TE Bvwg Beschluss 2018/9/3 W220 2141315-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.09.2018
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Entscheidungsdatum

03.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W220 2141313-1/7E

W220 2141318-1/8E

W220 2141315-1/6E

W220 2183176-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX , geb. XXXX , 4) XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, alle vertreten durch XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1) 09.11.2016, Zl. 1077634203/150842179, 2) 09.11.2016, Zl. 1129668403/161257603, 3) 09.11.2016, Zl. 1077634301/150842217, 4) 19.12.2017, Zl. 1173619304/171273029, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde werden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (BF 1) ist die Ehefrau des Zweitbeschwerdeführers (BF 2). Die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin (BF 3, BF 4) sind ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder. Alle Beschwerdeführer (BF) sind Staatsangehörige Afghanistans.

Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer stellten nach unrechtmäßiger Einreise ins österreichische Bundesgebiet am 12.07.2015 bzw. am 14.09.2016 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei die Drittbeschwerdeführerin durch die Erstbeschwerdeführerin als deren gesetzliche Vertreterin vertreten wurden.

Am 13.07.2015 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab sie dabei zu ihren Fluchtgründen an, sie sei Schiitin, wohingegen ihr Ehemann (der Zweitbeschwerdeführer) Sunnite sei. Aufgrund der Glaubensrichtung ihres Ehemannes wären sie von ihren Angehörigen belästigt worden. Als die Belästigungen zugenommen hätten, hätten sie den Entschluss gefasst, den Iran zu verlassen. Sie wolle ein besseres Leben für sich und ihre Familie.

Am 31.08.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu ihrem Fluchtgrund niederschriftlich befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie wäre als Jugendliche mit ihrem Cousin verheiratet worden, welcher sie jedoch misshandelt habe. Im Jahre 2011 habe sie ihren nunmehrigen, sunnitischen Ehemann (den Zweitbeschwerdeführer) kennengelernt und sich von ihrem Cousin einseitig scheiden lassen, was dieser aber nicht akzeptiert und mit Schikanen darauf reagiert habe. Ihr nunmehriger Ehemann wäre damals ebenfalls verheiratet, aber kinderlos gewesen und habe er auch aus diesem Grund die Erstbeschwerdeführerin geheiratet. Als die Drittbeschwerdeführerin geboren wäre, habe es die Erstbeschwerdeführerin nicht geschafft, das Kind herzugeben, weshalb ihr nunmehriger Ehemann mit seiner Frau sowie Schwiegerfamilie Schwierigkeiten bekommen habe und auch zusammengeschlagen worden sei. Aufgrund dieser Probleme habe sie mit dem Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin den Iran verlassen, wo sie seit ihrem vierten Lebensjahr mit ihrer eigenen Familie gelebt hätte.

Die Erstbeschwerdeführerin gab weiters Auskunft zu ihren Lebensumständen und zu ihrer Familie im Herkunftsstaat bzw. im Iran sowie und zu ihrer Situation im Falle einer Rückkehr. Zu ihrem Leben in Österreich wurde sie gefragt, ob sie hier soziale Bindungen habe, einem Verein angehöre, Kurse besuche und ob sie Deutsch spreche. Eine tiefergehende Befragung dazu, wie sie ihr Leben in Österreich gestalte, fand nicht statt.

Der Zweitbeschwerdeführer bezog sich in seiner niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesamt am 12.10.2016 im Wesentlichen auf dieselben Fluchtgründe wie die Erstbeschwerdeführerin. Auch er gab an, in Folge der Scheidung von seiner ersten Frau und der Eheschließung mit der Erstbeschwerdeführerin Probleme mit deren Cousin sowie mit den Familienangehörigen seiner ersten Frau gehabt zu haben. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, umgebracht zu werden.

Der Zweitbeschwerdeführer beantwortete weiters Fragen zu seinem Leben und seiner Familie im Herkunftsstaat bzw. im Iran sowie zu seiner Situation im Falle einer Rückkehr. Zu seinem Leben in Österreich wurde er ebenfalls gefragt, ob er soziale Bindungen in Österreich habe, in einem Verein sei oder Deutsch spreche und aus welchen Mitteln er seinen Lebensunterhalt bestreite.

Am XXXX wurde die Viertbeschwerdeführerin als Tochter der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers im Bundesgebiet geboren. Sie stellte am 09.11.2017 durch ihre Mutter als ihre gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz unter Berufung auf die Fluchtgründe der Eltern.

Mit den gegenständlichen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.11.2016 bzw. 19.12.2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Statuts der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und wurde gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist. Unter Spruchpunkt IV. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Im Bescheid der Erstbeschwerdeführerin wurde hinsichtlich ihres Fluchtvorbringens im Wesentlichen festgestellt, dass dieses widersprüchlich und nicht kongruent erstattet worden sei, weshalb es als nicht glaubhaft beurteilt würde. Insbesondre könne eine Verfolgung im Heimatstaat Afghanistan nicht festgestellt werden und sei nicht ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie nicht nach Afghanistan übersiedelt sei, zumal der Zweitbeschwerdeführer in Mazar-e Sharif über ein Haus und in Kabul über Familienangehörige verfüge. Es könne somit nicht festgestellt werden, dass ihnen im Herkunftsstaat die Lebensgrundlage gänzlich entzogen gewesen sei oder dass sie bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt würden. Das Bundesamt gehe davon aus, dass sie sich in Mazar-e Sharif niederlassen könnten und auch in der Lage seien, dort selbstständig ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei möglich und zumutbar.

Zum Leben der Erstbeschwerdeführerin in Österreich wurde festgestellt, diese würde gemeinsam mit dem Zweitbeschwerdeführer und ihren zwei minderjährigen Kindern leben, die keine eigenen Fluchtgründe hätten. Sie verfüge über geringe soziale Kontakte, sei mittellos, lebe von der Grundversorgung und sei in einer Betreuungsstelle untergebracht. Ihr Engagement Deutsch zu lernen würde positiv bewertet, daraus könne jedoch keine wirklich relevante Bindung an Österreich abgeleitet werden.

Zur Situation im Herkunftsstaat wurden Feststellungen zur politischen Lage, zur Sicherheitslage, insbesondere in der Provinz Balkh und in Mazar-e Sharif, zur Religionsfreiheit, zur Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Behandlung nach Rückkehr getroffen. Zur Lage der Frauen in Afghanistan wurden keinerlei Feststellungen getroffen.

Im Bescheid des Zweitbeschwerdeführers wurde im Wesentlichen festgestellt, dass die vorgebrachten Fluchtmotive aus detailliert aufgelisteten Gründen als nicht glaubhaft beurteilt wurden und insbesondere nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Zweitbeschwerdeführer in seinem Heimatland Afghanistan persönliche Verfolgung zu befürchten habe.

Eine Rückkehr nach Afghanistan sei zumutbar und möglich, da er über ein Haus in Mazar-e Sharif und über familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul verfüge. Es könne nicht festgestellt werden, dass ihnen im Herkunftsstaat die Lebensgrundlage gänzlich entzogen gewesen sei oder dass sie bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende Notlage gedrängt würden. Das Bundesamt gehe davon aus, dass sie sich in Mazar-e Sharif niederlassen könnten und auch in der Lage seien, dort selbstständig ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Zum Leben des Zweitbeschwerdeführers in Österreich wurde festgestellt, dieser würde gemeinsam mit der Erstbeschwerdeführerin und ihren zwei minderjährigen Kindern leben. Er bestreite den Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung, verfüge über keine Deutschkenntnisse und weise keine sozialen Bindungen an Österreich auf.

Zur Lage im Herkunftsstaat wurden die gleichen Feststellungen wie im Bescheid der Erstbeschwerdeführerin getroffen.

In den Bescheiden der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen wurde zusammengefasst festgestellt, dass diese keine eigenen Fluchtgründe hätten und die Fluchtgründe ihrer Eltern nicht glaubwürdig seien. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei ihnen zumutbar und möglich. Die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin würden über ein sehr beschränktes Privatleben in Österreich verfügen.

Im Bescheid der Drittbeschwerdeführerin finden sich keinerlei Feststellungen zur Situation der Kinder in Afghanistan. In den Bescheiden der Dritt- und Viertbeschwerdeführerin befinden sich keine Feststellungen zur Lage der Mädchen und Frauen in Afghanistan.

Die Bescheide wurden den Beschwerdeführern am 17.11.2016 bzw. am 28.12.2017 rechtswirksam zugestellt.

Gegen die gegenständlichen Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht im Wesentlichen gleichlautende Beschwerden. Dabei wurden die bereits erstatteten Vorbringen wiederholt und darauf verwiesen, dass sich aus den Länderberichten ein Wiedererstarken der Taliban und anderer radikal-islamischer Gruppierungen in Afghanistan ergäbe, was zu einer weiteren Einschränkung der Frauenrechte führe. Sodann wurde anhand von zitierten Berichten auf die Situation der Mädchen sowie auf die prekäre Sicherheitslage in Afghanistan hingewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2. Feststellungen:

Der unter Punkt 1. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

3. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts.

4. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

Familienverfahren:

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 AsylG 2005 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG 2005 gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Gegenständlich liegt unbestritten ein Familienverfahren vor: Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen.

Zur Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl:

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Absatz 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Absatz 3 2. Satz VwVGV ([vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: Tatsachenbereich], Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f).

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet, welche er seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt hat (vgl. VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0019; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststehe. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergebe.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hätten, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen sei.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht würde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen komme daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen ließen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Die verwaltungsgerichtliche meritorische Entscheidungszuständigkeit hält grundsätzlich hintan, dass die Erledigung eines von einer Verwaltungsbehörde eingeleiteten Verfahrens erst nach einem längeren Zeitraum hinweg in der Art eines "Pingpongspiels" erfolgenden Wechsels zwischen verwaltungsgerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Entscheidungen erfolgen kann. Zudem wird nur ein solches Verständnis der mit der Etablierung der Verwaltungsgerichte erfolgenden Zielsetzung gerecht, den Anforderungen der EMRK sowie denen des Rechts der Europäischen Union im Bereich des Verwaltungsrechtsschutzes zu entsprechen. Zum einen ist aufgrund dieser Anforderungen bei der Interpretation der sich aus § 28 Abs 3 VwGVG für die meritorische Entscheidungskompetenz ergebenden Ausnahmen ohnehin auch das grundsätzlich zu einer restriktiven Sicht dieser Ausnahmen führende Gebot einer angemessenen Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Zum anderen ist nicht zu übersehen, dass auf dem Boden der meritorischen Entscheidungskompetenz getroffene Entscheidungen der Verwaltungsgerichte grundsätzlich eine verlässliche Gewähr dafür bieten, dass den von diesen Vorgaben an die behördliche Entscheidungskompetenz gerichteten Anforderungen entsprochen wird (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhalts durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründungen hinwegsetzen (vgl. VwGH 10.04.2013, 2011/08/0169).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 7.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Pflicht zur Durchführung notwendiger Ermittlungen des Sachverhalts nicht nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

Das Bundesamt hat im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin jegliche Befragung zu einer allenfalls vorliegenden Gefährdung bezüglich einer geschlechtsspezifischen Verfolgung - allenfalls eines subjektiven Nachfluchtgrundes - unterlassen, die bereits aufgrund der notorischen Situation in Afghanistan von Amts wegen vorzunehmen und unabdingbar ist:

So hat der Verfassungsgerichtshof bereits mit Erkenntnis VfSlg. 19.646/2012 ausgeführt, die Prüfung einer asylrelevanten geschlechtsspezifischen Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen habe auch dann zu erfolgen, wenn kein diesbezügliches Vorbringen erstattet worden sei. Der Beschwerdeführerin wurde aber in der Einvernahme vor dem Bundesamt keine Gelegenheit eingeräumt, ein diesbezügliches Vorbringen zu erstatten, zu der gesamten Thematik an sich wurden seitens der Behörde keine Fragen gestellt, die allenfalls zu einer Beurteilung der Haltung der Beschwerdeführerin führen hätten können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Situation der afghanischen Frauen unter der Herrschaft der Taliban Folgendes festgehalten (VwGH 16.04.2002, 99/20/0483):

"Betrachtet man die [...] Eingriffe der Taliban in die Lebensbedingungen der afghanischen Frauen in ihrer Gesamtheit, so kann [...] kein Zweifel bestehen, dass hier einer der Fälle vorliegt, in denen eine Summe von Vorschriften gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe in Verbindung mit der Art ihrer Durchsetzung von insgesamt so extremer Natur ist, dass die Diskriminierung das Ausmaß einer Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention erreicht. In dieser Hinsicht ist abgesehen von anderen bizarren Aspekten des von den Taliban errichteten - und in der Praxis als Grundlage für willkürliche Gewaltanwendung benützten - Regelwerks vor allem auf die systematische Behinderung der medizinischen Versorgung hinzuweisen, die zumindest im Umkreis der zuvor auch der weiblichen Bevölkerung zugänglichen Einrichtungen eine unmittelbare Bedrohung des Lebens bedeutete. Schon das Fehlen der auch nur den Mindestanforderungen der Menschlichkeit entsprechenden Ausnahmen von den verordneten Regeln in Bezug auf den jederzeit möglichen Bedarf nach einer ärztlichen Behandlung kennzeichnet den Verfolgungscharakter dieser Form von Repression. Der zusätzlichen Betroffenheit etwa infolge fehlender Mittel zum Unterhalt oder durch das Fehlen männlicher Angehöriger, um sich ‚ausführen' lassen zu können oder Lebensmittel ins Haus zu bringen, bedarf es dazu nicht mehr. Erreichen die diskriminierenden Regeln selbst die asylrechtlich erforderliche Verfolgungsintensität, so kommt es auch auf zusätzliche Unverhältnismäßigkeiten im Falle des Zuwiderhandelns und mithin darauf, ob vom konkret betroffenen Asylwerber ein Zuwiderhandeln zu erwarten wäre, nicht an [...]."

Davon ausgehend haben der unabhängige Bundesasylsenat und der Asylgerichtshof als Vorgängergericht in überwiegender Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass die Situation der afghanischen Frauen auch nach dem Sturz der Taliban oftmals als Verfolgung iSd GFK zu beurteilen ist und wurde diese Entscheidungspraxis auch vom Bundesverwaltungsgericht weitergeführt. Sie war daher beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide notorisch. So heißt es beispielsweise im Erkenntnis des AsylGH vom 19.12.2008, C6 267.439-0/2008:

"Am Beispiel der die Frauen und Mädchen betreffenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit [...] wird anschaulich, dass afghanische Frauen de facto einer Verletzung in grundlegenden Rechten ausgesetzt sind. Den Feststellungen zu Folge bestehen nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass Frauen sich nur bei Vorliegen bestimmter Gründe alleine außerhalb ihres Wohnraumes bewegen sollen. Widrigenfalls haben Frauen mit Beschimpfungen und Bedrohungen zu rechnen bzw. sind der Gefahr willkürlicher Übergriffe ausgesetzt. Einer afghanischen Frau ist es daher auch derzeit nicht möglich, sich ungehindert und sicher in der Öffentlichkeit zu bewegen. Hinsichtlich des [...] Zugangs zu bestmöglicher Gesundheitsversorgung ist auszuführen, dass - den Feststellungen zu Folge - derzeit selbst eine lediglich minimale Gesundheitsversorgung den afghanischen Frauen nach wie vor de facto dadurch vorenthalten ist, dass Frauen durch männliche Ärzte nicht behandelt werden dürfen und es nicht ausreichend Ärztinnen in Afghanistan gibt, so dass gerade im Bereich der Frauenheilkunde und Geburtshilfe ein Gesundheitsproblem von besonders schwerwiegendem Ausmaß besteht."

Dies entsprach auch der Judikatur des vormaligen Asylgerichtshofes (vgl. 20.12.2012, B11 428.389-1/2012; 31.05.2013, B14 431.861-1/2013; 20.12.2012, C6 425.068-1/2012; 16.05.2013, C10 427887-1/2012; 21.05.2013, C17 417.707-1/2011; jeweils mit weiteren Hinweisen). In dieselbe Richtung geht auch die zuletzt ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. 23.09.2009, 2007/01/0284; 04.03.2010, 2006/20/0832 mwN) bzw. des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 18.916/2009 mwN in Bezug auf Zwangsverheiratung). Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Wesentlichen ausgeführt (20.07.2010, App. 23.505/09, N. gegen Schweden), dass für Frauen in Afghanistan eine besondere Gefahr bestehen würde, misshandelt zu werden, wenn sie sich nicht in die ihnen von der Gesellschaft, der Tradition und dem Rechtssystem zugewiesene Geschlechterrolle einfügen würden. Hätten sich Frauen einem weniger konservativen Leben verschrieben, würde dies - so der EGMR unter Berufung auf den UNHCR - weiterhin als Verstoß gegen soziale und religiöse Normen aufgefasst werden und könnte zu häuslicher Gewalt oder anderen Formen der Bestrafung, etwa Isolation, führen. Verstöße gegen soziale Verhaltensregeln, so der Gerichtshof in Bezug auf den von ihm entschiedenen Fall, würden sich nicht nur auf den Bereich der Familie oder Gemeinschaft, sondern auch auf die sexuelle Orientierung, die Verfolgung einer beruflichen Karriere oder einfach auf Zweifel an der Form des Familienlebens beziehen. Schon ein langer Aufenthalt im Ausland - im Anlassfall beim EGMR in der Länge von etwa sechs Jahren - könnte bewirken, dass eine Afghanin nicht der ihr zugewiesenen Geschlechterrolle entsprechen würde; bedeutender im Fall der dortigen Beschwerdeführerin vor dem EGMR wäre aber der Umstand gewesen, dass diese ihre Scheidung - wenn auch nicht erfolgreich - betrieben hätte.

Zur "westlichen Gesinnung" hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 16.01.2008, 2006/19/0182, ausgeführt:

"Nach der Stellungnahme des UNHCR vom Juli 2003 sollten unter anderem afghanische Frauen, von denen angenommen werde, dass sie soziale Normen verletzen (oder die dies tatsächlich tun), bei einer Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet angesehen werden. Diese Kategorie könnte Frauen einschließen, die westliches Verhalten oder westliche Lebensführung angenommen haben, was als Verletzung der sozialen Normen angesehen werde und ein solch wesentlicher Bestandteil der Identität dieser Frauen geworden sei, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (zur Indizwirkung entsprechender Empfehlungen internationaler Organisationen vgl. das hg. E vom 20. April 2006, Zl. 2005/01/0556 mwN; zur gebotenen Heranziehung weiterer Erkenntnisquellen auch bei Einholung eines Gutachtens vgl. das hg. E vom 1. April 2004, Zl. 2002/20/0440). Diese Stellungnahme geht also nicht nur bei Ambition zu öffentlichem Auftreten von einer Gefährdung aus, sondern bereits dann, wenn lediglich angenommen werde, eine Frau verletze soziale Normen."

Auch in seiner jüngeren Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof weiterhin betont, dass afghanische Frauen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden, Asyl beanspruchen könnten. In seinem Erkenntnis vom 22.02.2018, Ra 2017/18/0357 führte der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung näher aus:

"Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren. Es sind daher konkrete Feststellungen zur Lebensweise der Asylwerberin im Entscheidungszeitpunkt zu treffen und ist ihr diesbezügliches Vorbringen einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388, mwN).

Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste.

Dabei führt aber nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. zu alldem VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0301, mwN)."

Es musste der belangten Behörde aufgrund der oben zitierten regelmäßigen und gleichbleibenden Judikatur des Asylgerichthofes (mittlerweile auch des Bundesverwaltungsgerichts) bzw. der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bekannt sein, dass die Situation der Frauen in Afghanistan unter den genannten Umständen asylrelevant sein kann und nach § 18 AsylG 2005 diesbezügliche Ermittlungen zu tätigen sind. Gerade in Hinblick auf diese als hinreichend bekannt vorauszusetzende Judikatur ist es evident, dass die belangte Behörde es unterlassen hat, sich mit den frauenspezifischen Problemen in Afghanistan zu beschäftigen bzw. die oben dargelegten spezifischen Ermittlungen zur Situation der Erstbeschwerdeführerin durchzuführen.

Darüber hinaus wurde im Ermittlungsverfahren nicht darauf hingewirkt, das Fluchtvorbringen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers hinsichtlich ihrer minderjährigen Kinder zu konkretisieren.

Das Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeiten in Hinblick auf die Lage von Frauen und auch von Kindern, insbesondere Mädchen, in Afghanistan kommt vor allem auch dadurch zum Ausdruck, dass sich in keinem der angefochtenen Bescheide Feststellungen zur Situation der Frauen und Mädchen in Afghanistan finden.

Das Bundesamt hat auch, wie unter Punkt 1. ausgeführt, bestenfalls ansatzweise Ermittlungen zur Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin in Österreich durchgeführt und dazu auch im Bescheid keine Feststellungen getroffen.

Zusammenfassend ist auszuführen, dass in den vorgelegten Verfahren vor dem Bundesamt nicht einmal grundsätzliche Ermittlungen zur Situation der Frauen und Kinder bzw. Mädchen in Afghanistan getätigt wurden. Auch wurden Ermittlungen zur spezifischen Situation der Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan und in Österreich unterlassen.

Ohne die angeführten, notwendigen Ermittlungsergebnisse erscheint eine sachgerechte Beurteilung des Antrages der Erstbeschwerdeführerin sowie ihrer im Antragszeitpunkt minderjährigen Kinder und der damit verbundenen Beschwerde bereits von Vornherein ausgeschlossen, wobei im Hinblick auf die Beurteilung ein vom bekämpften Bescheid abweichendes Ergebnis nicht auszuschließen ist.

Die Behörde hat somit im konkreten Fall gegen die in § 18 Abs. 1 AsylG determinierten Ermittlungspflichten verstoßen. § 18 Abs. 1 AsylG 2005 verpflichtet das Bundesamt, in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen (zum Umfang der Ermittlungspflichten vgl. VwGH 14.12.2000, 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, 98/01/0222; VwGH vom 21.09.2000, 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, 99/20/0599).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren unter Heranziehung von entsprechendem, aktuellem Länderdokumentationsmaterial eingehend mit den individuellen Verhältnissen der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Kinder auseinanderzusetzen haben. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden mit der Erstbeschwerdeführerin zu erörtern und einer neuerlichen inhaltlichen Auseinandersetzung seitens der belangten Behörde zugrunde zu legen sein. Insbesondere wird eine Befragung der Erstbeschwerdeführerin hinsichtlich einer allenfalls vorliegenden Gefahr einer geschlechtsspezifischen Verfolgung sowie ihres Lebensstils in Österreich bereits aufgrund der notorischen Situation in Afghanistan erforderlich sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Fall noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen im vorliegenden Fall das dem Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben, die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3,

3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc, s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen (insbesondere die Ausführungen in der Beschwerdeergänzung vom 29.04.2013) zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird (vgl. BVwG 28.01.2014, W108 1433990-1/4E).

Von der in § 28 VwGVG eingeräumten Möglichkeit, die unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, war im vorliegenden Fall schon deshalb nicht Gebrauch zu machen, weil sich das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht als Mehrparteienverfahren darstellt, sodass schon aufgrund der dadurch bedingten Erhöhung des administrativ - manipulativen Aufwandes bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine Kostenersparnis zu erzielen wäre. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen hingewiesen.

Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben.

4.4. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zur früheren Rechtslage ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W220.2141315.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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