Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kocak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Gewährung einer Waisenpension, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. April 2018, GZ 11 Rs 11/18v-10, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob die Kindeseigenschaft des Klägers im Sinn des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG über das 18. Lebensjahr hinaus fortbesteht.
Der 1992 geborene Kläger arbeitete von 27. 8. 2012 bis 15. 6. 2017 bei der L***** GmbH und war anschließend bis September 2017 arbeitslos. Er bezog ein Arbeitslosengeld von täglich 37,22 EUR. Seit 11. 9. 2017 besuchte er die Abendschule einer Höheren Technischen Lehranstalt (HTL) für Berufstätige, wobei er 20,65 Unterrichtsstunden wöchentlich absolviert. Er erhält für die Dauer dieser Ausbildung voraussichtlich bis 30. 6. 2020 ein Fachkräftestipendium des Arbeitsmarktservices von täglich 37,22 EUR (somit monatlich 1.115,69 EUR).
Mit Bescheid vom 28. 8. 2017 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag des Klägers vom 8. 6. 2017 ab, ihm die Waisenpension nach seinem am 4. 7. 2001 verstorbenen Vater zu gewähren.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf Zuspruch der Waisenpension ab 1. 7. 2017 gerichtete Klage ab. Rechtlich ging es davon aus, dem Kläger komme die Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG infolge Selbsterhaltungsfähigkeit nicht mehr zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision des Klägers ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1.1 In seiner Stammfassung stellte das ASVG für die Frage, ob die Kindeseigenschaft durch eigenes Erwerbseinkommen verloren geht, darauf ab, ob Selbsterhaltungsfähigkeit vorlag oder nicht.
1.2 Mit der Neufassung des § 252 ASVG durch die 29. Novelle zum ASVG (BGBl 1973/31) wurde das Kriterium der Selbsterhaltungsfähigkeit aufgegeben. Es sollte die Bindung der Angehörigeneigenschaft an die Unterhaltsberechtigung nach bürgerlichem Recht fallen gelassen werden und durch die leichter feststellbaren Merkmale der überwiegenden Inanspruchnahme der Arbeitskraft durch die Schul- oder Berufsausbildung ersetzt werden (ErläutRV 404 BlgNR 13. GP 88).
1.3 Der Oberste Gerichtshof ging daher davon aus, dass dann, wenn sich ein Kind in einer „hauptberuflichen“ Ausbildung befindet, seine Arbeitskraft dadurch so in Anspruch genommen wird, dass ihm (daneben) eine die Selbsterhaltungsfähigkeit garantierende Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Übte das Kind eine solche aber dennoch aus, so vernichtete das seinen Anspruch auf Waisenpension nicht (RIS-Justiz RS0085139). Neben der Ausbildung erzielte, zur Selbsterhaltungsfähigkeit führende Einkünfte wurden somit als für die Waisenpension nicht anspruchsschädlich erachtet.
2. Für Einkommen, die aus der Ausbildungstätigkeit selbst stammen, wurde hingegen davon ausgegangen, dass die Kindeseigenschaft nur bei einer Berufsausbildung und nur dann über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus weiter besteht, wenn im Rahmen der Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen wird (RIS-Justiz RS0085125; krit R. Müller, Richterliche Rechtsfortbildung im Leistungsrecht der Sozialversicherung, DRdA 1995, 465 [473 ff], der diese unterschiedliche Behandlung von Einkommen je nachdem, ob sie neben oder durch die Ausbildung erzielt werden, nach dem Maßstab des Gleichheitssatzes für unvertretbar hält).
3.1 Anders liegt der vorliegend zu beurteilende Fall, in dem die Waise für den Zeitraum einer Ausbildung (öffentliche) Mitteln des Arbeitsmarktservices zur Bestreitung des Lebensunterhalts in einer die Selbsterhaltungsfähigkeit gewährleistenden Höhe erhält. Derartige Leistungen stehen nach bisheriger Rechtsprechung dem Anspruch auf Waisenpension entgegen. Im Falle eines Besuchs eines Büropraxiskurses für Maturanten wurde wegen der hiefür von der Arbeitsmarktverwaltung gemäß § 20 Abs 2 AMFG gewährten Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts von 5.131 ATS monatlich die Kindeseigenschaft als nicht weiter fortbestehend angesehen (10 ObS 18/88, SSV-NF 2/35). Ein während der Ausbildung in einer Fachschule vom Arbeitsamt ausnahmsweise zuerkanntes Arbeitslosengeld (mit gleichartiger Funktion wie der gemäß § 20 Abs 2 AMFG gewährte Zuschuss) wurde ebenfalls als der Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG entgegenstehend qualifiziert (RIS-Justiz RS0085143 = 10 ObS 229/91, SSV-NF 5/91). Auch nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Wien war in jenen Fällen, in denen ein öffentlich-rechtlicher Rechtsträger die Berufsaus- oder Berufsfortbildung übernimmt oder für eine Umschulung sorgt und diese berufsfördernde Maßnahme durch eine Beihilfe aus öffentlichen Mittel unterstützt wird, darauf abzustellen, ob durch diese Beihilfe der Lebensunterhalt der Waise gesichert wird (34 R 225/84, SSV 24/109; 32 R 143/83, SSV 25/93; 33 R 113/86, SSV 26/45; zustimmend Panhölzl in SV-Komm [207. Lfg] § 252 ASVG Rz 57; R. Müller, Richterliche Rechtsfortbildung im Leistungsrecht der Sozialversicherung, DRdA 1995, 465 [473 ff] nimmt bei seiner Kritik auf diese speziellen Fallgestaltungen keinen Bezug).
3.2 Die Rechtsprechung zum Wegfall der Kindeseigenschaft, wenn während einer Ausbildung Mittel des Arbeitsmarktservice zur Deckung des Lebensbedarfs bezogen wurden, beruht auf dem Gedanken, dass der Zweck der Waisenpension ganz allgemein darin liegt, an die Stelle der Unterhaltsleistung des verstorbenen Versicherten zu treten. Die Waisenpension soll die für die Dauer der Ausbildung bestehende Unmöglichkeit, gleichzeitig ein die Selbsterhaltung garantierendes Erwerbseinkommen zu erzielen, zumindest teilweise ausgleichen. Aus dem Grundgedanken der Waisenpension ergibt sich somit, dass diese erst dann subsidiär zur Sicherung des Lebensunterhalts herangezogen werden soll, wenn und solange während einer Ausbildung die angemessene Bedürfnisdeckung außerhalb des elterlichen Haushalts nicht schon anderweitig durch öffentliche Mittel – wie durch vom Arbeitsmarktservice gewährte Mittel bzw Arbeitslosengeld – abgedeckt wird (Panhölzl in SV-Komm, § 252 ASVG Rz 57; Standeker, Verlängerte Kindeseigenschaft und Waisenpension, ZAS 2001, 129 [135]). In derartigen Fällen ist eine Bedarfslage vom Gesetzgeber vorausgesetzt, bei deren Nichtvorliegen der Gesetzeswortlaut des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG durch eine gedachte Ausnahmebestimmung teleologisch zu reduzieren ist. Die Gewährung einer den Lebensunterhalt deckenden Waisenpension ist jedenfalls dann nicht länger angebracht, wenn die Waise
neben einer ihre Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schul- oder Berufsausbildung ihren Lebensunterhalt aus einem aus den Mitteln des Arbeitsmarktservice finanzierten Stipendium oder Ausbildungsbeitrag abdecken kann.
3.3 Die Ansicht der Vorinstanzen, auch im vorliegenden Fall sei die Kindeseigenschaft im Hinblick auf das dem Kläger für die Dauer der Teilnahme an der Ausbildung gewährte Fachkräftestipendium (§ 34b Abs 4 AMSG) weggefallen, stellt demnach keine vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung dar. Dieses Stiupendium dient für die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung als Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts (§ 34b Abs 5 AMSG) und erreicht eine die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernde Höhe. Die Gewährung einer den Lebensunterhalt deckenden Waisenpension zusätzlich zum Fachkräftestipendium würde daher der vom Gesetzgeber vorausgesetzten Bedarfslage nicht entsprechen.
Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.
Textnummer
E122903European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00067.18B.0913.000Im RIS seit
17.10.2018Zuletzt aktualisiert am
22.06.2020