstützt worden. Allerdings habe ihre prekäre Lebenssituation in Zusammenhang mit dem Verfahren über die Aberkennung ihres Asylstatus "immer wieder zu Rückschritten die intrinsische Motivation [...] eine Abkehr von ihrem sehr konservativen, salafistisch geprägten Weltbild betreffend" geführt. Sie habe dennoch durchgehenden Kontakt mit "Back Bone" gehalten und die Betreuungsbeziehung zu nichtmuslimischen und autochton österreichischen Erwachsenen als hilfreich in Bezug auf ihre Perspektivenentwicklung empfunden. Ihren Kindern wolle sie jedenfalls ein Leben in Freiheit und Frieden ermöglichen. Es zeige sich wiederholt, dass die Beziehungen zu ihrer Bewährungshelferin, der zuständigen Psychotherapeutin und dem Verein "Back Bone" die einzigen außerfamiliären Stabilisierungsfaktoren in ihrem Alltag darstellten. Seit ihrem siebzehnten Lebensjahr zeige sich die Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit überwiegend vollverschleiert. Seit ihrer Entlassung aus der Strafhaft stelle die Vollverschleierung für sie einen Schutz dar, auf den sie aus innerpsychologischen Gründen im Alltag nicht verzichten könne. Die Einführung des Verbots der Gesichtsverhüllung habe einen massiven Rückschritt in der Abwendung ihrer salafistisch-konservativen Ideologie dargestellt, weil die Beschwerdeführerin aus ihrer Sicht keine Möglichkeit mehr gehabt habe, sich am Leben in Österreich zu beteiligen.

Schließlich wurde der Beschwerde eine auf den 04.05.2018 datierende Einstellungszusage die Beschwerdeführerin betreffend in Kopie beigelegt, wonach sie als Kindergruppenassistentin beim Verein "Kinder Bildung ist Zukunft für Österreich Integrationskindergruppen" angemeldet sein werde.

5.3. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 17.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin trägt den im Spruch angeführten Namen, ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig.

1.1.1. Sie gelangte im Alter von sieben Jahren nach Österreich und stellte durch ihren gesetzlichen Vertreter am 14.08.2003 einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 30.06.2005 wurde ihr der Asylstatus zuerkannt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte mit Bescheid vom 02.07.2016 der Beschwerdeführerin den Status der Asylberechtigten ab und zugleich den Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zu. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation wurde für unzulässig erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 11.10.2016 ab.

Der Verfahrensgang im Detail wird wie unter Pkt. I. dargelegt festgestellt.

1.1.2. Der Aberkennung des Asyl- und Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzstatus lag zugrunde, dass sich die Beschwerdeführerin an einer terroristischen Vereinigung beteiligte, indem sie zunächst am XXXX mit mehreren Personen, aufgeteilt auf zwei PKW, nach Syrien in das zum damaligen Zeitpunkt von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) gehaltene Territorium reisen wollte. Im Raum XXXX (Türkei) wurde die Beschwerdeführerin zusammen mit ihren Mitreisenden jedoch von der türkischen Polizei festgenommen und nach kurzer Haft über Sofia nach Österreich abgeschoben. Am XXXX versuchte sie per Bus erneut, nach Syrien zu gelangen; an der bulgarisch-türkischen Grenze wurde ihr aber die Einreise mangels Visums verweigert, weshalb sie nach Wien zurückkehrte. Schließlich tat sie sich am XXXX neuerlich mit mehreren Personen zusammen, die auf zwei PKW aufgeteilt über den osteuropäischen Raum nach Syrien gelangen wollten. Noch auf österreichischem Staatsgebiet wurden jedoch alle Personen festgenommen. Die Beschwerdeführerin beabsichtigte mit ihren Ausreiseversuchen nach Syrien, sich dem dortigen bewaffneten Kampf des IS - sei es auch durch logistische Unterstützungshandlungen, finanziell oder auf sonstige Art und Weise durch Stärkung der Gruppenmoral - anzuschließen.

Wegen dieser Handlungen wurde die Beschwerdeführerin mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX gemäß § 278b Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 19 Monaten verurteilt. Die seit dem XXXX verbüßte Vorhaft wurde dabei auf die Haftdauer angerechnet. In der Bemessung des Strafausmaßes wertete das Gericht den bisherigen ordentlichen Lebenswandel der Beschwerdeführerin sowie den Umstand, dass sie die Tat zwar nach Vollendung des 18., aber vor Vollendung des 21. Lebensjahres beging, sowie den Beitrag zur Wahrheitsfindung durch Zugestehen des Reiseziels als mildernd, erschwerend demgegenüber die wiederholte gleichartige Begehung. Am XXXX wurde die Beschwerdeführerin mit der Anordnung von Bewährungshilfe und Weisung, eine Psychotherapie zu absolvieren, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren aus der Strafhaft entlassen.

1.1.3. Sämtliche Ausreiseversuche nach Syrien unternahm die Beschwerdeführerin mit ihrem im Frühjahr 2014 nach islamischem Ritus geheirateten Lebensgefährten, welchem in Österreich im Jahr 2011 ebenfalls der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden war, dieser nach entsprechender strafrechtlicher Verurteilung jedoch ebenso aberkannt wurde. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2018 wurde ihm gegenüber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zuerkannt, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei; einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt, gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und schließlich ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen. Der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin erhob gegen den ihn betreffenden Bescheid unter einem mit der Beschwerdeführerin im selben Schriftsatz Beschwerde. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht - im Spruch gleichlautend wie vorliegend - über die Beschwerde auch des Lebensgefährten.

Mit ihrem Lebensgefährten hat die Beschwerdeführerin zwei Kinder:

Die Tochter wurde am 08.02.2015 während ihrer Anhaltung in Strafhaft geboren, der Sohn am 01.09.2016. Mit beiden Kindern wohnt die Beschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt (nicht allerdings mit ihrem Lebensgefährten, der derzeit als obdachlos gemeldet ist und vor Zusammenzug mit der Beschwerdeführerin die Aufnahme einer Arbeit beabsichtigt, um seine Familie ernähren zu können). Für die Kinder wurde ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der jeweils - verbunden mit einer Rückkehrentscheidung - von der belangten Behörde mit Bescheiden vom 08.06.2016 abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde ist beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Die Beschwerdeführerin besuchte in Österreich die Volksschule, anschließend die Hauptschule und schließlich zwei Jahre eine Handelsakademie. Im Bundesgebiet ging sie bislang keiner Erwerbstätigkeit nach, sie verfügt jedoch über die schriftliche Zusage, in einem Kinderbetreuungsverein als Assistentin tätig sein zu können. In Österreich leben ihre Eltern, zwei Schwestern sowie zwei Brüder als anerkannte Flüchtlinge. Ein weiterer Bruder lebt seit zumindest zwei Jahren wieder in Tschetschenien, wo die Beschwerdeführerin auch mehrere Onkel und Tanten hat, zu denen aber kaum Kontakt besteht.

Die Beschwerdeführerin pflegt einen salafistisch-konservativen Lebensstil und bewegt sich in der Öffentlichkeit meist vollverschleiert; liberal-westlichen Werten der österreichischen Gesellschaft steht sie zumindest mit Befremden gegenüber. Sie hält nur wenig Kontakt mit nichtmuslimischen Personen, kommt aber den Terminen mit ihrer Bewährungshelferin, einer Psychotherapeutin sowie der Betreuerin des sie seit ihrer Strafhaft sozialarbeiterisch unterstützenden Vereins "Back Bone" nach. Sie kümmert sich fürsorglich um ihre Kinder und ist bestrebt, ihnen ein Leben in Österreich zu ermöglichen; im März 2018 wurde jedoch das örtlich zuständige Amt für Jugend und Familie von ihren angeführten Unterstützerinnen davon in Kenntnis gesetzt, dass die religiöse Haltung der Beschwerdeführerin mit einem westlichen Verständnis von Grundwerten der Erziehung und Betreuung von Kindern nicht übereinstimmen dürfte. Den daraufhin anberaumten Gesprächstermin sowie die dabei erteilten Auflagen hielt die Beschwerdeführerin ein. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten nimmt sie an einem vom Innenministerium koordinierten Deradikalisierungsprogramm teil.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

1.2.1. Die Aberkennung des Status der Asylberechtigten und Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten samt Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung der Beschwerdeführerin stützte sich auf folgende - auszugsweise wiedergegebene - Feststellungen, die im Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2016 enthalten sind:

"Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrov als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. Insbesondere die tschetschenischen Sicherheitskräfte, die offiziell zwar dem russischen Innenministerium unterstellt sind, de facto jedoch von Kadyrov kontrolliert werden, agieren ohne föderale Aufsicht. So blockieren tschetschenische Sicherheitskräfte seit Monaten die Untersuchungen der föderalen Behörden im Fall des im Februar 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzov, dessen Drahtzieher in Tschetschenien vermutet werden. Im April 2015 - nachdem Polizisten aus der benachbarten Region Stawropol eine Operation in Grozny durchgeführt hatten - forderte Kadyrov seine Sicherheitsorgane auf, auf Polizisten anderer Regionen zu schießen, sollten diese ohne Genehmigung in Tschetschenien operieren. Gegen Extremisten, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Auch die Familien von Terrorverdächtigen werden häufig Repressionen ausgesetzt. Im Gegensatz zu Dagestan und Inguschetien wurden keine "soft power"-Ansätze wie die Gründung von Kommissionen zur Rehabilitierung ehemaliger Extremisten verfolgt. Das tschetschenische Parlament hat Anfang 2015 der Staatsduma vorgeschlagen, ein föderales Gesetz anzunehmen, das eine strafrechtliche Verantwortung für Angehörige von Terroristen vorsieht, wenn sie diese in ihren Aktivitäten unterstützten. Dass die von Kadyrov herbeigeführte Stabilität trügerisch ist, belegte der Terrorangriff auf Grosny im Dezember 2014, bei dem fast ein Dutzend Personen ums Leben kam (ÖB Moskau 10.2015). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung (AA 5.1.2016).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, vgl. Ria Novosti 5.12.2012, ICG 6.9.2013).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

-

ICG - International Crisis Group (6.9.2013): The North Caucasus:

The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law,

http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf, Zugriff 7.4.2015

-

ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 7.4.2016

-

Ria Novosti (5.12.2012): United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya,

http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html, Zugriff 7.4.2016

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/, Zugriff 7.4.2016

-

Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html, Zugriff 7.4.2016

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 1.6.2016b).

Russland hat den IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das "Kaukasus-Emirat", das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen. Aus dem Pankisi-Tal in Georgien, das mehrheitlich von einer tschetschenischen Volksgruppe bewohnt wird, stammen einige Teilnehmer an den Kämpfen in Syrien - so Umar al-Shishani (eigentl. Tarkhan Batiraschwili), der dort prominenteste Milizen-Führer aus dem Kaukasus (SWP 10.2015).

Seit Ende 2014 mehren sich Meldungen über Risse im bewaffneten Untergrund und Streitigkeiten in der damaligen Führung des Emirats, die vor allem mit der Beteiligung nordkaukasischer Kämpfer am Jihad des IS in Syrien zu tun haben. Eine wachsende Zahl von Feldkommandeuren (Emiren) aus Dagestan, Tschetschenien und anderen Teilen des Nordkaukasus haben IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi den Treueid geschworen (SWP 4.2015). Nach Dokku Umarows Tod 2013 wurde Aliaschab Kebekow [aka Ali Abu Muhammad] zum Anführer des Kaukasus Emirates. Dieser ist im Nordkaukasus bei einem Einsatz russischer Spezialkräfte im Frühling 2015 getötet worden (Zeit Online 20.4.2015). Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) wurde zum Nachfolger (Open Democracy 29.6.2015). Im August 2015 erlitt der Rest des noch bestehenden Kaukasus Emirat einen erneuten harten Rückschlag. Drei der Top-Kommandanten wurden im Untsukul Distrikt in Dagestan von Regierungskräften getötet, darunter der neue Anführer des Emirates Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) (Jamestown 14.8.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Der russische Generalstaatsanwalt erklärte im November 2015, dass 650 Strafverfahren aufgrund der Beteiligung in einer illegal

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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