TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/27 G305 2188349-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.07.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G305 2188349-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, XXXX, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 29.01.2018, Zl.: XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG iVm. § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 18.07.2015, 12:57 Uhr, stellte der im Bundesgebiet nicht zum Aufenthalt berechtigte XXXX, geb. XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer oder kurz: BF) vor Organen der LPD XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 20.07.2015, wurde er ab 08:20 Uhr durch ein Organ der LPD XXXX einer Erstbefragung unterzogen, anlässlich welcher der unverheiratete und kinderlose BF zu seinen Fluchtgründen befragt, angab, dass er Schiit sei und die Schiiten-Milizen versucht hätten, ihn zu rekrutieren. Er wolle aber nicht kämpfen und andere Leute töten oder selbst getötet werden. Außerdem sei die Lage im IRAK schlecht und es herrsche Krieg. Das sei sein einziger Fluchtgrund [Angaben des BF in Erstbefragungsprotokoll vom 25.05.2017, AS 5]. Im Rahmen seiner Erstbefragung erteilte er überdies eine detaillierte Auskunft zu seiner Fluchtroute.

3. Am 30.05.2017 wurde er vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Zu seinen Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates gab er im Wesentlichen kurz zusammengefasst an, dass er für die Firma XXXX verkauft hätte. Verwandte seiner Mutter hätten bei ihm SIM-Karten kaufen wollen. Da er sie kannte und sie seiner Verwandtschaft angehörten, habe er ihnen auf seinen Namen registrierte SIM-Karten verkauft. Ca. 2 Monate, nachdem diese Karten auf seinen Namen registriert wurden, hätten in Bagdad drei voneinander unabhängige Explosionen stattgefunden. Ungefähr 10 Tage später seien Leute von der Behörde für Terrorbekämpfung zum Haus seiner Eltern gekommen, um ihn dort zu suchen. Sie hätten seien Eltern mitgeteilt, dass er gesucht werde. Da er nicht zu Hause war, hätten sie seinen Vater mitgenommen und zwei Tage bei sich behalten. Er sei dann zum Haus seines Onkels väterlicherseits gegangen. Dann seien auch noch die Verwandten seiner Mutter bei seiner Familie aufgetaucht und hätten ihnen gedroht, dass wenn sie irgendetwas über sie sagen, sie dann die ganze Familie auslöschen würden. Er selbst habe sich ca. 15 bis 17 Tage bei seinem Onkel aufgehalten. Als er dann mit seinem Cousin väterlicherseits auf die Straße gegangen sei, hätten sie auf sie geschossen. Er hätte eine Kugel in den Hals bekommen. Sein Cousin sei in den Kopf getroffen worden und dabei gestorben. Er sei in ein nicht staatliches Krankenhaus gegangen und habe dort den Personalausweis seines Cousins gezeigt und sei unter dem Namen seines Cousins registriert worden [AS 73 ff].

Davor hätte er jedoch ein Problem mit den Milizen gehabt. Sie hätten ihn aufgefordert, mit ihnen zu kämpfen, weil seine älteren Brüder nicht mehr kampffähig seien, doch habe er das nicht gewollt. Jetzt habe er ein Problem mit verschiedensten Stellen der Regierung, den Terroristen und mit den Milizen [AS 75].

4. Mit Bescheid vom 29.01.2018, Zl.: XXXX, dem BF zu Handen seines Rechtsvertreters am 01.02.2018 zugestellt, wies die belangte Behörde den auf die Gewährung von internationalem Schutz gerichteten Antrag des BF vom 15.09.2015 gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), und sprach aus, dass ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gegen ihn erlassen werde (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

5. Gegen diesen Bescheid erhob er die zum 26.02.2018 datierte, am 27.02.2018 um 17:19 Uhr im Postweg an die belangte Behörde übermittelte (fristgerechte) Beschwerde, die er mit den Anträgen verband, das Bundesverwaltungsgericht wolle den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, jedenfalls ihm aber einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen, oder den angefochtenen Bescheid aufheben und dieser die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auftragen, sowie eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen und durchführen.

Mit seiner Beschwerde brachte der BF Empfehlungsschreiben und Kursbesuchsbestätigungen über einen abgelegten Erste-Hilfe-Grundkurs und eine Deutschsprachprüfung auf dem Niveau A1 zur Vorlage.

6. Am 07.03.2018 legte die belangte Behörde die gegen den oben näher bezeichneten Bescheid gerichtete Beschwerde samt den Bezug habenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz: BVwG) vor und wurde die Beschwerdesache hier der Gerichtsabteilung G305 zur Erledigung zugeteilt.

7. Am 23.07.2018 wurde vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung durchgeführt, anlässlich der der BF in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Muttersprache des BF niederschriftlich einvernommen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (XXXX, geb. XXXX) und ist irakischer Staatsangehöriger. Er hat seit seiner Geburt bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat in einem mehrheitlich schiitisch bewohnten Stadtteil XXXX (konkret in XXXX) gewohnt und gehört der Ethnie der irakischen Araber an. Er bekennt sich zur islamischen Religionsgemeinschaft schiitischer Glaubensrichtung. Seine Muttersprache ist arabisch [AS 1].

Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Im Bundesgebiet bzw. im Unionsgebiet hat er keine Verwandten oder nahen Angehörigen [AS 5].

Im Herkunftsstaat besuchte er die Grund- und Mittelschule, die er mit der Matura abschloss [AS 71].

In der Folge arbeitete er ab einem nicht festgestellten Zeitpunkt des Jahres 2012 bis zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt des Jahres 2014 bei der Firma XXXX als Kaufmann und vertrieb dort SIM-Karten und Ladebons [AS 71].

1.2. Die im Herkunftsstaat lebende Kernfamilie des BF lebt in XXXX und besteht aus dem Vater des BF, dem ca. 73 Jahre alten XXXX, den drei Brüdern, XXXX (ca. 55 Jahre alt), XXXX (ca. 52 Jahre alt) und XXXX (ca. 49 Jahre alt) und den beiden Schwestern, XXXX (ca. 45 Jahr alt) und XXXX (ca. 34 Jahre alt). Alle Angehörigen seiner Kernfamilie leben mit ihren eigenen Familien, bestehend aus den Ehegatten und den jeweiligen Kindern, in XXXX. Auch der Vater des BF lebt in Bagdad [AS 5; PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 7].

Zwei Brüder sind berufstätig, während der dritte Bruder arbeitssuchend ist. Der älteste Bruder des BF, XXXX, besitzt einen eigenen Lastkraftwagen und führt mit diesem auf Bestellung Transporte durch. Bruder XXXX arbeitet in einem Weberunternehmen, das Teppiche herstellt. Der jüngste Bruder, XXXX, geht keiner Beschäftigung nach und ist arbeitssuchend [AS 5; PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 7]. Die Schwestern sind Hausfrauen und gehen selbst keiner Berufstätigkeit nach [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 7].

Die Mutter des BF ist zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt des Jahres 2004 an einer nicht festgestellten Todesursache verstorben [AS 5]. Im Herkunftsstaat leben auch weitere Verwandte des BF.

Bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat lebte auch der BF in BAGDAD im Haus seines Vaters, das sich im Stadtteil XXXX in der XXXX befindet [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 7]. Es liegt im schiitisch bewohnten Teil des Stadtteils XXXX. Dieser Stadtteil ist durch eine Hauptstraße in zwei Teile unterteilt, wobei der erste, an den Bezirk XXXX angrenzende Bereich von Schiiten und der zweite, an den Bezirk XXXX angrenzende Bereich mehrheitlich von Sunniten bewohnt ist. Die Hauptstraße selbst wird durch Stützpunkte bzw. Grenzposten bewacht, die vom Staat Irak und den Milizen geführt bzw. kontrolliert werden. Zwischen den Angehörigen der schiitischen und den Angehörigen der sunnitischen Glaubensrichtung besteht kein Kontakt, der durch die anwesenden Sicherheitskräfte überwacht wird [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 8]. Im Bezirk XXXX führten die Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft ein normales Leben, doch sollen nach den Angaben des BF immer wieder Sprengstoffanschläge auf den öffentlichen Plätzen, in den Ämtern und in den Märkten stattgefunden haben [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 9].

Der BF ist unverheiratet, kinderlos und hat keine Sorgepflichten [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 4f].

1.3. Der BF gehörte im Herkunftsstaat keiner politischen Organisation oder bewaffneten Gruppierung an [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 9].

Auch konnte nicht festgestellt werden, dass er mit den Gerichten oder der Polizei des Herkunftsstaates Probleme gehabt hätte. Er wurde nie von der Polizei oder der Abteilung für Terrorismusbekämpfung des irakischen Innenministeriums einvernommen, noch war er im Herkunftsstaat in Haft [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 24].

Auch konnte nicht festgestellt werden, dass er im Herkunftsstaat politisch tätig gewesen wäre, oder an bewaffneten Auseinandersetzungen teilgenommen hätte, oder dass er Mitglied einer radikalen extremistischen Gruppierung oder einer verbotenen Organisation gewesen wäre.

Ebensowenig konnte festgestellt werden, dass er im Herkunftsstaat vorbestraft wäre.

Auch konnte nicht festgestellt werden, dass er auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung der Araber oder auf Grund seiner Religionszugehörigkeit (Muslim schiitischer Glaubensrichtung), der im Herkunftsstaat die Mehrheitsbevölkerung angehört, Probleme gehabt hätte.

Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass er bei seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat, die er nach eigenen Angaben am 04.09.2015 von BAGDAD aus mit dem Flugzeug nach XXXX (Türkei) angetreten haben will [AS 7], Probleme gehabt hätte.

1.4. Am 04.06.2015 ist er ausgehend von XXXX mit dem Flugzeug nach ISTANBUL (Türkei) ausgereist, wo er einen Schlepper kennenlernte. Zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt trat er gemeinsam mit 20 weiteren Personen, versteckt auf der Ladefläche eines LKW an und gelangte damit zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt im Juli 2015 über einen ebenfalls nicht feststellbaren Grenzübergang nach Österreich [AS 7], wo er ohne im Besitz eines Reisedokuments gewesen zu sein, eintraf. Von wo aus (ob aus der Türkei oder aus Griechenland) er mit dem LKW die Weiterreise antrat, konnte nicht festgestellt werden.

Bei seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat war er noch im Besitz des Reisepasses. Der genaue Verbleib seines Reisepasses konnte nicht festgestellt werden. Dass dieser Reisepass nicht auf den Namen des BF, sondern auf den seines Cousins ausgestellt gewesen wäre, konnte anlassbezogen nicht festgestellt werden.

Am 18.07.2018, 12:57 Uhr, stellte der BF vor Organen der österreichischen Sicherheitsbehörde einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes [Angaben des BF in der Erstbefragung vom 20.07.2015, AS 3]. Am 20.07.2015 wurde er ab 08:20 Uhr einer Erstbefragung durch Organe der öffentlichen Sicherheitsbehörde unterzogen.

1.5. Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

1.6. Er hat keine im Bundesgebiet lebenden bzw. hier aufhältigen Verwandten bzw. hier lebende bzw. aufhältige nahe Angehörige [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 10].

Der BF geht im Bundesgebiet keiner Beschäftigung nach und lebt von den Leistungen der staatlichen Grundversorgung [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2015, S. 10; Auskunft aus der GVS-Datei]. Er hat eine Deutschsprachprüfung auf dem Niveau A1 abgelegt und verfügt über Grundkenntnisse der deutschen Sprache [Beilage ./A; PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 10]. Darüber hinaus hat er beim Österreichischen Roten Kreuz im Zeitraum 07.03.2017 bis 21.03.2017 einen Erste-Hilfe-Kurs belegt und engagiert sich dort als Helfer bei den Ausgaben im Bereich des freiwilligen Essenzustelldienstes der Ortsstelle XXXX [Beilage ./C]. Darüber hinaus engagiert er sich beim Verein "XXXX" [Beilagen ./D, ./E und ./F].

1.7.1. Als der Beschwerdeführer um die Mitte des Jahres 2014 von der Arbeit nach Hause ging hielt ein Privat-PKW vor ihm. Er wurde von einem der vier Fahrzeuginsassen angesprochen, die er zuvor noch nie gesehen und auch nach diesem Ereignis nicht wieder gesehen hatte.

Dass sich die Fahrzeuginsassen als Angehörige einer schiitischen Miliz vorgestellt und den BF aufgefordert hätten, sich ihnen anzuschließen und mit ihnen zu kämpfen, konnte anlassbezogen nicht festgestellt werden. Dass er von Angehörigen einer Miliz bedroht, verfolgt oder gar angegriffen worden wäre, weil er sich geweigert hätte, mit ihnen zu kämpfen, konnte anlassbezogen nicht festgestellt werden.

Dass Angehörige einer (schiitischen) Miliz vor diesem angeblichen Ereignis und danach versucht hätten, den BF rekrutieren, konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

Beschwerdegegenständlich konnte nicht festgestellt werden, dass er im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung durch (schiitische Milizen) ausgesetzt gewesen wäre.

1.7.2. Wie schon ausgeführt, war er im Herkunftsstaat für das Telekommunikationsunternehmen XXXX bis zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt im Angestelltenverhältnis tätig und als solcher für den Verkauf von SIM-Karten (ausschließlich) an Wiederverkäufer (kleine Geschäfte, die SIM-Karten und Handys verkauften) zuständig [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 18]. Vor dem Verkauf wurden SIM-Karten in ein vom Telekommunikationsunternehmen XXXX geführtes Register vom zuständigen Mitarbeiter des Lagers vorgenommen. Der BF war für diese Eintragungen jedoch nie zuständig [Ebda, S. 18].

Wurden SIM-Karten an Privatpersonen verkauft, mussten diese entweder einen irakischen Personalausweis, einen Auszug aus dem Melderegister oder eine Lebensmittelkarte vorlegen [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 19].

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF an zwei Angehörige seiner Familie SIM-Karten verkaufte, die er noch dazu auf seinen eigenen Namen registrieren ließ, weil diese keinen Ausweis bei sich gehabt hätten [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 19 oben]. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass diese Verwandten (auf den Namen des BF registrierten SIM-Karten) in Bombenanschläge im Herkunftsstaat involviert gewesen wären [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 21].

Auch konnte nicht festgestellt werden, dass der BF wegen der SIM-Karten von der Polizei bzw. von der Abteilung für Terrorismusbekämpfung des Innenministeriums des Herkunftsstaates gesucht worden wäre.

Bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat verwendete er SIM-Karten der Firma XXXX [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 17].

1.7.3. Nachdem der BF zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt aus nicht feststellbaren Motiven seine Erwerbstätigkeit bei der Firma XXXX aufgegeben hatte, unternahm er zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt Ausflüge in den Nordirak.

Während dieser Zeit hielt er mit seinen in Bagdad lebenden Angehörigen Kontakt mit dem Mobiltelefon. Dafür verwendete er eine SIM-Karte der Firma XXXX [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 17].

1.7.4. Dass er sich vor seiner Ausreise bei einem Onkel väterlicherseits in XXXX aufgehalten hätte, konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

Ebensowenig konnte festgestellt werden, dass er und sein Cousin, als sie am 17.02.2015 spazieren gingen, von einem Auto heraus beschossen worden wären und dass dabei sein Cousin am Kopf verletzt wurde und er diesen Verletzungen erlegen wäre. Dass der BF am Hals getroffen wurde, konnte ebenso wenig festgestellt werden, wie der Umstand, dass er ins Krankenhaus gebracht und dort unter dem Namen des Cousins angemeldet worden wäre [siehe dazu die Angaben des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 23].

1.7.5. Im verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahren legte der BF im Wege seines vormaligen Rechtsvertreters drei in der Türkei erworbene gefälschte Urkunden vor, wovon eine von einem irakischen Gericht, die andere von einer irakischen Polizeibehörde und die dritte von einer irakischen Krankenanstalt stammen sollen [AS 21, 23 und 25; PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 25f].

Diese gefälschten Urkunden legte er zum Beweis dessen vor, dass er sich Rekrutierungsversuchen schiitischer Milizen widersetzt hätte und über einen Zeitraum von ca. fünf Monaten in Untersuchungshaft gehalten wurde, weil ihm die Beteiligung an strafbaren Handlungen vorgeworfen worden sei; die Urkunden sollten seine Entlassung gegen Ende März 2015 aus dem Gefängnis belegen, da sich die wider ihn erhobenen Vorwürfe zerstreut hätten [AS 18].

Die Krankenhausbestätigung wurde zum Beweis dessen vorgelegt, dass er sich zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt des Jahres 2008 einer Operation unterziehen musste, da er im Zuge von bewaffneten Auseinandersetzungen angeschossen wurde und eine Gewehr- bzw. Pistolenkugel im Hals stecken geblieben sei [AS 18].

Es steht fest, dass der BF weder von einer Miliz noch von der Polizei des Herkunftsstaates einvernommen oder in Haft genommen worden wäre. Es war auch nie ein Strafverfahren gegen ihn anhängig, bzw. wurde er nie von einem Gericht des Herkunftsstaates zu einer Strafhaft verurteilt [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 25].

1.8. Am Dienstag, den 10.06.2014, eroberten radikale Islamisten, organisiert unter dem Dach des ISIL - Islamic State of Iraq and Levante (später ISIS, dann IS) - die Millionenstadt Mossul (Ninive-Ebene), darunter das Regierungsgebäude, den Mossul International Airport und alle Polizei und Militärbasen. Kurz darauf fielen auch weite Teile der Ninive-Ebene unter die Kontrolle der Islamisten. In der südwestlich von Mossul gelegenen Provinz Anbar konnten die Islamisten schon seit Anfang des Jahres eine Operationsbasis errichten und den Vormarsch in den irakischen Norden planen. Ihr Ziel war es, einen islamischen Gottesstaat in weiten Teilen Syriens und des Irak zu errichten. In Mossul wurde eine historische Kirche in Brand gesetzt. Mit der Einnahme von Polizeistationen und Militärbasen konnten die Kämpfer des IS schwere Waffen und Munition beschlagnahmen.

Nach ihrem Einmarsch in Mossul markierten Angehörige der IS-Truppen die Besitztümer von Minderheiten und fordern eine "Jihad-Steuer" von den wenigen verbliebenen Einwohnern. Dabei gerieten die christlichen Assyrer und Yeziden unter Druck und wurden zu Binnenflucht getrieben.

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt Mossul der Provinz Ninava gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen Anbar, Diyala und Salah al-Din im Zentral- und Südirak voraus. Die seit dem Jahr 2014 währenden kriegerischen Ereignisse im Irak brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile, sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von Kirkuk, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein erheblicher Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Seit dem Jahr 2014 wurden über drei Millionen Binnenvertriebene und über eine Million Binnenrückkehrer innerhalb des Iraks registriert.

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, um damit Stärke zu demonstrieren.

Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordirak, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen durch die genannten Ereignisse ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

1.8.1. Schiitische Milizen im Irak:

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" bzw. Al-Hashd al-Shaabi, englisch: Popular Mobilization Units (PMU) oder Popular Mobilization Forces bzw. Front (PMF)) bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig fast ausschließlich schiitische Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Schätzungen zufolge haben die Volksmobilisierungseinheiten zwischen 60.000 und 140.000 Mann unter Waffen. Die Entstehung des Milizenbündnisses kann als Reaktion auf die irakische Offensive des sog. "Islamischen Staates" (IS) verstanden werden und ist somit eng mit dessen militärischen Erfolgen und territorialen Gewinnen verquickt: Im Sommer 2014 drang die Terrororganisation in den Irak ein und nahm am 10. Juni erst Mossul und danach weite Teile der Provinzen Ninewah, Salahuddin, Anbar, Diyala und Kirkuk ein; wenig später waren auch die Städte Erbil und Bagdad in Gefahr (Süß 21.8.2017).

Die reguläre irakische Armee war dem IS nicht gewachsen, weshalb der damalige Ministerpräsident Nuri al-Maliki am 11. Juni zur Mobilisierung einer "Reservearmee" aufrief. Außerdem ließ der führende irakische schiitische Gelehrte Ayatollah Ali Sistani am 13. Juni ein islamisches Rechtsgutachten (fatwa) verlautbaren, in dem er alle jungen Männer dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten des Irak anzuschließen. Infolge der Fatwa schrieben sich tausende junge schiitische Männer auf Freiwilligenlisten ein, schlossen sich jedoch nicht Armee oder Polizei, sondern bereits existierenden oder neu formierten schiitischen Milizen an. Zwei Tage später bildete die irakische Regierung ein Komitee der Volksmobilisierung, das dem Ministerpräsident Haidar al-Abadi untersteht und vom Nationalen Sicherheitsberater Falih al-Fayyad geleitet wird. Die wahren Kräfteverhältnisse sind allerdings schon daran abzusehen, dass die Gründung durch das irakische Innenministerium verkündet wurde:

Dieses unterstand bis Juli 2016 der Führung des "Badr-Politikers" Muhammad al-Ghabban, die dominante Kraft im Innenministerium und damit der eigentliche irakische Führer des Milizenbündnisses ist jedoch Hadi al-Amiri. Mehrere Milizen stehen außerdem politischen Parteien nahe.

Innerhalb der zahlreichen, meist lokal organisierten Gruppen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten können im Wesentlichen drei Gruppen ausgemacht werden: Erstens schon länger aktive Milizen, die infolge der Fatwa tausende neue Rekruten hinzugewannen (Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbullah und Saraya as-Salam). Zweitens gibt es solche schiitischen Formationen, die ab Juni 2014 entstanden (bspw. Kata'ib al-Imam Ali) und drittens einige kleinere sunnitische Milizen (Süß 21.8.2017).

1.8.1.1. Die wichtigsten Milizen innerhalb der PMF:

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Sie orientiert sich an der Tradition Khomeinis und der Staatsdoktrin Irans. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Hohen Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war. Mit der Namensänderung in Badr-Organisation wurde das Korps zum politischen Akteur. Als sich der Rat in "Irakischer Islamischer Hoher Rat" umbenannte und sich gleichzeitig vom Iran distanzierte, gelang es Badr, sich als wichtigster Verbündeter Irans im Irak zu etablieren und trennte sich 2009 schließlich vom Hohen Rat. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft des Milizenbündnisses. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und arbeitet mit Kata'ib Hizbullah zusammen. Unklar ist jedoch, ob die genannten Zahlen ausschließlich Kämpfer oder auch sonstiges Personal umfassen, denn die Badr-Organisation ist Miliz und politische Partei in einem. Badr war bisher an allen wichtigen militärischen Auseinandersetzungen in den Provinzen Diyala, Salah ad-Din, Anbar und Ninewah beteiligt; ihr militärisches Hauptquartier befindet sich im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad. In Diyala verfügt Badr außerdem über ein Territorium, das sich zu einer eigenständigen Machtbasis im Sinne eines "Staates im Staate" ausbauen lässt (Süß 21.8.2017).

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) entstanden im Zuge der Umbenennung des Badr-Korps in Badr-Organisation und bekämpften im Gegensatz zu diesem die US-Truppen. Sie wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017).

Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa Sistanis auf Anweisung von Muqtada as-Sadr gegründet und sollten möglichst viele der Freiwilligen vereinigen. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

Auch Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl az-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feld-kommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

1.8.1.2. Generell kann innerhalb der Volksmobilisierung eine Dominanz der älteren Milizen und ihrer Anführer Amiri, Muhandis und Khaz'ali ausgemacht werden. Die personelle Führung des Milizenbündnisses übernimmt dabei eine Trias: Anführer ist Abu Mahdi al-Muhandis, Kommandeur der Kata'ib Hizbullah und enger Verbündeter Badrs und der iranischen Revolutionsgarden. Als eigentlicher starker Mann hinter Muhandis gilt allerdings Hadi al-Amiri, Anführer der Badr-Organisation. Einfluss übt außerdem Qasim Suleimani aus, umstrittener Kommandeur der zu den iranischen Revolutionsgarden gehörigen Quds-Brigaden. Der Iran versorgt die irakischen Milizen mit Geld und Waffen und bildet ihre Kämpfer gemeinsam mit der libanesischen Hizbullah im Iran, im Irak und im Libanon aus. Viele der Milizen vertreten deshalb folgerichtig eine islamistische Ideologie, die sich an jener des Irans orientiert. Der Iran nutzte die Gründung der Volksmobilisierung 2014 auf diese Weise dafür, ihren Einfluss im Irak erheblich zu steigern. Die größten Milizen innerhalb der Volksmobilisierung hängen dabei so stark vom Iran bzw. den iranischen Revolutionsgarden ab, dass sie als Instrument des Nachbarstaates bezeichnet werden können. Auch eine personelle Verbundenheit ist vorhanden: Muhandis und Amiri haben ihre engen Beziehungen zum Iran mehrmals selbst bestätigt. Allerdings gibt es neben besonders eng an den Iran angebundenen Milizen (Badr-Organisation und Kata'ib Hizbullah) auch solche, die zwar ressourcenmäßig vom Iran abhängig sind, aber eine gewisse Distanz zum Iran aufweisen (Saraya as-Salam).

Obwohl das Milizenbündnis unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die Volksmobilisierung dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Ministerpräsidenten als Oberkommandierendem unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

In der Tat scheint es sich so zu verhalten, dass innerhalb der PMF die radikal-schiitischen Gruppen mit Bindungen zum Iran die dominierenden Kräfte sind (Posch 8.2017).

1.8.1.3. Konfessionelle Zusammensetzung der PMF-Milizen:

Der absolute Großteil der PMF- Milizen besteht aus Schiiten, es gibt jedoch durchaus auch Sunniten, Christen oder sogar Jesiden in den Reihen der schiitischen Milizen [abhängig von der jeweiligen Miliz], bzw. gibt es auch gemischte Milizen, oder auch eigene Sunniten- oder Christen-Milizen (Lattimer 26.4.2017; Al-Monitor 21.8.2017) (Letzter Zugriff am 25.07.2018).

Quellen:

-

Al-Monitor (21.8.2017):Turkey fumes as Sinjar Yazidis declare 'democratic autonomy',

http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2017/08/independence-iraqi-kurdistan-referendum-opposition.html#ixzz4qlVEYvfy, (Letzter Zugriff am 25.07.2018)

-

Lattimer, Mark - Director of the Ceasefire Cetre for Civilian Rights (26.4.2017): EASO COI Meeting Report Iraq, Practical Cooperation Meeting 25.- 26. April, Brussels, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/IRQ_Meeting_Report.pdf, (Letzter Zugriff am 26.07.2018)

-

Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1504517740_bfa-staatendokumentation-ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31.pdf (Letzter Zugriff am 26.07.2018)

1.8.2. Nach den vorliegenden Länderinformationen hat sich die Sicherheitslage in und um Bagdad zusehends gebessert. Auch stellt sich die Sicherheitslage in den Provinzen im schiitisch dominierten Süden des Landes relativ entspannt dar.

1.9. Beschwerdegegenständlich hat der BF weder eine asylrelevante Bedrohung durch schiitische Milizen, noch durch nicht näher konkretisierte radikale Terroristen, noch die Polizei bzw. durch Strafverfolgungsbehörden des Herkunftsstaates glaubhaft gemacht.

Vielmehr behauptete er im Rahmen der Erstbefragung, dass Schiiten-Milizen versucht hätten, ihn als Schiiten zu rekrutieren. Er habe aber nicht kämpfen wollen, da er andere Leute nicht töten wolle oder selbst getötet werden wolle. Außerdem sei die Lage im Irak sehr schlecht und es herrsche Krieg. Das sei sein Fluchtgrund.

Zu seinen Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates gab er im Wesentlichen kurz zusammengefasst an, dass er für die Firma ZAIN SIM-Karten verkauft hätte. Verwandte seiner Mutter hätten bei ihm SIM-Karten kaufen wollen. Da er sie kannte und sie seiner Verwandtschaft angehörten, habe er ihnen auf seinen Namen registrierte SIM-Karten verkauft. Ca. 2 Monate, nachdem diese Karten auf seinen Namen registriert wurden, hätten in Bagdad drei voneinander unabhängige Explosionen stattgefunden. Ungefähr 10 Tage später seien Leute von der Behörde für Terrorbekämpfung zum Haus seiner Eltern gekommen, um ihn dort zu suchen. Sie hätten seien Eltern mitgeteilt, dass er gesucht werde. Da er nicht zu Hause war, hätten sie seinen Vater mitgenommen und zwei Tage bei sich behalten. Er sei dann zum Haus seines Onkels väterlicherseits gegangen. Dann seien auch noch die Verwandten seiner Mutter bei seiner Familie aufgetaucht und hätten ihnen gedroht, dass wenn sie irgendetwas über sie sagen, sie dann die ganze Familie auslöschen würden. Er selbst habe sich ca. 15 bis 17 Tage bei seinem Onkel aufgehalten. Als er dann mit seinem Cousin väterlicherseits auf die Straße gegangen sei, hätten sie auf sie geschossen. Er hätte eine Kugel in den Hals bekommen und sein Cousin sei in den Kopf getroffen worden und dabei gestorben. Er sei in ein nicht staatliches Krankenhaus gegangen und habe dort den Personalausweis seines Cousins gezeigt und sei unter dem Namen seines Cousins registriert worden [AS 73 ff].

Davor hätte er jedoch ein Problem mit den Milizen gehabt. Sie hätten ihn aufgefordert, mit ihnen zu kämpfen, weil seine älteren Brüder nicht mehr kampffähig seien, doch habe er das nicht gewollt. Jetzt habe er ein Problem mit verschiedensten Stellen der Regierung, den Terroristen und mit den Milizen [AS 75].

Auch sind in den vorliegenden Länderinformationen zum Herkunftsstaat des BF keine Hinweise enthalten, aus denen sich entnehmen ließe, dass schiitische Milizen systematisch gegen Angehörige der schiitischen Glaubensrichtung vorgingen bzw. vorgegangen wären, selbst wenn sie einem Rekrutierungsversuch durch Angehörige einer Miliz ablehnend gegenüber gestanden wären. Selbst die Fluchtgeschichten des BF lassen einen Schluss dahin nicht zu.

Während sich die Angehörigen seiner Kernfamilie weiterhin in BAGDAD aufgehalten haben floh er am 04.06.2015 ausgehend vom Flughafen BAGDAD über die Türkei nach Europa. Es ist nicht hervorgekommen, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, eine innerstaatliche Fluchtalternative zu wählen.

1.9.1. Zu den möglichen Fluchtalternativen als schiitischer Araber:

Als aus den südlichen Provinzen des Irak stammendem Araber sunnitischer Glaubensrichtung steht ihm de facto sämtliche im Süden des Irak gelegenen Provinzen, einschließlich der mehrheitlich von Schiiten bewohnten Stadtteile Bagdads als mögliche Fluchtalternative offen, darunter insbesondere die Städte bzw. Provinzen Al Nasiriya, Al Amara, Najaf, Hilla, Al Kut.

Quellen:

IOM - International Organization for Migration, Iraq Mission, 17.05.2017,

http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/Round86_Report_English_2017_December_31_IOM_DTM.pdf (Letzter Zugriff am 26.07.2018)

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12. 4. 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf (Letzter Zugriff am 26.07.2018)

1.9.2. Es konnte anlassbezogen nicht festgestellt werden, dass der BF mit den Behörden des Herkunftsstaates auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit Probleme gehabt hätte.

Beschwerdegegenständlich konnte nicht festgestellt werden, dass er vor seiner Ausreise einer individuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen ausgesetzt gewesen wäre, oder er im Falle seiner Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt sein könnte.

Auch konnte nicht festgestellt werden, dass er im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt wäre, oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstünden.

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass er bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat aus in seiner Person gelegenen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort der realen Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention geschützten Rechte oder er als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt wäre.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die daraus gezogenen Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, den beigeschafften länderkundlichen Informationen und den amtswegig eingeholten Auskünften.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität (XXXX), Staatsangehörigkeit Irak, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit (Muslim schiitischer Glaubensrichtung) des BF Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, sowie auf seinen diesbezüglichen Angaben, die er anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde gemacht hatte [AS 1ff], den damit übereinstimmenden Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde in der Erstbefragung [AS 69] und auf seinen diesbezüglichen Angaben in der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 6]. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im gegenständlichen Verfahren.

Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zu seiner weiteren Reiseroute und zu seiner Einreise in Österreich getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus seinen Angaben anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde [AS 7] bzw. aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 26.07.2018, S. 5], die in entscheidenden Teilen widersprüchlich waren, sodass die Konstatierung zu treffen war, dass nicht festgestellt werden konnte, von wo aus der BF die Weiterreise mit dem LKW nach Österreich angetreten hatte. So hatte er im Rahmen seiner Erstbefragung vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde angegeben, dass er am 04.06.2015 legal von XXXX nach Istanbul in der Türkei geflogen wäre. Dort hätte er einen Schlepper kennengelernt. Dann sei er auf der Ladefläche eines Sattel-LKW versteckt worden und sei die Reise über ihm unbekannte Routen und durch ihm unbekannte Länder nach Österreich gegangen. Mit diesen Angaben brachte der BF, die Reise mit dem LKW von der Türkei aus angetreten zu haben. Dagegen sagte er in der Parteienvernehmung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus, dass er tatsächlich mit einem LKW von Griechenland nach Österreich gefahren sei. Weiter heißt es, dass er mit einem Schlauchboot schlepperunterstützt nach Griechenland gefahren und dort auf einer (ihm nicht bekannten) Insel angekommen sei [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 5].

2.3. Zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei:

Die zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates getroffenen Konstatierungen beruhen auf den Angaben des BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde [AS 9], auf den in der Urkundenvorlage vom 23.03.2016 enthaltenen Angaben [AS 17ff], weiter auf seinen Angaben vor der belangten Behörde [AS 65 ff] und auf seinen Angaben vor dem erkennenden Bundesverwaltungsgericht am 23.07.2018 [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 26.07.2018, S. 11ff].

So hatte er anlässlich seiner Erstbefragung vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde zu seinen Fluchtgründen befragt, einsilbig angegeben, dass er Schiit sei und dass ihn die Schiiten-Milizen gewinnen wollten, für sie zu kämpfen. Er habe aber nicht kämpfen wollen, weil er andere Leute nicht töten bzw. selbst nicht getötet werden wollte. Außerdem sei die Lage im Irak sehr schlecht und es herrsche Krieg [AS 9].

Dagegen gab er vor den Organen der belangten Behörde zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er für die Firma XXXX SIM-Karten verkauft hätte. Verwandte seiner Mutter hätten bei ihm SIM-Karten kaufen wollen. Da er sie kannte und sie seiner Verwandtschaft angehörten, habe er ihnen auf seinen Namen registrierte SIM-Karten verkauft. Ca. 2 Monate, nachdem diese Karten auf seinen Namen registriert wurden, hätten in XXXX drei voneinander unabhängige Explosionen stattgefunden. Ungefähr 10 Tage später seien Leute von der Behörde für Terrorbekämpfung zum Haus seiner Eltern gekommen, um ihn dort zu suchen. Sie hätten seien Eltern mitgeteilt, dass er gesucht werde. Da er nicht zu Hause war, hätten sie seinen Vater mitgenommen und zwei Tage bei sich behalten. Er sei dann zum Haus seines Onkels väterlicherseits gegangen. Dann seien auch noch die Verwandten seiner Mutter bei seiner Familie aufgetaucht und hätten ihnen gedroht, dass wenn sie irgendetwas über sie sagen, sie dann die ganze Familie auslöschen würden. Er selbst habe sich ca. 15 bis 17 Tage bei seinem Onkel aufgehalten. Als er dann mit seinem Cousin väterlicherseits auf die Straße gegangen sei, hätten sie auf sie geschossen. Er hätte eine Kugel in den Hals bekommen und sein Cousin sei in den Kopf getroffen worden und dabei gestorben. Er sei in ein nicht staatliches Krankenhaus gegangen und habe dort den Personalausweis seines Cousins gezeigt und sei unter dem Namen seines Cousins registriert worden [AS 73 ff]. Davor hätte er jedoch ein Problem mit den Milizen gehabt. Sie hätten ihn aufgefordert, mit ihnen zu kämpfen, weil seine älteren Brüder nicht mehr kampffähig seien, doch habe er das nicht gewollt. Jetzt habe er ein Problem mit verschiedensten Stellen der Regierung, den Terroristen und mit den Milizen [AS 75].

Anlässlich seiner Vernehmung als Partei gab er zum Fluchtgrund "Rekrutierungsversuch durch (schiitische) Milizen" an, dass die Milizen unbedingt gewollt hätten, dass er mit ihnen kämpfe, weshalb sie ihn zu rekrutieren versucht hätten und führte weiter aus, dass sie Mitte 2014 mit den Rekrutierungsversuchen angefangen hätten. So habe einmal, als er von der Arbeit nach Hause gegangen war, ein ziviler Personenkraftwagen vor ihm gehalten. Die zivil gekleideten Fahrzeuginsassen hätten sich als Angehörige einer schiitischen Miliz vorgestellt und ihn dazu aufgefordert, mit ihnen zu kämpfen. Schon mit seiner Angabe auf die Frage "Wurde Ihnen gesagt, von welcher Miliz sie sind?", dass sie ihm dies nicht gesagt hätten, verstrickte sich der BF in einen eklatanten Widerspruch, zumal er kurz davor noch gesagt hätte, dass sich die Fahrzeuginsassen als Angehörige einer schiitischen Miliz vorgestellt hätten [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 12]. Auch verstrickte er sich hinsichtlich der (wenn auch zunächst unbestimmt gebliebenen) Anzahl an Rekrutierungsversuchen in Widersprüche. Sagte er zunächst noch aus, dass sie Mitte 2014 "mit den Rekrutierungsversuchen angefangen" hätten, womit er Rekrutierungsversuche durch Angehörige schiitischer Milizen in mehreren Fällen unterstellte, sagte er etwas später aus, dass es nur "einmal der Fall" gewesen sei, da er "rekrutiert werden sollte" [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S, 12]. Auch habe er keine der vier Fahrzeuginsassen gekannt bzw. vor diesem behaupteten (einzigen) Rekrutierungsversuch je gesehen [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 13]. Wegen der aufgezeigten Widersprüche erscheinen dem erkennenden Verwaltungsgericht die zum angeblichen Rekrutierungsversuch durch schiitische Milizen gemachten Angaben des BF als unglaubwürdig, die noch durch seine weiteren Angaben zum behaupteten Vorfall genährt werden. So hatte er auf die Frage, wo er sich einfinden sollte, um sich einer Miliz anzuschließen, angegeben, dass er nicht gewusst hätte, wohin er gehen solle [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 13]. Die Angabe, nicht gewusst zu haben, wohin er gehen solle, unterstellt den angeblichen Milizangehörigen, die den BF zu rekrutieren versuchten, dass sie ihm nicht gesagt hätten, wohin er zu gehen hatte, um sich der Miliz anzuschließen und widerspricht den Denkgesetzen. Vielmehr setzt ein Rekrutierungsversuch voraus, dass dem potentiellen Kämpfer auch gesagt wird, wann er sich wo einzufinden hat, um sich der Miliz anzuschließen, sowie Waffen und Uniform entgegen zu nehmen. Vor diesem Hintergrund waren die entsprechenden Feststellungen zu Punkt

1.7.1.) zu treffen.

Zum weiter behaupteten Fluchtgrund "Angst vor den staatlichen Behörden wegen verkaufter SIM-Karten, die in Sprengstoffanschläge involviert sein sollen", ist auszuführen, dass sich dieser - erstmals vor der belangten Behörde weiter ins Treffen geführte - Fluchtgrund im Wesentlichen darauf stützt, dass der BF Verwandten seiner Mutter vier SIM-Karten gegeben haben will, die er auf seinen Namen angemeldet haben will. Diese Verwandten seiner Mutter hätten ca. 2 Monate nach der Übergabe der SIM-Karten eine Autobombe in XXXX gezündet. Nachdem die SIM-Karten auf seinen Namen ausgestellt worden seien, habe man ihn beschuldigt, mit der Autobombe etwas zu tun gehabt zu haben. Er sei zwar nicht verhaftet worden, doch sei gegen ihn ein Gerichtsverfahren anhängig [AS 73]. Im gegenständlichen Zusammenhang behauptete er jedoch, über einen Zeitraum von ca. fünf Monaten in Untersuchungshaft angehalten worden zu sein, da ihm die Beteiligung an strafbaren Handlungen vorgeworfen worden sei. Anfang März 2015 sei er entlassen worden, da sich die wider ihn erhobenen Vorwürfe zerstreut hätten [AS 18]. Diese - in völligen Widerspruch zu seinen vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht gemachten Angaben stehenden - Behauptungen suchte der BF durch gefälschte und in der Türkei zum Preis von EUR 50,00 erworbene Urkunden, wie dies in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorkam [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 25f], zu belegen. So legte er im Wege seiner vormaligen Rechtsvertretung je eine Bestätigung einer irakischen Polizeibehörde und eines Gerichtes über die von ihm behauptete Inhaftierung und Entlassung im Herkunftsstaat vor [AS 21 und AS 23]. Auch wenn er vor der belangten Behörde und später im Rahmen seiner PV vor dem erkennenden Bundesverwaltungsgericht aussagte, dass er im Herkunftsstaat nie in Haft gewesen sei, vermag er damit das erkennende Verwaltungsgericht weder von der Glaubwürdigkeit seiner Angaben im Schriftsatz vom 23.03.2016 [AS 17 ff], noch von der Glaubwürdigkeit seiner anderslautenden Angaben vor der belangten Behörde bzw. vor dem Bundesverwaltungsgericht überzeugen. So hatte er vor dem Bundesverwaltungsgericht angegeben, von der Polizei noch zu den behaupteten Bombenattentaten einvernommen und in Haft gewesen zu sein. Auch sei er wegen eines anderen Vorfalles nicht in Haft gewesen. Auch von einer Miliz sei er nicht in Haft genommen worden [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S, 25]. Dass der BF gleich mehrere SIM-Karten an zwei Verwandte, die er nicht einmal kannte (so konnte er weder zu ihrem Familienstand, noch zu deren Beruf, noch zum Umstand Angaben machen, ob diese Kinder hatten [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 19f]) und die sich weiter nicht durch einen irakischen Personalausweis, einen Auszug aus dem Melderegister oder einer Lebensmittelkarte [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 23.07.2018, S. 19] ausweisen konnten, erscheint dem erkennenden Gericht als nicht glaubwürdig, zumal er selbst an angegeben hatte, dass er nach den irakischen Gesetzen und nach den Vorgaben seiner Dienstgeberin, der Firma XXXX, pro Person nur eine (einzige) SIM-Karte verkaufen durfte. So gab der BF auf

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten