TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/5 W171 2125012-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.09.2018
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Entscheidungsdatum

05.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W171 2125012-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005

sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte am 22.07.2013 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gleichen Tage gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen zu Protokoll, sie gehöre der Volksgruppe der Tschetschenen an, sei muslimischen Bekenntnisses, sei in der Russischen Teilrepublik Dagestan geboren, geschieden und leide an

TBC.

Sie sei wegen ihres geschiedenen Mannes geflüchtet. Dieser habe angeblich beim 2. Krieg die tschetschenischen Kämpfer unterstützt und sei sie daher durch die dagestanischen Behörden ständig nach ihrem Mann gefragt worden. Sie sei nach dem Aufenthaltsort ihres Mannes befragt worden, von welchem sie von 2006 bis 2012 nichts gehört und gesehen habe. Im Mai 2012 sei ihr Ex-Gatte zweimal zu ihr gekommen und habe sie ihn danach nicht mehr gesehen. Sie habe daraufhin Angst gehabt, dass ihr Bruder deswegen Schwierigkeiten bekommen könne und habe daher Dagestan verlassen. Ihr selbst sei jedoch nie etwas zugestoßen.

1.2. Am 09.11.2015 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen der Einvernahme legte sie eine Reihe ärztlicher Befunde zu ihrer Gesundheit vor. Diesen ärztlichen Unterlagen ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin im Wesentlichen zusammengefasst an Tuberkulose, Depression, posttraumatischer Belastungsreaktion, sowie an starkem Tinnitus und an einer Facettengelenksarthrose leide und diesbezüglich in Österreich in ärztlicher Behandlung stehe.

Darüber hinaus legte die Beschwerdeführerin zwei Kursbestätigungen für Deutschkurse jeweils im Ausmaß von 2,5 Wochenstunden beim Samariterbund XXXX vor.

Die Beschwerdeführerin gab im Wesentlichen an, sie sei nicht mit dem in der Erstbefragung angegebenen Mann verheiratet gewesen. Diese Person gebe es gar nicht. Es tue ihr sehr leid, dass sie das in der ersten Einvernahme so angegeben habe, ihr sei gesagt worden, sie möge dies bei der Ersteinvernahme angeben, da das einen besseren Eindruck mache. Sie sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Namentlich genannter Vater, Mutter und Bruder seien in einem Dorf in Dagestan wohnhaft. Seit ihrer Geburt habe sie in diesem Dorf gelebt. Sie habe am eigenen Grundstück der Eltern mitgearbeitet, dies jedoch nur wenig, da sie an Lungentuberkulose leide. Sie sei zweimal in Moskau und zweimal in Dagestan deswegen operiert worden und habe man ihr drei Rippen gänzlich, und eine Vierte zum Teil entfernt. Auf der anderen Seite seien zwei Rippen ganz und vier Rippen zum Teil entfernt worden. Sie könne ganz einfache Sätze in deutscher Sprache verstehen und sei in Österreich bereits über zehn Monaten im Krankenhaus gewesen. Sie habe ihren Inlandspass in XXXX abgegeben und sei mehrmals die Woche mit ihren Eltern und ihrem Bruder über Skype im Kontakt.

Auf weitere Befragung zum konkreten Fluchtgrund gab die Beschwerdeführerin an, dass sämtliche Angaben der Erstbefragung falsch gewesen seien. Sie habe lediglich Gründe wegen ihrer Gesundheit. Sie leide seit acht Jahren an Tuberkulose und habe seither keine richtige Behandlung erhalten. Deswegen habe sie ins Ausland gehen wollen, um hier eine Behandlung zu bekommen. Sie habe in Österreich einen Mann aus Afghanistan kennengelernt, den sie heiraten wolle. Die Mutter würde vielleicht nicht dagegen sein, ihr Vater jedoch schon. Sie könne deswegen nicht mehr nach Hause reisen. Dieser sei der einzige Mann, der sie trotz ihrer Krankheit heiraten wolle. Sonst habe sie keine Fluchtgründe. Wegen eines Vorfalls im Zusammenhang mit einem Kasten in ihrem Zimmer in ihrer Unterkunft sei sie in die psychologische Abteilung in einem Spital eingewiesen worden. Ihr richtiger Geburtsname sei XXXX. Mit diesem Namen habe sie jedoch kein Visum bekommen können, da ihr Bruder in Russland von den Behörden gesucht werde. Dieser Bruder sei bereits verstorben und habe dieser am zweiten Tschetschenienkrieg teilgenommen. Ihr jüngerer Bruder sei noch am Leben. Dies seien alle Fluchtgründe.

Sie befinde sich in Österreich in der Grundversorgung und lebe allein. Ihr Bekanntenkreis in Österreich bestehe aus zwei Tschetscheninnen und einer Frau aus Dagestan, welche im selben Heim lebten. Sie gehe gerne spazieren und besuche Museen. Seit September besuche sie auch einen Deutschkurs. Sie leide auch an Brustkrebs und es sei den Ärzten noch nicht bekannt, ob es sich dabei um einen gutartigen, oder bösartigen Knoten handle.

Der Rechtsberaterin wurde ein Länderbericht zur Stellungnahme ausgefolgt.

1.3. Mit Stellungnahme der Rechtsberatung vom 29.02.2016 legte diese neuerlich Befundberichte über die Krankheiten und Beschwerden der Beschwerdeführerin in Kopie vor. Zu den Länderberichten wurde ausgeführt, dass sich aus diesen ergebe, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, insbesondere im Hinblick auf die bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Erkrankungen auf Grund der vorliegenden Berichte auf sehr niedrigem Niveau befindlich sei. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose würden der Weiterverbreitung unterliegen und es sei für die Behandlung, für Medikamente und die Versorgung mit Essen in Krankenhäusern oftmals selbst aufzukommen. Aufgrund der unzureichenden medizinischen Versorgung sei der Tatbestand einer Verletzung im Sinne des Art 3 EMRK bei einer allfälligen Rückführung der Beschwerdeführerin für diese zu befürchten. In Dagestan herrsche lediglich eine unzureichende medizinische Versorgung bei Tuberkulose und habe ihre bisherige Behandlung in ihrem Heimatstaat klar gezeigt, dass eine adäquate Behandlung der Erkrankung unmöglich sei, dies auch deswegen, da bei ihrer Behandlung in Moskau offensichtlich grobe Fehler unterlaufen seien. Lediglich in Österreich sei es gelungen, durch notwendige stationäre Aufnahme, die multi-resistente Tuberkuloseerkrankung unter Kontrolle zu bringen.

Weiters leide die Beschwerdeführerin an mehreren psychischen Erkrankungen, deren Behandlung in Dagestan nicht sichergestellt sei. Es sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin mindestens der Status einer subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 zuzuerkennen sei.

1.4. Das Bundesamt wies mit Bescheid vom 18.03.2016 den Antrag auf internationalen Schutz ab und stellte fest, dass der Beschwerdeführerin keine Anerkennung als Asylberechtigte nach § 3 Abs. 1 iVm § 2Abs. 1 Z 13 AsylG oder als subsidiär Schutzberechtigte im Sinne des § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz zukomme, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und § 55 AsylG nicht erteilt werde und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen werde. Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei. Schließlich wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs 1 Z 3 BFA - VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin nicht von einer asylrelevanten Bedrohung ihrer Person in ihrem Herkunftsstaat auszugehen sei. Aus den Länderberichten ergebe sich weiters, dass die Beschwerdeführerin nicht an einer lebensbedrohenden Erkrankung leide und derartige Krankheiten, wie sie die Beschwerdeführerin im Verfahren bescheinigt habe, in ihrem Herkunftsstaat behandelt werden könnten. Die dafür erforderlichen Medikamente seien im Herkunftsstaat kostenlos erhältlich und habe das Beweisverfahren nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin bei einer allfälligen Rückführung in ihren Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 oder der Protokollnummer 6 oder Nummer 13 zur Konvention der Europäischen Menschenrechte oder einer sonstigen ernsthaften Bedrohung unterliegen würde.

Zum Privat- und Familienleben wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin keine nennenswerten Deutschkenntnisse habe sowie ihr ein nennenswerter Kontakt zu Österreichern fehle. In ihrem Herkunftsstaat verfüge sie über familiäre Anknüpfungspunkte und spreche sie die dortige Landessprache. Sie habe den weit überwiegenden Teil ihres Lebens bereits in der Russischen Föderation verbracht. Hinsichtlich der Beziehung zu ihrem Freund habe sie nicht davon ausgehen können, dass sie diese Beziehung in Österreich fortführen würde können.

Bezüglich der Erkrankungen wurde zusammengefasst ausgeführt, sie leide nicht an lebensbedrohlichen Erkrankungen und können diese laut dem Länderinformationsblatt in der Russischen Föderation behandelt werden. Es gäbe dafür kostenlose Medikamente. Eine weitere Kontrolle durch die dortigen Ärzte sei möglich. Das Verfahren habe darüber hinaus nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin einer asylrelevanten Bedrohung in ihrem Heimatstaat ausgesetzt wäre. Sie sei eine erwachsene, arbeitsfähige Person und verfüge in ihrem Heimatstaat über ein soziales Netz. Dem gegenüber seien ihre sozialen Verfestigungen in Österreich lediglich gering. Sonstige Gründe für die Erlangung eines Aufenthaltstitels habe das Ermittlungsverfahren nicht ergeben.

1.5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und beantragte die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten, in eventu ihr subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und auszusprechen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Darüber hinaus wurde weiters ein Eventualantrag hinsichtlich einer Behebung des Bescheides zur Verfahrensergänzung um neuerliche Entscheidung an die Behörde ebenso gestellt, wie der Antrag, der vorliegenden Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

In der Sache wurde zusammengefasst ausgeführt, die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Sie habe das Parteiengehör verletzt und ihrer Manuduktionspflicht nicht entsprochen. Es sei unterstellt worden, dass der jüngere Bruder der Beschwerdeführerin ohne Probleme durch die Behörden in Tschetschenien lebe. Dabei seien der Behörde Fehler unterlaufen. Der Bruder der Beschwerdeführerin lebe nicht in Tschetschenien, sondern in Dagestan. Aufgrund der besonderen familiären Konstellation, die die Beschwerdeführerin in der Einvernahme erwähnt habe, sei eine Unterstellung, der Bruder habe keine Probleme, nicht ohne weiteres möglich. Diesbezüglich sei es die Verpflichtung der Behörde gewesen, hier näher nachzufragen, was unterlassen worden sei. In dieser Hinsicht sei es denkbar, dass die Familie nach wie vor aufgrund der Beteiligung des Bruders der Beschwerdeführerin am Krieg noch immer unter Einschränkungen, Repressionen und Diskriminierungen zu leiden habe. Darüber hinaus ergebe sich aus den Länderberichten, dass Dagestan das aktuelle Zentrum der Gewalt im Nordkaukasus sei.

Auch habe sich die Behörde nicht mit dem von der Beschwerdeführerin namentlich genannten Lebensgefährten auseinandergesetzt und hinsichtlich des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin hier keine nähere Nachforschung getätigt. Dadurch habe die Behörde ihre amtswegige Ermittlungspflicht verletzt.

Schließlich sei die Beschwerdeführerin anlässlich der Einvernahme am 09.11.2015 nicht genauer zu ihrer konkreten Lebenslage in ihrem Herkunftsland befragt worden. Bei der Beschwerdeführerin handle es sich um eine sowohl physische als auch psychisch erkrankte Person, weshalb es Aufgabe der erstinstanzlichen Behörde gewesen wäre, die Beschwerdeführerin entsprechend zu manuduzieren.

Aus den im Verfahren herangezogenen Länderberichten ergebe sich unzweifelhaft, dass die Krankenversorgung, speziell in der Teilrepublik Dagestan im Vergleich zu der der österreichischen Bevölkerung zur Verfügung stehenden medizinischen Infrastruktur vergleichsweise dürftig sei. Medikamente seien durch die Patienten selbst zu bezahlen, obwohl diese krankenversichert seien. Das Gesundheitssystem in Dagestan sei in einem katastrophalen Zustand und zeige sich das auch an einem dramatischen Anstieg der Tuberkuloseerkrankungen. Tuberkulose sei eine schwere Erkrankung, die selbst dann, wenn sie geheilt werde, wieder ausbrechen könne. Es sei daher eine ständige Kontrolle notwendig. Darüber hinaus leide die Beschwerdeführerin an weiteren (psychischen) Erkrankungen und könne daher nicht von ihrer Person als "junge, gesunde Frau" gesprochen werden. Die daher in Dagestan gegebene absolut unzureichende medizinische Behandlungsmöglichkeit sowie die bereits näher beschriebene persönliche Situation der Beschwerdeführerin selbst, würde diese im Falle einer Rückkehr in eine Situation bringen, welche die Grenze zu unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne der EMRK überschreiten würde. Darüber hinaus sei bei einer Rückführung der Beschwerdeführerin von einer unzumutbaren Destabilisierung und Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes auszugehen.

1.6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX, XXXX, wurde der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt zurückverwiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass sich das Bundesamt nicht näher mit den von der Beschwerdeführerin geäußerten Befürchtungen bei einer Rückkehr aufgrund der von ihr beabsichtigten Heirat auseinandergesetzt habe. Im Lichte der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin aus einer muslimischen Familie stamme, sei das Ermittlungsverfahren in diesem Punkt mangelhaft. Im Akt fänden sich keine Hinweise darauf, ob zum von der Beschwerdeführerin angegebenen Lebensgefährten irgendwelche Nachforschungen angestellt worden seien. Um eine Missachtung der aus Art. 8 EMRK entspringenden Rechten der Beschwerdeführerin ausschließen zu können, hätte die Behörde weitere Fragen über die Intensität und Dauer dieser Beziehung stellen und den aufenthaltsrechtlichen Status des Lebensgefährten abklären müssen.

Die Beschwerdeführerin habe im Zuge der Einvernahme ihren Namen berichtigt und ausgeführt, unter ihrem richtigen Namen kein Visum erhalten zu haben, da ihr Bruder von den Behörden gesucht werde. Diese Aussagen seien zumindest Grund für weitere Nachfragen, da nicht auszuschließen sei, dass ein verfahrensrelevanter Aspekt vorliegen könnte.

Da die zugrunde gelegten Länderberichte in wesentlichen Punkten, etwa der Kostenpflichtigkeit von Medikamenten, nicht einheitlich seien, fehle hierzu eine Begründung, weshalb die Behörde von der einen oder anderen Feststellung ausgehe. Schließlich befinde sich in der Entscheidung auch keine Erörterung darüber, wie sich die Situation der Krankenbehandlung sowie die soziale Reintegration der Beschwerdeführerin gestalten würde, da sie in der Vergangenheit offensichtlich nicht krankheitsadäquat behandelt werde konnte. Der in der Beschwerdeschrift aufgeworfenen Aspekt, ob diesbezüglich unter Umständen schon die Grenze der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der EMRK überschritten werde, wenn man die Beschwerdeführerin abermals in die Hände von Ärzten lege, die bereits einmal unzureichende Maßnahmen getroffen hätten, sie näher zu erörtern und abzuwägen.

1.7. Im Zuge des weiteren Verfahrens legte die Beschwerdeführerin eine Bestätigung über den Besuch eines Deutschkurses (A1) soweit eine Ambulanzkarte vom 20.06.2016 vor, aus der folgende Diagnosen hervorgehen:

-

MDR-TBC der Lunge

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Rez. Kopfschmerzen bei degen. Wirbelsäulenveränderungen

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St. p. beidseitiger Thorakoplastik

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St. p. Port-a-Cath-Implantation und Explanation

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Starker Tinitus beidseitig, ausgeprägte Hochtonschwerhörigkeit

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Depressio, posttraumatische Belastungsreaktion

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Fibroadenom der Mamma rechts

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Osteochondrose L4 - S1, Diskusprotusion L4-5, Sagittale Streckenfehlhaltung

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Cervikalsyndrom

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PAS-Unverträglichkeit

Durch die Vortherapien sei es zu massiven lebenslangen Beeinträchtigungen gekommen. Die in der Russischen Föderation durchgeführten Operationen hätten zu einer gravierenden Funktionseinschränkung geführt, weitere Beeinträchtigungen der Brust- und Halswirbelsäule seien zu erwarten. Die medikamentöse Therapie habe zu einer Hochtonschwerhörigkeit geführt.

1.8. In ihrer Einvernahme durch das Bundesamt am 12.06.2018 gab die Beschwerdeführerin an, dass sie wegen Tuberkulose nicht mehr in Behandlung, sondern geheilt sei. Sie sei davor je zweimal in Moskau und Dagestan operiert worden. Derzeit sei sie nicht in ärztlicher Behandlung. Sie nehme Zoldem (Schlafmittel, Anm.), Sertralin (Antidepressivum, Anm.) und Lyrica (zur Behandlung von Nervenschmerzen oder generalisierten Angststörungen, Anm.). Seit zwei Jahren leide sie an starken Kopfschmerzen, dagegen nehme sie Lyrcia, Zoldem und Sertralin. Sie leide seit 2014 an Depressionen, zuletzt sei sie deswegen im August 2017 beim Arzt gewesen. Bei ihr sei ein gutartiges Fibroadenom festgestellt worden. Sie müsse einmal jährlich zu Tuberkulosekontrolle. Bei der letzten Kontrolle sei alles in Ordnung gewesen, bis 2020 seien Kontrollen vorgesehen. Diese Kontrollen habe sie auch in der Russischen Föderation gemacht. Die Medikamente, die sie einnehme, gebe es zuhause nicht, das habe sie von einer Krankenschwester erfahren. Österreich sei ihr Zielland gewesen, weil man ihr gesagt habe, dass es hier gute medizinische Behandlungen gebe.

Sie sei nach Österreich gekommen um sich medizinisch behandeln zu lassen. Ihr Bruder habe während des Tschetschenienkrieges auf der Fahndungsliste gestanden, daher habe sie kein Visum erhalten. Ihr Geburtsname laute XXXX. Im Jahr 2013 habe sie ihren Namen auf XXXX geändert. Sie sei zum Standesamt gegangen und habe eine neue Geburtsurkunde bekommen. Dabei habe es keine Probleme gegeben. So habe sie in Moskau ein Visum für Griechenland erhalten.

Ihre Eltern und ihr Bruder lebten in Dagestan. Ein weiterer Bruder habe gegen Russland gekämpft und sei 2000 bei einer Bombenexplosion ums Leben gekommen. Bis zum Jahr 2005 sei ihre Familie von Soldaten aufgesucht und kontrolliert worden. Ab dem Jahr 2005 seien sie in Ruhe gelassen worden. In diesem Jahr sie auch ihr Bruder festgenommen und verurteilt worden. Er habe nach drei Monaten in Untersuchungshaft eine bedingte Strafe erhalten. Danach habe es keinerlei Probleme mehr gegeben. Sie könne sich nicht erklären, weshalb sie wegen des Namens ihres verstorbenen Bruders auf der Fahndungsliste im Jahr 2013 kein Visum erhalten habe. Ihre Eltern erhielten eine Invaliditätspension, sie habe mehrmals wöchentlich Kontakt zu ihnen.

Sie habe neun Jahre Grundschule, aber keine Berufsausbildung absolviert und sei keiner Beschäftigung nachgegangen. Bis zur Ausreise habe sie bei ihren Eltern gewohnt. Sie sei noch nie verheiratet gewesen und habe keine Kinder. Von ihrem Freund aus Afghanistan habe sie sich vor etwa einem Jahr getrennt. Derzeit lebe sie nicht in einer Beziehung. Sie habe tschetschenische Freunde, die sie aus dem Spital kenne. Diese lebten in derselben Pension.

Sie habe ihr Heimatland aus medizinischen Gründen verlassen. Die Versorgung sei in ihrem Heimatland nicht ausreichend. Die Ärzte in Österreich hätten die Vorgehensweise der Ärzte in Moskau kritisiert. Sie habe durch die falschen Behandlungen gesundheitliche Einschränkungen. Die Medikamente, die sie in der Russischen Föderation erhalten habe, hätten schlechte Nebenwirkungen. Die Medikamente aus Österreich hätten ihr sehr geholfen. Weitere Fluchtgründe habe sie nicht, sie habe in der Russischen Föderation keinerlei Probleme gehabt. Im Falle einer Rückkehr reiche die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation nicht aus und ihre Krankheit könne wieder ausbrechen.

Sie erhalte derzeit Unterstützung vom Staat, in Zukunft wolle sie bei XXXX arbeiten. Sie sei nicht Mitglied in einem Verein, die Frage nach etwaigen Integrationsschritten wurde verneint.

Die Beschwerdeführerin konnte einfache auf Deutsch gestellte Fragen (Wie ist das Wetter? Wie geht es ihnen?) weder verstehen noch beantworten.

1.9. Das Bundesamt wies mit Bescheid vom XXXX den Antrag auf internationalen Schutz Gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und stellte fest, dass der Beschwerdeführerin keine Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte im Sinne des § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 3 AsylG zukomme (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.) und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen werde(Spruchpunkt IV.). Weiters wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.)

Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin keine asylrelevante Verfolgung vorliege. Sie leide an keiner chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheit und sei nicht in ärztlicher Behandlung. Die von ihr eingenommenen Medikamente seien laut einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation auch in der Russischen Föderation erhältlich. Das Beweisverfahren habe nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin bei einer allfälligen Rückführung in ihren Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung von Art 2, Art 3 oder der Protokollnummer 6 oder Nummer 13 zur Konvention der Europäischen Menschenrechte oder einer sonstigen ernsthaften Bedrohung unterliegen würde.

Zum Privat- und Familienleben wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin keine nennenswerten Deutschkenntnisse habe, keiner Erwerbstätigkeit nachgehe und in keinster Weise integriert sei. In ihrem Herkunftsstaat verfüge sie über familiäre Anknüpfungspunkte und spreche sie die dortige Landessprache. Sie habe den weit überwiegenden Teil ihres Lebens bereits in der Russischen Föderation verbracht.

Das Verfahren habe darüber hinaus nicht ergeben, dass die Beschwerdeführerin einer asylrelevanten Bedrohung in ihrem Heimatstaat ausgesetzt wäre. Sie sei eine erwachsene, arbeitsfähige Person und verfüge in ihrem Heimatstaat über ein soziales Netz. Dem gegenüber bestünden keine sozialen Verfestigungen in Österreich. Sonstige Gründe für die Erlangung eines Aufenthaltstitels habe das Ermittlungsverfahren nicht ergeben.

1.10. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und beantragte die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten, in eventu ihr subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu auszusprechen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Darüber hinaus wurde weiters ein Eventualantrag hinsichtlich einer Behebung des Bescheides zur Verfahrensergänzung um neuerliche Entscheidung an die Behörde ebenso gestellt, wie der Antrag, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Begründend wurde zusammengefasst vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin ihre Heimat aufgrund der fehlgeschlagenen Behandlung ihrer Tuberkulose, die erhebliche Folgeschäden nach sich gezogen habe, verlassen habe. Aufgrund der in der Russischen Föderation verbreitete Korruption habe sie sich nicht in die Sicherheitsbehörden wenden können, die weder Willens noch in der Lage seien, Personen vor Schlechtbehandlung zu schützen. Es bestünden bis dato keine funktionierenden Schutzmechanismen gegen solche willkürlichen Übergriffe. Die Beschwerdeführerin könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ihr kein adäquater Rechtsschutz geleistet werde, sie könne daher keinen Schutz vor weiteren Misshandlungen in Anspruch nehmen. Eine Abschiebung nach Russland könne für ihre Gesundheit gravierende Folgen haben.

Die Beschwerdeführerin benötige weitere Kontrollen, Untersuchungen und ärztliche Gutachten, was aufgrund der vorgelegten Unterlagen evident sei. Zudem leide sie an psychischen Problemen, welche zu weiteren Gesundheitsschäden führen könnten. Die medizinische Versorgung in der Russischen Föderation sei zu deren Behandlung nicht ausreichend. Der Zugang zu medizinischer Versorgung hänge zu einem großen Teil von den finanziellen Mitteln des Patienten ab, weshalb eine Rücküberstellung eine Verletzung der Menschenrechte der Beschwerdeführerin darstelle, die den Eventualantrag auf die Gewährung subsidiären Schutzes rechtfertigte. Die Beschwerdeführerin falle in die Definition der sozialen Gruppe der besonders vulnerablen Personen ohne Unterstützung in der russischen Gesellschaft. Sie verfüge weder über die Geldmittel zur Behandlung ihrer Krankheit noch über eine Krankenversicherung.

Außerdem habe die Behörde es unterlassen, sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob eine Abschiebung eine gravierende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes bewirken würde, was zu bejahen sei.

Eine Rückkehr sei der Beschwerdeführerin nicht zumutbar, da sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes in eine ausweglose Situation geraten würde. Sie laufe ernsthaft Gefahr, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Angesichts des langjährigen Aufenthalts in Österreich und der ihrem Gesundheitszustand entsprechend erlaubten Integration sei auch die Rückkehrentscheidung rechtswidrig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Aufgrund jener der Entscheidung zugrunde liegenden Akten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

Die Identität der Beschwerdeführerin steht nicht fest. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Tschetschenen an und ist muslimischen Glaubens. Sie lebte von Geburt an bis zu ihrer Ausreise in XXXX, Dagestan Sie verfügt über eine neunjährige Grundschulbildung, jedoch keine Berufsausbildung. Im Herkunftsstaat leben noch die Eltern und ein Bruder. Sie steht mit ihren Familienangehörigen noch im regelmäßigen Kontakt.

Die Beschwerdeführerin stellte am 22.07.2013 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin war vor ihrer Ausreise keiner konkreten, individuellen Verfolgung ausgesetzt. Sie verließ die Russische Föderation, um in Österreich ihre Tuberkuloseerkrankung behandeln zu lassen. Eine Verfolgung durch Behörden oder Privatpersonen wurde von ihr nicht geltend gemacht.

Im Falle einer Verbringung der Beschwerdeführerin in ihrem Herkunftsstaat droht dieser kein reales Risiko einer Verletzung der Artikel 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK).

Die Beschwerdeführerin litt an Tuberkulose und wurde in Dagestan sowie in Moskau mehrfach operiert, wobei unter anderem mehrere Rippen entfernt wurden. Die in der Russischen Föderation erfolgte Therapie wurde von den Ärzten in Österreich als nicht lege artis kritisiert. Die Tuberkulose der Beschwerdeführerin ist geheilt, sie muss noch einmal jährlich Kontrolluntersuchungen vornehmen lassen. Sie leidet an Depressionen und Kopfschmerzen und nimmt die Medikamente Zoldem (Schlafmittel, Anm.), Sertralin (Antidepressivum, Anm.) und Lyrica (zur Behandlung von Nervenschmerzen oder generalisierten Angststörungen, Anm.). Seit August 2017 befindet sie sich nicht mehr in ärztlicher Behandlung.

Die von der Beschwerdeführerin eingenommenen Medikamente sind in der Russischen Föderation erhältlich.

Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

Sie hat keine Familienangehörigen im Bundesgebiet. Sie hat bislang einen Deutschkurs besucht, Deutschkenntnisse konnten in der Einvernahme vor dem BFA am 12.06.2018 jedoch nicht festgestellt werden. Sie geht keiner Erwerbstätigkeit nach, ist nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Sie ist kein Mitglied in einem Verein und engagiert sich nicht ehrenamtlich. Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausgeprägte und verfestigte individuelle Integration der Beschwerdeführerin in Österreich vorliegt.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

1.2. Zur Lage in der Russischen Föderation:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Montag (7.5.2018) den Eid für seine vierte und somit letzte Amtszeit abgelegt. Vor etwa 5.000 Gästen im Kreml in Moskau gelobte er, "dem Volk treu zu dienen", wie es in der Eidesformel heißt (Kurier.at 7.5.2018).

Bei der Präsidentenwahl im März 2018 hatte die Wahlbehörde ihm ein Rekordergebnis von knapp 77% der Stimmen zugesprochen. Überschattet wird die Amtseinführung von der Gewalt, mit der die Polizei am 5.5.2018 Kundgebungen von Regierungsgegnern auflöste. Landesweit wurden dabei etwa 1.600 Anhänger des Oppositionellen Alexej Nawalny festgenommen, die meisten aber wieder freigelassen. Doch das Bürgerrechtsportal "OVD-Info" zählte am Montag immer noch dutzende Demonstranten in Gewahrsam (Standard.at 7.5.2018).

Alexej Nawalny hatte zu landesweiten Protesten gegen den Kremlchef aufgerufen, unter dem Motto "Er ist nicht unser Zar" fanden sich in rund 90 Städten Demonstranten zusammen. Die größten Veranstaltungen gab es traditionell in Moskau und St. Petersburg. Vor allem junge Menschen folgten dem Aufruf Nawalnys. In der Hauptstadt Moskau waren es nach Einschätzung der Tageszeitung Kommersant rund 10.000 Demonstranten, während die Polizei die Menge dort auf nur 1.500 Personen taxierte. Die in jedem Fall verhältnismäßig geringe Zahl der Demonstranten ist auch auf die anhaltende Zersplitterung der russischen Opposition zurückzuführen. So beteiligten sich weder die sozialliberale Jabloko-Partei, noch die neue "Partei der Veränderungen" um Xenia Sobtschak und Dmitri Gudkow an den Kundgebungen. Die Obrigkeit hingegen hatte eine enorme Anzahl an Sicherheitskräften aufgefahren, um mögliche Unmutsbekundungen im Keim zu ersticken. Neben der Polizei waren Männer in Kosakenuniform im Einsatz. Kosaken - eigentlich Folklore - treten immer wieder als Hilfspolizisten auf. In Moskau gingen sie hart gegen die Menge vor. Auch die Polizei setzte Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein. Kritik am harten Vorgehen der Behörden gab es nicht nur von der EU, sondern auch aus dem Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten. Speziell der Einsatz der Kosaken rief dort Unmut hervor. Kremlsprecher Dmitri Peskow hingegen kommentierte die Vorfälle nicht. Nawalny wurde gleich nach seinem Eintreffen auf dem für die Protestaktion zentralen Puschkin-Platz abgeführt. Etwa 80% der Festgenommen wurden innerhalb eines Tages wieder auf freien Fuß gesetzt. Auch Nawalny kam nach mehreren Stunden vorläufig frei, allerdings muss er sich am 11.5.2018 - vier Tage nach den Inaugurationsfeiern im Kreml - vor Gericht wegen der Organisation einer ungenehmigten Kundgebung und Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten. Als Wiederholungstäter droht dem Oppositionellen eine empfindliche Strafe (Standard.at 6.5.2018).

Quellen:

Standard.at (6.5.2018): Härte gegen Proteste vor erneuter Putin-Amtseinführung,

https://derstandard.at/2000079263953/Nawalny-nach-Festnahme-bei-Oppositionskundgebung-wieder-frei, Zugriff 7.5.2018

Standard.at (7.5.201): Putin trat vierte Amtszeit als Präsident an, kommt am 5. Juni nach Wien,

https://derstandard.at/2000079311730/Putin-tritt-vierte-Amtszeit-als-russischer-Praesident-an, Zugriff 7.5.2018

Kurier.at (7.5.2018): Putin trat vierte Amtszeit an und besucht am 5. Juni Wien,

https://kurier.at/politik/ausland/putin-trat-vierte-amtszeit-an-geloebnis-vor-5000-gaesten/400031920, Zugriff 7.5.2018

Wie erwartet ist Russlands Präsident Putin bei der Präsidentschaftswahl am 18.3.2018 im Amt bestätigt worden. Nach Auszählung von 99% der Stimmen errang er 76,7% der Stimmen. Putins stärkster Herausforderer, der Kommunist Pawel Grudinin, kam auf 11,8%, dahinter der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski mit 5,7%. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur Tass zufolge bei knapp 67%, und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration. 70% waren in den letzten Wochen inoffiziell als Ziel gestellt worden, zuletzt hatte der Kreml die Erwartungen auf 65% heruntergeschraubt (Standard.at 19.3.2018, vgl. Presse.at 19.3.2018). Die Beteiligung galt als wichtiger Indikator für Putins Rückhalt in der Bevölkerung. Entsprechend beharrlich hatte die russische Führung die Bürger aufgerufen, ihre Stimme abzugeben (Tagesschau.de 19.3.2018).

Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018).

Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin. Sie stellte Bilder einer Überwachungskamera in einem Wahllokal nahe Moskau zur Verfügung, die offenbar zeigen, wie Wahlhelfer gefälschte Stimmzettel in eine Urne stopfen. Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018).

Quellen:

Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 19.3.2018

Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 19.3.2018

Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 19.3.2018

In Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, ist die gesamte Regierungsspitze auf Befehl Moskaus festgenommen worden, insgesamt sieben Personen: der kommissarische Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und vier weitere ranghohe Beamte. Ihnen wird Korruption vorgeworfen. Persönliche Waffen der Politiker wurden beschlagnahmt. Die Politiker wurden von Sicherheitskräften aus Moskau in Handschellen zum Flughafen gebracht und zu Vernehmungen in die russische Hauptstadt geflogen. Die muslimisch geprägte russische Teilrepublik Dagestan wird von Korruption und islamistischem Extremismus geprägt und macht Moskau Sorgen. Präsident Wladimir Putin entsandte im vergangenen Oktober den ehemaligen russischen Vize-Innenminister Wladimir Wassiljew, um für Ordnung zu sorgen. Im Januar war bereits der Bürgermeister der Hauptstadt, Mussa Mussajew, wegen Amtsmissbrauchs verhaftet worden (Euronews 6.2.2018, vgl. Kurier 5.2.2018).

Der Präsident der Republik Dagestan, Ramasan Abdulatipow, ist im September 2017 von seinem Amt aus Altersgründen zurückgetreten (Ostexperte.de 28.9.2017). Am 9.10.2017 wird daraufhin Wladimir Wasiljew zum kommissarischen Oberhaupt der Republik Dagestan ernannt (Länderanalysen - Chronik 9.10.2017).

Quellen:

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Euronews (6.2.2018): Dagestan: Gesamte Regierung in Handschellen abgeführt,

http://de.euronews.com/2018/02/06/dagestan-gesamte-regierung-in-handschellen-abgefuhrt, Zugriff 7.2.2018

-

Kurier (5.2.2018): Russland: Regierungsspitze in Dagestan festgenommen,

https://kurier.at/politik/ausland/russland-regierungsspitze-in-dagestan-festgenommen/309.777.147, Zugriff 7.2.2018

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Russland Analysen (9.10.2017): Chronik: Russland im Jahr 2017, http://www.laender-analysen.de/russland/chroniken/Chronik_RusslandAnalysen_2017.pdf, Zugriff 7.2.2018

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Ostexperte.de (28.9.2017): Präsident von Dagestan verkündet Rücktritt,

https://ostexperte.de/praesident-von-dagestan-verkuendet-ruecktritt/, Zugriff 7.2.2018

Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder, https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

Dagestan

Dagestan belegt mit einer Einwohnerzahl von knapp drei Millionen Menschen (2% der Gesamtbevölkerung Russlands) den dritten Platz unter den Republiken der Russischen Föderation. Über die Hälfte der Einwohner (54,9%) sind Dorfbewohner. Die Bevölkerung in Dagestan wächst verhältnismäßig schnell. Im Unterschied zu den faktisch monoethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann. Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014, vgl. ACCORD 14.4.2017).

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der der Staat mit aller Härte gegen "Aufständische" vorgeht. Die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern war in den Jahre 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen. Aktionen von Sicherheitskräften nehmen auch die Familienangehörigen von bewaffneten Untergrundkämpfern ins Visier (AA 24.1.2017).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Wie im Abschnitt über Dagestans Völkervielfalt erwähnt, stützt die ethnische Diversität ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. So hatte der Vielvölkerstatus der Republik das Amt eines Präsidenten oder Republikführers lange Zeit verhindert. Erst Anfang 2006 setzte der Kreml den Awaren Muchu Alijew als Präsidenten an die Spitze der Republik. Alijew war in sowjetischer Zeit ein hochrangiger Parteifunktionär und bekleidete danach zehn Jahre lang den Vorsitz im Parlament Dagestans. Er galt als "Mann des Volkes" in einer Republik, in der politische Macht bislang an die Unterstützung durch lokale und ethnische Seilschaften gebunden war. Alijew, so schien es anfangs, stand über diesen Clan-Welten. Doch die Hoffnung auf Korruptionsbekämpfung und bessere Regierungsführung wurde enttäuscht. Moskau ersetzte ihn 2009 durch Magomedsalam Magomedow, einen Sohn des langjährigen Staatsratsvorsitzenden, der als Präsidentenersatz fungiert hatte. Damit verschob sich die politische Macht im ethnischen Spektrum von den Awaren wieder zu den Darginern. Der neue Präsident war mit Hinterlassenschaften der 14-jährigen Herrschaft seines Vaters Magomedali Magomedow konfrontiert, die sein Amtsvorgänger Alijew nicht hatte bewältigen können. Das betraf vor allem Korruption und Vetternwirtschaft. In Dagestan bemühte sich Magomedow vor allem um einen Dialog zwischen den konfessionellen Konfliktparteien der Sufiten und Salafisten und um eine Reintegration der "Waldbrüder", des bewaffneten Untergrunds also, in die Gesellschaft. Er berief auch einen dagestanischen Völkerkongress mit fast 3.000 Teilnehmern ein, der im Dezember 2010 religiösen Extremismus und Terrorismus verdammte und die Bevölkerung aufrief, den Kampf gegen den bewaffneten Untergrund zu unterstützen. Ein Ergebnis des Kongresses war die Schaffung eines Komitees für die Reintegration von Untergrundkämpfern. Doch auch Magomedsalam Magomedow gelang es nicht, die Sicherheitslage in Dagestan zu verbessern. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramsan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus; 1999/2000 hatte er kurzzeitig das ein Jahr später abgeschaffte föderale Ministerium für Nationalitätenbeziehungen geleitet. Damit trat abermals ein Hoffnungsträger an die Spitze der Republik, der als Erstes der Korruption und dem Clanismus den Kampf ansagte. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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