TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/31 I420 2176351-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.07.2018
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Entscheidungsdatum

31.07.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

I420 2176351-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Magdalena HONSIG-ERLENBURG als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx und RA Dr. Lennart Binder, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.10.2017, Zl. 1093357003-151688275, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.07.2018, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 04.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen einer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien am 04.11.2015 erfolgten Erstbefragung führte der BF aus, aus der Provinz Laghman zu stammen, ledig zu sein und der paschtunischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft anzugehören. Sein Heimatland Afghanistan habe er verlassen, da in Afghanistan junge Männer von den Taliban zwangsrekrutiert werden würden und bereits zwei seiner Cousins von den Taliban getötet worden seien, da sich diese geweigert hätten, in den heiligen Krieg zu ziehen. Der BF habe Angst um sein Leben.

I.2. Am 04.09.2017 wurde der BF von dem zu Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) und in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Pashtu niederschriftlich einvernommen und dabei u.a. zu seinem Gesundheitszustand, seinem Leben in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Befragt nach seinen Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen, führte der BF aus, dass er fünf Mal innerhalb eines Zeitraumes von 10 Tagen von den Taliban mitgenommen worden sei, um deren Fahrzeuge zu reparieren. Er sei geschlagen worden und die Taliban hätten von ihm verlangt, dass er Bomben in Regierungsfahrzeuge einbaue. Als sich der BF geweigert habe, habe er einen Drohbrief von den Taliban erhalten und daraufhin das Land verlassen.

Im Zuge der Einvernahme legte der BF seine Tazkira, einen Drohbrief der Taliban, Fotos aus Afghanistan, Unterlagen zum Beweis seiner Integration und Empfehlungsschreiben vor.

I.3. Mit Bescheid des BFA vom 05.10.2017, Zl. 1093357003-151688275, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Das BFA wertete die vorgebrachten Fluchtgründe aufgrund vager und widersprüchlicher Angaben als nicht glaubhaft, womit eine asylrelevante Verfolgung des BF in Afghanistan nicht festzustellen und ihm somit nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen sei. Unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände sei zwar in Bezug auf die Heimatprovinz des BF von einer allgemein relevanten Gefährdungslage auszugehen, der BF gerate jedoch im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in Kabul als innerstaatliche Lebens- und Wohnalternative nicht in eine ausweglose oder die Existenz bedrohende Lage und scheide daher auch die Gewährung subsidiären Schutzes aus. Es hätten zudem keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen werden würde und sei daher auch eine Rückkehrentscheidung zulässig.

I.4. Gegen den angeführten Bescheid vom 05.10.2017 erhob der BF - durch seine Rechtsvertretung - mit Schreiben vom 17.10.2017, wegen unrichtiger Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung die vorliegende Beschwerde.

Es wurden die Anträge gestellt, dem BF den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen; allenfalls ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen; allenfalls die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären; allenfalls einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen; allenfalls die Abschiebung nach Afghanistan für unzulässig zu erklären; allenfalls den Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Bescheiderlassung zurückzuverweisen; einen landeskundlichen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation in Afghanistan und den spezifischen vom BF vorgebrachten Punkten befasse, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.

Begründend wurde u.a. ausgeführt, dass die Fluchtgründe des BF in der Verfolgung aus religiösen/politischen Gründen bzw. wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bestehen würden. Der BF sei aufgrund seiner Tätigkeit als Automechaniker wiederholt von den Taliban entführt worden, um deren Fahrzeuge zu reparieren, und aufgefordert worden, Sprengkörper in Polizeiautos, die beim BF in der Werkstatt gestanden seien, zu platzieren. Aufgrund seiner Weigerung sei er Todesdrohungen ausgesetzt gewesen, vor denen die afghanischen Behörden nicht gewillt gewesen seien, ihn zu beschützen. Der BF habe seinen Fluchtgrund schlüssig und ausführlich dargelegt, zumal die konkrete Bedrohungslage für den BF im Sinne der Länderberichte sehr wohl plausibel sei. Unter Verweis auf zitierte Berichte bestehe für den BF eine asylrelevante Verfolgung bzw. gebe es für den BF keine interne Schutzalternative in Afghanistan. Zudem wäre der BF aufgrund seines langjährigen Auslandsaufenthaltes in intensiver Gefahr, als "verwestlicht" angesehen zu werden.

I.5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 11.07.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der BF teilnahm. Die Rechtsvertretung des BF erschien (unentschuldigt) nicht. Das BFA verzichtete bereits mit Schreiben vom 10.11.2017 auf die Teilnahme an einer Verhandlung.

Im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Pashtu wurde der BF u. a. zu seiner Identität, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Herkunftsprovinz, seinen Familienverhältnissen, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Fluchtgründen und seinem Leben in Österreich ausführlich befragt. Seitens des BF wurden eine Teilnahmebestätigung an einem Jugendcollege, eine Teilnahmebestätigung an einem Volleyballturnier und zwei Empfehlungsschreiben vorgelegt.

Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurden seitens der erkennenden Richterin zudem Länderberichte zur aktuellen Situation in Afghanistan (mit einer Gesamtaktualisierung am 29.06.2018) in das Verfahren eingeführt. Eine Stellungnahme des BF hierzu wurde im gerichtlichen Verfahren nicht erstattet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

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Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA; insbesondere in die Befragungsprotokolle;

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Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 11.07.2018;

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Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat;

-

Einsicht in das Strafregister und in das Zentrale Melderegister.

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

II.1.1. Zum Beschwerdeführer:

Der BF ist afghanischer Staatsbürger und sunnitischer Moslem. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist ledig und volljährig. Seine Identität steht nicht fest.

Der BF stammt aus der Provinz Laghman, wo er sich seit seiner Geburt bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2015 aufgehalten hat. Der BF spricht Pashtu.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan von den Taliban aufgrund seiner Tätigkeit als Automechaniker bedroht worden ist.

Der BF ist im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keiner persönlichen und konkreten Verfolgung aufgrund einer "westlichen" Lebenseinstellung ausgesetzt.

Der BF verfügt über keine Schulausbildung, hat jedoch vor seiner Ausreise als Automechaniker selbständig in seiner eigenen KfZ - Werkstatt gearbeitet und konnte damit seinen Lebensunterhalt bestreiten. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung in Afghanistan hat er eine Chance auch hinkünftig am afghanischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Seine Eltern und beiden Brüder sowie ein Onkel bzw. zwei Tanten väterlicherseits und zwei Onkeln bzw. zwei Tanten mütterlicherseits leben in der Provinz Laghman. In Österreich verfügt der BF über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Der BF bezieht in Österreich Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und geht in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach. Der BF besucht ein Jugendcollege mit Schwerpunkt Deutsch und ist ehrenamtlich tätig. Doch auch wenn er um eine Integration in beruflicher, gesellschaftlicher und sprachlicher Hinsicht bemüht ist, kann dennoch nicht von einer nachhaltigen Verfestigung gesprochen werden. Zudem ist er nicht am Arbeitsmarkt integriert.

Der BF leidet an keinen chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall einer Rückführung in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung seines Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

Zudem kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer allfälligen Rückkehr nach Kabul nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen im Sinne der Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018):

Politische Lage:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Quellen:

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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