Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §62 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Killian, über die Beschwerde des P in Hörbranz, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 9. Jänner 1996, Zl. 1-0559/95/E5, betreffend Übertretung des Lebensmittelgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Im Mai 1994 wurde der Bezirkshauptmannschaft B. von H.G. angezeigt, der Beschwerdeführer (ein Landwirt) habe ihr - nach Erstellung einer "Diagnose" - eine Dose "Dachs- und Hundefett" und ein als "Peters Universal-Lebenselixier" bezeichnetes Produkt, das zum Einnehmen bestimmt gewesen sei, verkauft.
Nach Einholung von Befund und Gutachten der Lebensmitteluntersuchungsanstalt und Vernehmung einer Zeugin hielt die BH dem Beschwerdeführer mittels Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigter vor, er habe am 19. Mai 1994 gegen 19.00 Uhr in H., Z.-Straße 66, durch Verkauf eine Dose des Verzehrproduktes "Peters Universal-Lebenselixier" in Verkehr gebracht, obwohl es verboten ist, Verzehrprodukte vor ihrer Anmeldung beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz in Verkehr zu bringen und eine Anmeldung des Verzehrproduktes nicht erfolgt sei. Er habe dadurch die Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 5 Z. 3 iVm § 18 Abs. 1 LMG 1975 zu verantworten.
Mit Straferkenntnis vom 18. April 1995 wurde der Beschwerdeführer im Sinne des soeben wiedergegebenen, in der Aufforderung zur Rechtfertigung enthaltenen Tatvorwurfes schuldig erkannt.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er erklärte, die Begehung der zur Last gelegten Übertretung zu bestreiten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab und bestätigte das Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass es in der Tatbildumschreibung statt "am 19.5.1994" nunmehr "durch Verkauf am 10.5.1994" zu lauten habe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 17. Juni 1996, B 759/96, die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Vor dem Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde macht zunächst geltend, das Straferkenntnis führe als Tatzeitpunkt den 19. Mai 1994, der angefochtene Bescheid hingegen den 10. Mai 1994 an. Damit bestrafe die belangte Behörde den Beschwerdeführer wegen eines anderen Deliktes als dem der erstinstanzlichen Bestrafung zugrundeliegenden.
Damit ist die Beschwerde im Recht. Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens wurde in der am 11. November 1994 an die Zeugin H.G. ergangenen Ladung, in der dem Beschwerdeführer am 27. März 1995 zugegangenen Aufforderung zur Rechtfertigung und im Straferkenntnis vom 18. April 1995 der Tatzeitpunkt jeweils mit dem 19. Mai 1994 bezeichnet. Im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte Änderung der Bezeichnung des Tatzeitpunktes wurde der Beschwerdeführer aber wegen einer am 10. Mai 1994 begangenen Verwaltungsübertretung bestraft.
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid (unter Bedachtnahme auf das im Verwaltungsstrafverfahren geltende Verbot der reformatio in peius) nach jeder Richtung abzuändern. "Sache" im Sinne dieser Gesetzesstelle ist immer die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat. Dies bedeutet für den Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens, dass die Berufungsbehörde trotz ihrer Berechtigung, den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, doch auf die Ahndung der dem Beschuldigten im Strafverfahren erster Instanz zur Last gelegten Tat beschränkt bleibt, sodass sie ihn nicht für eine Tat schuldig sprechen darf, die ihm im Verfahren vor der ersten Instanz gar nicht zur Last gelegt worden ist. Hingegen ist es grundsätzlich nicht rechtswidrig, wenn die Berufungsbehörde das Verhalten des Beschuldigten einem anderen Tatbestand (Tatbild) unterstellt als die Behörde erster Instanz, sofern es sich um ein und dasselbe Verhalten des Täters handelt, also Identität der Tat vorliegt (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 1995, Zl. 90/10/0092, und die dort zitierte Vorjudikatur). In diesem Rahmen ist die Berufungsbehörde auch zu sonstigen Modifikationen und Präzisierungen des Spruches der Behörde erster Instanz berechtigt.
Nach der gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anwendbaren Bestimmung des § 62 Abs. 4 AVG kann die Behörde Schreib- und Rechenfehler oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen oder offenbar ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von Amts wegen berichtigen.
Ein Bescheid darf nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 62 Abs. 4 AVG dann berichtigt werden, wenn zwei Voraussetzungen gegeben sind, nämlich erstens eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit und zweitens deren Offenkundigkeit. Eine auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeit liegt dann vor, wenn die ursprüngliche Entscheidung den Gedanken, den die Behörde offenbar aussprechen wollte, unrichtig wiedergegeben hat, wenn die zu berichtigende Entscheidung dem Willen der Behörde also offenbar nicht entspricht. Offenkundig ist die Unrichtigkeit dann, wenn jene Personen, für die der Bescheid bestimmt ist, die Unrichtigkeit erkennen können, und die Unrichtigkeit ferner von der Behörde - bei entsprechender Aufmerksamkeit - bereits bei der Erlassung des Bescheides hätte vermieden werden können (vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Juni 1990, Zl. 89/06/0104, Slg. Nr. 13233/A, m.w.N.).
Während Fehler der Beweiswürdigung, der rechtlichen Beurteilung oder der Begründung eines Bescheides (Behebung eines Begründungsmangels) einer Berichtigung nach § 62 Abs. 4 AVG nicht zugänglich sind, können klar erkennbare, also offenbar auf einem Versehen beruhende Unrichtigkeiten berichtigt werden. Hiebei kommt es letztlich auch auf den Inhalt der übrigen Bescheidteile sowie auf den Akteninhalt an. Als berichtigungsfähige Fehler hat der Verwaltungsgerichtshof etwa die Angabe einer falschen Jahreszahl bei der Tatzeit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1982, Zl. 82/03/0184, 0194), die Angabe einer falschen Längenangabe in einem Baubescheid (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1989, Zl. 89/05/0033) oder die Angabe einer falschen (nicht existierenden) Grundstücksnummer in einem Baubescheid (vgl. das oben genannte hg. Erkenntnis vom 21. Juni 1990) gewertet. Auch die Berichtigung des Tatzeitpunktes bzw. Tatzeitraumes hat der Verwaltungsgerichtshof unter den genannten Voraussetzungen als rechtmäßig angesehen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 21. April 1994, Zl. 93/09/0423, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss im Fall einer Berichtigung auch offenkundig sein, dass der unterlaufene Fehler auf einem bloßen Versehen beruhte, welches einem Schreib- oder Rechenfehler gleichzuhalten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Juni 1986, Zl. 86/07/0011). § 62 Abs. 4 AVG gestattet auch nur die Bereinigung textlicher Unstimmigkeiten, die den wahren Sinn des Bescheides nicht in Frage stellen dürfen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1990, Zl. 90/08/0136). Nachträgliche Auswechslungen der Tat sind jedenfalls unzulässig (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. April 1987, Zl. 87/02/0039, und das Erkenntnis vom , Zl. 95/09/0298).
Im vorliegenden Fall lagen die Voraussetzungen einer Berichtigung des Tatzeitpunktes durch die Berufungsbehörde schon mangels Offenkundigkeit eines der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz unterlaufenen Versehens nicht vor. Die von der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz gesetzten Verfahrensschritte - insbesondere jene, die gegenüber dem Beschwerdeführer in Erscheinung traten - bezogen sich durchwegs auf ein am 19. Mai 1994 gesetztes Verhalten. Zwar ist in der handschriftlichen Anzeige der H.G. und in deren Zeugenaussage (auf diese bezieht sich die belangte Behörde offenbar mit ihrem Hinweis auf eine "Verfolgungshandlung vom 1.3.1995" in der Gegenschrift) vom 10. Mai 1994 als Tatzeitpunkt die Rede; diese Ermittlungsergebnisse wurden dem Beschwerdeführer im Strafverfahren nach Ausweis der Akten aber nicht vorgehalten. Davon ausgehend kann nicht gesagt werden, es wäre offenkundig gewesen, dass sich das Verwaltungsstrafverfahren auf eine am 10. Mai 1994 begangene Verwaltungsübertretung bezöge und die mehrfache Anführung des 19. Mai 1994 als Tatzeitpunkt auf ein Versehen zurückzuführen wäre. Mangels Zulässigkeit einer Berichtigung des Tatzeitpunktes liegt somit eine Auswechslung der Tat vor.
Aus diesem Grund ist der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf die weiteren Begründungselemente und die darauf bezogenen Beschwerdegründe näher einzugehen wäre.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
An Stempelgebühren hatte der Beschwerdeführer die Eingabengebühr für den Beschwerdeschriftsatz und dessen Ausfertigungen, sowie die Beilagengebühr für die vorgelegte Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zu entrichten. Das über den Ersatz dieser Stempelgebühren hinausgehende Begehren war abzuweisen.
Wien, am 15. November 1999
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatzeit Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verwaltungsstrafrecht Spruch der Berufungsbehörde Änderungen des Spruches der ersten InstanzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996100185.X00Im RIS seit
20.11.2000