Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef W*****, vertreten durch Dr. Walter Breitwieser, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagten Parteien 1) Kurt E*****, und 2) D*****-AG, *****, beide vertreten durch Dr. Walter Wanko, Rechtsanwalt in Wels, wegen 31.883,40 S sA (Revisionsstreitwert 27.883,40 S) infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 4. April 1984, GZ 2 R 43/84-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichts Wels vom 11. November 1983, GZ 1 Cg 61/83-16, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:
Spruch
Die Revision wird, soweit sie sich gegen den Zuspruch eines Betrags von 2.839,55 S samt 4 % Zinsen seit 13. Mai 1982 an die klagende Partei richtet, zurückgewiesen.
In diesem Umfang findet ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens nicht statt.
Im Übrigen wird der Revision teilweise Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass sie wie folgt zu lauten hat:
Die Klagsforderung besteht mit 13.941,70 S zu Recht und mit 17.941,70 S nicht zu Recht.
Die eingewendete Gegenforderung der erstbeklagten Partei besteht mit 11.102,15 S zu Recht und darüber hinaus bis zur Höhe der als berechtigt erkannten Klagsforderung nicht zu Recht.
Die beklagten Parteien sind daher zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 2.839,55 S samt 4 % Zinsen seit 13. Mai 1982 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Das Mehrbegehren der klagenden Partei auf Zahlung eines weiteren Betrags von 29.043,85 S samt 4 % Zinsen seit 13. Mai 1982 wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 12.417 S bestimmten Kosten des Verfahrens in erster Instanz binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von 259,98 S (darin Barauslagen von 80 S und Umsatzsteuer von 13,33 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von 2.548,93 S (darin Barauslagen von 384 S und Umsatzsteuer von 196,81 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 12. 3. 1982 ereignete sich gegen 7:35 Uhr im Bereich der Einmündung der ***** Gemeindestraße in die ehemalige *****-Bezirksstraße (Freilandsgebiet) ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen *****, der Erstbeklagte als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen ***** (die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer dieses Kraftfahrzeugs) und Emilie H***** als Lenkerin des PKW mit dem Kennzeichen ***** beteiligt waren. H***** bog mit dem von ihr gelenkten PKW aus der benachrangten Gemeindestraße nach links in die Bezirksstraße ein, auf der sich von rechts die Fahrzeuge des Klägers und des Erstbeklagten näherten. Der Kläger, der zunächst den PKW des Erstbeklagten überholt hatte, fuhr auf den von H***** gelenkten PKW auf. Anschließend fuhr der Erstbeklagte mit seinem Fahrzeug auf den PKW des Klägers auf. Der Kläger wurde bei diesem Verkehrsunfall leicht verletzt; an allen drei beteiligten Fahrzeugen entstand Sachschaden. Wegen dieses Verkehrsunfalls wurde zu AZ 4 U 779/82 des Bezirksgerichts Wels gegen Emilie H***** und den Erstbeklagten ein Strafverfahren eingeleitet; es wurde gemäß § 90 StPO eingestellt.
Der Erstbeklagte hat am 27. 5. 1982 zu AZ 2 C 839/82 des Bezirksgerichts Wels seine Schadenersatzansprüche aus diesem Verkehrsunfall gegen Emilie H***** sowie den Halter und den Haftpflichtversicherer des von ihr gelenkten Fahrzeugs geltend gemacht. Am 15. 3. 1983 brachte der Kläger zu AZ 2 C 293/83 des Bezirksgerichts Wels gegen Emilie H***** und den Haftpflichtversicherer des von ihr gelenkten Fahrzeugs eine Klage ein, mit der er den Ersatz seiner am Vorderteil seines PKW entstandenen Schadens verlangte. Diese beiden Rechtsstreite sind noch in erster Instanz anhängig; Beweise wurden in beiden Verfahren noch nicht aufgenommen.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall von den Beklagten die Zahlung von 31.883,40 S sA, nämlich den Ersatz des durch die Beschädigung am Heckteil seines PKW entstandenen Schadens. Der Höhe nach ist der Klagsbetrag mit 27.883,40 S nicht mehr strittig. Dem Grunde nach stüzte der Kläger sein Begehren auf die Behauptung, dass den Erstbeklagten das Verschulden an den am Heck des PKW des Klägers entstandenen Schäden treffe. Der Kläger habe den PKW des Erstbeklagten vor dem Unfall überholt und habe nach Ende des Überholvorgangs den von Emilie H***** gelenkten PKW in die Kreuzung einbiegen gesehen. Der Kläger habe sein Fahrzeug abgebremst, jedoch sei es zur Kollision mit dem von H***** gelenkten PKW gekommen. Der Erstbeklagte habe sein Fahrzeug gleichfalls nicht mehr zum Stillstand bringen können und sei auf die Rückseite des PKW des Klägers aufgefahren.
Die Beklagten wendeten dem Grund nach ein, das den Erstbeklagten kein Verschulden an diesem Verkehrsunfall treffe; das Verschulden treffe ausschließlich den Kläger und Emilie H*****. Der Erstbeklagte habe sich auf der Bezirksstraße mit einer Geschwindigkeit von höchstens 40 km/h der Einmündung der Gemeindestraße genähert; die Straße sei mit Schneematsch bedeckt gewesen. 100 bis 150 m vor der Einmündung der Gemeindestraße habe der Kläger das Fahrzeug des Erstbeklagten mit einer Geschwindigkeit von mindestens 70 bis 80 km/h überholt. Der Kläger habe sich dann wieder auf seine rechte Fahrbahnseite eingereiht, als in diesem Augenblick H***** mit ihrem PKW von der Gemeindestraße in die Bezirksstraße eingebogen sei und dadurch dem Kläger die Fahrbahn geschnitten habe. Dadurch sei der Kläger zum Abbremsen seines Fahrzeugs genötigt worden. Er habe infolge des Schneematsches seinen PKW nicht mehr rechtzeitig anhalten können und sei gegen das von H***** gelenkte Fahrzeug gefahren. Das Auffahren des Erstbeklagten auf den PKW des Klägers sei einerseits durch das von diesem mit überhöhter Geschwindigkeit durchgeführte Überholmanöver und andererseits durch die von Emilie H***** begangene Vorrangverletzung ausgelöst worden; der Erstbeklagte sei „als unschuldiger Dritter zum Handkuß gekommen“. Schließlich wendeten die Beklagten eine Schadenersatzforderung des Erstbeklagten aus diesem Verkehrsunfall in der Höhe von 27.204,30 S (Reparaturkosten, Wertminderung und Wechselspesen) aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein. Der Höhe nach ist auch diese Gegenforderung mit 22.204,30 S nicht mehr strittig.
Das Erstgericht entschied, dass die Klagsforderung mit 13.941,70 S und die eingewendete Gegenforderung mit 11.102,15 S zu Recht besteht. Es verurteilte daher die Beklagten zur Zahlung von 2.839,55 S sA. Eine ausdrückliche Abweisung des Mehrbegehrens des Klägers erfolgte im Spruch des Urteils des Erstgerichts nicht; dass sie beabsichtigt war, ergibt sich aus dem Zusammenhalt der Entscheidungsgründe.
Das Erstgericht stellte zum Unfallsablauf im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Unfall ereignete sich auf der *****-Bezirksstraße, einer 5,4 m breiten Asphaltstraße. In sie mündet mit einem 25 m breiten Einmündungstrichter die Straße aus *****. In der Fahrtrichtung der Streitteile gesehen (sie fuhren von ***** in Richtung *****) befindet sich nach dem Einmündungstrichter links eine 2,5 m breite Asphaltverbreiterung, die als Autobushaltestelle dient. In der Fahrtrichtung der Streitteile ergibt sich eine Sichtweite bis zum Einmündungstrichter von 230 m.
Zur Unfallszeit war die Sicht klar; die Fahrbahn war mit einer ca 2 cm dicken Neuschneeschicht bedeckt. Das Fahrzeug des Klägers war mit Spikereifen ausgerüstet, das des Erstbeklagten mit Sommer- oder Winterreifen. Der PKW der Emilie H***** war mit Sommerreifen ausgestattet.
Der Erstbeklagte näherte sich der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von ca 40 km/h. Der Kläger war schon längere Zeit hinter dem Erstbeklagten gefahren und hatte die Absicht, auf dem Straßenstück vor der Einmündung der Gemeindestraße zu überholen, weil dies bis ***** für ihn die einzige Gelegenheit war, am Fahrzeug des Erstbeklagten vorbeizukommen. Er begann ca 200 m vor der Mitte des Einmüdnungstrichters der Gemeindestraße den PKW des Erstbeklagten zu überholen. Der Überholvorgang war etwa 30 bis 40 m vor der Mitte des Einmündungstrichters abgeschlossen. Der Kläger beschleunigte dabei auf 70 km/h, während der Erstbeklagte weiter mit 40 km/h fuhr.
Während des Überholmanövers des Klägers fuhr Emilie H***** mit ihrem PKW bis zur Bezirksstraße, hielt ihn 0,5 m vor dem gedachten Straßenrand an, um den Querverkehr zu beobachten und bog dann nach links in Richtung ***** ein, wobei sie wegen ihrer Sommerreifen und der Fahrbahnverhältnisse nur geringe Geschwindigkeit entfalten konnte, weil die Reifen durchdrehten. Sie ordnete sich gleich auf der rechten Seite der Bezirksstraße ganz rechts ein und legte ca 18 oder 19 m zurück, bis sie von hinten vom Fahrzeug des Klägers in der Mitte angefahren wurde. Bis dahin hatte sie eine Geschwindigkeit von 20 km/h erreicht. Vom Anfahren bis zum Zusammenstoß benötigte sie eine Zeit von 7,2 Sekunden. Bis zum Zusammenstoß hatte der Kläger bereits durch 2,2 Sekunden gebremst. Bei seiner Geschwindigkeit von 72 km/h hätte er mit einem Anhalteweg von etwa 70 m rechnen müssen. Von der Unfallstelle war der Kläger 4 Sekunden vor dem Zusammenstoß 70 m weit entfernt. Die Bremsung wurde jedoch erst 35 m vor dem Zusammenstoß begonnen, wobei der Kläger 55 m vor der Kollisionsstelle, das sind 3,2 Sekunden vor dem Zusammenstoß, den Bremsentschluss gefasst hatte. Im Hinblick darauf, dass bei rechtzeitiger Einleitung des Bremsvorgangs durch den Kläger Emilie H***** die Möglichkeit gehabt hätte, weiterzufahren, ist von einer Verhinderungszeit für den Kläger von 3,5 bis 3,8 Sekunden auszugehen. Mindestens 5 Sekunden vor dem Zusammenstoß war für den Kläger erkennbar, das Emilie H***** den bevorrangten Verkehr missachtete und in die Bezirksstraße einfuhr.
Ein Ausweichen unter gleichzeitigem Überholen des von Emilie H***** gelenkten Fahrzeugs war dem Kläger nicht möglich, weil aus der Gegenrichtung der Zeuge D***** mit seinem etwa 1,8 m breiten Traktor samt einem 2 m breiten Anhänger entgegenkam.
Durch den Anstoß des PKW des Klägers gegen das Fahrzeug der Emilie H*****, der mit etwa 40 km/h erfolgte, wobei ein Restbremsweg für den Kläger von 15 m anzunehmen ist, wurde der Anhalteweg des Erstbeklagten um etwa 7 m verkürzt. Der Erstbeklagte stieß mit einer Überschussgeschwindigkeit von 20 km/h gegen das bereits stehende Fahrzeug des Klägers. Bei einer Ausgangsgeschwindigkeit des Erstbeklagten von 40 km/h errechnet sich ein Anhalteweg von 26 m, der in 2,7 Sekunden zurückgelegt wird. Tatsächlich bremste der Erstbeklagte vor dem Zusammenstoß über eine Strecke von 11 m; das entspricht einer Zeitdifferenz bis zum Kontakt von 1,3 Sekunden. 2,3 Sekunden vor dem Unfall war der Erstbeklagte 22 m vom Kontaktpunkt entfernt, 2,7 Sekunden vor dem Unfall 26 m. Auch für den Erstbeklagten erlangte die Vorrangsverletzung der Emilie H***** mindestens 5 bis 6 Sekunden vor dem Zusammenstoß Auffälligkeit.
An Spuren waren lediglich Bremsspuren des Klägers in einer Länge von 34,4 m zurückgeblieben; die Bremsung des Fahrzeugs des Erstbeklagten erfolgte ohne Spurenzeichnung.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass gemäß § 20 Abs 1 StVO jeder Fahrzeuglenker seine Fahrgeschwindigkeit den gegebenen Verkehrsverhältnissen anzupassen habe. Der Kläger und der Erstbeklagte hätten 5 bis 6 Sekunden vor dem Zusammenstoß das Herausfahren der Emilie H***** feststellen können. Unmittelbar darauf hätten sie ihr Fahrzeuge so weit abbremsen müssen, dass ein Zusammenstoß verhindert worden wäre. Der Unterschied in den Verhinderungszeiten (2,7 Sekunden für den Erstbeklagten und 4 Sekunden für den Kläger) sei nicht so gravierend, dass das Verschulden des Klägers oder des Erstbeklagten bedeutend überwiege. Es sei daher ein gleichteiliges Mitverschulden des Klägers und des Erstbeklagten anzunehmen.
Dieses Urteil wurde von beiden Streitteilen mit Berufung bekämpft.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der Berufung der Beklagten keine Folge. Hingegen gab es der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es die Klagsforderung mit 27.883,40 S als zu Recht und mit weiteren 4.000 S als nicht zu Recht bestehend und die eingewendete Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung als nicht zu Recht bestehend erkannte. Es verurteilte daher die Beklagten zur Zahlung von 27.883,40 S sA und wies das auf Zahlung eines weiteren Betrags von 4.000 S sA gerichtete Mehrbegehren des Klägers ab. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO in Ansehung der Abänderung des angefochtenen Urteils zulässig sei.
Das Berufungsgericht führte zum Grund des Anspruchs, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichts über den Unfallsablauf, rechtlich im Wesentlichen aus, dass der Reaktionsverzug des Klägers nicht so schwer wiege wie der Reaktionsverzug des Erstbeklagten. Während der Kläger immerhin 3,2 Sekunden vor dem Zusammenstoß den Bremsentschluss gefasst und insoweit nur eine Reaktionszeit von 1,8 Sekunden verbraucht habe, habe die Bremsung des Erstbeklagten erst 1,3 Sekunden vor dem Zusammenstoß eingesetzt, sodass selbst dann, wenn man dem Erstbeklagten die gleiche Reaktionszeit zubillige wie dem Kläger (1 Sekunde), der Bremsentschluss des Erstbeklagten frühestens 2,3 Sekunden vor der Kollision gefasst worden sei. Die Differernz von 2,7 Sekunden bis zum objektiven Gefahrenerkennungspunkt bedeute schon einen beträchtlichen Reaktionsverzug. Man müsse auch die Verkehrssituation für alle Beteiligten global berücksichtigen. Der Erstbeklagte sei mit einer mäßigen Geschwindigkeit von 40 km/h geradeaus gefahren, habe ohne jeden Verkehrsstress das Geschehn vor sich beobachten können und hätte um so leichter die durch die Vorrangverletzung der Emilie H***** geschaffene kritische Situation vorhersehen und ein Auffahren vermeiden können. Aus den getroffenen Feststellungen ergebe sich, dass für den Kläger die Alarmsitaution infolge der Vorrangverletzung der Emilie H***** erkennbar geworden sei, als er im Überholen des Erstbeklagten begriffen gewesen sei. In dieser Phase sofort die richtige Reaktion zu setzen, sei für den Kläger nicht leicht gewesen. Er habe zumindest bedenken müssen, ob er die Überholspur beibehalten sollte oder ob das Risiko geringer gewesen sei, wenn er auf die rechte Fahrbahnhälfte zurückkehrte und sich zwischen die Fahrzeuge des Erstbeklagten und der Emilie H***** hineinzwängte, wobei er ja nicht sofort abschätzen konnte, wie gering Emilie H***** beschleunigen würde. Auch ein sofortiges scharfes Abbremsen sei für den Kläger so lange nicht gefahrlos möglich gewesen, als er zugleich sein Fahrzeug von der Überholspur auf die rechte Fahrbahnhälfte zurücklenken habe müssen. In diese Zwangslage sei der Kläger ausschließlich durch die Vorrangverletzung der Emilie H***** gebracht worden, die für ihn bei Einleitung des Überholmanövers noch nicht vorhersehbar gewesen sei.
Daraus ergebe sich, dass nicht nur im Verhältnis zwischen den Streitteilen das Gewicht des Reaktionsverzugs des Klägers gegenüber dem Reaktionsverzug des Erstbeklagten erheblich zurücktrete; das überwiegende Verschulden an beiden Zusammenstößen, die ursächlich in einem untrennbaren Konnex stünden, sei der Emilie H***** aufgrund ihrer schweren Vorrangverletzung anzulasten. Es wäre daher nicht zu rechtfertigen, würde man beim Schadensausgleich dieses Verschulden der Emilie H***** außer Betracht lassen. Gerade der Umstand, dass der Kläger einen Teil seines Schadens und der Erstbeklagte seinen gesamten Schaden gegen Emilie H***** gerichtlich geltend gemacht hätten und mit der Erledigung dieser beiden Klagen offenbar bis zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits zugewartet werde, fordere die Verknüpfung einer Einzelabwägung im Verhältnis zwischen den Streitteilen mit einer Gesamtabwägung der Verschuldensanteile aller am Unfall Beteiligten heraus. Eine solche Gesamtschau sei immer dann zulässig, wenn der Geschädigte gegen mehrere Schädiger gleichzeitig vorgehe oder wenn sich nach der Inanspruchnahme eines Schädigers die Frage stelle, was die übrigen Schädiger noch beizutragen hätten. Diese Voraussetzungen seien hier deshalb gegeben, weil der Kläger zugleich auch gegen Emilie H***** wegen desselben Schadensereignisses vorgehe, wenngleich eingeschränkt auf einen Teil seines Schadens. Da andererseits auch der Erstbeklagte seinen Unfallschaden nicht nur als Gegenforderung gegen die Klagsforderung eingewendet, sondern auch gegen Emilie H***** geltend gemacht habe, wäre auf diese Weise die prozessuale Möglichkeit für den Erstbeklagten vorgegeben, jenen Anteil an der Schadenersatzverpflichtung gegenüber dem Kläger, den aufgrund der Gesamtabwägung Emilie H***** schulden würde, gegen diese gemäß § 896 ABGB (§ 11 EKHG) zu regressieren.
Nehme man eine Gesamschau hinsichtlich der Verschuldensanteile aller Beteiligten des Unfalls vom 12. 3. 1982 vor, dann lasse sich jedenfalls sagen, dass Emilie H***** ein erhebliches Verschulden treffe und das Mitverschulden des Erstbeklagten jenes des Klägers noch erheblich übersteige. Insgesamt werde das geringfügige Eigenverschulden des Klägers durch die Verschuldensanteile der Emilie H***** und des Erstbeklagten in einem solchen Ausmaß überwogen, dass es gemäß § 11 Abs 1 EKHG (§ 1304 ABGB) vernachlässigt werden könne. Damit werde noch nicht das Ausmaß des Haftungsanteils der an diesem Verfahren nicht als Partei beteiligten Emilie H***** vorweggenommen. Es könne aber gesagt werden, dass die Haftungsanteile des Erstbeklagten und der Emilie H***** zusammen das geringfügige Mitverschulden des Klägers als Haftungsanteil völlig zurückdrängten.
Gemäß § 8 Abs 1 EKHG sei der Kläger berechtigt gewesen, seinen Ersatzanspruch auch nur gegen einen der beiden anderen Unfallsbeteiligten zu richten, im vorliegenden Fall also nur gegen den Erstbeklagten und gegen die für diesen mithaftende Zweitbeklagte (§ 63 Abs 1 KFG). Aus den dargelegten Gründen sei dieser Ersatzanspruch dem Grunde nach zur Gänze berechtigt, die eingewendete Gegenforderung bestehe hingegen nicht zu Recht.
Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision in Ansehung des abändernden Teils seines Urteils begründete das Berufungsgericht damit, dass es zweckmäßig erscheine, die für die Liquidierung von Schadenersatzansprüchen maßgebliche und daher zur Wahrung der Rechtssicherheit bedeutsame Rechtsfrage an den Obersten Gerichtshof heranzutragen, ob auch bei einer Prozesskonstellation wie jener aufgrund des Verkehrsunfalls vom 12. 3. 1983 bei Bestimmung der Haftungsanteile der einzelnen Unfallsbeteiligten mit einer Gesamtschau vorzugehen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben bzw dahingehend abzuändern, „dass im Sinn der geltend gemachten Berufung erkannt wird, dass die Klagsforderung lediglich mit 6.970,85 S und die Forderung der beklagten Parteien dagegen mit 16.656,23 S zu Recht besteht, die Klage sohin kostenpflichtig abzuweisen ist“.
Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision keine Folge zu geben.
Soweit sich die Revision der Beklagten gegen den Zuspruch eines Betrags von 2.839,55 S sA an den Kläger richtet, ist sie gemäß § 502 Abs 3 ZPO unzulässig. Denn damit bekämpfen die Beklagten einen Teil einer bestätigenden Entscheidung des Berufungsgerichts, die insgesamt einen 60.000 S nicht übersteigenden Teil des Streitgegenstands betraf. Die Revisionsbeschränkung des § 502 Abs 3 ZPO ist nicht nur auf voll bestätigende Urteile des Berufungsgerichts, sondern auch auf die bekämpfung des bestätigenden Teils eines nur teilweise bestätigenden Berufungsurteils anzuwenden (Fasching, Lehrbuch 858 Rz 1972; Petrasch in ÖJZ 1983, 175). In diesem Umfang war daher die Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen.
Ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens kam in diesem Umfang nicht in Betracht. Die Beklagten haben keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten eines unzulässigen Rechtsmittels; der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung den vorliegenden Zurückweisungs-grund nicht geltend gemacht (§§ 40, 41, 50 ZPO).
Im Übrigen ist die Revision der Beklagten zulässig und auch sachlich teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat in der in ZVR 1978/207 = EvBl 1978/84 veröffentlichten Entscheidung ausführlich die Grundsätze der proportionalen Verteilung des Schadens auf mehrere Verantwortliche einschließlich des mitschuldigen Geschädigten durch Einzel- und Gesamtabwägung dargelegt. Bereits in dieser Entscheidung wurde aber ausdrücklich ausgeführt, dass die dort dargestellte Methode der Verknüpfung einer Einzelabwägung mit einer Gesamtabwägung nur anzuwenden ist, wenn der Geschädigte gegen mehrere Schädiger gleichzeitig vorgeht oder wenn sich nach der Insanspruchnahme eines Schädigers die Frage stellt, was die übrigen Schädiger noch aufzubringen haben, dass aber bei der Inanspruchnahme nur eines von mehreren Schädigern nicht etwa über die Beteiligung der übrigen nach freier Überzeugung mitbefunden und dann eine Gesamtschau angeschlossen werden kann, weil die angenommenen Quoten der außerhalb des Rechtsstreits stehenden Schädiger diesen gegenüber nicht bindend wären. Dem ist in der Folge die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs einhellig gefolgt (2 Ob 89/80; 2 Ob 104/80; ZVR 1983/190; 2 Ob 97/83; 2 Ob 14/84). Es besteht daher in dieser Frage eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, von der abzugehen kein Anlass gegeben ist. Von dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht abgegangen, wenn es im vorliegenden Fall bei der vorzunehmenden Verschuldensabwägung das Verschulden des Klägers dem des Erstbeklagten und der nicht am Verfahren beteiligten Emilie H***** gegenüberstellte. Das Berufungsgericht hat somit eine Rechtsfrage des materiellen Rechts, der zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukommt, unrichtig gelöst (§ 502 Abs 4 Z 1 und § 503 Abs 2 ZPO); dies wird in der Revision der Beklagten zumindest sinngemäß zutreffend geltend gemacht.
Bei richtiger rechtlicher Beurteilung darf vielmehr im Sinne dieser ständigen Rechtsprechung das Verschulden der nicht am Verfahren beteiligten Emilie H***** in diesem Rechtsstreit nicht berücksichtigt werden und hat die vorzunehmende Verschuldensabwägung ausschließlich zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits stattzufinden (JBl 1969, 609; ZVR 1974/113; 2 Ob 89/80; 2 Ob 104/80 ua).
Dabei kann, geht man von den Feststellungen der Vorinstanzen aus, weder der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts beigetreten werden, dass das Verschulden des Erstbeklagten das des Klägers beträchtlich überwiege, noch ist den Revisionsausführungen dahin zu folgen, dass eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 3 zu Lasten des Klägers vorzunehmen sei.
Bei der Verschuldensabwägung entscheidet vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr, die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs und der Graf der Fahrlässigkeit der beteiligten Verkehrsteilnehmer (8 Ob 261/82; 8 Ob 80/83; 8 Ob 16/84 uva).
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass iSd § 20 Abs 1 StVO jeder Kraftfahrer verpflichtet ist, auf eine erkennbare Gefahrenlage ohne unnötige Verzögerung durch sofortige Herabsetzung der Geschwindigkeit zu reagieren. Dabei ist die Geschwindigkeit so weit herabzusetzen, dass es dem Kraftfahrer möglich ist, bei Erkennen eines Hindernisses vor diesem ohne Gefährdung von Personen oder Sachen sein Fahrzeug anzuhalten und allenfalls das Hindernis zu umfahren. Hiebei muss der Kraftfahrer alle Hindernisse in Betracht ziehen, mit denen zu rechnen er bei Beachtung aller gegebenen Umstände Veranlassung hat (vgl RZ 1964, 197; ZVR 1964/96; ZVR 1967/208; ZVR 1971/226; ZVR 1978/60; 8 Ob 207/81 ua).
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war der unter Verletzung des dem Kläger und dem Erstbeklagten zukommenden Vorrangs in die Bezirksstraße einfahrende PKW der Emilie H***** mindestens 5 Sekunden vor dem Zusammenstoß sowohl für den Kläger als auch den Erstbeklagten als Gefahr erkennbar. Dass sich hier eine gefährliche Verkehrssituation ergab, war sowohl für den Kläger als auch für den Erstbeklagten aufgrund der Fahrbahnbeschaffenheit (Schneelage), der Ungewissheit, wie schnell Emilie H***** ihr Fahrzeug bei dieser Fahrbahnbeschaffenheit beschleunigen werde können, des zu diesem Zeitpunkt (zulässigerweise) in Gang befindlichen Überholmanövers des Klägers und des entgegenkommenden Traktorzuges sofort und ohne weiteres einsehbar. Insbesondere musste auch der Erstbeklagte, obwohl er mit verhältnismäßig geringer Geschwindigkeit fuhr, unter diesen gegebenen Umständen in Rechnung stellen, dass der Kläger seine Fahrt auch nach Beendigung seines Überholmanövers nicht mit der gleichen Geschwindigkeit fortsetzen werde können. Unter diesen Umständen bestand aber für den Kläger und den Erstbeklagten in gleicher Weise die Verpflichtung, sofort nach Erkennbarkeit des verkehrswidrigen Verhaltens der Emilie H***** die Geschwindigkeit ihrer Fahrzeuge soweit herabzusetzen, dass eine Kollision zu vermeiden war. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wären sowohl der Kläger als auch der Erstbeklagte dazu in der Lage gewesen, doch haben beide erst mit erheblicher Verspätung ein Bremsmanöver eingeleitet, als der Unfall nicht mehr vermieden werden konnte. Wenn diese Verspätung beim Erstbeklagten etwas größer war als beim Kläger, so wird dies dadurch erklärlich, dass für den mit wesentlich geringerer Geschwindigkeit fahrenden Erstbeklagten die vor ihm entstehende Gefahrenlage nicht sofort so augenfällig wurde wie für den im Überholvorgang befindlichen Kläger; ein wesentlicher Unterschied im Gewicht des Fehlverhaltens des Klägers und des Erstbeklagten lässt sich daraus aber nicht ableiten.
Unter diesen Umständen ist iSd § 11 Abs 1 EKHG im Verhältnis zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits mit einer Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1 vorzugehen.
Es war daher in teilweiser Stattgebung der Revision der Beklagten die Entscheidung des Erstgerichts mit der Maßgabe wiederherzustellen, dass dem Spruch die erforderliche eindeutige Fassung zu geben war.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens auf den §§ 40, 41, 50 ZPO.
Textnummer
E122914European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00052.840.1017.000Im RIS seit
18.10.2018Zuletzt aktualisiert am
18.10.2018