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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art133 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, BSc, in der Rechtssache der Revision des A in B, vertreten durch Dr. Anton Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. November 2017, Zl. W263 1424703- 2/20E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber stellte am 30. September 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, den er im Wesentlichen damit begründete, dass sein Vater als Drogen- und Waffenhändler mit der Mafia in Afghanistan zusammengearbeitet habe und von einem Mafiaboss ermordet worden sei. Er sei daraufhin in den Iran geflohen. Dort habe er befürchtet, nach Afghanistan abgeschoben und ebenfalls von dem Mafiaboss getötet zu werden.
2 Das Bundesasylamt wies den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 30. Jänner 2012 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) ab und verfügte die Ausweisung des Revisionswerbers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan (Spruchpunkt III).
3 Die gegen Spruchpunkt I erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 19. März 2015 als unbegründet ab. Im Übrigen fasste das BVwG den Beschluss, die Spruchpunkte II und III des bekämpften Bescheides aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das (nunmehr zuständige) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom 21. Februar 2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. November 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Begründend führte es - zusammengefasst - aus, der Revisionswerber stamme aus der Provinz Takhar und es ergebe sich aus den Feststellungen zur Situation in seinem Heimatland, dass die Herkunftsprovinz des Revisionswerbers als unsicher gelte, er jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative, insbesondere in Kabul, in Anspruch nehmen könne. Beim Revisionswerber handle es sich um einen jungen, anpassungs- und erwerbsfähigen Mann mit schulischer Ausbildung und Berufserfahrung. Er habe bereits im Iran selbst für seinen Lebensunterhalt gesorgt. Auch wenn er bislang noch nicht in Kabul gelebt habe und dort über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte verfüge, habe er seine frühe und mittlere Kindheit in Afghanistan verbracht und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates zumindest grundlegend vertraut. Darüber hinaus spreche er Dari und verstehe "grundsätzlich" Farsi. Bei einer Rückkehr könne er die Unterstützung seiner Familienangehörigen in Anspruch nehmen.
7 Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung führte das BVwG aus, dass sich der Revisionswerber im Alltag auf Deutsch verständige könne, freundschaftliche Kontakte zu Österreichern und afghanischen Staatsangehörigen unterhalte und über zwei Einstellungszusagen verfüge. In Afghanistan habe er seine frühe und mittlere Kindheit verbracht und spreche die Sprache des Herkunftsstaates. Seine Familienangehörigen würden nach wie vor in Afghanistan leben. Das Bestehen einer Lebensgemeinschaft habe nicht festgestellt werden können. Die Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK fiel in einer Gesamtschau zu Ungunsten des Revisionswerbers aus.
8 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 27. Juni 2018, E 164/2018-10, ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 25. Juli 2018, E 164/2018- 12, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
9 Gegen das Erkenntnis des BVwG wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend macht, das BVwG weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, indem es zu Unrecht von der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehe. Zudem sei im Rahmen der Rückkehrentscheidung das Privat- und Familienleben des Revisionswerbers nicht ausreichend gewürdigt worden.
10 Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Die vorliegende Revision vermag nicht darzutun, dass die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber finde aufgrund der festgestellten Umstände des Einzelfalls in der afghanischen Hauptstadt Kabul im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses eine innerstaatliche Fluchtalternative vor, deren Inanspruchnahme zumutbar sei, von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweicht (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001; 7.5.2018, Ra 2018/20/0186 und VfGH 12.12.2017, E 2068/2017, mwN). Wenn in der Revision in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen wird, dass sich die Situation im Heimatland des Revisionswerbers verändert habe und auf im Jahr 2018 hergestellte Berichte und Zeitungsartikel abstellt, ist darauf zu verweisen, dass die angefochtene Entscheidung am 1. Dezember 2017 erlassen wurde. Das auf danach stattgefundene Ereignisse abstellende Vorbringen ist somit als im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbeachtliche Neuerung (§ 41 VwGG) anzusehen. Mit einem Vorbringen, das unter das Neuerungsverbot fällt, kann aber das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht begründet werden (vgl. VwGH 14.8.2018, Ra 2017/17/0357, mwN).
15 Soweit die Revision darüber hinaus die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK beanstandet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0304, mwN). Das trifft hier zu.
16 Insofern sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG in Bezug auf das Bestehen einer Lebensgemeinschaft wendet, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen, soweit der Sachverhalt genügend erhoben ist und die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht die Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 25.4.2018, Ra 2018/18/0184, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist jedoch nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, nämlich sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0107, mwN).
17 Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die Beweiswürdigung in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre. Das BVwG hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der der Revisionswerber und die von ihm als Lebensgefährtin bezeichnete Zeugin M. ausführlich zu ihrer Beziehung befragt wurden. Dass das BVwG aufgrund der Ergebnisse dieser Befragung zu dem Schluss gekommen ist, dass eine Lebensgemeinschaft nicht besteht, erweist sich nicht als unschlüssig.
18 Insoweit der Revisionswerber vorbringt, dass in der Abwägung nach Art. 8 EMRK seine Lebensgemeinschaft zu Unrecht nicht gewürdigt worden sei, entfernt er sich somit vom festgestellten Sachverhalt. Das in der Revision erstattete Vorbringen zu einer (abgebrochenen) Schwangerschaft der Zeugin M. stellt eine unzulässige Neuerung dar und ist im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbeachtlich (§ 41 VwGG).
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 26. September 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018140108.L00Im RIS seit
18.10.2018Zuletzt aktualisiert am
02.11.2018