TE Bvwg Beschluss 2018/8/31 G302 1308859-2

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Veröffentlicht am 31.08.2018
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Entscheidungsdatum

31.08.2018

Norm

AsylG 2005 §9 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G302 1308859-2/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Manfred ENZI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA:

Irak, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - Regionaldirektion XXXX - vom 19.01.2018,

Zl. XXXX beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid

aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 19.01.2018, Zl. XXXX, wurde Herrn XXXX, geb. am XXXX, StA: Irak (in weiterer Folge: Beschwerdeführer oder kurz BF) der ihm mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 22.12.2006, Zahl XXXX zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr.100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt. Die mit Bescheid vom 11.04.2013, AZ: XXXX erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde dem BF gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 4 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Die gegenständliche Beschwerde samt dem maßgeblichen Verwaltungsakt wurde am 02.03.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und der Gerichtsabteilung G302 zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie des nunmehr dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Gerichtsaktes.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Demzufolge hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid aufgrund der Beschwerde zu überprüfen. Verwiesen wird dabei auf die Bestimmung des § 9 VwGVG, der den Inhalt der Beschwerde beschreibt und hier insbesondere auf Abs. 1 Z 3 und Z 4 leg. cit.. Dies betrifft die Angabe der Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie das Begehren.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu Spruchteil A):

2.2. Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 leg. cit. in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, für den Fall, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben hat, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Veraltungsgericht in seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.3. Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG Anm. 11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

Die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ist allerdings auf Grund der Regelung des § 17 VwGVG ausgeschlossen. Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus. Dennoch ist die Judikatur des Verwaltungsgerichthofes zu § 66 Abs. 2 AVG auch für das Verwaltungsgericht maßgebend, wenn es gilt zu beurteilen, ob die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Der VwGH hat festgehalten, dass bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch die Bedeutung und Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen sei und die Einräumung eines Instanzenzuges nicht "zur bloßen Formsache degradiert" werden dürfe. Der Umstand, dass es die Vorinstanz ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse zu erarbeiten, rechtfertige nicht, dass sich der Rechtsweg "einem erstinstanzlichen Verfahren (...) nähert", in dem eine ernsthafte Prüfung des Antrages erst bei der zweiten und letzten Instanz beginnt und auch endet. (VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

2.4. Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063, in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebrauch macht.

2.5. Dem Telos des § 60 AVG entsprechend muss die Begründung so gestaltetet sein, dass der Bescheidadressat über die für die Entscheidung der Behörde maßgebenden Erwägungen ausreichend und nachvollziehbar informiert wird, sodass er in der Lage ist, sie eventuell zu entkräften und Gegenargumente vorzubringen, und andererseits eine nachprüfbare Kontrolle ermöglicht werden. Der VfGH hat mehrfach betont, dass die Begründung des Bescheides aus diesem selbst hervorgehen muss und auch nicht dadurch beseitigt werden kann, dass die "Motivation" der Behörde aus den Verwaltungsakten erhellt werden kann. Ein Mangel in der Bescheidbegründung kann auch nicht durch - selbst umfangreiche - Ausführungen (einen Nachtrag) in der Gegenschrift behoben werden; diese Rechtsansicht lässt sich damit begründen, dass es der Partei mangels Kenntnis der Gründe bei Erhebung der Beschwerde unmöglich war, dazu Stellung zu nehmen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG Kommentar, Rz 14 zu § 60 mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs muss die Begründung eines Bescheids erkennen lassen, welchen Sachverhalt die Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat, aus welchen Erwägungen sie zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhalts unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet (vgl. dazu etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, zu § 60 AVG unter E 19 angeführten hg. Erkenntnisse). Zu einer lückenlosen Begründung gehört nicht nur die Feststellung des Sachverhalts, sondern auch die Anführung der Beweismittel (im Einzelnen), auf die die Feststellungen gegründet werden (vgl. VwGH vom 28. März 2007, Zl. 2006/12/0115). Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (vgl. VwGH vom 23. November 1993, Zl. 93/04/0156, vom 13. Oktober 1991, Zl. 90/09/0186, Slg. Nr. 13.520/A, und vom 28. Juli 1994, Zl. 90/07/0029).

2.6. Im vorliegenden Fall geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z 1 und 2 VwGVG, welche zu einer meritorischen Entscheidungspflicht führen, nicht gegeben sind. Weder steht der maßgebliche Sachverhalt fest noch ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Es liegen Ermittlungslücken vor, welche, wie unten dargelegt, einen hohen Grad an Erheblichkeit aufweisen und Ermittlungsschritte erfordern, die durch die belangte Behörde, welche eine Spezialbehörde ist, rascher und effizienter nachgeholt werden können.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides entspricht aus Sicht des erkennenden Richters nicht den Anforderungen an den Umfang der Ermittlungspflichten im Sinne des § 60 AVG, wonach in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind.

Wie in der Beschwerde zutreffend ausgeführt wird, ist der Verweis darauf, dass das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof die Verfolgungsbehauptungen nicht für wahr erachtet haben, die belangte Behörde nicht aus der Pflicht nimmt, sich mit der 2016 neu entstandenen Bedrohungslage auseinanderzusetzen. Im angefochtenen Bescheid wird seitens der belangten Behörde nicht auf die individuelle Situation des BF im Falle einer Rückkehr eingegangen. Ohne Berücksichtigung blieb auch, dass der BF seit dem Jahr 2013 in Österreich niedergelassen ist. Seine derzeitige "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" war bis zum 16.05.2018 befristet. Am 29.03.2018 wurde ein Verlängerungsantrag gestellt. In diesem Zusammenhang hat sich die belangte Behörde weder mit dem "Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen" noch ausreichend mit dem Privat- und Familienleben des BF auseinandergesetzt.

Darüber hinaus ist bei der Prüfung der bei einem Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrunde liegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an. Solche Gesichtspunkte, wie sie in einem Verfahren betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot zu prüfen sind, insbesondere die Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich, können nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden. Die belangte Behörde hat es unterlassen, den verfahrensrelevanten Sachverhalt umfassend zu ermitteln und festzustellen.

Gemäß § 37 AVG iVm § 17 VwGVG ist es Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen. Die "Feststellung" des maßgebenden Sachverhaltes erstreckt sich auf die Ermittlung aller unter diesem Gesichtspunkt in Betracht kommenden Tatsachen und deren Erhärtung durch Beweise (VwGH 21.12.1978, 1240/77; VwSlg 13.635 A/1992; VwGH vom 20.10.1992, Zl. 91/08/0096). Die Sachverhaltsfeststellung durch ein ordnungsgemäß (vgl. §§ 39 bis 55 AVG) durchgeführtes Ermittlungsverfahren ist unerlässliche Voraussetzung für die mängelfreie Erledigung einer Verwaltungsangelegenheit (vgl. VwGH 01.07.1993, Zl. 93/09/0051). Daneben dient das Ermittlungsverfahren gemäß § 37 AVG aber auch dazu, den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechten und rechtlichen Interessen zu geben. Das Recht auf Parteiengehör bezieht sich auf den von der Behörde gemäß § 37 AVG festzustellenden maßgebenden Sachverhalt und stellt einen fundamentalen Grundsatz des Verwaltungsverfahrens dar. Den Parteien ist daher gemäß § 37 iVm § 45 Abs. 3 AVG das bisherige Ergebnis des Ermittlungsverfahrens vorzuhalten, das sind insbesondere all jene rechtserheblichen Tatsachen, die das zuständige Organ als erwiesen erachtet (vgl. VwGH 08.04.2014, Zl. 2012/05/0004; 29.01.2014, Zl. 2012/08/0283 mit Verweis auf Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45 Rz 23 ff).

Die belangte Behörde hat es im angefochtenen erstinstanzlichen Bescheid unterlassen, in einer der nachprüfbaren Kontrolle zugänglichen Weise hinreichend darzutun, welche beweiswürdigenden Überlegungen sie im Hinblick auf die von ihr getätigten Feststellungen angestellt hat. Eine Erhebung des für eine Gesamtschau erforderlichen Sachverhalts ist diesbezüglich nicht erfolgt, daher ist auf Basis des bisherigen Ermittlungsverfahrens eine abschließende rechtliche Beurteilung für das erkennende Gericht nicht möglich. Aus dem Akteninhalt bzw. aus den Ausführungen der belangten Behörde ist es dem Bundesverwaltungsgericht unmöglich, den vorliegenden Sachverhalt festzustellen und in weiterer Folge rechtlich zu beurteilen.

2.7. Wenn man vom prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte ausgeht, würde dies im konkreten Fall bedeuten, dass das Bundesverwaltungsgericht sämtliche Erhebungen im konkreten Fall, welche grundsätzlich bereits von der belangten Behörde durchzuführen gewesen wären, selbst zu tätigen hätte.

Als zentrale Voraussetzung für eine reformatorische Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht zunächst zu überprüfen, ob der maßgebende Sachverhalt feststeht, was im gegenständlichen Fall nach Ansicht des erkennenden Richters nicht gegeben ist; weder wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt noch ergibt sich dieser in einer Zusammenschau aus dem Akteninhalt, vielmehr wären weitere Sachverhaltsermittlungen bzw. mündliche Einvernahmen notwendig gewesen.

Ist der Sachverhalt noch ergänzungsbedürftig und erlaubt eine eigene Sachverhaltsermittlung die raschere Verfahrenserledigung oder trägt sie erheblich zur Kostenersparnis bei, hat das Verwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt selbst festzustellen (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013], Anm. 8 zu § 28 VwGVG).

Auch davon kann hier nicht gesprochen werden. Zum einen handelt es sich im verfahrensgegenständlichen Fall nicht um bloße Ergänzungen des Sachverhalts. Zum anderen erlaubt, auch aus diesem Grund, eine eigene Sachverhaltsermittlung nicht eine rasche und kostengünstige Verfahrenserledigung.

Im vorliegenden Fall würde somit eine meritorische Entscheidung nach Durchführung der erforderlichen geeigneten Ermittlungsschritte durch das Bundesverwaltungsgericht selbst, sofern überhaupt möglich, - wie bereits erwähnt - nicht zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen.

Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid der belangten Behörde und das, diesem zugrunde liegende Verfahren aufgrund der Unterlassung der notwendigen Ermittlungen zu wesentlichen Punkten bzw. deren Nachweis in der Bescheidbegründung im Ergebnis somit als mangelhaft zu bewerten.

2.8. Wie bereits ausgeführt folgt die Zurückverweisung im Rahmen des § 28 Abs. 3 VwGVG konzeptionell dem Zurückverweisungstatbestand des § 66 Abs. 2 AVG, ohne jedoch auf die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung abzustellen. Zur Auslegung des § 28 Abs. 3 VwGVG ist dazu im Wesentlichen die Judikatur des VwGH zu § 66 Abs. 2 AVG heranzuziehen. Demnach kommt es bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die "konkrete Amtshandlung" an. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf - zumindest wenn man eine (denkmögliche) neuerliche Beschwerde in Betracht zieht - verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG Kommentar, Rz 20f zu § 66 mwN).

2.9. Die belangte Behörde würde durch seine Verfahrensführung und diesen Bescheid die wesentliche Ermittlungs- und Begründungstätigkeit quasi an die Rechtsmittelinstanz delegieren (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. 2014/03/0063). Würde in diesem konkreten Fall das Bundesverwaltungsgericht - jene Instanz die zur eigentlichen Rechtskontrolle eingerichtet wurde - die Instanz sein, die im Verfahren erstmals einen begründeten Bescheid mit den Feststellungen des maßgeblichen Sachverhaltes erlässt, so wäre damit der Rechtsschutz der beschwerdeführenden Partei de facto eingeschränkt. Es ist in erster Linie die Aufgabe der belangten Behörde als Tatsacheninstanz zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung sich sachgerecht mit dem Antrag auseinanderzusetzen, den maßgeblichen Sachverhalt vollständig festzustellen, ihre Begründung im Bescheid nachvollziehbar darzustellen und diese zentrale Aufgabe nicht etwa an das Bundesverwaltungsgericht zu delegieren.

Gemäß § 27 VwGVG ist es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, die angefochtene Entscheidung - gegenständlich ein Bescheid - zu "überprüfen". Das Bundesverwaltungsgericht ist damit in erster Linie Kontrollinstanz. Insbesondere angesichts der gerichtlichen Verfahrensführung durch einen einzelnen Richter, der Beachtung des Unmittelbarkeitsprinzips bei der Beweisaufnahme und grundsätzlich gegebenen Verhandlungspflicht, dem eingeschränkten bzw. erschwerten Zugang zu den bei der belangten Behörde für ihre Tätigkeit zugänglichen Daten, kann gegenständlich auch nicht festgestellt werden, dass die Verfahrensführung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst, hier mit einer erheblichen Zeit- und Kostenersparnis verbunden wäre.

Dem Bundesverwaltungsgericht ist eine nachfolgende Überprüfung des erstinstanzlichen Bescheides verwehrt, da eine ausreichende Sachverhaltsfeststellung samt Beweiswürdigung und daraus resultierende Begründung dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst ist nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren erweist sich somit in wesentlichen Punkten als mangelhaft, weswegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vorliegen.

2.10. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde die oben dargestellten Mängel (individuelle Prüfung der Gefährdungssituation im Falle einer Rückkehr in den Irak, Begründung der gewichtenden Abwägung zwischen der Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin und dem Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bzw. nachvollziehbare Gefährlichkeitsprognose bei der Verhängung eines Einreiseverbots im Rahmen einer Einzelfallprüfung) zu verbessern haben. Die belangte Behörde wird sich auch mit dem - seit der Bescheiderlassung am 19.01.2018 - ergangenen Vorbringen des BF auseinanderzusetzen haben. Die Feststellung, ob eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot zu erlassen ist, wird von der belangten Behörde durch ein ordnungsgemäßes amtswegiges Ermittlungsverfahren durchzuführen sein, da nur so eine zulässige Entscheidungsgrundlage im gegenständlichen Verfahren geschaffen werden kann, die eine begründete Sachentscheidung über die verfahrensgegenständliche Rechtsfrage erst ermöglicht.

Aus den dargelegten Gründen war daher spruchgemäß der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

3. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Da im gegenständlichen Fall bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten,
Beweiswürdigung, Ermittlungspflicht, individuelle Gefährdung,
Kassation, mangelnde Schutzwürdigkeit, non-refoulement Prüfung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G302.1308859.2.00

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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