TE Vwgh Beschluss 1999/11/17 97/08/0124

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Veröffentlicht am 17.11.1999
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Index

L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art23;
SHG Wr 1973 §7a idF 1993/050;
VwGG §33 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des W in W, vertreten durch Dr. Robert Hyrohs in 1010 Wien, Kärntnerstraße 37, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 11. Oktober 1996, Zl. MA 12-17896/94, betreffend Sozialhilfe nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

1. Der aus Rußland stammende, am 9. (oder 10.) Jänner 1945 geborene Beschwerdeführer befand sich seit dem 13. September 1989 in Österreich. Er stellte am 15. September 1989 einen Asylantrag, der nach mehrfacher Befassung des Verwaltungsgerichtshofes mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. April 1997 abgewiesen worden ist. In diesem Bescheid wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer nicht Flüchtling nach dem AsylG 1968 ist. Am 20. November 1997 wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers in sein Heimatland vollzogen. Das gegen den zuletzt genannten Bescheid eingeleitete Verwaltungsgerichtshofverfahren wurde mit Beschluss vom 28. Jänner 1998, Zl. 97/01/0693, mangels Verbesserung der Beschwerde durch den Sachwalter gemäß §§ 34 Abs. 2 und 33 Abs. 1 VwGG eingestellt.

Der Beschwerdeführer stellte am 28. Februar 1996 den Antrag, ihm für den Zeitraum vom 28. Februar 1996 bis zum 28. März 1996 eine Geldaushilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Wiener Sozialhilfegesetz zuzuerkennen. Der Magistrat der Stadt Wien wies diesen Antrag mit Bescheid vom 11. September 1996 mit der Begründung ab, dass das Verfahren auf Asylgewährung in dem Zeitraum, auf den sich der Antrag auf Sozialhilfe beziehe, noch nicht rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei, weshalb dem Beschwerdeführer gemäß § 7a Abs. 4 des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG) - unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer materiell Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei oder nicht - kein Anspruch auf Sozialhilfe zustehe.

Gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 11. Oktober 1996, mit welchem seiner Berufung gegen den genannten Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 11. September 1996 keine Folge gegeben wurde, richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, der § 7a Abs. 4 WSHG stehe im Widerspruch zu Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention. Aus Art. 16 B-VG ergebe sich die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Länder, zumindest hinsichtlich der Sozialhilfeleistungen an Flüchtlinge für eine Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern zu sorgen. Diese Verpflichtung gelte gegenüber allen Flüchtlingen, auch wenn deren Flüchtlingseigenschaft noch nicht rechtskräftig festgestellt sei, weil die Genfer Flüchtlingskonvention von einem materiellen Flüchtlingsbegriff ausgehe und auch auf Asylwerber anzuwenden sei.

Mit Beschluss vom 21. September 1999 gab der Verwaltungsgerichtshof den Parteien dieses Verfahrens wie folgt Gelegenheit, zur Frage der Gegenstandslosigkeit der Beschwerde Stellung zu nehmen:

"Nach vorläufiger Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beschwerde gemäß § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren einzustellen, weil auch in einem allenfalls fortzusetzenden Verfahren nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides der beschwerdegegenständliche Antrag auf Sozialhilfe für den Zeitraum vom 28. Februar 1996 bis 28. März 1996 im Hinblick auf den rechtskräftigen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. April 1997, mit dem ausgesprochen wurde, dass der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei, abzuweisen wäre.

Den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wird Gelegenheit gegeben, zu dieser vorläufigen Rechtsauffassung binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen."

Der Beschwerdeführer trat dieser Auffassung mit dem Hinweis entgegen, dass er sich im Zeitpunkt der Antragstellung auf Gewährung von Sozialhilfe erlaubter Weise in Österreich aufgehalten habe, sodass er als Asylwerber für den gegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Sozialhilfe habe. Daran ändere der Umstand nichts, dass die Asylgewährung durch einen späteren Bescheid versagt worden sei. - Die belangte Behörde erstattete keine Stellungnahme.

2. Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist eine Beschwerde mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Beschwerdeführer klaglos gestellt wurde.

Bei einer Bescheidbeschwerde gemäß Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG ist unter einer "Klaglosstellung" nach § 33 Abs. 1 und § 56 erster Satz VwGG nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung des beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheides - im Besonderen durch die belangte Behörde oder die allenfalls in Betracht kommende Oberbehörde oder durch den Verfassungsgerichtshof - eingetreten ist (vgl. dazu den Beschluss eines verstärkten Senates vom 9. April 1980, Slg. Nr. 10.092/A).

§ 33 Abs. 1 VwGG ist aber nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht nur auf die Fälle der formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt, wie der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Beschluss vom 9. April 1980, darlegte, z.B. auch dann vor, wenn der Beschwerdeführer kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat (vgl. unter vielen den hg. Beschluss vom 23. Februar 1996, Zl. 95/17/0026). Ob in letzterem Sinne das rechtliche Interesse eines Beschwerdeführers weggefallen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof nach objektiven Kriterien zu prüfen; er ist dabei nicht an die Erklärung des Beschwerdeführers gebunden.

Im Hinblick darauf, dass der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 25. April 1997 implizit auch für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 28. Februar 1996 bis 28. März 1996 rechtskräftig ausgesprochen hat, dass der Beschwerdeführer nicht Flüchtling nach dem AsylG 1968 ist, ist für den Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Gründen nicht ersichtlich, welche praktische Bedeutung die Entscheidung über die Beschwerde für diesen noch haben sollte:

Der § 7a des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG) in der hier anzuwendenden Fassung der 5. Novelle zum Wiener Sozialhilfegesetz, LGBl. Nr. 50/1993, lautet:

"§ 7a. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur Staatsbürgern zu.

(2) Den Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie sich erlaubterweise im Inland aufhalten:

a) Fremde, insoweit sich eine Gleichstellung aus Staatsverträgen ergibt, oder

b) Fremde, wenn mit ihrem Heimatstaat auf Grund tatsächlicher Übung Gegenseitigkeit besteht, insoweit sie dadurch nicht besser gestellt sind als Staatsbürger in dem betreffenden Staat, oder

c) Fremde, denen nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. Nr. 8/1992, Asyl gewährt wurde, oder

d) durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Begünstigte.

(3) Fremden, die nicht nach Abs. 2 den Staatsbürgern gleichgestellt sind und sich für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten erlaubterweise in Österreich aufhalten, kann der Sozialhilfeträger als Träger von Privatrechten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, Krankenhilfe und Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen gewähren, wenn das auf Grund ihrer persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse zur Vermeidung einer sozialen Härte geboten erscheint.

(4) Fremde, die nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl einen Asylantrag gestellt haben, haben bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens keinen Anspruch auf Sozialhilfe."

Zwar trifft es zu, dass über die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids am 11. Oktober 1996 noch nicht entschieden war. Würde aber der angefochtene Bescheid aufgehoben werden, so müsste der Mangel der mittlerweile feststehenden Flüchtlingseigenschaft der Erlassung des Ersatzbescheides zugrundegelegt werden. Dann aber müsste der Sozialhilfeantrag jedenfalls abgewiesen werden, weil er nach der derzeitigen Fassung des § 7a WSHG nur auf dessen Absatz 2 lit. a, der als Spezialbestimmung als dem Absatz 4 derogierend angesehen würde, i.V.m. der im Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention vorgenommenen Gleichstellung eines Flüchtlings mit einem österreichischen Staatsbürger gestützt werden könnte, der Beschwerdeführer aber kein solcher Flüchtling ist. Die Auffassung des Beschwerdeführers, ihm stünde Sozialhilfe schon deshalb zu, weil er sich im damaligen Zeitraum erlaubter Weise in Österreich aufgehalten habe, lässt sich weder aus dem § 7a WSHG noch aus dem Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention ableiten.

Auf eine mögliche gänzliche oder teilweise Aufhebung des § 7a WSHG in einem allenfalls einzuleitenden Gesetzesprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof wegen Verstoßes gegen Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention käme es nicht an. Zum einen kann allenfalls vermutet werden, dass nur der § 7a Abs. 4 WSHG gegen den Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention verstößt, weil die übrigen Absätze dieser Bestimmung, insbesondere Absatz 2 lit. a WSHG mit dem Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention im Einklang stehen dürften. Dann gälte das oben Gesagte.

Zum anderen ist der Artikel 23 der Genfer Flüchtlingskonvention auf den Beschwerdeführer als Nichtflüchtling nicht anwendbar, sodass eine Gesetzeslage, die möglicherweise nach Aufhebung auch anderer Teile des § 7a WSHG entstünde (etwa weil der Abs. 2 lit. a leg. cit. die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unmittelbar anwendbar macht: vgl. Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht (1989), Seite 383, oder weil Abs. 2 lit. c auch ohne den Abs. 4 leg. cit. alle Asylwerber, die materiell keine Flüchtlinge sind, vom Sozialhilfeanspruch ausschließt: vgl. Pfeil, aaO Seite 389) und die auch Asylwerbern einen Sozialhilfeanspruch einräumen würde, bei der Betrachtung des zu erwartenden Ersatzbescheides nicht berücksichtigt werden müsste.

Für den Beschwerdeführer besteht somit unter allen denkbaren Umständen kein rechtliches Interesse an einer Sacherledigung des Verwaltungsgerichtshofes in der vorliegenden Beschwerdesache. Die Beschwerde war daher in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 58 Abs. 2 VwGG. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 88/1997 ist bei der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei einer Beschwerde nicht zu berücksichtigen; würde hiebei die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so ist darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden.

Berücksichtigt man den nachträglichen Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei der vorliegenden Beschwerde nicht, so lässt sich der vermutliche Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens insbesondere im Hinblick auf ein allenfalls einzuleitendes Gesetzesprüfungsverfahren ohne unverhältnismäßigen Aufwand nicht feststellen. Die Kosten waren daher in Anwendung des § 58 Abs. 2 VwGG gegeneinander aufzuheben.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert werden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 7 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 17. November 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1997080124.X00

Im RIS seit

13.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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