TE OGH 2018/9/26 1Ob159/18s

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Veröffentlicht am 26.09.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. P***** L*****, Deutschland, vertreten durch Dr. Frank Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch die Bechtold und Wichtl Rechtsanwälte GmbH, Dornbirn, wegen 151.603,87 EUR sA und Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Mai 2018, GZ 1 R 28/18d-359, mit dem das Endurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 5. Dezember 2017, GZ 42 Cg 143/03m-353, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Zur außerordentlichen Revision der Klägerin:

1. Selbst bei Bejahung einer Verletzung der Aufklärungspflicht kann sich der Arzt von der Haftung durch den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens (Einwilligung des Patienten auch bei ordnungsgemäßer Risikoaufklärung) befreien. In einem solchen Fall trifft den Arzt oder Krankenhausträger die Behauptungs- und Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte (RIS-Justiz RS0038485 [T1]; RS0111528 [T1, T8]; 1 Ob 9/11x [vorangegangener Rechtsgang]).

Bei der Frage, ob der Patient bei ausreichender Aufklärung seine Zustimmung zum Eingriff erteilt hätte, handelt es sich um eine nicht revisible Tatfrage (RIS-Justiz RS0038485 [T16]). Dazu haben die Tatsacheninstanzen festgestellt, dass sich die Klägerin jedenfalls zum Eingriff und zu der durchgeführten Operationsmethode entschlossen hätte, auch wenn sie auf andere Operationsmethoden hingewiesen worden wäre, sie über die Risiken und Folgen der Operation informiert worden wäre und auch davon Kenntnis gehabt hätte, dass eine Fehlstellung des Dübels zu einer Scheuerung des Knorpels führen kann, was bei einer anderen Operationsmethode nicht der Fall gewesen wäre. Damit konnte aber die Beklagte – wovon das Berufungsgericht zutreffend ausging – den Beweis der Rechtmäßigkeit des ärztlichen Eingriffs trotz der Aufklärungspflichtverletzung durch ihren Arzt wegen der hypothetischen Einwilligung der Klägerin erbringen. Weiterer Feststellungen, wie etwa solcher zum von der Klägerin relevierten Verzicht auf die Einholung einer Zweitmeinung, bedarf es für den Beweis der Einwilligung bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht.

2. Eine von einer höheren Instanz verfügte Verfahrensergänzung ist nur innerhalb der Schranken des § 496 Abs 2 ZPO vorzunehmen (Zechner in Fasching/Konecny2 § 510 ZPO Rz 10). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dürfen auch bei der Aufhebung nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO abschließend erledigte „Streitpunkte“ nicht wieder aufgerollt werden (RIS-Justiz RS0042014 [T3]; RS0042031; RS0042411 ua). Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes wird nur für Tatsachen anerkannt, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im vorangegangenen Rechtsgang entstanden sind (RIS-Justiz RS0042014 [T2]; RS0042031 [T3, T19]; RS0042411 [T3]). Das Verfahren im weiteren Rechtsgang ist stets auf den von der Aufhebung (ausdrücklich) betroffenen Teil zu beschränken (RIS-Justiz RS0042031 [T4]).

Nach den vom Berufungsgericht geteilten Feststellungen des Erstgerichts im dritten Rechtsgang hatte der durch die Fehlbehandlung bei der Klägerin entstandene Knorpeldefekt keinerlei Auswirkungen auf die Notwendigkeit weiterer Operationen, behinderte die Folgeoperationen nicht, die Erfolgsaussichten wurden durch den Knorpel-Knochendefekt nicht gemindert und die Erfolglosigkeit der weiteren Operationen stand damit nicht im Zusammenhang. Im Gegensatz dazu traf das Erstgericht im vierten Rechtsgang davon abweichende Feststellungen zur Mitursächlichkeit des Knorpeldefekts. Die dazu vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, die nunmehr
– aufgrund der Beiziehung eines anderen Sachverständigen – getroffenen Tatsachenfeststellungen seien unbeachtlich, weil es sich dabei um keine „neuen Tatsachen“ handle und infolge endgültiger Erledigung dieser Tatsachenfrage im dritten Rechtsgang darauf nicht mehr einzugehen sei, hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung. Mit ihrer Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe im vierten Rechtsgang die neuerliche Überprüfung der besagten Feststellung abgelehnt, zeigt die Klägerin somit keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl 2 Ob 144/11g mwN).

3. Die Klägerin begehrte mit der am 4. 6. 2003 eingebrachten Klage Verdienstentgang von 25.000 EUR sA für die Zeit vom 5. 6. 2000 bis zum 30. 6. 2004. Mit Schriftsatz vom 21. 6. 2017 dehnte sie ihr Verdienstentgangsbegehren für diesen Zeitraum um 68.103,87 EUR sA aus. Die Beklagte erhob insoweit den Einwand der Verjährung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs schließt ein die Schadenersatzpflicht der Beklagten bejahendes Feststellungsurteil die Verjährung von Folgeschäden für die Dauer von 30 Jahren ab seiner Rechtskraft aus; eine Ausnahme von diesem Grundsatz bilden wiederkehrende Leistungen im Sinn des § 1480 ABGB (RIS-Justiz RS0034215). Soweit ein stattgebendes Feststellungsurteil die Verpflichtung zum Ersatz künftig fällig werdender Rentenbeträge in sich begreift, unterliegen diese dann neuerlich der dreijährigen Verjährung (RIS-Justiz RS0034202). Schadenersatz für Verdienstentgang ist in der Regel durch Renten zu leisten, die der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1480 ABGB unterliegen (RIS-Justiz RS0030928), was von der Revisionswerberin auch gar nicht in Zweifel gezogen wird.

Mit Teilurteil des Berufungsgerichts vom 13. 10. 2010 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 26. 1. 2015 wurde festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin aufgrund der bei der Nachbehandlung zur Operation vom 5. 6. 2000 unterlaufenen (näher beschriebenen) Fehlbehandlung, wodurch es zu einem Scheuerdefekt vorne am linken Schultergelenkskopf kam, für sämtliche künftige Schäden, die aus der dadurch verursachten Arthrose entstehen, zur Hälfte hafte, und wies das Feststellungsmehrbegehren, dass die Beklagte zu weiteren 50 % für künftige Schäden aus der verursachten Arthrose hafte, ab. Dieses Teilurteil erwuchs hinsichtlich des klagestattgebenden Feststellungsbegehrens am 7. 12. 2010 in Rechtskraft, hinsichtlich der Teilabweisung erst später.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die ausgedehnten Verdienstentgangsbeträge, die sich auf den Zeitraum 5. 6. 2000 bis 30. 6. 2004 beziehen, ausgehend von der Rechtskraft des klagestattgebenden Feststellungsurteils des Berufungsgerichts im zweiten Rechtsgang verjährt seien, weil die dreijährige Verjährungsfrist im Zeitpunkt der Klagsausdehnung im Jahr 2017 bereits abgelaufen sei und es der Klägerin zumutbar gewesen wäre, den zeitlich begrenzten Verdienstentgang durch Einholen eines Privatgutachtens vor Ablauf der Verjährungsfrist beziffern zu können, ist nicht zu beanstanden. Die Grenzen der Erkundigungspflicht hängen regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RIS-Justiz RS0034524 [T12, T22]). Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin durch zumutbare Maßnahmen (vgl nur RIS-Justiz RS0034524 [T56]) die Höhe ihres Verdienstentgangsanspruchs ganz erheblich früher beziffern hätte können, ist im konkreten Einzelfall unbedenklich, zumal sie im Laufe des Verfahrens und Jahre vor der vorgenommenen Klagsausdehnung ihren Verdienstentgang sowohl bis zum 31. 12. 2010 als auch bis zum 30. 6. 2004 der Höhe nach konkret beziffert hatte. Trotzdem machte sie ausdrücklich nur einen Verdienstentgang im Teilbetrag von 25.000 EUR sA geltend. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin hätte die Höhe des Verdienstentgangs ohne weiteres noch innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist – oder zumindest mehr als drei Jahre vor der Ausdehnung – erheben können, liegt damit nicht vor, darf sich doch der Geschädigte nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, von den maßgeblichen Tatsachen eines Tages zufällig – oder durch zu einem beliebigen Zeitpunkt unternommene weitere Schritte – Kenntnis zu erlangen (vgl nur 10 Ob 22/03p; 1 Ob 13/04z, jeweils mwN).

Zur außerordentlichen Revision der Beklagten:

4.1. Die Frage, welchen rechtlich erheblichen Inhalt eine gerichtliche Entscheidung hat, ist eine Rechtsfrage, die aufgrund des Wortlauts des Spruchs und der Gründe der Entscheidung in Verbindung mit dem dadurch angewandten Gesetz gelöst werden muss und nicht durch Erforschung des vermeintlichen Willens der am Zustandekommen der Entscheidung beteiligten Organwalter. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass Rechtsakte rechtskonform, gerichtliche Entscheidungen somit im Zweifel so auszulegen sind, dass ihnen nicht ohne Not eine Deutung gegeben wird, die sie als gesetzwidrig erscheinen ließe (RIS-Justiz RS0008802). Ein etwa in der Entscheidung selbst objektiv nicht hinreichend bestimmt zum Ausdruck gebrachter richterlicher Entscheidungswille ist als Auslegungsmittel der gerichtlichen Entscheidung untauglich (RIS-Justiz RS0000234 [T1]). Fragen der Auslegung einer gerichtlichen Entscheidung entziehen sich im Allgemeinen generellen Aussagen; auch ihnen kann daher keine Bedeutung als erhebliche Rechtsfrage zukommen, sofern nicht eine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung vorliegt (RIS-Justiz RS0118891 [T3]). Das ist hier nicht der Fall.

4.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das rechtskräftige Zwischenurteil im zweiten Rechtsgang („Das Zahlungsbegehren besteht dem Grunde nach insoweit zu Recht, als der Klägerin Schadenersatz aus der Fehlbehandlung zusteht, die insofern vorlag, als ...“) bindend über den Grund des Zahlungsbegehrens abgesprochen habe, sodass die Beklagte für alle Schäden der Klägerin zur Gänze hafte, die diese bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz in diesem Rechtsgang mit ihrem Zahlungsbegehren geltend gemacht hatte, ist nicht korrekturbedürftig. Für alle der Klägerin nach diesem Zeitpunkt bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im vierten Rechtsgang entstandenen (und von ihr geltend gemachten) Schäden haftet die Beklagte jedoch aufgrund des rechtskräftigen Feststellungsurteils (Teilurteils) nur zu 50 %, soweit es sich dabei um Schäden aufgrund der Arthrose handelt.

Die Ansicht der Beklagten, dass die Haftungseinschränkung des Teilurteils für arthrosebedingte Schäden auch das – diese Einschränkung nicht enthaltende – Zwischenurteil betreffen soll, ist nicht nachvollziehbar. Soweit sie daher aus diesem Grund hinsichtlich des Zuspruchs des Schmerzengeldes, des Verdienstentgangs und der Kosten für die Haushaltshilfe eine Halbierung (um insgesamt 34.500 EUR sA anstrebt), vermag sie keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzuzeigen, das eine solche Reduktion nicht vorgenommen hat.

5. Die Beklagte hat in ihrer Berufung die Überschreitung des Klagebegehrens durch den Zuspruch von (höherem) Schmerzengeld nicht als Verstoß gegen § 405 ZPO geltend gemacht. Wurde aber eine Mängelrüge unterlassen, so kann diese im Revisionsverfahren nicht mehr nachgeholt werden (RIS-Justiz RS0041240 [T2]). In ihrem Rechtsmittel moniert sie zwar einen (vermeintlich überhöhten) Schmerzengeldzuspruch von 5.000 EUR, ohne daraus aber weitere Konsequenzen abzuleiten, enthält doch die angestrebte Abweisung des Zuspruchs von (nur) 34.500 EUR sA nach der vorgenommenen Aufschlüsselung diesen Betrag gerade nicht. Auch insofern zeigt die Beklagte damit keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Textnummer

E122935

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00159.18S.0926.000

Im RIS seit

19.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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