TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/31 W205 2009092-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.07.2018
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Entscheidungsdatum

31.07.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W205 2009094-1/15E

W205 2009092-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA über die Beschwerden 1.) der XXXX , geb. XXXX , und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom 12.06.2014, Zl. 14-1000029201/14008591 und 2.) vom 10.06.2014, Zl. 14-1000028901/14008613, zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Russland, tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, sie gelangten gemeinsam illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellten jeweils am 07.01.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge auch "Beschwerdeführerin") ist die Mutter und gesetzliche Vertreterin des Zweitbeschwerdeführers.

Zur Erstbeschwerdeführerin liegt eine EURODAC-Treffermeldung vom 30.04.2013 zu einer Asylantragstellung in Polen und vom 22.05.2013 zu einer Asylantragstellung in Deutschland vor.

Im Verlauf ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 07.01.2014 brachte die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen vor, sie sei 2003 aufgrund von Problemen von Tschetschenien nach Russland gegangen, sei dort wegen angeblicher Zusammenarbeit mit den Widerstandskämpfern zwischen 2007 und 2010 in verschiedenen Gefängnissen angehalten worden, am 25.04.2013 sei sie gemeinsam mit ihrem Sohn, dem Zweitbeschwerdeführer, über Weißrussland nach Polen gefahren, wo sie um Asyl angesucht hätten und ihr die Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Sie sei dann mit dem Zweitbeschwerdeführer weiter nach Deutschland gereist und habe in Berlin um Asyl angesucht. Nach drei Tagen sei sie nach Chemnitz überstellt worden und sei dort bis 14.08.2013 untergebracht gewesen. Dann sei sie selbstständig mit ihrem Sohn nach Wien weitergereist, weil sie Ende 2013 von Deutschland nach Polen abgeschoben hätte werden sollen.

Sie sei zwischen 2007 und 2010 in zwei verschiedenen Städten in Russland im Gefängnis gewesen und sei dann nach Tschetschenien zurückgekehrt. Ab 14.04.2012 sei sie dort für 16 Tage vom Militär eingesperrt, misshandelt, gefoltert, geschlagen und sexuell belästigt worden, mehrmals sei sie immer wieder für kurze Zeit von der Polizei festgenommen und mehrmals mit einem Messer verletzt worden. Deshalb sei sie geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien würde sie getötet werden.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") richtete am 10.01.2014 an Polen ein beide Beschwerdeführer betreffendes Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: "Dublin III-VO").

Mit Schreiben vom 15.01.2014 lehnte die polnische Dublin- Behörde das Wiederaufnahmeersuchen des BFA mit der Begründung ab, dass die Zuständigkeit auf Deutschland übergegangen sei. Die deutschen Behörden hätten an Polen am 19.06.2013 ein Wiederaufnahmeersuchen gestellt und Polen habe der Wiederaufnahme der Beschwerdeführer am 21.06.2013 zugestimmt. In der Zwischenzeit sei die Überstellungsfrist abgelaufen und die Zuständigkeit von Polen auf Deutschland übergegangen.

In der Folge stellte das BFA am 15.01.2014 an die deutsche Dublin-Behörde unter Hinweis auf die polnische Antwort ein Wiederaufnahmeersuchen, dem die deutschen Behörden mit Schreiben vom 16.01.2014 gemäß Art. 13 Dublin III-VO ausdrücklich zustimmten.

Dem Aktenvermerk des BFA vom 20.01.2014 ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin in einem österreichischen Krankenhaus stationär aufgenommen worden sei. Dem vorläufigen Arztbrief dieses Krankenhauses vom 23.01.2014, Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, sind als Hauptdiagnosen "PTSD F 43.1, V.a. Syphilis, Hepatitis C, Nikotinabusus, Obstipation" und ein stationärer Aufenthalt von 16.01.2014-23.01.2014 zu entnehmen, empfohlen wurden die Einnahme näher genannter Psychopharmaka und Schmerzmittel, dringend empfohlen wurde eine Psychotherapie.

Die Beschwerdeführerin wurde über Auftrag des BFA in der Folge dreimal von einer Ärztin für Allgemeinmedizin, psychosomatische und psychotherapeutische Medizin und Psychotherapeutin untersucht. Am 04.02.2014 sowie 07.02.2014 stellte die Ärztin eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung fest und führte aus, sie könne auch nach 160 Minuten die Diagnose nicht eingrenzen. Es seien folgende Differenzialdiagnosen angedacht:

"komplexe Traumafolgestörung (DESNOS), Persönlichkeitsstörung, Erkrankung aus dem manischen oder schizophrenen Formenkreis"; weiters habe die Beschwerdeführerin Hepatitis C und eine aktive Infektion mit Syphilis, sie benötige noch zweimal Antibiotikaspritzen im Abstand von einer Woche.

Am 11.03.2014 wurde die Beschwerdeführerin nochmals von derselben Ärztin untersucht (Drittsicht). Nach dieser Untersuchung stellte die Ärztin fest, die Beschwerdeführerin leide unter einer komplexen, schweren PTSD, F 43.1. In einem gesicherten Aufenthalt bzw. einer sicheren Umgebung sei eine Genesung oder wenigstens die weitgehende Besserung anzunehmen. Eine Überstellung sehe sie als äußerst bedenklich an. Die Beschwerdeführerin müsse dringend ihre Medikamente weiter nehmen und benötige dringend Psychotherapie oder psychologische Betreuung. Zu den Auswirkungen auf den psychischen und physischen Zustand im Falle einer Überstellung führte die Ärztin wörtlich aus: "Eine Überstellung sehe ich aus ärztlicher Sicht äußerst bedenklich. Die Frau gehört aus ärztlich-psychotherapeutischer Sicht zur Gruppe der schwer Traumatisierten, welche eine neuerliche Überstellung mit subjektiver Perspektivlosigkeit sehr schwer verkraften könnte, was zu einer massiven Verschlechterung (Re-Traumatisierung) führen würde. Insbesondere auch wegen des Sohnes wären stabile Aufenthaltsbedingungen wünschenswert. Affekthandlungen bei Zuspitzung nicht auszuschließen."

Am 21.03.2014 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem BFA nach durchgeführter Rechtsberatung in Anwesenheit der Rechtsberaterin unter der Leitung eines männlichen Organwalters statt. In der Einvernahme sagte die Beschwerdeführerin aus, in Österreich lebe ein Neffe. Sie lebe mit niemandem in Lebensgemeinschaft. Über Vorhalt der Ergebnisse des Konsultationsverfahrens, der Zuständigkeit Deutschlands und der bereits erfolgten Zustimmung dieses Landes gab sie an: Sie sei dort dreieinhalb Monate in einem Lager gewesen, es habe dort ständig Raufereien gegeben und die Polizei habe eingreifen müssen, die Polizei habe ihnen aber nicht geholfen. Sie seien von Schwarzafrikanern verprügelt worden, sie habe auch Beschwerden geschrieben, damit man sie an einen anderen Ort verlege, das sei aber nicht geschehen. Die Polizei habe nur die Streitenden getrennt und sei dann gleich wieder weggefahren. Sie hätte dringend ärztliche Hilfe benötigt, man habe ihr und ihrem Sohn aber medizinische Hilfe verweigert und ihr die Abschiebung nach Polen in Aussicht gestellt.

Nach Vorhalt der Ergebnisse der drei Untersuchungen der Ärztin gab die Beschwerdeführerin an: Sie geniere sich darüber zu reden, sie sei in Tschetschenien vergewaltigt worden, sie sei auch von russischen Militärangehörigen misshandelt und vergewaltigt worden. In Tschetschenien herrsche Terror.

Über Befragen gab die Beschwerdeführerin an, sie nehme derzeit regelmäßig Medikamente und gehe zweimal in der Woche zu einer Psychologin. Sie sei lange Zeit ohne Angehörige gewesen, weil sie in Haft gewesen sei, jetzt habe sie ihren Neffen hier, der sie zweimal in der Woche besuche und für sie eine große seelische Unterstützung sei. Ohne ihn wäre sie wahrscheinlich verrückt geworden.

In dieser Einvernahme legte die Beschwerdeführerin Haftbestätigungen aus Russland vor.

Die Rechtsberaterin stellte unter Hinweis auf die Ergebnisse der drei Begutachtungen im Zulassungsverfahren den Antrag auf Zulassung des Verfahrens. Die Beschwerdeführerin sei schwer traumatisiert und einen neuerliche Überstellung nach Deutschland würde mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Retraumatisierung verursachen.

Über Befragen zu den Verhältnissen im deutschen Lager gab die Beschwerdeführerin an: Das Lager in Deutschland sei nicht so wie in Österreich gewesen, dass es Sicherheitspersonal bzw. Polizei gegeben hätte. In der Nacht seien die Männer in die Zimmer eingedrungen und hätten die Schlafenden aufgeweckt und verprügelt, auch sie sei verprügelt worden. Es seien alle Flüchtlinge davon betroffen gewesen, auch Kinder. Die Angreifer hätten Matratzen auf sie geworfen. Sie hätten sich beschwert, man habe ihnen aber erklärt, dass das jetzt das Wochenende sei. Die Situation sei dann so eskaliert, dass es schließlich Schwerverletzte und sogar Tote gegeben hätte. Sie sei am 06.05.2013 mit ihrem Sohn nach Chemnitz gekommen.

Zu ihrem Neffen befragt gab sie an: Dieser lebe seit ca. zwölf Jahren in Österreich und habe einen österreichischen Reisepass, derzeit besuche er Kurse. Die größte Unterstützung sei, dass er zu ihr komme und mit ihr rede. Ihm könne sie ihre Sorgen erzählen und das sei für sie eine Erleichterung. Sie ersuche, in Österreich bleiben zu können, hier fühle sie sich sicher und wisse, dass niemand in der Nacht in ihr Zimmer eindringen würde. Sie wolle selbst für sich sorgen und sich nicht mehr unsicher fühlen und wissen, dass niemand in der Nacht in ihr Zimmer eindringen würde. Sie sei erschöpft, ständig in Angst leben zu müssen.

Am 03.04.2014 verfasste die begutachtende Ärztin über Auftrag des BFA einen "Zusatz" zu ihrer Begutachtung vom 11.03.2014. Eingangs gab die Ärztin den ergänzenden Auftrag der Referentin des BFA wie folgt wieder: "Es wurde mir von der zuständigen Referentin zur Kenntnis gebracht, dass Deutschland die Zustimmung zur Führung des inhaltlichen Verfahrens gegeben habe und ich wurde gebeten, diesen neuen Umstand in meine Schlussfolgerung einfließen zu lassen. Mit der Entscheidung, dass Deutschland das Verfahren führen wird sollte sichergestellt sein, dass Frau K. und ihr Sohn zumindest für die Zeit des Asylverfahrens in Deutschland aufhältig sein kann, eine Behandlung sowohl medikamentös als auch psychotherapeutisch auf hohem Niveau erhalten kann und anzunehmenderweise auch erhalten wird. Ihre große Angst, nach Polen abgeschoben zu werden, scheint hiermit unbegründet". Der von der Ärztin daraufhin verfasste Zusatz lautet wörtlich wie folgt (Unterstreichung im Original): "Damit steht aus ärztlicher Sicht einer Überstellung dann nichts im Wege, wenn der Frau, die sehr durcheinander ist, vor Überstellung verständlich erklärt wird, dass ihr inhaltliches Verfahren in Deutschland geführt wird und es zu keiner Überstellung nach Polen kommen wird (was sie subjektiv als sehr ängstigend erlebt hat). Weiters ist auf eine schonende Überstellung (ohne Zwangsmaßnahmen) wegen der Gefahr der Retraumatisierung zu achten.

Es darf auch davon ausgegangen werden, dass sie-sofern es sich bei der Erziehung des Kindes benötigt-dieser in Deutschland erhalten wird.

Eine Verschlechterung bei Übermittlung der Überstellungsabsicht kann trotzdem nicht sicher ausgeschlossen werden. Affekthandlungen ebenfalls nicht sicher auszuschließen. Eine Prüfung des Gesundheitszustandes vor Überstellung durch den Amtsarzt/die Amtsärztin ist empfohlen."

Am 14.04.2014 fand neuerlich eine niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin statt. In dieser wurde ihr die Zusatzbemerkung der Ärztin vom 03.04.2014 vorgehalten und sie um Zustimmung zur Übermittlung der medizinischen Unterlagen nach Deutschland gefragt Sie gab an, grundsätzlich nichts dagegen zu haben, dass ihre medizinischen Unterlagen nach Deutschland übermittelt würden, aber es werde in Deutschland keine psychologische Therapie angeboten, sie sei dort zweimal mit akuten Schmerzen ins Krankenhaus eingeliefert worden und habe keine entsprechende Behandlung bekommen. Man habe ihrem Rechtsvertreter zwei Rechnungen für medizinische Behandlungen in Höhe von ca. € 1000 zugeschickt, die sie aber nicht habe bezahlen können. Man habe ihr vorgeworfen, aus Russland nur zur medizinischen Behandlung hierhergekommen zu sein.

In ihrer Stellungnahme vom 16.04.2014 wies der Beschwerdevertreter auf die Beurteilung der beauftragten Ärztin zur Schwere der krankheitswertigen psychischen Störung (komplexe schwere PTSD, F. 43.1) der Erstbeschwerdeführerin und darauf hin, dass sich ihre Ängste keinesfalls nur auf die Überstellung nach Polen beschränkt hätten.

Weiters befinden sich im Akt - neben einzelnen Überweisungen zu Fachärzten -

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eine Aufenthaltsbestätigung über einen stationären Aufenthalt in einem österreichischen Krankenhaus vom 13.05.2014-14.05.2014, Abteilung Chirurgie, der die Diagnosen "Cholezystolithiasis (Gallenkolik), Hep. C und V.a. Syphilis" enthält und einen Termin zur stationären Aufnahme zum Zweck der Gallenblasenentfernung für den 01.07.2014 vorsieht;

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ein Ambulanzbrief eines österreichischen Krankenhauses, Abteilung für Dermatologie, vom 15.05.2014 betreffend Untersuchungen zur Syphiliserkrankung der Beschwerdeführerin.

Das BFA holte eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Behandlungs- und Unterbringungsmöglichkeiten der Beschwerdeführer ein. Die Fragen lauten:

1. Besteht die Möglichkeit, die Asylwerberin und ihren Sohn in Deutschland in einer Unterkunft unterzubringen, die nicht zu den Lagern in Chemnitz oder Dresden gehört?

2. Ist es möglich, dass dort die medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung der Asylwerberin fortgesetzt werden kann?

3. Ist es möglich, dass die Asylwerberin Unterstützung bei der Erziehung ihres Sohnes bekommen kann (Jugendwohlfahrt oder Familienhelferinnen)?

In der Beantwortung vom 23.05.2014 teilte die Staatendokumentation mit, diese Anfrage sei an die deutschen Behörden weitergeleitet worden. Der Antwort sei zu entnehmen, dass die Asylbewerberin ihre Behandlung in Deutschland fortsetzen könne und sie auch vom Jugendamt bei der Kindererziehung unterstützt werden würde. Über die Unterbringung in einer anderen Einrichtung als den Lagern in Chemnitz oder Dresden, habe die zuständige Ausländerbehörde (Landesdirektion Chemnitz) zu entscheiden.

Die ergänzende Frage des BFA, ob die Staatendokumentation bezüglich der Unterbringung in Chemnitz anfragen könne, wurde unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Bedenken verneint, zu der Frage, ob eine Gallenblasenentfernung in Deutschland erfolgen könne, wurde mitgeteilt, dass bis dato keine Antwort seitens des BAMF eingetroffen sei (E-Mail der Staatendokumentation vom 05.06.2014).

2. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Deutschland für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 13 Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Nach Feststellungen zur allgemeinen Lage in Deutschland wird ausgeführt, die Anträge auf internationalen Schutz seien zurückzuweisen, weil gemäß Art. 13 Dublin III-VO Deutschland für die Prüfung der Anträge zuständig sei. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen, betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung der beschwerdeführenden Parteien ernstlich für möglich erscheinen lassen würden, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Bei der Erstbeschwerdeführerin liege eine schwere und komplexe posttraumatische Belastungsstörung 43.1 vor, die medikamentös behandelt werde, eine Psychotherapie bzw. psychotherapeutische Betreuung sei dringend anzuraten. Weiters bestehe V.a. Syphilis, Hepatitis C, Cholezystolithiasis, sowie Lumboischialgie. Aufgrund der Cholezystolithiasis sei ein Operationstermin für den 01.07.2014 anberaumt worden. Zur Überstellungszulässigkeit führte das BFA rechtlich unter Verweis auf die Judikatur des EGMR und der österreichischen Höchstgerichte zu Art. 3 EMRK aus, es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine lebensgefährlich Erkrankte handle und daher eine Überstellung nach Deutschland von vornherein als unzulässig angesehen werden müsste. Es ergebe sich auch kein Hinweis auf anstehende und dringliche ärztliche Behandlungen, beispielsweise in Form von Operationen oder sonstigen unaufschiebbaren ärztlichen Behandlungen. Die vorgesehene Operation am 01.07.2014 aufgrund der Diagnose Cholezystolithiasis sei im Hinblick auf die lange Zeitspanne zwischen Diagnose und geplanter Operation offensichtlich nicht unaufschiebbar. Die Erstbeschwerdeführerin befinde sich in keinem lebensbedrohlichen Zustand und bei Bedarf seien in Deutschland Behandlungsmöglichkeiten gegeben, dass ihr der Zugang zu allenfalls erforderlichen Behandlungen verwehrt wäre, habe sich nicht ergeben.

Zum Privat- und Familienleben wurde festgestellt, bei den Beschwerdeführern untereinander liege ein Familienverfahren vor. Die Erstbeschwerdeführerin habe in Österreich einen (namentlich genannten) Neffen, mit diesem lebe sie nicht im gemeinsamen Haushalt und es habe auch nie ein solcher bestanden. Es bestehe weder ein finanzielles noch ein sonstiges Abhängigkeitsverhältnis zu diesem Verwandten. Die Beschwerdeführer seien illegal eingereist und es liege auch keine besondere Integrationsverfestigung in Österreich vor.

3. Gegen die Bescheide richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Beschwerde. Darin wird unter Hinweis auf die festgestellten Erkrankungen der Erstbeschwerdeführerin und dem Ergebnis der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren ausgeführt, die Beschwerdeführer seien zweifellos als besonders vulnerable Personen zu bewerten. Im Verfahren sei vorgebracht worden, dass die Beschwerdeführer in Deutschland von Mai bis Dezember in Flüchtlingslagern des Bundeslandes Sachsen aufhältig gewesen seien, die Situation in diesen Lagern sei von hoher Gewalttätigkeit geprägt gewesen. Schon aus diesen Gründen sei es ihr aufgrund ihrer körperlichen und psychischen Verfasstheit nicht möglich, dorthin zurückzukehren, sie wolle auch ihrem Sohn nicht mehr zumuten, dass er miterleben müsse, wie seine Mutter geschlagen und misshandelt werde. Die Anfrage bei der Staatendokumentation habe ergeben, dass über eine Unterbringung in Deutschland die Landesdirektion Chemnitz als zuständige Ausländerbehörde zu entscheiden habe, was wiederum zu einer Unterbringung in den besagten Lagern führen könnte.

In der Folge werden zahlreiche Berichte zur Situation von Flüchtlingen bezüglich Hetze und körperliche Angriffe im Bundesland Sachsen in der ersten Jahreshälfte 2014 zitiert. Daraus werde -so die Beschwerde weiter- deutlich, dass die Erstbeschwerdeführerin bei einer Rücküberstellung nach Sachsen der Gefahr einer Retraumatisierung und massiven Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt wäre. Überdies wäre die für sie überlebensnotwendige psychische Behandlung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gewährleistet. Aus der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren gehe auch hervor, dass stabile Aufnahmebedingungen auch wegen des Zweitbeschwerdeführers wünschenswert wären, mit diesen Vorgaben habe sich die Behörde nicht auseinandergesetzt. Die Behörde hätte wegen der Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK vom Selbsteintrittsrecht Österreichs Gebrauch machen müssen.

Die Behörde habe auch das Privat- und Familienleben unrichtig gewürdigt: Aufgrund des Umstandes, dass in Österreich der Neffe der Erstbeschwerdeführerin lebe, mit dem sie täglich Kontakt habe, der sie monatlich zwei - bis dreimal besuche und der für sie eine wichtige psychische Stütze darstelle, ohne die sie wahrscheinlich schon "verrückt" geworden wäre, erkennen müssen, dass die von der Rechtsprechung geforderten zusätzlichen Merkmale, die über die üblichen Bindungen zwischen erwachsenen Angehörigen hinausgingen, vorhanden seien und die Außerlandesbringung daher einen ungerechtfertigten Eingriff in die von Art. 8 EMRK geschützten Rechte sei.

4. Mit hg. Beschluss vom 27.06.2014 wurde den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

5. Die Erstbeschwerdeführerin legte im Beschwerdeverfahren folgende Unterlagen vor:

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Aufenthaltsbestätigung über einen stationären Aufenthalt in einem österreichischen Krankenhaus von 01.07.2014-05.07.2014 wegen einer Gallenblasenentfernung am 02.07.2014, wobei die Nahtentfernung für 14.07.2014 avisiert wurde;

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Bestätigung einer klinischen Gesundheitspsychologin vom 23.07.2014 über die Behandlung der Erstbeschwerdeführerin wegen einer komplexen PTSD seit Juni 2014; es wird ausgeführt, dass eine weitere Psychotherapie mit Stabilisierung und Traumatherapie für dringend notwendig gehalten werde;

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Bericht der Leberambulanz eines österreichischen Krankenhauses vom 06.10.2014, aus dem die Diagnose "Chronische Hepatitis C" und der Beginn einer Interferontherapie hervorgehen;

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Psychiatrischer Befund vom 17.04.2015, aus dem die Diagnose "stark ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung" und die Notwendigkeit einer Psychotherapie hervorgehen, es wird die Einnahme näher bezeichneter Medikamente empfohlen;

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Therapiebestätigung vom 02.07.2018, aus der die fortlaufende Psychotherapie der Erstbeschwerdeführerin seit Juni 2017 hervorgeht.

Weiters wurde mehrere Empfehlungsschreiben betreffend die Erstbeschwerdeführerin, die ihr Hilfsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit bescheinigen und Schulbesuchsbestätigung mit positiven Jahreszeugnissen der 3. und 4. Klasse der Volksschule betreffend den Zweitbeschwerdeführer vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer, eine Mutter mit ihrem minderjährigen Sohn, beide russische Staatsangehörige tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reisten im April 2013 aus Weißrussland kommend in Polen illegal in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein und stellten dort am 30.04.2013 erstmals einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes. Vor Beendigung des Verfahrens reisten sie illegal nach Deutschland weiter, wo sie am 22.05.2013 ebenfalls internationalen Schutz beantragten. Deutschland stellte an Polen ein Wiederaufnahmegesuch, dem Polen ausdrücklich zustimmte, die Überstellung der Beschwerdeführer nach Polen wurde von den deutschen Behörden aber nicht innerhalb der sechsmonatigen Überstellungsfrist durchgeführt.

Noch vor Beendigung des Asylverfahrens in Deutschland reisten die Beschwerdeführer illegal nach Österreich weiter, wo sie am 07.01.2014 die hier gegenständlichen Anträge auf Gewährung internationalen Schutzes stellten.

Das BFA richtete unter Bezugnahme auf die aufscheinenden EURODAC-Treffer zunächst ein Wiederaufnahmeersuchen an Polen, das Polen aufgrund des nach seiner Auffassung erfolgten Zuständigkeitsüberganges an Deutschland ablehnte und daraufhin am 15.01.2014 unter Hinweis auf die Informationen aus Polen ein auf Art. 18 Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Deutschland, welchem die deutsche Dublinbehörde mit Schreiben vom 16.01.2014 gestützt auf Art. 13 Dublin III-VO ausdrücklich zustimmte.

Die Beschwerdeführer waren in Deutschland von Mai bis August 2013 in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Chemnitz untergebracht. Bei diesem Aufenthalt kam es wiederholt zu körperlichen und verbalen Übergriffen auf die Beschwerdeführer von Seiten anderer Asylwerber. Beispielsweise drangen andere Asylwerber in der Nacht in das Zimmer der Beschwerdeführer ein, warfen Matratzen auf sie und die Erstbeschwerdeführerin wurde verprügelt. Polizeieinsätze führten lediglich dazu, die Auseinandersetzungen zu beenden. In diesem Zeitraum waren dort keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen vorhanden, die Übergriffe unter den Asylwerbern erfolgreich verhindert hätten.

Die Beschwerdeführerin war in ihrem Herkunftsstaat über mehrere Jahre hindurch inhaftiert und erlitt zahlreiche Traumata. Sie leidet an einer komplexen, schweren PTSD, F 43.1, und befindet sich bis heute in psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung. Sie gehört zur Gruppe der schwer Traumatisierten, aufgrund ihrer Vorerlebnisse in Deutschland (unmittelbare Gewaltanwendung im Asylbewerberheim Chemnitz) wäre mit einer Überstellung nach Deutschland die unmittelbare Gefahr einer massiven Verschlechterung ihres Zustandes (Re-Traumatisierung) verbunden.

Weiters litt die Beschwerdeführerin bei ihrer Ankunft in Österreich an Syphilis und hatte Gallensteine, erstere ist in der Zwischenzeit ausgeheilt, die Gallenblase wurde operativ entfernt. Die Beschwerdeführerin leidet auch an einer chronischen Hepatitis C. Grundsätzlich sind alle Erkrankungen der Beschwerdeführerin auch in Deutschland behandelbar.

In Österreich lebt ein Neffe der Beschwerdeführerin, der österreichischer Staatsbürger ist. Die Beschwerdeführerin wird von diesem regelmäßig besucht und erfährt durch die Gespräche mit ihm seelischen Rückhalt. Ein gemeinsamer Haushalt zu diesem Verwandten besteht nicht und bestand auch im Herkunftsstaat nicht.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise ins Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten, der illegalen Weiterreisen sowie der Zustimmung Deutschlands zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführer stützen sich auf die Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Einvernahmen iZm den Ergebnissen des - im Verwaltungsakt dokumentierten - durchgeführten Konsultationsverfahrens.

Die Feststellungen zu den Erlebnissen im Herkunftsstaat gründen sich auf die eigenen Angaben der Beschwerdeführerin, die zu den Erfahrungen der Beschwerdeführer bei ihrer Unterbringung in Deutschland stützen sich auf ihre Aussagen in ihren Einvernahmen vor dem BFA. Diese Schilderungen stehen im Einklang mit den für diesen Zeitraum als notorisch zu beurteilenden Zuständen in besagtem deutschen Erstaufnahmelager (siehe hierzu die mediale Berichterstattung, z.B. https://www.mz-web.de/mitteldeutschland/asylbewerber-heim-in-chemnitz-haftbefehl-nach-gewaltausbruch-3038516).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin und zu ihrer nach wie vor bestehenden Behandlungsbedürftigkeit gründen sich auf die unbedenklichen (oben angeführten) medizinischen Befunde. Dass die Gefahr eine Retraumatisierung der Beschwerdeführerin auch im Falle ihrer Überstellung nach Deutschland besteht, ergibt sich aus den vom BFA im Zulassungsverfahren eingeholten Gutachten einschließlich dem Zusatzgutachten vom 03.04.2014. Wie nämlich diesem Zusatz zu entnehmen ist, ging die begutachtende Ärztin aufgrund einer verkürzten Information des BFA bei ihrer ergänzenden Beurteilung davon aus, dass sich die Ängste der Beschwerdeführerin ausschließlich auf eine Überstellung nach Polen beschränken würden und die Ärztin wurde nicht dahingehend informiert, dass es auch im Lager in Deutschland zu gewalttätigen Übergriffen auf die Beschwerdeführerin gekommen ist. Im Zusammenhalt mit den übrigen Ausführungen der Begutachtungsergebnisse ist daher auch für den Fall der Überstellung nach Deutschland von dem im Gutachten beschriebenen Überstellungsrisiko auszugehen.

Die Feststellungen zum Familienbezug der Beschwerdeführerin und der Wirkung dieser Beziehung gründen sich auf ihre eigenen Aussagen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) idF BGBl. I Nr. 145/2017 lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3. ...

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet:

§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

§ 21 Abs. 3 BFA-VG lautet:

§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes

im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen.

Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idF BGBl. I Nr. 145/2017 lautet:

§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2. ...

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.

Die maßgeblichen Bestimmungen Dublin III-VO lauten auszugsweise:

"KAPITEL III

KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

[...]

Art. 13

Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

[...]

KAPITEL IV

ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN

Art. 16

Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17

Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

[...]

KAPITEL V

PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATES

Artikel 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

Artikel 29

Modalitäten und Fristen

(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme - oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.

[...]

(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.

[...]

3.2. In materieller Hinsicht ist die Zuständigkeit Deutschlands gegeben, weil die ursprüngliche Zuständigkeit Polens nach Ablauf der Überstellungsfrist auf Deutschland übergegangen ist. Deutschland hat der Wiederaufnahme auch ausdrücklich zugestimmt.

Die grundsätzliche Zuständigkeit Deutschlands wird von den Beschwerdeführern auch nicht bestritten.

3.3. Zur Frage eines allenfalls gebotenen Selbsteintritts Österreichs wird folgendes ausgeführt: Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin III-VO bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist.

Da Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (aus jüngster Zeit: VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua, mit Hinweis auf Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art. 17 K2).

Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2013, Rechtssache C-394/12, Abdullahi, festgehalten, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 (diese entsprechen nunmehr Art. 17 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Dublin III-VO) "die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein" (vgl. Rn. 57, mwN).

Nach der Rechtsprechung des VfGH (zB VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (zB VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0139; 17.11.2015, Ra 2015/01/0114, 2.12.2014, Ra 2014/18/0100, 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua) macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig und es ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

Die Beschwerdeführerin ist nach den getroffenen Feststellungen schon aufgrund der selbst erlebten Traumata im Herkunftsstaat psychisch stark beeinträchtigt. Dazu kommen traumatisierende Ereignisse während ihres Aufenthaltes in Deutschland, im Zuge derer sie weiterhin massive Angst um ihre körperliche Integrität, insbesondere auch durch die permanent als Bedrohung empfundene Nähe männlicher Flüchtlinge im Lager hatte. Sie gehört - wie festgestellt - zur Gruppe der schwer Traumatisierten, leidet an einer komplexen, schweren PTSD, F 43.1, und befindet sich bis heute in psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung.

Mit Blick auf die festgestellten Erkrankungen ist zunächst folgendes auszuführen:

Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR im Zusammenhang mit der Abschiebung von kranken Personen können von einer Ausweisung betroffene Ausländer grundsätzlich kein Bleiberecht in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates beanspruchen, um weiterhin in den Genuss von dessen medizinischer, sozialer oder sonstiger Unterstützung oder Dienstleistungen zu kommen. Die Tatsache, dass die Lebensverhältnisse einer Person einschließlich ihrer Lebenserwartung im Fall ihrer Abschiebung deutlich reduziert würden, reicht allein nicht aus, um zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK zu führen. Die Entscheidung, einen an einer schweren psychischen oder physischen Krankheit leidenden Ausländer in ein Land rückzuführen, in dem die Einrichtungen für die Behandlung dieser Krankheit schlechter als im Vertragsstaat sind, kann ein Problem nach Art. 3 EMRK aufwerfen, aber nur in einem ganz außergewöhnlichen Fall, in dem die gegen die Rückführung sprechenden humanitären Gründe zwingend sind ("a very exceptional case, where the humanitarian grounds against the removal are compelling"). Im Fall D./Vereinigtes Königreich ("St. Kitts"), EGMR 02.05.1997, 30240/96, lagen die ganz außergewöhnlichen Umstände darin, dass der Beschwerdeführer schwerkrank war und dem Tod nahe schien, für ihn in seinem Herkunftsstaat eine Pflege oder medizinische Versorgung nicht gewährleistet werden konnte und er dort keine Familie hatte, die ihn pflegen oder auch nur mit einem Mindestmaß an Lebensmitteln, Unterkunft oder sozialer Unterstützung versorgen hätte können (z. B. EGMR 30.06.2015, 39350/13, A.S., Rn. 31; 26.02.2015, 1412/12, M.T., Rn. 47; Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N., Rn. 42).

Der EGMR schloss nicht aus, dass es "andere ganz außergewöhnliche Fälle" geben kann, in denen die humanitären Erwägungen ähnlich zwingend sind. Er hielt es jedoch für geboten, die im Fall D./Vereinigtes Königreich festgelegte und in der späteren Rechtsprechung angewendete hohe Schwelle beizubehalten. Er erachtete diese Schwelle für richtig, weil der behauptete drohende Schaden nicht aus den absichtlichen Handlungen oder Unterlassungen staatlicher Behörden oder nichtstaatlicher Akteure resultiert, sondern aus einer natürlich auftretenden Krankheit und dem Fehlen ausreichender Ressourcen für ihre Behandlung im Zielstaat. Wenn die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver als im Aufenthaltsstaat ist, dann ist dies unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt (z. B. EGMR, Große Kammer, 27.05.2008, 26565/05, N., Rn. 43; 22.06.2004, 17868/03, Ndangoya; 06.02.2001, 44599/98, Bensaid, Rn. 38; vgl. auch VfGH 06.03.2008, B 2400/07).

Zu diesen "anderen ganz außergewöhnlichen Fällen" präzisierte der EGMR seine Rechtsprechung im Fall Paposhvili (EGMR, Große Kammer, 13.12.2016, 41738/10, Rn. 183-192), in dem es um die beabsich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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