TE OGH 2018/9/13 10Ob57/18g

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Veröffentlicht am 13.09.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S*****, Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie, *****, Deutschland, vertreten durch Krall & Kühnl Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei V*****, Estland, vertreten durch Dr. Jörg Bohmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen 25.067,23 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 12. April 2018, GZ 2 R 22/18d-61, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 8. Jänner 2018, GZ 40 Cg 8/15k-52, als verspätet zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Gerichts zweiter Instanz wird ersatzlos behoben und dem Oberlandesgericht Innsbruck die (inhaltliche) Entscheidung über das Rechtsmittel aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Zwischen dem Kläger und dem Beklagten ereignete sich am 9. 2. 2012 in einem Tiroler Schigebiet ein Schiunfall. Der Kläger ist Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie und war zum Unfallzeitpunkt in einer Gemeinschaftsärztepraxis in Deutschland tätig.

Er begehrte im Verfahren 17 Cg 26/13k des Landesgerichts Innsbruck (im Folgenden nur: „Vorverfahren“) vom Beklagten 148.605,32 EUR sA, (30.000 EUR an Schmerzengeld, 1.526,32 EUR an Behandlungskosten, Bergungskosten und Sachschäden sowie 117.079 EUR an Verdienstentgang) und erhob auch ein Feststellungsbegehren. Zum Begehren auf Verdienstentgang brachte der Kläger vor, er sei aufgrund des Unfalls vom 9. 2. 2012 bis 18. 3. 2012 und vom 24. 4. 2012 bis 24. 6. 2012 arbeitsunfähig gewesen. Seine Einnahmen seien im ersten Halbjahr 2012 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2011 um 117.079 EUR niedriger gewesen.

Nach Einlangen der Klagebeantwortung erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 29. 1. 2014 („Klageeinschränkung“), das Klagebegehren um die Position Verdienstentgang um 117.079 EUR ohne Anspruchsverzicht einzuschränken. Mangels Vorliegens des Steuerbescheids für 2012 sei er derzeit noch nicht in der Lage, den ihm aus seiner unfallsbedingten Arbeitsunfähigkeit vom 9. 2. 2012 bis zum 18. 3. 2012 sowie vom 24. 4. 2012 bis zum 24. 6. 2012 erwachsenen Verdienstentgang exakt zu beziffern und durch Urkunden unter Beweis zu stellen.

Der Beklagte gab zu der Klageeinschränkung keine Erklärung ab. Ein Beschluss darüber, dass das Verfahren über den Verdienstentgang infolge Klagsrückziehung für beendet erklärt wird, erfolgte nicht.

Mit Urteil vom 22. 10. 2014 wurde im Vorverfahren die Klageforderung mit 9.238,16 EUR und die Gegenforderung mit 6.239 EUR als zu Recht bestehend festgestellt. Über den Verdienstentgang des Klägers wurde nicht abgesprochen. Weiters wurde festgestellt, dass der Beklagte dem Kläger für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden aus dem Schiunfall vom 9. 2. 2012 zu 50 % hafte. Diese Entscheidung wurde vom Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 8. 1. 2015 zu AZ 1 R 206/14z bestätigt und erwuchs in Rechtskraft.

Mit seiner nunmehrigen Klage begehrt der Kläger 24.067,23 EUR sA an Verdienstentgang mit dem Vorbringen, er sei vom 9. 2. 2012 bis 18. 3. 2012 wegen der unmittelbaren Unfallfolgen und vom 24. 4. 2012 bis 24. 6. 2012 wegen der unfallbedingt erlittenen Schulterverletzung und der deshalb erforderlichen Schulteroperation arbeitsunfähig gewesen. Sein Durchschnittseinkommen als Facharzt errechne sich in den Jahren 2009, 2010 und 2011 pro Arbeitstag mit 677,95 EUR (vor Steuern). Er sei unfallkausal an 71 Tagen arbeitsunfähig gewesen, sodass sich ein Verdienstentgang von insgesamt 48.134,45 EUR vor Steuern und Abgaben errechne. Im Hinblick auf das im Vorverfahren festgestellte Mitverschulden im Ausmaß von 50 % werde nur ein anteiliger Betrag von 24.067,23 EUR begehrt. Die Klageeinschränkung im Verfahren AZ 17 Cg 26/13k stelle keine Klagszurücknahme unter Anspruchsverzicht dar, weshalb eine neuerliche Einklagung zulässig sei.

Der Beklagte bestritt und wendete Verjährung ein. Selbst wenn Verjährung nicht eingetreten sein sollte, sei die Klageeinschränkung im Vorverfahren als partielle Klagerücknahme zu werten, für welche die Voraussetzungen des § 237 ZPO gelten würden. Die erforderliche Zustimmung zur Klagerücknahme habe der Beklagte nicht abgegeben. Daraus folge, dass eine Klageeinschränkung nur unter Anspruchsverzicht möglich wäre. Selbst wenn keine Verjährung und kein Anspruchsverzicht vorliege, habe der Kläger infolge seiner Entgeltfortzahlungsansprüche gegenüber der Gemeinschaftspraxis keinen Verdienstentgang erlitten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit Urteil ab. Eine (beschlussmäßige) Entscheidung über die erhobene Prozesseinrede (Zurücknahme der Klage unter Anspruchsverzicht) im Spruch erfolgte nicht. Das Erstgericht traf nach Abführung eines Beweisverfahrens (ua durch Einholung eines Buchsachverständigengutachtens) umfangreiche Feststellungen zu den in der Gemeinschaftspraxis geltenden Regelungen zur Umsatz- und Gewinnermittlung, zu den Entnahmen, zur Auszahlung und zur Verrechnung und stellte die Höhe der vom Kläger in der Gemeinschaftspraxis selbständig erzielten (auf den Gewinnanteil anrechenbaren) und unselbständig – in Form eines monatlichen Fixbetrags – erzielten Einkünfte fest. Weiters stellte es fest, dass im Unfalljahr der Ausfall des Klägers durch seine Partner kompensiert wurde, sodass in der Gemeinschaftspraxis kein unfallkausaler Umsatz- und Gewinneinbruch feststellbar war.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass materiell deutsches Recht anzuwenden sei (Art 4 Rom II-VO). Verfahrensrechtlich gelte die österreichische Zivilprozessordnung. Da im Vorverfahren mehrere selbständige Ansprüche geltend gemacht worden seien, sei es dort nicht zu einer Klageeinschränkung gekommen, sondern zu einer teilweisen Klagerückziehung, die entweder der Zustimmung des Beklagten oder eines Anspruchsverzichts bedurft habe. Ein Anspruchsverzicht oder eine ausdrückliche Zustimmung des Beklagten sei nicht erteilt worden. Dessen Stillschweigen zur Klagerückziehung bedeute auch keine konkludente Zustimmung. Es liege daher das Prozesshindernis der Klagerückziehung vor. Auch wenn man die Klageeinschränkung nicht als partielle Klagerückziehung qualifiziere, bestehe der Anspruch des Klägers nicht zu Recht. § 252 BGB definiere den entgangenen Gewinn als jenen, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Nach den Sachverhaltsfeststellungen hätte der Kläger nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge aber kein Einkommen in der Höhe des geltend gemachten Verdienstentgangs erzielt. Aus diesen Gründen sei das Klagebegehren abzuweisen.

In seinem als Berufung bezeichneten Rechtsmittel vertrat der Kläger den Standpunkt, dass die im Vorverfahren ausdrücklich ohne Anspruchsverzicht fallen gelassenen Verdienstentgangsansprüche neuerlich einklagbar seien und keine Rechtfertigung für die Abweisung des Klagebegehrens darstellten. Außerdem werde der Schädiger nicht dadurch entlastet, dass der Ausfall des Geschädigten durch überpflichtgemäße Anstrengungen von Mitarbeitern oder Angehörigen ausgeglichen werde.

Das Rechtsmittelgericht fasste das als Berufung bezeichnete Rechtsmittel als Rekurs auf und wies es infolge Verspätung wegen Ablaufs der 14-tägigen Rekursfrist zurück. Bei dem vom Erstgericht erkannten Prozesshindernis der Klagerückziehung unter Anspruchsverzicht wäre richtig mit Zurückweisung mittels Beschluss und nicht mit Abweisung durch Urteil vorzugehen gewesen. Daran ändere nichts, dass das Erstgericht auch (unzulässige) Ausführungen in der Sache selbst gemacht habe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den bekämpften Beschluss aufzuheben und die Rechtssache an das Gericht zweiter Instanz zur inhaltlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Beklagte erstattete eine Rekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Richtet sich ein Rechtsmittel gegen einen Zurückweisungsbeschluss des Rekursgerichts, der auf die abschließende Verweigerung des Rechtsschutzes nach einer Klage hinausläuft, so ist nach nun ständiger Rechtsprechung für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels § 519 Abs 1 Z 1 ZPO analog anzuwenden (4 Ob 233/16t mwN). Dies wurde auch für den Fall bejaht, dass eine Berufung vom Gericht zweiter Instanz in einen Rekurs umgedeutet und wegen Verspätung zurückgewiesen worden war (4 Ob 233/16t mwN). Das Rechtsmittel ist daher jedenfalls als „Vollrekurs“ zulässig.

2.1 Das Rekursgericht hat sich auf die Rechtsprechung gestützt, nach der das Vergreifen in der Entscheidungsform weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des Rechtsmittels und die Rechtsmittelfrist beeinflusst, weil auch Gerichtsfehler nicht zur Verlängerung der Notfristen führen können (RIS-Justiz RS0041880; RS0036324; RS0041859).

2.2 Diese Rechtsprechung setzt voraus, dass das Erstgericht in den Entscheidungsgründen unzweifelhaft und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, das Klagebegehren in Form eines Beschlusses zurückweisen zu wollen, im Spruch aber dann irrtümlich mit einer Klageabweisung vorgegangen ist (3 Ob 52/15s; 9 Ob 22/16z; 2 Ob 138/12a; RIS-Justiz RS0110742). Nur unter dieser Voraussetzung wäre davon auszugehen, dass seine Entscheidung trotz der unrichtigen Bezeichnung einen Beschluss darstellt.

2.3 Dies ist aus der Begründung der erstgerichtlichen Entscheidung aber nicht eindeutig ableitbar. Das Erstgericht hat seine rechtliche Beurteilung nicht darauf beschränkt, dass es seine Entscheidungsbefugnis infolge einer vorherigen Klagszurücknahme unter Anspruchsverzicht unmissverständlich verneint hat. Vielmehr befasst sich das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung vorerst mit der Abgrenzung einer (gemäß § 235 Abs 4 ZPO zulässigen) Klageeinschränkung von einer teilweisen Klagerückziehung (die nur mit Zustimmung des Beklagten oder unter Anspruchsverzicht zulässig ist) und vertritt die Ansicht, der Schriftsatz vom 29. 1. 2014 („Klageeinschränkung“) stelle eine partielle Klagerücknahme dar, die (mangels Zustimmung des Beklagten) als Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht zu werten sei, weswegen das Prozesshindernis der Klagerückziehung vorliege. Diese Schlussfolgerung stellt aber kein abschließendes Ergebnis im Sinn einer endgültigen Verneinung einer Entscheidungsbefugnis dar, stellt das Erstgericht doch schon im nächstfolgenden Satz seiner Entscheidungsbegründung diese Rechtsansicht wieder in Frage und nimmt nach dem Hinweis, es könnte doch eine (zulässige) Klageeinschränkung vorliegen, eine mehrere Seiten umfassende rechtliche Sachprüfung der Verdienstentgangsansprüche vor, an deren Ende sich der Satz findet „Aus diesen Gründen war das Klagebegehren abzuweisen“. Dass der Entscheidungswille des Erstgerichts dahin ging, infolge Vorliegens eines Prozesshindernisses die Klage zurückzuweisen, lässt sich somit aus der Entscheidungsbegründung nicht eindeutig ableiten. Ein in der Entscheidung selbst objektiv nicht zweifelsfrei erkennbarer richterlicher Entscheidungswille ist aber als Auslegungsmittel der gerichtlichen Entscheidung untauglich (RIS-Justiz RS0000234 [T1]; siehe auch RS0110742 [T1]).

3. Im Übrigen hat das Erstgericht außer Acht gelassen, dass eine Klagerückziehung mangels Anspruchsverzichts oder Zustimmung des Beklagten prozessual unwirksam bleibt und die Verdienstentgangsansprüche mangels einer darüber ergangenen Entscheidung aus dem Vorverfahren als nicht erledigter Teil ausgeschieden wären (vgl RIS-Justiz RS0039606; RS0041490). Sofern – wie im vorliegenden Fall – weder ein Ergänzungsurteil beantragt noch im Hinblick auf die Nichterledigung Berufung erhoben wurde, kann der nicht erledigte Teil neuerlich mit Klage geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0039435). Die Ansicht, mangels Zustimmung des Beklagten zu einer Klagerückziehung liege eine solche unter Anspruchsverzicht vor, liefe darauf hinaus, dem Kläger eine Anspruchsverzichtserklärung zu unterstellen, obwohl er deren Abgabe ausdrücklich abgelehnt hat.

4. Zusammenfassend ergibt sich:

Da sich auch aus der Begründung der Entscheidung des Erstgerichts nicht unzweifelhaft erkennen lässt, das Erstgericht habe die Klage aus formellen Gründen zurückweisen wollen und sich nur in der Entscheidungsform vergriffen, ist die Entscheidung als Sachentscheidung (Urteil) anzusehen, gegen die die vierwöchige Berufungsfrist offen steht.

Davon ausgehend ist die Berufung nicht verspätet (Zustellung des Ersturteils am 17. 1. 2018, Einbringung der Berufung am 13. 2. 2018).

Das Berufungsgericht wird daher das Verfahren unter Abstandnahme von dem Zurückweisungsgrund fortzusetzen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 2 ZPO.

Textnummer

E122927

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00057.18G.0913.000

Im RIS seit

19.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

24.01.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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