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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §63 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):95/18/0258Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Rigler, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerden des V Ü (geboren am 10. September 1959) in Wiener Neustadt, vertreten durch Dr. Gabriel Liedermann, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Gudrunstraße 143, gegen 1. den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Juli 1994, Zl. 657.304/2-III/16/94, betreffend Zurückweisung eines Devolutionsantrages in Angelegenheit eines Sichtvermerksantrages, und 2. den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 24. März 1994, Zl. Fr 813/94, betreffend Zurückweisung eines Devolutionsantrages in derselben Angelegenheit,
Spruch
1. zu Recht erkannt:
Die Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid wird als unbegründet abgewiesen.
2. den Beschluss gefasst:
Die Beschwerde gegen den zweitangefochtenen Bescheid wird zurückgewiesen.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Aus den - teilweise - vorgelegten Verwaltungsakten, den angefochtenen Bescheiden sowie den Beschwerden ergibt sich im Wesentlichen folgender Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, stellte am 2. Juni 1993 bei der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt den Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes. Bei einer niederschriftlichen Einvernahme vor dieser Behörde am 1. Juli 1993 wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass seinem Antrag deswegen nicht stattgegeben werde, weil er die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin nur deshalb eingegangen sei, um in den Besitz eines Befreiungsscheines zu gelangen. In der Niederschrift vom 1. Juli 1993 ist die Erklärung des Beschwerdeführers wiedergegeben, dass er seinen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes zurückziehe und auf die Ausstellung eines Bescheides verzichte. Mit an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gerichtetem Schreiben vom 11. Oktober 1993 führte der Beschwerdeführer aus, dass er am 26. Mai 1993 (richtig: 2. Juni 1993) bei der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt einen Sichtvermerksantrag gestellt und am 1. Juli 1993 bei der Behörde vorgesprochen habe. Im Vertrauen darauf, dass ihm der Reisepass ausgehändigt worden sei, habe er das Protokoll unterfertigt. Er habe aber tatsächlich den anhängigen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes nicht zurückgezogen. Dies ergebe sich daraus, dass er der deutschen Sprache vollkommen unkundig und bei seiner Vorsprache am 1. Juli 1993 kein Dolmetscher beigezogen worden sei.
Mit an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gerichtetem Schreiben vom 26. Dezember 1993 stellte der Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 2 AVG den Antrag auf Übergang der Entscheidungspflicht hinsichtlich seines Antrages auf Erteilung eines Sichtvermerkes vom 2. Juni 1993.
Mit dem zweitangefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 24. März 1994 wurde dieser Antrag gemäß § 73 AVG iVm § 7 Abs. 7 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Antrag des Beschwerdeführers vom 2. Juni 1993 im Hinblick auf die unterlassene Beiziehung einer sprachkundigen Person sowie den offensichtlichen Willen des Beschwerdeführers, im Inland zu bleiben, und weil ihm die Tragweite seiner Erklärung, den Sichtvermerksantrag zurückzuziehen, offensichtlich nicht bewusst gewesen wäre, als nicht zurückgezogen anzusehen sei. Der Antrag sei jedoch als ein solcher auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zu werten. Weder der Erstbehörde noch der Sicherheitsdirektion komme aber in Vollziehung des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. Nr. 466/1992, eine Entscheidungsbefugnis zu.
Gegen den zweitangefochtenen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Diese begründete er - dem erstangefochtenen Bescheid zufolge - im Wesentlichen damit, dass der Sichtvermerksantrag noch vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes eingebracht worden sei und zumindest in dem Zeitraum bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes dessen Bestimmungen nicht unterliegen könne. Die Sicherheitsdirektion hätte daher diesen Antrag zumindest für den Zeitraum bis zum 1. Juli 1993 einer meritorischen Erledigung zuführen müssen. Es sei unbillig, dass ihm einerseits nicht die Möglichkeit zukommen solle, aufgrund eines früheren Sichtvermerkes und nachfolgenden Sichtvermerksantrages die Aufenthaltsbewilligung zu erlangen, andererseits weigere sich die Behörde, sich mit dem vor Inkrafttreten des AufG eingebrachten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auseinander zu setzen.
Mit dem erstangefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Juli 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass gemäß § 7 Abs. 7 FrG, wenn sich aus den Umständen des Falles ergebe, dass der Antragsteller für den Aufenthalt eine Bewilligung gemäß den §§ 1 und 6 AufG benötige, dem Fremden kein Sichtvermerk nach dem Fremdengesetz erteilt werden dürfe. Das Anbringen sei als Antrag gemäß § 6 AufG unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten, der Antragsteller sei davon in Kenntnis zu setzen. Im gegenständlichen Fall sei aber unbestritten, dass der Beschwerdeführer für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet eine Bewilligung nach dem AufG benötige. Sichtvermerksanträge nach dem Fremdengesetz, die vor dem Inkrafttreten des AufG eingebracht worden seien, seien daher ab 1. Juli 1993 als Anträge gemäß §§ 1 und 6 AufG zu werten. Mit diesem Zeitpunkt sei die Entscheidungspflicht auf die nach dem Aufenthaltsgesetz zuständige Behörde (den Landeshauptmann) übergegangen. Für eine meritorische Entscheidung über solche Anträge durch die Fremdenpolizeibehörde bleibe somit kein Raum.
Der Beschwerdeführer hat gegen beide angefochtenen Bescheide zunächst Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben, welcher den erstangefochtenen Bescheid dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. Dezember 1994, B 2123/94, und den zweitangefochtenen Bescheid mit Beschluss vom 16. Dezember 1994, B 1146/94, zur Entscheidung abtrat.
Beide angefochtenen Bescheide werden vom Beschwerdeführer wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit bekämpft.
In beiden Beschwerdeverfahren wurden dem Verwaltungsgerichtshof Teile der Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen
Beratung und Beschlussfassung verbunden und wie folgt erwogen:
Zum erstangefochtenen Bescheid:
Gemäß § 1 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. Nr. 466/1992, brauchen Fremde zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich eine besondere Bewilligung. § 1 Abs. 2 Z. 2 AufG sieht vor, dass von Fremden, die sich zur Ausübung eines selbstständigen oder unselbstständigen Erwerbstätigkeit in Österreich aufhalten, für Zwecke des Aufenthaltsgesetzes jedenfalls angenommen wird, dass sie in Österreich einen Hauptwohnsitz begründen. Gemäß § 6 Abs. 4 AufG entscheidet über den Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz - außer in dem vorliegend nicht in Betracht kommenden Fall des § 7 AufG - der nach dem beabsichtigten Aufenthaltsort zuständige Landeshauptmann. Diese Bestimmungen traten dem § 15 Abs. 1 AufG zufolge mit 1. Juli 1993 in Kraft.
Die - im Grunde seines § 86 Abs. 1 mit 1. Jänner 1993 in Kraft getretene - Bestimmung des § 7 Abs. 7 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992 lautet:
"§ 7. (1) ...
...
(7) Ergibt sich aus den Umständen des Falles, dass der Antragsteller für den Aufenthalt eine Bewilligung gemäß den §§ 1 und 6 des Bundesgesetzes, mit dem der Aufenthalt von Fremden in Österreich geregelt wird (Aufenthaltsgesetz) BGBl. Nr. 466/1992, benötigt, so darf dem Fremden kein Sichtvermerk nach diesem Bundesgesetz erteilt werden. Das Anbringen ist als Antrag gemäß § 6 des Aufenthaltsgesetzes unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten, der Antragsteller ist davon in Kenntnis zu setzen."
Der Beschwerdeführer hält den erstangefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde seinen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes zumindest für den Zeitraum bis zum 1. Juli 1993 einer meritorischen Erledigung hätte zuführen müssen. Es sei unbillig, dass ihm einerseits nicht die Möglichkeit zukommen solle, aufgrund eines früheren Sichtvermerkes und nachfolgenden Sichtvermerksantrages eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zu erlangen, andererseits die einschreitende Behörde sich weigere, sich mit seinem Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz vor dessen Inkrafttreten auseinander zu setzen. Für den Fall, dass die Antragstellung auf Erteilung eines Sichtvermerks gemäß § 7 Abs. 7 FrG seit dem 1. Jänner 1993 bis zum 1. Juli 1993 nicht möglich gewesen wäre, "wäre ohne gesetzliche Regelung, wie mit einem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (iS des Fremdengesetzes) vor Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes zu verfahren war".
Der Beschwerdeführer verkennt mit seinem Vorbringen, dass die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 7 Abs. 7 erster Satz, letzter Halbsatz - dass die Voraussetzungen des ersten Halbsatzes dieser Bestimmung auf den Beschwerdeführer zutrafen, wird von ihm nicht in Zweifel gezogen - daran gehindert war, dem Beschwerdeführer einen Sichtvermerk zu erteilen. Schon aufgrund des § 7 Abs. 7 FrG war es der belangten Behörde auch verwehrt, dem Beschwerdeführer einen Sichtvermerk rückwirkend für den Zeitraum bis zum 30. Juni 1993 zu erteilen.
Die belangte Behörde als Fremdenbehörde durfte den Sichtvermerksantrag des Beschwerdeführers zwar nicht zurückweisen (vgl. insofern unmissverständlich auch die Erläuterungen zur RV betreffend ein Fremdengesetz 692 BlgNR, 18. GP, 33), sie hatte, bzw. hat diesen vielmehr der für die Vollziehung des Aufenthaltsgesetzes zuständigen Behörde weiterzuleiten. Mit dem - im Instanzenzug ergangenen - erstangefochtenen Bescheid wurde jedoch nicht der Sichtvermerksantrag des Beschwerdeführers, sondern sein Antrag gemäß § 73 AVG zurückgewiesen. Hiebei ist der belangten Behörde kein Rechtsirrtum vorzuwerfen, weil ein Devolutionsantrag nur zulässig ist, wenn die der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde nachgeordnete Verwaltungsbehörde eine ihr obliegende Entscheidungspflicht verletzt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. November 1993, Zl. 93/07/0138). Diese Veraussetzung war im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht erfüllt, weshalb der am 26. Dezember 1993 gestellte Devolutionsantrag des Beschwerdeführers zu Recht zurückgewiesen wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Juni 1998, Zl. 95/18/0270).
Die Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid war daher
gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Zum zweitangefochtenen Bescheid:
Gemäß § 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nach Erschöpfung des Instanzenzuges Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Beschwerden, die sich u.a. wegen offenbarer Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Verhandlung eignen, sind gemäß § 34 Abs. 1 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Ein solcher Fall einer offenbaren Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes liegt hier vor: Zwar sind für die Beurteilung des Instanzenzuges bei verfahrensrechtlichen Bescheiden nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich dieselben Vorschriften maßgeblich, die für den Instanzenzug in der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Angelegenheit maßgebend sind (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 2. März 1950, Slg. N.F. Nr. 1286/A und vom 28. März 1989, Zl. 87/04/0116). Nicht um einer verfahrensrechtlichen Verfügung willen wird nämlich der Streit geführt, sondern allein zur Erreichung des von der Partei angestrebten materiell-rechtlichen Erfolges. Von dieser Regel muss aber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Ausnahme dann Platz greifen, wenn es um die Frage geht, ob gegen die bescheidmäßige Ablehnung (Abweisung, Zurückweisung) eines Devolutionsantrages durch die Oberbehörde - ungeachtet eines eingeschränkten Instanzenzuges in der den Gegenstand des Verfahrens bildenden Verwaltungsangelegenheit - ein weiteres Rechtsmittel an eine sachlich in Betracht kommende Oberbehörde zur Verfügung steht. Weil durch eine derartige Entscheidung - ebenso wie im Fall der Nichterfüllung der Entscheidungspflicht - eine Sachentscheidung verweigert wird, steht auch hier noch der Rechtszug an eine allfällige weitere sachlich in Betracht kommende Oberbehörde offen. Im vorliegenden Fall stand daher dem Beschwerdeführer das Recht der Berufung an den Bundesminister für Inneres gegen den zweitangefochtenen Bescheid noch offen (von welchem Recht er im Übrigen - wie eingangs dargestellt - auch Gebrauch gemacht hat). Daran ändern auch die in § 70 FrG enthaltenen Regelungen nichts. (Vgl. zum Ganzen den hg. Beschluss vom 28. September 1995, Zl. 95/18/1237.)
Mangels Erschöpfung des Instanzenzuges war die gegen den zweitangefochtenen Bescheid gerichtete Beschwerde daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Mangels eines Kostenbegehrens waren der belangten Behörde als obsiegender Partei im Sinn des § 47 Abs. 1 VwGG keine Kosten zuzusprechen.
Wien, am 15. November 1999
Schlagworte
Kassatorische Entscheidung FormalentscheidungInstanzenzug Zuständigkeit Besondere Rechtsgebiete Verfahrensrechtliche Bescheide Zurückweisung Kostenbescheide Ordnungs- und MutwillensstrafenOffenbare Unzuständigkeit des VwGH Nichterschöpfung des Instanzenzuges Allgemein Allgemeine VerwaltungsverfahrensgesetzeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1995180200.X00Im RIS seit
03.04.2001Zuletzt aktualisiert am
21.04.2011