TE Vwgh Erkenntnis 2018/9/20 Ra 2018/20/0043

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Veröffentlicht am 20.09.2018
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E19103010;
E6J;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32011L0095 Status-RL Art10 Abs1 litd;
32011L0095 Status-RL Art4 Abs3 lita;
32011L0095 Status-RL Art9 Abs1;
32011L0095 Status-RL Art9 Abs2 litc;
62012CJ0199 VORAB;
AsylG 2005 §3 Abs1;
EURallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger sowie den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, BSc, über die Revision des J B F K in M, vertreten durch Ing. Dr. Christian Macho, MSc, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Hauptplatz 9-13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. Dezember 2017, Zl. W226 2118640- 1/29E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendung in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der aus Kamerun stammende Revisionswerber stellte am 24. April 2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Seinen Antrag begründete er - auf das für das Revisionsverfahren Wesentliche zusammengefasst - einerseits mit seiner sexuellen Orientierung, andererseits mit seinem politischen Engagement im Herkunftsstaat. Er habe seine sexuelle Neigung zu unterdrücken versucht, habe daher auch Beziehungen mit Frauen geführt, mit seiner letzten Partnerin habe er auch einen gemeinsamen Sohn. Diese habe ihn jedoch mit seinem Sohn verlassen und sei aufgrund einer Arbeitsmöglichkeit nach Äquatorial-Guinea gegangen.

Im Zuge des Ermittlungsverfahrens legte er einen Mitgliedsausweis der Sozialdemokratischen Front im Original vor. Dort habe er sich engagiert und dabei auch einen näher bezeichneten Mann kennengelernt. Sie hätten eine diskrete, heimliche Beziehung geführt, bis man sie beobachtet und daraufhin verhaftet habe. Danach sei es zu zahlreichen näher beschriebenen Übergriffen im Gefängnis gekommen. Seine ältere Schwester und zwei Bekannte des näher bezeichneten Mannes hätten sie freigekauft, ihnen aber gesagt, dass sie fliehen müssten.

3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 24. November 2015 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Unter einem sprach es aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Kamerun zulässig sei, und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

4 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 4. Oktober 2016 und am 29. Juni 2017 die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 18. Dezember 2017 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gegen die Entscheidung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Im Rahmen der Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses findet sich im dort abgedruckten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Kamerun vom 23. März 2017 ein Kapitel zu Homosexualität, dem zu entnehmen ist, dass homosexuelle Handlungen auch in dem neuen, am 12. Juli 2016 verkündeten, Strafgesetzbuch unter Strafandrohung stünden. Sie seien gemäß Art. 347a des Strafgesetzbuches strafbar. Dieser sehe für homosexuelle Handlungen Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren sowie Geldstrafen zwischen 30 und 300 Euro vor. Im Kapitel zu den Haftbedingungen finden sich Ausführungen, wonach diese in kamerunischen Gefängnissen sehr schlecht und lebensbedrohlich seien. Sie seien durch Mangel an sauberem Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Hygiene und medizinischer Versorgung geprägt, wodurch es auch zu Todesfällen käme. Weiters kämen Misshandlungen und Vergewaltigungen von Häftlingen - in der Mehrzahl der Fälle durch Mithäftlinge, jedoch auch durch das Gefängnispersonal - immer wieder vor.

6 Hinsichtlich der vorgebrachten Homosexualität traf das BVwG keine ausdrücklichen Feststellungen, führte aber in seiner Beweiswürdigung Folgendes aus:

"Was die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers betrifft, ist glaubhaft, dass dieser zwar nach eigenen Angaben auch über viele Jahre Kontakte mit Frauen hatte und er auch Vater eines Sohnes ist, er über die Jahre jedoch auch Kontakte zu Männern gepflogen hat."

Der Revisionswerber habe den Wandel seiner sexuellen Orientierung bislang sehr diskret ausgelebt, auch seine Freunde seien nur zum Teil homosexuell. Dass der Revisionswerber somit gezwungen wäre, sein Sexualleben in der Zukunft ganz anders auszuleben, als dies in der Vergangenheit offensichtlich der Fall gewesen sei, habe das BVwG nicht erkennen können.

7 In seiner rechtlichen Beurteilung erläuterte das BVwG diesbezüglich fortsetzend, dass aus den Gesamtangaben des Revisionswerbers nicht ableitbar sei, dass "dieser zum gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. in Zukunft im Herkunftsstaat Kamerun konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätte". Das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubwürdig und es hätten sich im Zusammenhang mit der Homosexualität des Revisionswerbers - wie beweiswürdigend dargelegt - keine Umstände ergeben, die im individuellen Fall des Revisionswerbers auf eine asylrelevante Verfolgung schließen ließen.

8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

9 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit u.a. geltend, dass das BVwG es für glaubwürdig erachtet habe, dass der Revisionswerber sowohl zu Frauen wie zu Männern sexuelle Beziehungen gepflegt habe. Gemäß Art. 347a des Strafgesetzbuches von Kamerun seien homosexuelle Handlungen strafbar. Es würden Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren sowie Geldstrafen drohen. Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Hinweis auf EuGH 7.11.2013, Minister voor Immigratie en Asiel / X, Y, Z, C-199/12 bis C-201/12) sei der Revisionswerber als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen. Nach den eigenen Feststellungen des BVwG würden in Kamerun zudem Freiheitsstrafen aufgrund von homosexuellen Handlungen tatsächlich erlassen und exekutiert werden. Aus diesem Grund drohe dem Revisionswerber strafrechtliche Verfolgung durch den Herkunftsstaat im Falle seiner Rückkehr bei öffentlichem Ausleben seiner sexuellen Orientierung.

Zudem weiche das Erkenntnis von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab: Es sei bereits festgehalten worden, dass die strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen im Herkunftsstaat eine Verfolgungshandlung darstelle und als Asylgrund zu qualifizieren sei (Hinweis auf VwGH 16.11.2016, Ra 2015/18/0295). Schon alleine die Gefahr der Verfolgung bei Ausleben der sexuellen Orientierung reiche aus, um den Asylgrund gemäß Art. 1 Abs. 1 A Z 2 GFK oder aber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu verwirklichen. Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei es dem Revisionswerber nicht zumutbar, sich dem Risiko der strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen (wiederum Hinweis auf EuGH 7.11.2013, C-199/12 bis C- 201/12). Ebensowenig wäre es dem Revisionswerber zumutbar, seine Sexualität in Kamerun geheim zu halten, um eine Verfolgung zu vermeiden.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.

12 Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes wurden - wie auch die Revision zutreffend aufzeigt - vor dem Hintergrund der Statusrichtlinie (nunmehr: Richtlinie 2011/95/EU) in den verbundenen Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 im Urteil vom 7. November 2013 zur Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung folgende Vorgaben gemacht:

Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie ist dahin auszulegen, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind. Der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, stellt noch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 iVm Art. 9 Abs. 2 lit. c der Statusrichtlinie dar. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar. Die nationalen Behörden haben, wenn ein Asylwerber geltend macht, dass in seinem Herkunftsland Rechtsvorschriften bestünden, die homosexuelle Handlungen unter Strafe stellten, im Rahmen ihrer Prüfung der Ereignisse und Umstände nach Art. 4 der Statusrichtlinie alle das Herkunftsland betreffenden relevanten Tatsachen einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften dieses Landes und der Weise, in der sie angewandt werden, zu prüfen, wie dies in Art. 4 Abs. 3 lit. a der Statusrichtlinie vorgesehen ist. Von einem Asylwerber kann nicht erwartet werden, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden (vgl. VwGH 16.11.2016, Ra 2015/18/0295, mwH auf EuGH 7.11.2013, Minister voor Immigratie en Asiel/X, Y, Z, C-199/12 bis C- 201/12).

13 Davon ausgehend hätte das BVwG die notwendigen und aktuellen Feststellungen treffen müssen, aus denen nachvollziehbar geschlossen werden kann, inwieweit im Herkunftsland des Revisionswerbers die gesetzlich angedrohten Freiheitsstrafen für homosexuelle Handlungen tatsächlich verhängt werden, um beurteilen zu können, ob in der angedrohten Freiheitsstrafe tatsächlich eine Verfolgungshandlung gesehen werden kann.

14 In diesem Zusammenhang ist weiters zu berücksichtigen, dass es nach Auffassung des EuGH unbeachtlich ist, ob die Gefahr einer Verfolgung im Sinn des Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie dadurch vermieden werden könnte, dass der Betroffene beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung größere Zurückhaltung übt als eine heterosexuelle Person; es kann von einem Asylwerber nicht erwartet werden, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden (EuGH 7.11.2013, Minister voor Immigratie en Asiel/X, Y, Z, C-199/12 bis C- 201/12, Rn. 70 ff). Dies verkennend verneinte das BVwG eine bestehende Verfolgungsgefahr deshalb, weil der Revisionswerber seine sexuelle Orientierung offenbar bislang sehr diskret ausgelebt habe und insofern sein Sexualleben in Zukunft nicht ganz anders ausleben müsste.

15 Indem das BVwG die Rechtslage verkannte, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

16 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. September 2018

Gerichtsentscheidung

euGH 62012CJ0199 VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018200043.L00.1

Im RIS seit

16.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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