TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/3 W258 2186038-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.09.2018
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Entscheidungsdatum

03.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W258 2186043-1/11E

W258 2186040-1/11E

W258 2186038-1/11E

W258 2186034-1/11E

W258 2186036-1/11E

Ausfertigung des am 30.04.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.)

XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX und

5.) XXXX , geb. XXXX , 4.) und 5.) gesetzlich vertreten durch XXXX , alle StA. Afghanistan und vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst, 7400 Oberwart, Wiener Straße 1, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 11.01.2018, Zl. 1.) 1110636803-160497155, 2.) 1110636204-160497134,

3.) 1110636400-160497070, 4.) 11109636901-160497118 und 5.) 1110635403-160497037 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.04.2018, jeweils wegen der Abweisung des Antrags auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zu Recht erkannt:

Ad 1.)

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

wie folgt abgeändert:

I. XXXX , geb. XXXX , wird gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, das ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht

zulässig.

Ad 2.)

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

wie folgt abgeändert:

I. XXXX , geb. XXXX wird gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 Asylgesetz 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, das ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht

zulässig.

Ad 3.)

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

wie folgt abgeändert:

I. XXXX , geb. XXXX wird gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, das ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht

zulässig.

Ad 4.)

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

wie folgt abgeändert:

I. XXXX , geb. XXXX , wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht

zulässig.

Ad 5.)

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

wie folgt abgeändert:

I. XXXX , geb. XXXX , wird gemäß § 3 Abs 1 iVm § 34 Abs 2 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, das ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht

zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (in Folge kurz "BF1") und die Zweitbeschwerdeführerin (in Folge kurz "BF2") sind verheiratet und Eltern der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer (in Folge kurz "BF3", "BF4" und "BF5").

Die Beschwerdeführer (in Folge kurz "BF") stellten am 06.04.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

In ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.04.2016 gaben die BF an, sie seien Staatsbürger der Islamische Republik Afghanistan (in Folge kurz "Afghanistan"), würden aus Kabul stammen und der Volksgruppe der Tadschiken angehören. Aus Afghanistan seien sie wegen der unsicheren Lage geflohen. BF2, BF3 und BF5 brachten sinngemäß ergänzend vor, sie seien insbesondere deshalb geflohen, weil ein Klassenkamerad des BF5 bei einem Selbstmordattentat getötet worden sei und er deshalb traumatisiert sei.

Nach Einvernahme der BF1 bis BF4 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge "belangte Behörde") am 23.08.2016 wurden die Anträge der BF mit Bescheiden vom jeweils selben Tag wegen der Zuständigkeit Ungarns zurückgewiesen, ihre Außerlandesbringung angeordnet und ihre Abschiebung nach Ungarn für zulässig erklärt. Den dagegen erhobenen Beschwerden wurde mit hg Beschlüssen vom 16.09.2016 die aufschiebende Wirkung zuerkannt sowie die Bescheide mit den hg Beschlüssen vom 20.02.2017 zu den GZ W235 2134769-1/6E, W235 2134766-1/6E, W235 2134763-1/6E, W235 2134759-1/6E und W235 2134762-1/6E rechtskräftig behoben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an die belangte Behörde zurückverwiesen.

In der Einvernahme der BF1 und BF3 am 31.10.2017 und der BF2, BF4 und BF5 am 02.11.2017 vor der belangten Behörde brachten die BF unter detaillierter Schilderung der Auswirkungen des Attentats auf den BF5 im Wesentlichen vor wie bisher.

BF4 gab ergänzend als weiteren Fluchtgrund an, dass sie als Frau in Afghanistan keine Rechte gehabt habe. So habe sie seit zwei Jahren keine Schule mehr besuchen können und eine Burka tragen müssen. Dennoch sei sie belästigt worden. Frau könnten keine Arbeit annehmen. Sie wollte Fahrradfahren lernen und alleine außer Haus gehen, beispielsweise Einkaufen gehen. All das war nicht möglich. Einerseits habe ihr Vater bestimmt, dass sie Burka tragen müsse und nicht die Schule besuchen dürfe, andererseits habe sie sich auch dazu entschlossen, um herablassende Blicke von Männern zu vermeiden und weil sie nicht belästigt werden wollte. In Österreich habe sie erkannt, dass Frauen Rechte haben und selbst Entscheidungen treffen können. Sie könne nun ihre eigene Zukunft planen. Sie wolle in Österreich Deutsch lernen, den Beruf einer Krankenschwester erlernen und den Führerschein machen. Sie trage ein Kopftuch wolle aber keinen Schleier tragen.

Mit Stellungnahme vom 10.11.2017 brachten die BF jeweils im Wesentlichen vor wie bisher; die BF4 brachte ergänzend vor, dass sie nunmehr in der XXXX einen einjährigen Vorbereitsungskurs für den Hauptschulabschluss besuche.

Mit Bescheid vom 11.01.2018 wies die belangte Behörde die Anträge der BF auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen jeweils den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen eine Aufenthaltsberechtigung bis jeweils 11.01.2019 (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, eine individuelle Bedrohung der BF sei nicht feststellbar. Zur Bedrohungslage der BF4 als Frau führte die belangte Behörde aus, dass sie keine "westliche" persönliche Wertehaltung glaubhaft machen konnte. Die Angaben zu ihrer Bekleidung seien nicht glaubhaft, auf den gewünschte Beruf als Krankenschwester arbeite sie nicht zielgerichtet hin und sie könne ihn auch in Kabul ausüben. Auf sportliche Akitivitäten müsse sie auch in Kabul nicht verzichten.

Gegen den jeweils abweisenden Spruchteil richten sich die gegenständlichen Beschwerden der BF jeweils vom 09.02.2018. Die BF, insbesondere die BF2 und 4, seien - auf das Wesentlichste zusammengefasst - auf Grund ihrer westlichen Einstellung asylrelevant bedroht; die BF3 und 5 seien auf Grund ihres Alters und ihres Aufenthalts im Westen bedroht von den Taliban getötet bzw mit Zwang rekrutiert zu werden.

In der am 30.04.2018 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurden die BF2 und 4 neuerlich zu ihren Fluchtgründen befragt. Auf die Einvernahme der BF1, 3 und 5 wurde durch ihren Vertreter verzichtet und die jeweiligen Erkenntnisse mündlich verkündet.

Mit Schriftsatz vom 22.05.2018 beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung der Erkenntnisse.

Beweise wurden aufgenommen durch Einvernahme der BF2 und 4 als Partei sowie Einsicht in den Verwaltungsakt des BF (OZ 1) und in die folgenden Urkunden:

* Strafregisterauszüge der BF jeweils vom 19.02.2017,

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 (Beilage ./I),

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, letzte Aktualisierung vom 30.01.2018 (Beilage ./II) und

* ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan zur Frage ob traditionell geschlossene nicht registrierte Ehen als Rechtsgültig anerkannt werden [A-941311] vom 18. November 2015 (Beilage ./III).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur individuellen Situation der BF:

Die BF sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an, sind sunnitische Moslems und sprechen als Muttersprache Dari.

Der BF1 und die BF2 sind nach sunnitischem Ritus verheiratet und Eltern der BF3 bis BF5. Die BF3 bis BF5 sind ledig und kinderlos. Der BF1 ist am 01.01.1954, die BF2 am 01.01.1959, der BF3 am 03.07.1999, die BF4 am 19.06.2000 und der BF5 am 29.09.2002 geboren.

Die BF haben Afghanistan auf Grund der schlechten Sicherheitslage verlassen. Ebenso, weil der BF5 auf Grund eines Bombenanschlags, bei dem einer seiner Schulkammeraden umgekommen ist, traumatisiert worden ist.

Die BF sind unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet Österreichs eingereist und haben am 06.04.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur Situation der BF4:

Die minderjährige BF4 wurde am 19.06.2000 in der afghanischen Hauptstadt Kabul geboren und hat dort bis zu ihrer Ausreise nach Österreich gewohnt. Sie ist ledig und kinderlos. Sie hat in Kabul sieben Jahre die Schule besucht; die letzten zwei Jahre vor ihre Ausreise konnte sie weder die Schule besuchen noch arbeiten, weil ihr das auf Grund der schlechten Sicherheitslage von ihrem Vater verboten worden ist. In Afghanistan hat ihr Vater für sie alle Entscheidungen getroffen. Sie musst in Afghanistan eine Burka tragen, weil ihr Vater das so wollte. Auch im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, würde ihr Vater die Entscheidungen über ihr Leben treffen. Er würde ihr den Besuch einer Schule und die Ausübung eines Berufs verbieten und ihre Kleidung vorschreiben. In Afghanistan auch könnte sie ein selbstbestimmtes Leben gegen den Willen ihres Vaters mit Hilfe des afghanischen Staates nicht durchsetzen.

In Österreich hat die BF4 erkannt, dass Frauen selbstbestimmt leben können und nutzt diese Möglichkeiten. Sie trägt westliche Kleidung, die an traditionelle Afghanische Kleidung angelehnt ist und Schals, die sie als Kopftuch verwendet. Sie ist geschminkt, trägt Nagellack und Schmuck. Die BF4 möchte ihre Partner selbst bestimmen, hat konkrete und realistische Berufswünsche als Krankenschwester oder Zahnarztassistentin (OZ 6 S 9) und besucht deswegen derzeit in der XXXX einen BIK-Übergangslehrgang für Asylwerber. Sie hat einen Wertekurs und Deutschkurse besucht. Sie geht alleine spazieren, mit ihren Freunden Kaffee trinken, fährt Fahrrad und spielt Basketball (OZ 6 S 11), kauft ihre Kleidung selbst (OZ 1 S 9), möchte den Führerschein für PKW machen und hat sich beim Roten Kreuz für ehrenamtliche Tätigkeiten beworben (OZ 1 S 11).

Sie ist bereit, ihre Rechte in Österreich notfalls auch gegen den Willen ihres Vaters und unter zu Hilfenahme des österreichischen Rechtsstaates durchzusetzen.

1.3. Zur Situation von Frauen im Herkunftsstaat der BF:

Auszug UNHCR S 64 bis 74 (um Sekundärquellen und Nummerierungen sowie orthographisch bereinigt):

"Frauen mit bestimmten Profilen oder unter bestimmten Bedingungen lebende Frauen:

Die Regierung hat seit 2001 einige wichtige Schritte zur Verbesserung der Situation der Frauen im Land unternommen, darunter die Aufnahme internationaler Standards zum Schutz der Rechte der Frauen in die nationale Gesetzgebung, insbesondere durch Verabschiedung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz), den Erlass von Maßnahmen zur Stärkung der politischen Teilhabe von Frauen und die Einrichtung eines Ministeriums für Frauenangelegenheiten.

Die Verbesserungen der Situation von Frauen und Mädchen blieben jedoch Berichten zufolge marginal und Afghanistan wird weiterhin als "sehr gefährliches" Land für Frauen und Mädchen betrachtet.

Fortschritte, die in der Vergangenheit in Hinblick auf die Menschenrechte von Frauen erzielt wurden, wurden teilweise durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in einigen Teilen des Landes zunichte gemacht. Die tief verwurzelte Diskriminierung von Frauen bleibt endemisch. Berichten zufolge ist Gewalt gegen Frauen und Mädchen nach wie vor weit verbreitet und nimmt weiter zu. Es wird berichtet, dass derartige Gewaltakte üblicherweise straflos bleiben. Für Frauen ist die vollständige Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nach wie vor mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Trotz einiger Fortschritte sind Frauen überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen.

Gesetze zum Schutz von Frauenrechten werden weiterhin nur langsam umgesetzt, dies betrifft insbesondere die Umsetzung des Gesetzes über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz).

[...]

a) Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt

[...] Frauen und Mädchen, die vor Misshandlung oder drohender Zwangsheirat von zu Hause weglaufen, werden oftmals vager oder gar nicht definierter "moralischer Vergehen" bezichtigt, einschließlich [...] des "von zu Hause Weglaufens". Während Frauen in diesen Situationen oftmals verurteilt und inhaftiert werden, was eine Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards und -rechtsprechung darstellt, bleiben die für die häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortlichen Männer nahezu grundsätzlich straflos. Da Frauen außerdem in der Regel wirtschaftlich von den Gewalttätern abhängig sind, werden viele von ihnen faktisch davon abgehalten, Klage zu erheben und haben wenig andere Möglichkeiten, als weiterhin in von Missbrauch geprägten Situationen zu leben.

b) Schädliche traditionelle Bräuche

Schädliche traditionelle Bräuche sind in Afghanistan weiterhin weit verbreitet und kommen in unterschiedlichem Ausmaß landesweit sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gemeinschaften und in allen ethnischen Gruppen vor. Die schädlichen traditionellen Bräuche, die in diskriminierenden Ansichten zur Rolle und Position der Frauen in der afghanischen Gesellschaft wurzeln, betreffen in unverhältnismäßig hohem Maße Frauen und Mädchen. Zu diesen Bräuchen gehören unterschiedliche Formen der Zwangsheirat, einschließlich Kinderheirat, Hausarrest und Ehrenmorde. Zu den Formen der Zwangsheirat in Afghanistan gehören:

(i) "Verkaufsheirat", bei der Frauen und Mädchen gegen eine bestimmte Summe an Geld oder Waren oder zur Begleichung von Schulden der Familie einer Familienschuld verkauft werden;

(ii) baad dadan, eine Methode der Streitbeilegung gemäß Stammestraditionen, bei der die Familie der "Angreifer" der Familie, der Unrecht getan wurde, ein Mädchen anbietet, zum Beispiel zur Begleichung einer Blutschuld;

(iii) baadal, ein Brauch, bei dem zwei Familien ihre Töchter austauschen, um Hochzeitskosten zu sparen;

(iv) Zwangsverheiratung von Witwen mit einem Mann aus der Familie des verstorbenen Ehemanns.

Wirtschaftliche Unsicherheit und der andauernde Konflikt sowie damit verbundene Vertreibung, Verlust von Eigentum und Verarmung der Familien sind Gründe, warum das Problem der Kinderheirat fortbesteht, weil diese oftmals als die einzige Überlebensmöglichkeit für das Mädchen und seine Familie angesehen wird.

Nach dem Gesetz über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (EVAW-Gesetz) stellen einige schädliche traditionelle Bräuche einschließlich des Kaufs und Verkaufs von Frauen zu Heiratszwecken, die Benutzung von Frauen als Mittel zur Streitbeilegung nach dem "baad"-Brauch sowie Kinder- und Zwangsheirat Straftatbestände dar. Die Umsetzung des Gesetzes erfolgt jedoch, wie oben festgestellt, langsam und inkonsistent.

[...]

Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen:

Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt.

Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Inhaftierungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia betreffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, einschließlich Inhaftierung aufgrund "moralischer Vergehen" wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, außereheliche sexuelle Beziehungen (die als Ehebruch angesehen werden) und "Weglaufen von zu Hause" (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Mehr als der Hälfte der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden "moralische Vergehen" zur Last gelegt. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen "moralischen Vergehen" Anlass zu Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.

Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können ebenfalls einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen.

In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden."

Auszug LIB S 176 bis 185 (um Sekundärquellen und Nummerierungen sowie orthographisch bereinigt):

"Allgemeines und Rechtsstellung von Frauen:

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen. Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden.

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und. Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001.

Bildung:

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung - auch für Mädchen. Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt.

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben.

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht. Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule, wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen.

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 - 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen.

Frauenuniversität in Kabul:

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an.

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies"; im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren.

Berufstätigkeit:

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben. Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung.

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben.

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alphabetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2%. In der Altersklasse der 15 bis 24-jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33%.

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln. Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen.

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein.

Strafverfolgung und Unterstützung:

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich.

Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit.

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen. In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden.

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich.

[...]

Frauenhäuser:

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab.

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden.

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. [...]

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten."

1.4. Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen und in Kabul im Besonderen:

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand. Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft. (LIB S 44)

Im Zeitraum 01.09.2015 bis 31.05.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB S 56).

Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren. Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen. Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen. (LIB S 57)

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (LIB S 57).

Auszug LIB S 6 ff (um Sekundärquellen und Nummerierungen sowie orthographisch bereinigt):

"KI vom 30.01.2018: Angriffe in Kabul (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Landesweit haben in den letzten Monaten Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert. Die Gewalt Aufständischer gegen Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen hat in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban erhöhen ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant.

Im Stadtzentrum und im Diplomatenviertel wurden Dutzende Hindernisse, Kontrollpunkte und Sicherheitskameras errichtet. Lastwagen, die nach Kabul fahren, werden von Sicherheitskräften, Spürhunden und weiteren Scannern kontrolliert, um sicherzustellen, dass keine Sprengstoffe, Raketen oder Sprengstoffwesten transportiert werden. Die zeitaufwändigen Kontrollen führen zu langen Wartezeiten; sollten die korrekten Papiere nicht mitgeführt werden, so werden sie zum Umkehren gezwungen. Ebenso werden die Passagiere in Autos von der Polizei kontrolliert.

Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie 29.1.2019

Am Montag den 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Vorfall.

Quellen zufolge operiert der IS in den Bergen der östlichen Provinz Nangarhar; die Provinzhauptstadt Jalalabad wird als eine Festung des IS erachtet, dessen Kämpfer seit 2015 dort aktiv sind. Nachdem der IS in Ostafghanistan unter anhaltenden militärischen Druck gekommen war, hatte dieser immer mehr Angriffe in den Städten für sich beansprucht. Nationale und Internationale Expert/innen sehen die Angriffe in den Städten als Überlappung zwischen dem IS und dem Haqqani-Netzwerk (einem extremen Arm der Taliban).

Angriff im Regierungs- und Diplomatenviertel in Kabul am 27.1.2018

Bei einem der schwersten Angriffe der letzten Monate tötete am Samstag den 27.1.2018 ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere. Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt. Der Vorfall ereignete sich im Regierungs- und Diplomatenviertel und wird als einer der schwersten seit dem Angriff vom Mai 2017 betrachtet, bei dem eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft explodiert war und 150 Menschen getötet hatte.

Die Taliban verlautbarten in einer Aussendung, der jüngste Angriff sei eine Nachricht an den US-amerikanischen Präsidenten, der im letzten Jahr mehr Truppen nach Afghanistan entsendete und Luftangriffe sowie andere Hilfestellungen an die afghanischen Sicherheitskräfte verstärkte.

Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul am 20.1.2018

Der Angriff bewaffneter Männer auf das Luxushotel Intercontinental in Kabul, wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war. Fünf bewaffnete Männer mit Sprengstoffwesten hatten sich Zutritt zu dem Hotel verschafft. Die exakte Opferzahl ist unklar. Einem Regierungssprecher zufolge sollen 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet worden sein. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte. 160 Menschen konnten gerettet werden. Alle Fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet. Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff."

2. Die Feststellungen gründen sich auf die folgende Beweiswürdigung:

2.1. Zu den allgemeinen Feststellungen:

Die Feststellungen zur Einreise und zum behördlichen Asylverfahren der BF ergeben sich aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt.

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan ergeben sich aus den bei den jeweiligen Feststellungen angeführten Quellen, die sich auf mehrere, im Wesentlichen übereinstimmende Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen gründen.

Die Feststellung zu den Vorstrafen der BF ergeben sich aus den jeweiligen Strafregisterauszügen der BF.

Die Feststellungen zur individuellen Situation der BF ergibt sich grundsätzlich aus ihren glaubhaften und im Wesentlich gleichbleibenden und übereinstimmenden Angaben im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren und dem unbedenklichen Verwaltungsakt.

2.2. Zu den Feststellungen zur BF4:

Die Feststellung des Geburtsdatums der BF4 gründet auf ihrer Aussage vor der belangten Behörde am XXXX , in der sie ihr Geburtsdatum konkret mit dem XXXX nach afghanischen Kalender, was nach dem gregorianischen (westlichen) Kalender dem XXXX entspricht, angegeben hat.

Dass sie die letzten zwei Jahre vor ihrer Ausreise aus Afghanistan weder eine Schule besuchen noch einer Arbeit nachgehen durfte, weil es ihr Vater verboten hatte und dass ihr Vater in Afghanistan alle Entscheidungen für sie getroffen hat, insbesondere, dass sie eine Burka tragen musste, ergibt sich aus ihrer Aussage vor der belangten Behörde am 02.11.2017 in Zusammenschau mit ihrer Aussage in der Beschwerdeverhandlung und den Geschehnissen in der Beschwerdeverhandlung. So hinterließ der Vater der BF4 (der BF1) einen sehr dominanten Eindruck, insbesondere, dass er die Entscheidungen für die Familie trifft; deutlich wurde das, als über die Frage, ob der Dolmetscher die Verhandlung auf Dari oder auf Farsi übersetzen solle, sich die BF2 Farsi gewünscht hat, die Familie im Wesentlich schweigend zustimmte und der BF1 dann die Entscheidung traf, dass die Übersetzung auf Dari erfolgen solle (OZ 6 S 3). Auch die BF4 sagte aus, dass der Vater in Afghanistan alle Entscheidungen getroffen, ihr eine berufliche Tätigkeit verboten habe (OZ 6 S 9) und er verlangt habe, sie solle eine Burka tragen (OZ 1 S 327). Zwar sagte sie vor der belangten Behörde aus, ihre Eltern hätten ihr den Schulbesuch verboten und hätte sie auch selbst keinen Spaß mehr gehabt, in die Schule zu gehen (OZ 1 S 321), ebenso habe auch sie sich entschlossen, eine Burka zu tragen (OZ 1 S 327). Auf Grund der genannten Dominanz des Vaters ist aber davon auszugehen, dass die Mutter der BF4 in der Entscheidung über einen Schulbesuch der BF4 keine Rolle gespielt hat und die BF4 ihren eigenen Wunsch nicht in die Schule zu gehen und eine Burka zu tragen nur erwähnt hat, um die Entscheidungen des Vaters vor sich selbst rechtfertigen zu können und den während der Einvernahme neben ihr sitzenden Vater, bzw ihrer Mutter als gesetzliche Vertreterin, nicht zu verärgern. Dies insbesondere auch deshalb, weil die BF4 über den Vorhalt, es wäre ihr in Kabul ebenfalls möglich, einen Gesundheitsberuf auszuüben, und der erkennende Richter würde von einer Afghanin wissen, die in Kabul als Ärztin arbeite, dann doch emotional und spontan entgegnete, "Warum war sie dann hier? Wenn sie in Kabul als Ärztin arbeiten konnte. Dort hat es mir mein Vater nicht erlaubt, arbeiten zu gehen." (OZ 6 S 9). Eine Ergänzung, wonach auch Sie eigentlich nicht arbeiten gehen wollte, findet sich in dieser Antwort, die auf Grund ihrer Emotionalität und Spontanität besonders authentisch und glaubhaft wirkte, nicht. Dass die BF2 vor der belangten Behörde angab, dass sie keine Burka tragen musste, steht dazu nicht im Widerspruch; so ergibt sich aus den Einvernahmen der BF4, dass der BF1 offenbar um die Sicherheit seiner jungen Tochter im heiratsfähigen Alter besorgt war, und ihr deswegen untersagt hat, eine Schule zu besuchen, einer Arbeit nachzugehen und - wenn sie hinausgehen musste - eine Burka zu tragen, um sie vor Belästigungen und allfälligen Übergriffen zu schützen. Bei seiner Frau hat der BF1 dieses Risiko offenbar geringer bewertet.

Auf der Dominanz des BF1 gründet auch die Feststellung, wonach im Falle einer Rückkehr der BF4 nach Afghanistan, ihr Vater neuerlich alle Entscheidungen für Sie treffen würde. Dass er ihr verbieten würde eine Schule zu besuchen, einer Arbeit nachzugehen und sich nach ihrem Willen zu kleiden folgt daraus, dass ihr Vater ihr bisher auf Grund der schlechten Sicherheitslage in Kabul und aus in Sorge um seine Tochter diese Verbote ausgesprochen hat und sich die Sicherheitslage in Kabul nach den Länderfeststellungen nicht verbessert hat (siehe dazu auch LIB S 5).

Dass die BF4 in Afghanistan keine staatliche Hilfe in Anspruch nehmen könnte, um sich gegen den Willen ihres Vaters durchsetzen zu können, gründet auf den Länderfeststellungen, wonach erstens Frauen im Arbeitsleben mit Schwierigkeiten konfrontiert seien, etwa - wie im gegenständlichen Fall - mit Verwandten, die verlangen würden, sie sollen zu Hause bleiben, zweitens Frauen ihre Rechte kaum verteidigen könnten, weil die afghanische Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und von männlichen Richtern und traditionellen Stammesstrukturen bestimmt sei, drittens staatliche Akteure aller drei Gewalten häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt seien, Frauenrechte zu schützen und letztens viele Frauen darauf verwiesen werden, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann (hier zu ihrer Familie) wiederherzustellen.

Die Feststellungen zum Leben der BF4 in Österreich gründet auf ihren (jeweils zitierten) Aussagen im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Dass sie erkannt habe, selbstbestimmt leben zu können und ihre Rechte auch ggü ihrem Vater - allenfalls auch durch Zuhilfenahme des Rechtsstaats - durchsetzen würde, gründet sich auf ihre glaubhafte Aussage (OZ 6 S 9) und auf ihrem persönlichen Eindruck vor dem erkennenden Gericht; so hat die BF4 selbstständig im Verfahren prozessuale Mittel in Anspruch genommen, um getrennt von ihren Eltern befragt zu werden (OZ 6 S 8) und gegenüber dem erkennende Gericht auch über diverse Vorhalte stark und selbstbewusst argumentiert (zB OZ 6 S 9).

Der Ansicht der belangten Behörde, der Berufswunsch der BF4 sei nicht glaubhaft, weil sie ihn nicht zielgerichtet verfolge, war nicht zu folgen, weil die BF4 die ersten Schritte zu der von ihr gewählten Ausbildung getan hat, indem sie Deutschkurse besucht hat und in Österreich eine Schule besucht.

Die Feststellungen zum Besuch des Wertekurses, der Deutschkurse und der Schule gründen in den vorgelegten unbedenklichen Urkunden (OZ 1 S 525 ff und S 341 ff).

3. Rechtlich folgt daraus:

Zu A)

Zu den Spruchpunkten I., Asyl nach § 3 Asylgesetz 2005:

3.1. Allgemeines:

Gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinn Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, BGBl 1955/55, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl 1974/78, (in Folge kurz als "GFK" bezeichnet) ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl VwGH 10.06.1998, 96/20/0287).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

3.2. Zum gelebten "westlichen" Lebensstil der BF4:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren (vgl VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388, mit weiteren Nachweisen).

Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, führt dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Entscheidend ist eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. idS VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388).

Diese Beurteilung erfordert stets eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles.

3.3. Zur BF4:

Hinsichtlich der BF4 ergibt sich aus den Feststellungen, dass - entgegen der in Kabul grundsätzlich auch möglichen Teilnahme für Frauen am Bildungs- und Berufsleben - ihr Vater in Afghanistan für sie alle Entscheidungen getroffen hat. Sie konnte in Kabul die letzten zwei Jahre ihres Aufenthalts keine Schule besuchen, konnte keiner Arbeit nachgehen und musste eine Burka tragen, weil ihr Vater (BF1) das bestimmt hat.

In Österreich hat sie einen Wertekurs und Deutschkurse besucht und hat erkannt, dass Frauen selbstbestimmt leben können und nutzt diese Möglichkeiten zum Teil. Sie besucht die XXXX und hat konkrete und realistische Berufswünsche als Krankenschwester oder Zahnarztassistentin. Sie bemüht sich um eine ehrenamtliche Tätigkeit beim Roten Kreuz. Sie trägt westliche Kleidung, die sie selbst kauft, ist geschminkt und trägt Nagellack sowie Schmuck. Sie gestaltet ihre Freizeit selbst, geht spazieren, mit ihren Freunden Kaffee trinken, fährt Fahrrad und spielt Basketball.

In Österreich wäre sie bereit, ihre Rechte notfalls auch gegen den Willen ihres Vaters und unter zu Hilfenahme des österreichischen Rechtsstaates durchzusetzen. In Afghanistan wäre ihr das mit wesentlicher Wahrscheinlichkeit nicht möglich.

Eine Rückführung der BF hätte daher für die BF4 die Konsequenz, dass ihr Vater ihr die Möglichkeit verweigern würde, sich zu bilden, einer Arbeit nachzugehen und sich nach ihren Vorstellungen zu kleiden bzw danach ihr Privatleben zu gestalten. Da der afghanische Staat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht gewillt wäre, ihr - als Frau - zur Durchsetzung ihrer Rechte zu verhelfen und sie die Einschränkungen als minderjährige Frau besonders stark treffen würde, wäre dies asylrelevant. Dass die BF4 sich in ihrer Kleidungswahl an traditioneller Kleidung orientiert und einen Schal als Kopftuch trägt, schadet dabei nicht (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).

Wenn die belangte Behörde ausführt, die BF4 könne den von ihr beschriebenen Lebensstil, insbesondere in Hinblick auf die Ausübung diverser Sportarten und der Erlangung von Bildung, auch in Kabul leben, ist ihr zwar dahingehend zuzustimmen, dass es in Kabul grundsätzlich auch für Frauen möglich ist eine Universität zu besuchen und Sport zu üben. Aus den Feststellungen folgt allerdings, dass dies der BF4 individuell auf Grund ihres dominanten Vaters gerade nicht möglich wäre.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.4. Asyl im Familienverfahren (§ 34 Abs 2 Asylgesetz 2005):

Gemäß § 34 Abs 2 Asylgesetz 2005 hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist, die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist.

Gemäß § 2 Abs 1 Z 22 Asylgesetz 2005 ist ua Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des Asylberechtigten bestanden hat.

Der BF1 und die BF2 sind Eltern der minderjährigen und BF4, der mit dieser Entscheidung der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden ist und (daher) kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist. Sie sind strafrechtlich unbescholten. Ihnen war daher gemäß § 34 Abs 2 iVm § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen war.

Der BF5 ist lediges und minderjähriges und der BF3 lediges und zum Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags minderjähriges Kind der BF1 und BF2 und sie sind strafrechtlich unbescholten, weshalb ihnen ebenfalls gemäß § 34 Abs 2 iVm § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen war. Die Ausnahme gemäß § 34 Abs 6 Z 2 Asylgesetz 2005, wonach § 34 Abs 2 leg cit auf Familienangehörigen von Personen, denen der Status eines Asylberechtigten nach § 34 Abs 2 leg cit zuerkannt worden ist, nicht anzuwenden sei, trifft nicht zu, weil sie für Familienangehörige, die minderjährige ledige Kinder sind, nicht zur Anwendung kommt (§ 34 Abs 6 Z 2 letzter Halbsatz Asylgesetz 2005).

3.5. "Asyl auf Zeit":

Festzuhalten ist, dass die BF den Asylantrag am 06.04.2016, d.h. nach dem 15.11.2015, gestellt haben, und somit § 3 Abs 4 Asylgesetz 2005 ("Asyl auf Zeit") anzuwenden ist (§ 75 Abs 24 Asylgesetz 2005).

Zu den Spruchpunkten II.:

Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Da den BF jeweils der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden ist, war spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der (jeweils zitierten) bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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