TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/20 W136 2176127-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.09.2018
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Entscheidungsdatum

20.09.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W136 2176133-1/4E

W136 2176117-1/4E

W136 2176120-1/4E

W136 2176125-1/4E

W136 2176127-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerden

1.)

der XXXX , geb. XXXX , 2.) der mj. XXXX auch XXXX , geb. XXXX ,

3.)

der mj. XXXX auch XXXX , geb. XXXX , 4.) des mj. XXXX auch XXXX , geb. XXXX , und 5.) der mj. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Syrien, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 31.08.2017, Zlen. 1.) 1092248603-151618085, 2.) 1091439001-151575446, 3.) 1091439110-151575454, 4.) 1092248810-151618115 und 5.) 1091439208-151575475 zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und 1.) der XXXX , 2.) der mj. XXXX auch XXXX , 3.) der mj. XXXX auch XXXX ,

4.) des mj. XXXX auch XXXX und 5.) der mj. XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass 1.) der XXXX ,

2.) der mj. XXXX auch XXXX , 3.) der mj. XXXX auch XXXX , 4.) des mj. XXXX auch XXXX und 5.) der mj. XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 23.10.2015 für sich und ihre minderjährigen Kinder, die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer, die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Dabei gab sie an, Staatsangehörige Syriens und muslimischen Glaubens zu sein. Sie gehöre der Volksgruppe der Kurden an. Zum Nachweis ihrer Identität legte sie ihren syrischen Reisepass vor.

Am 24.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin statt. Sie sei in Syrien geboren. Sie habe ihre Heimat vor XXXX Jahren (ungefähr XXXX ) legal von Damaskus aus verlassen und sei mit einem PKW nach Jordanien gereist. Nach einem rund sechs oder siebenmonatigen Aufenthalt sei sie dann nach Beirut gereist. Von dort sei sie mit einem Flugzeug nach "Marseilles" (Türkei) und mit einem Bus nach Istanbul und Izmir weitergereist. Anschließend sei sie mit dem Schlauchboot nach Mytelini (Griechenland) und mit einem Schiff nach Athen gefahren und über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien schließlich ins Bundesgebiet eingereist, wo sie am 23.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Sie sei mit ihrem Ehemann, dem Beschwerdeführer zu W136 2176131-1, traditionell und standesamtlich verheiratet. Befragt, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen hat, gab die Erstbeschwerdeführerin zusammenfassend an, dass ihr Bruder und zwei ihrer Cousins im Jahr XXXX im Zuge einer Razzia in der gesamten Nachbarschaft von der Polizei mitgenommen worden seien. Anschließend habe man ihre Leichen gefunden. Vor XXXX Jahren habe die freie syrische Armee dann von ihrem Mann verlangt, an Demonstrationen gegen Assad teilzunehmen. Er habe mit der Politik nichts zu tun haben wollen und sei deswegen von den Mitgliedern bedroht worden. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen befragt, erklärte sie, dass man sie bei einer Rückkehr töten würde.

Am 13.07.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Kurdisch Kurmanji niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte sie zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass von ihnen verlangt worden sei, dass sie an Demonstrationen teilnehmen. Ihr Bruder und ihr Mann seien daraufhin demonstrieren gegangen. In der Folge hätten dann Soldaten ihren Bruder und zwei Cousins mitgenommen und getötet. Danach seien ihr Mann und die anderen Männer ihrer Familie bedroht und gezwungen worden, weiter an den Demonstrationen teilzunehmen. Während sie in den Libanon gereist sei, seien ihr Mann mit den Kindern und dessen Bruder illegal in die Türkei gereist. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen gab sie an, dass sie nicht nach Syrien möchte, da man ihren Mann dort töten würde.

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.08.2017, durch Hinterlegung zugestellt am 30.09.2017, wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 31.08.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität der Erstbeschwerdeführerin, jene der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer jedoch nicht fest und begründete die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Erstbeschwerdeführerin eine persönliche Bedrohung in ihrer Heimat explizit verneint habe. Insoweit sie ihre Flucht mit der Bedrohung ihres Mannes begründet, würde auf dessen Entscheidung und die dortige Beweiswürdigung verwiesen werden bzw. hätten sich dessen Fluchtgründe als nicht asylrelevant erwiesen. Hinsichtlich der minderjährigen Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer wurde zusammenfassend ausgeführt, dass für sie keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden seien.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 26.09.2017 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht eine (gemeinsame) Beschwerde erhoben, welche am 24.10.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde nach einer Wiederholung des bisherigen Fluchtvorbringens im Wesentlichen ausgeführt, dass der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr in die Heimat eine Einziehung zum Militär befürchten würde. Sein (wiederholter) Aufschub des Militärdienstes durch Geldzahlungen sei ihm u.a. durch die Hilfe eines für das syrische Militär arbeitenden Onkels mütterlicherseits möglich gewesen. Aber selbst wenn er den Militärdienst bereits verrichtet hätte, würde ihm jedenfalls der Reservemilitärdienst bzw. als Wehrdienstverweigerer die Todesstrafe drohen.

Die gegenständliche (gemeinsame) Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 10.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Anträge auf internationalen Schutz vom 23.10.2015, der Einvernahmen der Erstbeschwerdeführerin durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Syriens und Angehörige der Volksgruppe der Kurden. Sie bekennen sich zum muslimischen Glauben.

Die Beschwerdeführer reisten illegal nach Österreich ein und stellten am 23.10.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Erstbeschwerdeführerin hat in ihrem und im Verfahren ihrer (minderjährigen) Kinder hauptsächlich von einer Demonstrationsteilnahme ihres Ehegatten und ihres Bruders berichtet bzw. von einer in der Folge erfolgten Mitnahme ihres Bruders und zweier Cousins durch syrische Sicherheitskräfte bzw. Militärangehörige und der anschließenden Auffindung ihrer Leichen, zu sie persönlich oder ihre Kinder betreffenden Fluchtgründen aber keine Angaben gemacht.

Die Beschwerdeführer sind die Ehefrau und die minderjährigen Kinder des XXXX , dem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag, W136 2176131-1, insbesondere wegen seiner durch die Ausreise bzw. seinen Auslandsaufenthalt letztlich erfolgten Entziehung von einer mit entsprechend hoher Wahrscheinlichkeit drohenden Einberufung zur syrischen Armee und einer damit allenfalls unterstellten regimekritischen Einstellung und einer deshalb drohenden Verfolgung durch das syrische Regime gemäß § 3 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Im gegenständlichen Fall liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vor.

Es ist nicht ersichtlich, dass den Beschwerdeführern die Fortsetzung des bestehenden Familienlebens mit ihrem asylberechtigten Ehemann bzw. Vater in einem anderen Staat möglich wäre.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, ihrer Herkunft, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes. Die Identität der Erstbeschwerdeführerin gründet sich auf das von ihr im Verfahren vorgelegte Dokument (syrischer Reisepass). Ihre Identität wurde auch bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellt. Die Identitäten der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer konnten mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden; die im Spruch angeführten Namen dienen lediglich zu ihrer Identifizierung als Verfahrensparteien. Die im Verfahren vorgelegten Dokumente (syrischer Personenstands- und Familienregisterauszug) waren nämlich nicht geeignet, ihre Identität zweifelsfrei nachzuweisen.

Die Feststellungen zur Fluchtroute gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerinnen, ihrer gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerinnen und ihrer Eltern.

Die Zeitpunkte der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation der Beschwerdeführer ergeben sich aus ihren Angaben im Rahmen des Verfahrens sowie aus Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Fremdeninformationssystem, Grundversorgungs-Informationssystem). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

Dass bei den Beschwerdeführern keine eigenen individuellen Fluchtgründe vorliegen, ergibt sich aus dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin.

Die Feststellung, dass es sich bei den Beschwerdeführern um die Ehefrau und die (minderjährigen) Kinder des XXXX handelt, gründet sich auf die diesbezüglich übereinstimmenden sowie gleichbleibenden und damit glaubwürdigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin im Verfahren und auf die vorgelegten Urkunden (Personenstands- und Familienregisterauszug).

Dass dem Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom heutigen Tag gemäß § 3 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wurde, ergibt sich aus dem Gerichtsakt zu W136 2176131-1.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

In den vorliegenden Beschwerdefällen ergibt sich, dass aus den Akteninhalten der Verwaltungsakte die Grundlage der bekämpften Bescheide in Verbindung mit der (gemeinsamen) Beschwerde unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Der maßgebliche Sachverhalt war aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen. Auch die gebotene Aktualität ist unverändert gegeben, zumal die den Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen unverändert die zur Beurteilung des konkreten Falls notwendige Aktualität aufweisen.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt wurde, hat die Erstbeschwerdeführerin eine sie und ihre Kinder betreffende auf den in der GFK taxativ aufgezählten Gründen beruhende Bedrohung oder Verfolgung in Syrien im Verfahren nicht ausreichend substantiiert vorgebracht, weshalb keine individuelle asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat festgestellt werden kann.

Im vorliegenden Fall liegt jedoch ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 bezüglich der Verfahren der Beschwerdeführer und ihres Ehemannes bzw. Vaters vor.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

Dem Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag, W136 2176131-1, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten insbesondere wegen seiner durch die Ausreise bzw. seinen Auslandsaufenthalt letztlich erfolgten Entziehung von einer mit entsprechend hoher Wahrscheinlichkeit drohenden Einberufung zur syrischen Armee und einer damit drohenden Verfolgung durch das syrische Regime zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Da dem Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, ist gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 auch den Beschwerdeführern der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen, zumal keine Sachverhaltselemente, die unter einen der Tatbestände des § 34 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 zu subsumieren wären, erkennbar sind.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Den Beschwerden ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 stattzugeben und festzustellen, dass den Erst- bis Fünftbeschwerdeführern kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz am 23.10.2015, somit vor dem 15.11.2015 gestellt wurden, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall keine Anwendung finden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

aktuelle Bedrohung, aktuelle Gefahr, Asylgewährung, asylrechtlich
relevante Verfolgung, begründete Furcht vor Verfolgung, Bürgerkrieg,
erhebliche Intensität, Familienangehöriger, Familienleben,
Familienverfahren, Fluchtgründe, Flüchtlingseigenschaft,
Glaubhaftmachung, Glaubwürdigkeit, maßgebliche Wahrscheinlichkeit,
Mitwirkungspflicht, Nachvollziehbarkeit, staatliche Schutzfähigkeit,
staatliche Schutzwilligkeit, staatlicher Schutz, Unzumutbarkeit,
Verfolgungsgefahr, Verfolgungshandlung, Wahrscheinlichkeit,
wohlbegründete Furcht, Zurechenbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W136.2176127.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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