Entscheidungsdatum
11.09.2018Index
L92009 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung WienNorm
WMG §7 Abs2Text
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch den Richter Dr. Wilfert über die Beschwerde der Frau A. B. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, vom 12.03.2018, Zl. …, in einer Angelegenheit des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG), den
BESCHLUSS
gefasst:
I. Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Bescheid behoben und das Verfahren zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.
II. Gegen diese Entscheidung ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Begründung
1. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 40, vom 12.03.2018 wurde der Beschwerdeführerin die zuletzt mit Bescheid vom 17.10.2017, Zl. …, zuerkannte Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs (Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und Mietbeihilfe) mit 28.02.2018 eingestellt.
Zur Begründung führt die belangte Behörde nach Wiedergabe der anzuwendenden Rechtsvorschriften und der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens bezüglich das Einkommen und die Ausgaben der Beschwerdeführerin aus, aufgrund des Wiener Mindestsicherungsgesetzes ab 01.02.2018 sei auch bei getrennten Wohnsitzen eine gemeinsame Antragstellung und Berechnung der Eheleute erforderlich. Das Gesamteinkommen der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten ab 01.02.2018 übersteige den derzeitigen Mindeststandard, es bestehe daher kein Anspruch auf Mindestsicherung und Mietbeihilfe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Beschwerdeführerin die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht bekämpft. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt, zur Beschwerde jedoch keine Stellungnahme erstattet.
2. In der Angelegenheit fand am 11.09.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien statt.
Die belangte Behörde ist zu dieser Verhandlung nicht erschienen.
Die Beschwerdeführerin gab als Partei einvernommen an, an dem, von der belangten Behörde der Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhalt habe sich nichts geändert.
Im Anschluss an die Verhandlung wurde der Beschluss mündlich verkündet.
3. Die Beschwerde ist begründet.
Im Beschwerdefall ist strittig, ob die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 WMG i.d.F. LGBl. Nr. 2/2018, nunmehr derart erfolgt, dass volljährige Personen, zwischen denen eine Ehe besteht ohne im gemeinsamen Haushalt zu leben, eine Bedarfsgemeinschaft bilden, wovon die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausgegangen ist.
Das Verwaltungsgericht Wien schließt sich aus folgender Überlegung dieser Rechtsauffassung nicht an:
§ 7 Abs. 2 Z 2 WMG lautet:
„Die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft erfolgt nach folgenden Kriterien:
…
2. Volljährige Personen, zwischen denen eine Ehe besteht oder volljährige Personen, zwischen denen eine eingetragene Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft besteht und die im gemeinsamen Haushalt leben, bilden eine eigene Bedarfsgemeinschaft, auch wenn sie mit einem Eltern- oder Großelternteil in der Wohnung leben“.
Vorweg ist festzustellen, dass der Gesetzeswortlaut im Hinblick auf die hier maßgebliche Rechtsfrage nicht eindeutig und daher interpretationsbedürftig ist, da die semantische Bedeutung des, zwischen „Volljährige Personen, zwischen denen eine Ehe besteht“ und „volljährige Personen, zwischen denen eine eingetragene Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft besteht“ eingefügten Wortes „oder“ im Zusammenhang mit der Wortfolge „und die im gemeinsamen Haushalt leben“ unklar ist.
Da das Gesetz bei eingetragenen Partnerschaften und Lebensgemeinschaften für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ausdrücklich das Leben im gemeinsamen Haushalt anordnet, ergebe sich durch die Ungleichbehandlung von Eheleuten, bei denen dieses Kriterium nicht zur Anwendung gelangt, eine unsachliche Schlechterstellung. Ebenso wie bei Lebensgemeinschaften und eingetragenen Partnerschaften, bietet nur die gemeinsame Haushaltsführung Anlass für den, vom Gesetzgeber angenommenen Synergieeffekt, der den dadurch verringerten Grundbedarf rechtfertigt.
Dafür spricht auch, dass in der bis 31.1.2018 in Geltung gestandenen Fassung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes die Zurechnung von Eheleuten zu einer Bedarfsgemeinschaft nur im Falle des gemeinsamen Haushaltes erfolgte. Hätte der Gesetzgeber die Absicht gehabt, durch die Einfügung des Wortes „oder“ zwischen “Volljährige Personen, zwischen denen eine Ehe besteht“ und „volljährige Personen, zwischen denen eine eingetragene Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft besteht“ eine derart gravierende inhaltliche Änderung vorzunehmen, hätte er dies nicht nur sprachlich deutlicher gefasst, sondern auch in den erläuternden Bemerkungen zur Novelle ausgeführt und begründet. Das ist allerdings nicht der Fall.
Die von der belangten Behörde gewählte Interpretation. widerspräche auch dem Zweck des Wiener Mindestsicherungsgesetzes, wonach sich die Leistungen am Bedarf der jeweils Hilfsbedürftigen zu orientieren haben. Alleine durch eine aufrechte Ehe ohne gemeinsamen Haushalt ist kein geringerer Bedarf anzunehmen als bei Unverheirateten, zumal allfällige Unterhaltsansprüche zwischen den Ehegatten zu berücksichtigen sind.
Die von der belangten Behörde gewählte Interpretation hieße daher, dem Gesetz einen verfassungswidrigen Inhalt zu unterstellen (siehe auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 5.9.2018, VGW-242/28/7509/2018)
Die ordentliche Revision ist zulässig, da eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt und eine Rechtsprechung des VwGH zu dieser Frage bislang nicht ergangen ist.
Schlagworte
Mindestsicherung; Bedarfsgemeinschaft; Ehe; Lebensgemeinschaft; eingetragene Partnerschaft; Gleichheitssatz; Sachlichkeit; gemeinsamer Haushalt; Bedarf des Hilfsbedürftigen; Interpretation, verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2018:VGW.242.003.3747.2018.AZuletzt aktualisiert am
12.10.2018