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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §59 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Killian, über die Beschwerde der Stadtgemeinde Kitzbühel, vertreten durch Dr. Grosch & Partner, Rechtsanwälte in 6370 Kitzbühel, Rathausplatz 2, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 1. März 1996, Zl. Präs. III-1518/1387, betreffend Vorstellung (mitbeteiligte Partei: J in Innsbruck, vertreten durch Dr. Albert Heiss, Rechtsanwalt in 6010 Innsbruck, Bürgerstraße 28), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 11. November 1993 beantragte der Mitbeteiligte beim Bürgermeister der beschwerdeführenden Stadtgemeinde die Erteilung einer Bordellbewilligung nach § 15 des Tiroler Landespolizeigesetzes (LPolG).
Mit Bescheid vom 16. März 1994 wies der Bürgermeister den Antrag ab. Begründend wurde auf Grund eines näher dargelegten Sachverhaltes die Auffassung vertreten, es bestehe am in Aussicht genommenen Standort kein Bedarf nach einem Bordell; weiters sei mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Nachbarschaft zu rechnen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung mit dem Antrag, "die Berufungsbehörde möge in Stattgebung dieser Berufung dem Berufungswerber eine Bordellbewilligung im Sinne der §§ 15 ff LPolG erteilen, in eventu, den angefochtenen Bescheid aufheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Erstbehörde zurückverweisen."
Mit Bescheid vom 3. Oktober 1994 wies der Stadtrat der beschwerdeführenden Stadtgemeinde die Berufung ab.
Der gegen diesen Bescheid des Stadtrates erhobenen Vorstellung des Mitbeteiligten gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 8. November 1994 Folge, behob den bekämpften Bescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Stadtrat der beschwerdeführenden Gemeinde. Begründend legte die belangte Behörde in diesem Bescheid dar, die Auffassung, dass kein Bedarf nach einem Bordell bestehe, werde im bekämpften Bescheid nicht hinreichend begründet. Es sei auch nicht gelungen, einen Widerspruch des geplanten Bordellbetriebes zu öffentlichen Interessen im Sinne des § 15 Abs. 3 lit. c LPolG zu begründen.
Die gegen diesen Bescheid der belangten Behörde erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde mit dessen Beschluss vom 6. März 1995, B 2798/94, zurückgewiesen. Der nachträgliche Antrag der beschwerdeführenden Stadtgemeinde, die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten, wurde abgewiesen.
Mit Bescheid vom 23. Jänner 1996 gab der Stadtrat der Berufung des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 16. März 1994 Folge, behob den bekämpften Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die erste Instanz.
Der Mitbeteiligte erhob Vorstellung mit dem Antrag, die Vorstellungsbehörde möge "in Stattgebung dieser Vorstellung
1. dem Vorstellungswerber eine Bordellbewilligung im Sinne des § 15 ff LPolG erteilen, in eventu
2. den angefochtenen Bescheid beheben und dem Stadtrat auftragen, in der Sache selbst über das Ansuchen um Erteilung einer Bordellbewilligung zu entscheiden.
Über diese Vorstellung entschied die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid wie folgt:
"Der Vorstellung wird Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid hinsichtlich der Rückverweisung zwecks neuerlicher Entscheidung durch die Erstinstanz behoben und die Angelegenheit Entscheidung in der Sache selbst an den Stadtrat verwiesen."
Begründend wurde unter anderem dargelegt, der Berufungsbescheid werde hinsichtlich der Rückverweisung zwecks neuerlicher Entscheidung angefochten. Daraus ergebe sich, dass der nicht bekämpfte Teil des Spruches, nämlich die Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides, auch für die Aufsichtsbehörde bindend und damit unaufhebbar sei. Ferner vertrat die belangte Behörde die Auffassung, die Voraussetzungen für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG lägen nicht vor. Es sei nicht ersichtlich, welche sanitätspolizeilichen und sicherheitspolizeilichen Aspekte die Behörde in mündlicher Verhandlung prüfen solle. Nach dem LPolG wäre auch nicht zu prüfen, ob eine geeignete Verbindung mit der öffentlichen Verkehrsfläche vorliege. Für die Erhebungen zum Bedarf wäre eine mündliche Verhandlung ebenfalls nicht erforderlich.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend macht.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde ist nicht im Recht mit ihrer Auffassung, die belangte Behörde hätte die Vorstellung als unzulässig zurückweisen müssen, weil dem Berufungsantrag des Mitbeteiligten zur Gänze Rechnung getragen worden sei; dieser habe nämlich selbst die Zurückverweisung an die Erstbehörde begehrt. Damit wird übersehen, dass der Berufungsantrag primär auf die Erteilung der Bewilligung und nur hilfsweise (für den Fall der Abweisung dieses Hauptbegehrens) auf die Behebung des erstinstanzlichen Bescheides und die Verweisung der Angelegenheit an die Behörde erster Instanz gerichtet war. Die von der Berufungsbehörde auf Grund dieser Berufung ausgesprochene Behebung und Rückverweisung beinhaltet eine Verweigerung der beantragten Bewilligung und somit der Entscheidung in der Sache selbst im Berufungsverfahren; ungeachtet der Übereinstimmung von Hilfsantrag und Entscheidung war der Bescheid daher geeignet, den Mitbeteiligten im Recht auf eine Sachentscheidung zu verletzen.
Hingegen ist die Beschwerde im Recht mit ihrem Vorwurf, die belangte Behörde hätte mangels Trennbarkeit der Absprüche über Behebung des erstinstanzlichen Bescheides und Rückverweisung an die erste Instanz nicht - bei gleichzeitiger Aufhebung der Rückverweisung - davon ausgehen dürfen, dass die Behebung des erstinstanzlichen Bescheides in "Teilrechtskraft" erwachsen sei.
Mit dem in Rede stehenden Berufungsbescheid hatte der Stadtrat - dem Wortlaut des Spruches zufolge - "der Berufung Folge gegeben, den bekämpften Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Erstinstanz verwiesen".
§ 66 Abs. 2 AVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I 1998/158 lautet:
"Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen."
Es kann keine Rede davon sein, dass es sich, wenn die Berufungsbehörde nach § 66 Abs. 2 AVG vorgeht, bei der "Behebung" und der "Verweisung" um voneinander trennbare Akte handelte. Von Trennbarkeit eines Verfahrensgegenstandes in mehrere Punkte kann nur dann gesprochen werden, wenn kein innerer Zusammenhang zwischen den Bescheidpunkten besteht, sodass jeder von mehreren Absprüchen unabhängig vom jeweils anderen ergehen und Bestand haben könnte. Bei der Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG, die nach dem Gesetz die Behebung des erstinstanzlichen Bescheides und die Verweisung der Angelegenheit an die Behörde erster Instanz umfasst, handelt es sich jedoch um ein eine Einheit bildendes, die Angelegenheit wieder in den Stand vor dem Ergehen der bekämpften erstinstanzlichen Entscheidung versetzendes Vorgehen. Es kann nicht gesagt werden, dass die Behebung aus dem Grunde des § 66 Abs. 2 AVG ohne Rückverweisung an die erste Instanz oder die letztere ohne Behebung des Bescheides erfolgen und Bestand haben könnte. Der Ausspruch über die Behebung alleine kann somit mangels Trennbarkeit vom übrigen Inhalt eines im Grunde des § 66 Abs. 2 AVG ergehenden Bescheides nicht "teilrechtskräftig" werden.
Der Ausspruch, den bekämpften Berufungsbescheid "hinsichtlich der Rückverweisung zwecks neuerlicher Entscheidung durch die Erstinstanz" zu beheben, in Verbindung mit den Darlegungen der Begründung, wonach "der nicht bekämpfte Teil des Spruches, nämlich die Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides, auch für die Aufsichtsbehörde bindend und damit unaufhebbar ist", kann nicht anders als dahin gedeutet werden, dass die "Rückverweisung" aufgehoben werde, es jedoch (nunmehr isoliert) bei der "Behebung" zu verbleiben habe. Mangels Trennbarkeit des Gegenstandes war die Vorstellungsbehörde zu einer solchen Vorgangsweise nicht ermächtigt; vielmehr hatte sie den ("Behebung" und "Verweisung" umfassenden) Berufungsbescheid, wenn Rechte des Mitbeteiligten durch ihn verletzt wurden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Stadtrat zu verweisen, andernfalls die Vorstellung als unbegründet abzuweisen.
Im Übrigen ist anzumerken, dass kein Anlass bestand, den auf "Behebung des angefochtenen Bescheides" gerichteten Vorstellungsantrag des Mitbeteiligten - wie die belangte Behörde - dahin zu deuten, dass "nur die Rückverweisung" bekämpft werde, während die Behebung des erstinstanzlichen Bescheides unangefochten bleibe.
Der angefochtene Bescheid ist somit inhaltlich rechtswidrig und gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Aus Gründen der Verfahrensökonomie wird auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach die Notwendigkeit einer Ergänzung des Ermittlungsverfahrens eine Behebung und Rückverweisung nach § 66 Abs. 2 AVG nur dann rechtfertigt, wenn die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich ist. Sind Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens notwendig, so hat die Berufungsbehörde die Frage zu prüfen, ob der für die Erledigung der Sache maßgebende Sachverhalt nur in Form von Rede und Gegenrede aller an der Sache beteiligten Personen und aller sonst für seine Ermittlung in Betracht kommenden Personen festgestellt werden kann und diese Personen daher gleichzeitig am gleichen Ort zu einer mündlichen Verhandlung versammelt werden müssen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, § 66 AVG, E 355, referierte Rechtsprechung). In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde immer in der Sache selbst zu entscheiden und die dafür notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens unter Heranziehung der Behörde erster Rechtsstufe oder selbst vorzunehmen (vgl. Walter/Thienel, aaO, E 357).
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. November 1999
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch den Berufungsantrag Umfang der Anfechtung Teilrechtskraft Teilbarkeit der vorinstanzlichen Entscheidung Inhalt der Vorstellungsentscheidung Aufgaben und Befugnisse der Vorstellungsbehörde Trennbarkeit gesonderter AbspruchEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996100068.X00Im RIS seit
20.11.2000