Entscheidungsdatum
09.08.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W161 2179459-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2017, Zl. 1075757803-150761764, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.04.2018 zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG
der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Somalias, stellte am 29.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.06.2015 gab sie an, dass ihr Ehemann Ende 2010 in Merka gestorben sei. Sie bekenne sich zum muslimischen Glauben und gehöre der Volksgruppe der Ashraf an. Sie habe vier Jahre die Grundschule und vier Jahre die Hauptschule besucht und zuletzt als Verkäuferin gearbeitet. Ihr Vater sei bereits verstorben und ihre Mutter, ihre zwei Söhne sowie ihre drei Töchter würden sich in Merka aufhalten. Sie sei im Dezember 2014 schlepperunterstützt mittels eines türkischem Visums legal in die Türkei geflogen. Danach sei sie über Griechenland und Mazedonien nach Serbien und von dort mit einem geschlossenen Fahrzeug nach Österreich gefahren.
Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass sie aus Somalia geflüchtet sei, da ihr Mann umgebracht worden sei. In Somalia gebe es viele Schwierigkeiten. Das Leben sei dort sehr, sehr schwer. Die Mädchen (Minderheitenvolksgruppen) würden, wenn sie groß seien, vergewaltigt werden und sie habe Angst, dass ihre Tochter vergewaltigt und entführte werde. Sie sei an Krebs erkrankt gewesen und sei 2008 in XXXX im Gesicht operiert worden. Ihr Haus sei ihnen weggenommen worden. In Somalia würde sie keine medizinische Unterstützung haben. Dies sei ihr Asylgrund. Bei einer Rückkehr befürchte sie, dass sie oder ihre Tochter getötet werde.
3. Das BFA gab in der Folge eine forensisch-afrikanistische Befunderhebung zu den Sprachkompetenzen der Beschwerdeführerin in Auftrag. Darin wurde festgehalten, dass sich aufgrund des von der Beschwerdeführerin gesprochenen Dialektes keine tragfähigen Hinweise auf eine Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Ashraf im Raum von Merka ergeben würden. Sie würde weder den typischerweise von in Merka lebenden Ashraf gesprochenen Dialekt, noch einen anderen Dialekt, welcher in dem Abschnitt der somalischen Küste in dem Merka liege, autochthon sprechen. Sie spreche einen der hauptsächlich von Angehörigen des Darood-Clans gesprochenen Dialekte, der jedoch starke Einflüsse der Benadiir-Dialekte zeige und deren Verbreitungsgebiet hauptsächlich in Zentralsomalia liege und sich im Süden des Verbreitungsgebietes, entlang der Küste, bis in den Raum der Stadt Merka erstrecke. Es sei prima vista durchaus möglich, dass die Beschwerdeführerin als Sprecherin eines Darood-Dialektes in Merka hauptsozialisiert worden sei. Die Beschwerdeführerin spreche einen Dialekt des Somali, wie er insbesondere von Angehörigen des Darood-Clans gesprochen werde, deren Siedlungsgebiete hauptsächlich in der separatistischen Region Puntland, im Nordosten Somalias liege, weiters in den an Somalia angrenzenden Teilen Äthiopiens und Kenias. Das Verbreitungsgebiet der sogenannten Darood-Dialekte umschließe von Norden, Westen und Süden die Verbreitungsgebiete verschiedenen anderer Sprach und Somali-Dialekte in den zentralen und südlichen Teilen Somalias. Zu diesen würden die Benaadir-Dialekte, die hauptsächlich von Angehörigen verschiedener Hawiye-Clans in Zentralsomalia gesprochen würden, sowie die Ashraf-Dialekte von Mogadischu und Merka gehören. Das Verbreitungsgebiet der Darood-Dialekte reiche auch in den äußersten Süden Somalias. Die Beschwerdeführerin spreche keinen der Benaadir-Dialekte, insbesondere keinen der Dialekte, die in jenem Abschnitt der somalischen Küste autochthon sei, in dem auch ihre angebliche Heimatstadt Merka liege. Sie spreche nicht den Ashraf-Dialekt von Merka, sondern einen Darood-Dialekt, der starke, vor allem lexikalische, aber auch lautliche Einflüsse der Benaadir-Dialekte zeige. Sie spreche also sehr wahrscheinlich einen der Darood-Dialekte, die im Süden Somalias gesprochen werde und typischerweise derartige Einflüsse zeige. Oder aber, die Beschwerdeführerin sei anderswo hauptsozialisiert worden, wo sie als Sprecherin eines Darood-Dialektes stark durch die Dialekte Zentralsomalias beeinflusst worden sei. Sie sage selbst, dass sie unter Angehörigen des Hawiye-Clans aufgewachsen sei.
4. In einer Stellungnahme wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin durch ihr Umfeld von Hawiye-Sprechern beeinflusst worden sei und daher davon ausgegangen werden muss, dass sie durch ihr sprachliches Umfeld Ausdrücke benütze, welche nicht eindeutig einer einzigen dialektischen Sprachgruppe zuordenbar seien, sondern sie sich Ausdrücke verschiedener Dialektformen bediene. Damit wolle sie nicht versuchen, ihr Muttersprache zu modifizieren, sondern sei dies ihre persönliche Sprachvarietät. Es handle sich bei den Hawiye um den Mehrheitsclan und seien die Ashraf als religiöser Clan stets von diesen unterdrückt und diskriminiert worden. Daher müsse eine sprachliche Anpassung, um nicht als Ashraf aufzufallen, wohl als eine natürliche Reaktion gesehen werden. Zudem sei die Beschwerdeführerin schon seit längerer Zeit nicht mehr in Somalia und sei wahrscheinlich, dass sich ihre Sprache dadurch verändert habe. Angesichts ihrer vielseitigen Sprach- bzw. Sprecherkontakte im Laufe ihrer Biographie und dem Aufwachsen in einem Umfeld anderer Dialekte sprechender Mehrheitsclanangehöriger, sei stark zu hinterfragen, was die durchgeführte Befundung aussagen könne. Es werde auch auf ein anderes Sprachgutachten verwiesen, in welchem der Gutachter zum Ergebnis gekommen sei, dass eine Zugehörigkeit zur Abstammungsgruppe der Ashraf trotz Fehlens der typischerweise von Ashraf gesprochenen Dialekte nicht auszuschließen sei. Dies würde auch auf die Beschwerdeführerin zutreffen. Zudem müsse, basierend auf einem Datenmaterial aus 2009 eindeutig von einer Veränderung der sprachlichen Situation in Somalia durch die Flucht- und Migrationsbewegungen ausgegangen werden. Der Befundbericht würde das Vorbringen der Beschwerdeführerin bestätigen, da er festhalte, dass die Beschwerdeführerin aus dem südlichen Somalia stamme und an mehreren Stellen Anhaltspunkte liefere, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich aus Merka stamme. Auch werde darin nicht ausgeschlossen, dass sie der Volksgruppe der Ashraf angehöre und werde etwa beim Zählen darauf hingewiesen, dass sie etwa beim Zählen auch Worte des Ashraf-Dialektes verwende. Zudem weise der bestellte Sachverständige eine mangelnde Fachkompetenz in Hinblick auf seine somalische Sprachkompetenz, seine wissenschaftliches up-to-date-Expertise im interessierenden Sprachgebiet, in Zusammenhang mit sprachlichen bzw. dialektischen Gegebenheiten in Somalia sowie Zweifel an der wissenschaftlichen Fundiertheit der verwendeten Methode auf. Diverse akademische Artikel würden darauf hinweisen, dass neben wissenschaftlichen Qualifikationen im Bereich der Linguistik, es auch absolut notwendig sei, dass der Sachverständige die zu begutachtende Sprache aus sehr hohem Niveau beherrsche. Der Gutachter sei zwar Experte für Afrikanistik und Linguistik im Allgemeinen, die Heranziehung für das gegenständliche Sprachgebiet sei aber äußerst fragwürdig, da es keine Hinweise gebe, die den Gutachter als Experten für das interessierende Sprachgebiet ausweisen würden. Keine der Publikationen des Gutachters würden sich mit Somalia oder der somalischen Sprachgruppe beschäftigen. Zudem gehe aus dem Befundbericht klar hervor, dass sich der Gutachter die Befundaufnahme ins bzw. aus dem Somali dolmetschen habe lassen bzw. sich auf Englisch verständigt habe. Dies sei ein Hinweis dafür, dass er der somalischen Sprache nicht soweit mächtig sei, sodass eine direkte Kommunikation möglich sei.
5. Am 07.06.2017 brachte die Beschwerdeführerin folgend Unterlagen in Vorlage:
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Patientenbrief eines Spitals (Gynäkologische Abteilung) über einen stionären Aufenthalt der Beschwerdeführerin von 19.02.2016 bis 20.02.2016. Die Diagnosen bei Entlassung lauten: "Ovarialcyste, St.p. Cystenruptur, Chron.Gastritis, St.p. Gesichts-OP".
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Teilweise unleserlicher Röntgenbefund vom 18.05.2016, Ergebnis:
"...stoperative Defekte im Bereich des Gesichtsschädels mit Osteosynthesematerial. ...auffälliger Befund am Schädelskelett."
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Ärztlicher Befundbericht eines Facharztes für Psychiatrie vom 01.07.2016, worin die Diagnosen "mittel- bis schwergradige depressive Episode mit somatischem Syndrom und fraglich psychotischen Elementen; Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung; Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung" erstellt wurden.
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MRT-Befund vom 09.11.2016, Ergebnis: "Valgusbetonte Gonarthrose mit osteochondralen Defekt am lateralen Femurcondylus und lokalen Überbelastungsödem. Degenerativer Meniscusschaden am Hinterhorn des Innenmeniscus mit Horizontalruptur ohne Fragmentdislokation. Femoropatellararthrose bei Chondromalazie des Retropathellarknorpels mit lokalem Flüssigkeitseintritt in die Patella. Reizerugg und Bakerzyste."
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CT-Befund vom 05.12.2016, Zusammenfassung: "1. Es zeigt sich bei Z.n. Tumor-OP in Somalia 2010 (unklare Entität) ein großer postoperativer Defekt im Bereich des Gaumens/Kieferhöhle link. Einbringung eines artifiziellen Knochenfragments im Bereich des Oberkiefers links. Hier insbesondere das Osteosynthesematerial, welches in der Maxilla rechts verankert ist, mit seinem linken Ende frei in den Mund-/Rachenraum hineinstehend; 2. Hier postoperativ eine umschriebene suborbitale Weichteilstruktur von 1,4 x 1,5 x 2,2cm im Bereich des ehemaligen Sinus gelegen ohne Vorwachsen in die Nasenhöhle oder die angrenzenden Strukturena, am ehesten postoperativen Veränderung/St.p. Lappenplastik entsprechend; 3. Kein Nachweis einer pathologischen Lymphadenopathie. Kein Nachweis eines weiteren tumorsuspekten KM-Enhancements; 4. Kein Nachweis einer suspekten knöchernen Arrosion oder Destruktion."
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Ärztlicher Befundbericht eines Facharztes für Psychiatrie vom 22.12.2016, worin die Diagnosen "mittel- bis schwergradige depressive Episode mit somatischem Syndrom und fraglich psychotischen Elementen; Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung; Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung; Ulcus ventriculi". Es wurden ihr Medikamente (zur Behandlung von Depressionen, Zwangsstörungen, Angst- und Panikstörungen) verschrieben.
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CT-Befund vom 20.01.2017 (CT des gesamten Abdomens), Ergebnis:
"Laterale Bauchwandhernie rechts, Dehiszenz der inneren und mittleren Bauchwandschichten, lediglich der Musculus oblicus ist in diesem Bereich noch durgehend intakt. Hernation von Dünn- und Dickdarmschlingen ohne Inkarzerationszeichen. Im Bereich des rechten Os ilium besteh bei Status post Knochenentnahme eine etwa 2cm im DM haltenden Defektbildung, hier besteht eine Herniation von intraabdominellem Fett Richtung Glutealmuskulatur."
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Befundbericht eines Krankenhauses vom 07.03.2017 (Univ. Klinik für Augenheilkunde und Optometrie), es wurde "Vorderabschnitt OS; LSD 3mm HH komplett bedeckt; UL gering ektroponiert" festgehalten.
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Bericht einer chirurgischen Ambulanz vom 15.02.2017, Diagnose:
"Laterale Bauchwandhernie recht nach unklarer Operation, vermutlich Entnahme von Knochenmaterial im Bereich des rechten Beckenkammes 2008 in Somalia." Es wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin die geplante OP (Sublay) nicht durchführen lassen möchte.
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Ärztliches Attest einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 10.03.2017, worin die Diagnosen: "st.p. Knochentumor Orbita sin. (2008); Ektropium li. (nach Orbita-OP), st.p.
Knochenentnahme/Beckenkamm; Bauchwandhernie (Narbenbereich);
mittelgradige bis schwergradige depr. Episode; posttraumatische Belastungsstörung; axiale Hiatushernie (3cm); Refluxerkrankung;
chron. Gastritis" erstellt wurden.
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Ärztliche Befundberichte eines Facharztes für Psychiatrie vom 06.04.2017, worin die Diagnosen "mittel- bis schwergradige depressive Episode mit somatischem Syndrom und fraglich psychiotischen Elementen, posttraumatische Belastungsstörung, Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung; Ulcus ventriculi" erstellt wurden. Es wurden ihr Medikamente (zur Behandlung von Depressionen, Zwangsstörungen, Angst- und Panikstörungen) verschrieben.
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Klinisch-psychologischer Befundbericht einer Klinischen- und Gesundheitspsychologin sowie Psychotherapeutin vom 03.05.2017, wonach die Beschwerdeführerin unter ausgeprägten Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10:F43.1) leide und auch eine mittelgradig bis schwere depressive Störung nach ICD-10:F32.1 bzw. ICD-10:F32.2 zu beobachten sei.
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Aufenthaltsbestätigung vom 06.06.2017, wonach sich die Beschwerdeführerin von 15.05.2017 bis 06.06.2017 in stationärer Pflege befunden habe.
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Kursbesuchs- und Anmeldebestätigungen für Deutschkurse
6. Am 05.10.2017 wurden eine Säumnisbeschwerde und folgende medizinischen Unterlagen in Vorlage gebracht:
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Ärztlicher Befundbericht vom 12.09.2017 (mit denselben Diagnosen wie vom 06.04.2017) Medikation: Venlafaxin, Novalgin, Pantoprazol.
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Vorläufiger Bericht/Überweisung, datiert mit 13.09.2017, wonach bei der Beschwerdeführerin am 16.05.2017 eine Operation durchgeführt worden sei.
7. Bei der Einvernahme der Beschwerdeführerin durch die belangte Behörde am 16.10.2017 gab diese an, dass sie derzeit in Behandlung sei und Medikamente aufgrund ihrer Krankheit einnehme. Sie habe Gesichtskrebs gehabt. Dieser sei in Somalia operiert worden, die Operation sei aber nicht gut durchgeführt worden. Auch in Wien sei sie bereits mehrmals operiert worden. Auch hier seien Fehler unterlaufen, als man eine Hauttransplantation vornehmen habe wollen. Sie fühle sich gut und dazu in der Lage, die Einvernahme durchzuführen. Sie sei von einem Mann in Somalia verfolgt worden. Probleme mit Sicherheitsbehörden oder staatlichen Institutionen habe sie nicht gehabt. Sie habe sich auch nicht religiös oder politisch betätigt. Sie habe ihr ganzes Leben in Merka mit ihren Kindern und ihrer Mutter in einem Haus gewohnt. Diese würden nach wie vor noch in dem Haus wohnen. Sonst habe sie nur noch eine Tante in Somalia, welche am Land lebe. Sie rufe ihre Familie einmal im Monat an. Als ihr Mann noch gelebt habe, sei sie Hausfrau gewesen. Nachdem ihr Mann gestorben sei, habe sie Gemüse in der Nachbarschaft verkauft. Das Haus würde dem Bruder ihres Mannes gehören. Ihr Mann sei Ende 2010 verstorben. Er sei von einem anderen Mann ermordet worden. Die Reise habe 6.000 USD gekostet. Ihr Mann sei Geschäftsmann gewesen und habe ihr viel Gold geschenkt, welches sie verkauft habe. Sie gehöre der Volksgruppe der Ashraf, Stamm der XXXX, Clan der XXXX an und sei sunnitische Muslimin.
Befragt nach ihren Fluchtgründen, gab die Beschwerdeführerin wie folgt an:
"Mein Mann, wie ich bereits erzählt habe, wurde umgebracht. Er hatte einen Bruder, Halbbruder mütterlicherseits. Nach seinem Tod wollte dieser Bruder mich heiraten. 3 Jahre lang hat er mich verfolgt. Jeden Tag hat er nachgefragt und wie ich Ihnen bereits sagte, ich habe 5 Kinder. Ich musste meine Kinder versorgen und hatte keine Zeit für einen Mann. Ich wollte nicht mehr heiraten. Er wollte mich nicht aus Liebe heiraten, sondern er wollte mich wegen dem Geld meines Mannes. Als ich anfing, Gemüse zu verkaufen, fing er an eifersüchtig zu werden, da ich häufig Kontakt zu anderen Männern hatte. Daraufhin bedrohte er mich, dass ich ihn heiraten müsste oder er würde mich umbringen.
F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
A: Ja, dieser Mann, der mich heiraten wollte, war selbst noch verheiratet. Daraufhin hat mich seine Frau bedroht, dass wenn ich ihren Mann heiraten würde, würde sie mich umbringen. Aufgrund meiner Zugehörigkeit zu einer Minderheit, wollte sich keiner meinem Problem annehmen. Es hat mir niemand zugehört.
F: Sind das all Ihre Fluchtgründe?
A: Ja, das sind all meine Fluchtgründe, weshalb ich Somalia verlassen habe.
Vorhalt: Das ist vage und unkonkret. Bitte konkretisieren Sie Ihre Fluchtgründe!
A: Wie ich bereits sagte. Ich bin wegen dem Bruder von meinem verstorbenen Mann geflüchtet. Dieser bedrohte mich ständig. Er ging sogar zu meiner Mutter und sagte ihr, dass wenn ich nach Somalia zurückkommen würde, würde er mich umbringen. Ich möchte als Frau selbst entscheiden dürfen, wann ich heiraten möchte und diesen Mann möchte ich nicht heiraten.
F: Wurden Sie aus Gründen Ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Überzeugung verfolgt?
A: Ja, ich gehöre zu der Minderheit Alsharaaf.
F: Wie sah diese Bedrohung aus?
A: Mein Mann wurde umgebracht, weil er ein Alsharaaf war. Mir wurde sogar mal mein Gemüse weggenommen, da ich zu Alsharaaf angehöre. Jedoch mein Fluchtgrund bezog sich auf die Verfolgung von dem Bruder meines Mannes, der mich heiraten wollten.
F: Bitte machen Sie konkrete Angabe rund um die Bedrohung durch den Bruder Ihres verstorbenen Mannes!
A: Das größte Problem ist, er kommt oft in die Markthalle, wo ich mein Gemüse verkaufe. Er schreit herum, dass wenn mich jemand heiratet oder in die Nähe von mir kommt, dass er diesen Menschen umbringen würde. Er kam auch öfters zu mir nach Hause. Er ist nur der Halbbruder von meinem verstorbenen Mann, er kommt von einem mächtigen Clan und kann tun und lassen was er möchte. Er hat meine älteste Tochter mitgenommen und diese arbeitet als sein Hausmädchen.
F: Erzählen Sie mir etwas von dem Halbbruder Ihres verstorbenen Mannes!
A: Er gehört zu dem Clan Hawiya und er ist auch mächtig in Merka, denn diese Stadt gehört seinen Leuten. Er ist mit mehreren Frauen verheiratet. Er ist bewaffnet.
Auff. Das ist vage und unkonkret. Bitte machen Sie konkrete Angaben rund um den Halbbruder!
A: Er war ungefähr 45 Jahre al, groß. Mehr kann ich nicht sagen.
F: Haben Sie jemals aus eigenem Antrieb eine Sicherheitsbehörde aufgesucht?
A: Es gibt keine Sicherheitsbehörde in Merka.
F: Ist AMISOM in Ihrem Heimatdorf vertreten?
A: In Merka direkt nicht.
...
F: Könnten Sie somit in einer anderen Stadt oder in einer anderen Provinz in Somalia leben?
A: In Somalia leben die Leute nach Volksgruppe geteilt. Und wenn der Mann mich gesucht hätte, hätte er mich bestimmt auch wo anders gefunden.
...
F: Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren könnten?
A: Ich hoffe, dass ich nicht nach Somalia zurückkehren muss. Dieser Mann bedroht meine Familie.
...
F: Was befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr nach Somalia?
A: Dieser Mann wird mich umbringen.
...
Vertretung F: Gibt es in Somalia einen erwachsenen Mann, der Ihnen Schutz bieten könnte?
A: Ich habe selbst keinen männlichen Angehörigen. Nur meine minderjährigen Söhne
Vertretung F: Haben Sie in Mogadischu Verwandte?
A: Nein, habe ich nicht.
Vertretung F: Mit was hat Ihnen der Bruder Ihres Mannes konkret bedroht?
A: Er ist bewaffnet, er trägt eine Waffe. Er hat mich persönlich bedroht, wenn ich ihn nicht heiraten würde, würde er mich umbringen.
Die Beschwerdeführerin gab weiter an, dass sie nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten und nicht strafrechtlich verurteilt worden sei. Sie habe auch keine Probleme mit heimatlichen Behörden gehabt. Auch Familienangehörige hätten sich in Somalia nicht politisch oder religiös betätigt.
Im Zuge der Einvernahme legte die Beschwerdeführerin folgende Unterlagen vor:
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Bestätigung eines Betreuungszentrums für Folter- und Kriegsüberlebende, wonach die Beschwerdeführerin aufgrund einer diagnostizierten Posttraumatischen Belastungsstörung F43.1 regelmäßig in Psychotherapie sei.
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Stationärer Patientenbrief, wonach sich die Beschwerdeführerin vom 15.05.2017 bis 06.06.2017 in stationärer Behandlung befunden habe.
Aufnahmegrund: "Z.n. Hemimaxillektomie links bei Oberkiefertumor unklarer Dignität 2008 in Somalia", Diagnosen bei Entlassung:
"Bösartige Neubildung des Knochens und des Gelenkknorpels: Knochen des Hirn- und Gesichtsschädels." Die Beschwerdeführerin sei in gutem Allgemeinzustand aus der stationären Pflege entlassen worden.
8. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß
§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Beschwerdeführerin der Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 27.10.2018 erteilt.
Das Bundesamt stellte fest, dass die Identität der Beschwerdeführerin mangels Vorlage eines Identitätsdokumentes nicht feststehe. Sie sei somalische Staatsangehörige, sunnitische Muslimin und gehöre der Volksgruppe der Ashraf an. Sie sei verwitwet und habe fünf Kinder (zwei Söhne und zwei Töchter). Sie habe wegen ihrer Krankheit eine Gesichtsoperation gehabt und sei in Somalia sowie in Österreich operiert worden. Die von ihr angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes seien nicht glaubhaft.
Weiters traf das Bundesamt Feststellungen zur Lage in Somalia mit Stand 27.06.2017.
Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass in dem Befund zu den Sprachkompetenzen festgestellt werden konnte, dass die Beschwerdeführerin aus Somalia stamme. Es hätten sich aber keine tragfähigen oder positive Hinweise auf eine Zugehörigkeit zur ethnischen Gruppe der Ashraf ergeben. Die Beschwerdeführerin habe ihre Fluchtgründe in der niederschriftlichen Einvernahme gesteigert. Dies lasse an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln. Würden ihre Fluchtgründe den Tatsachen entsprechen, hätte sie diese bereits in der Erstbefragung angegeben. Zudem habe sie nach näherer Befragung kaum Angaben machen können. Sie habe keine detaillierten Informationen, sondern nur vage und unkonkrete Antworten gemacht. Auch habe sie sich in einen Widerspruch verstrickt. So habe sie in der Erstbefragung angegeben, ihr sei das Haus weggenommen worden, während sie in der niederschriftlichen Einvernahme dann aber angab, dass ihre Mutter und ihre Kinder nach wie vor in diesem Haus leben würden. Ihr gesamtes Fluchtvorbringen sei vage und unkonkret. Eine Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit habe sie zu keinem Zeitpunkt glaubhaft machen können. Auch würde ihr grundsätzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehen.
9. Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass sie ihr Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Der somalische Staat sei nicht gewillt und fähig ihr den notwendigen Schutz zu gewähren. Sie gehöre einer Minderheit an und ihr Clan werde in Somalia verfolgt. Ihr Ehemann sei aufgrund der Clanzugehörigkeit getötet worden. Die Beschwerdeführerin sei vom Halbbruder ihres Ehemannes bedroht worden und habe dieser sie zwingen wollen, sie zu heiraten. Er habe sie auch mit dem Tode bedroht, die älteste Tochter entführt und zur Zwangsarbeit gezwungen. Aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit habe die Beschwerdeführerin keine Unterstützung bekommen und habe sie Somalia verlassen müssen. Auch habe das BFA ein mangelhaftes Verfahren durchgeführt
10. Am 23.03.2018 wurde eine Stellungnahme eingebracht. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin bei der Erstbefragung sehr erschöpft gewesen sei. Zudem sei sie verletzt gewesen, da sich eine alte Bauchnarbe geöffnet habe. Dies habe sehr weh getan, weshalb sie bei der Erstbefragung in keinem guten Zustand gewesen sei. Bezüglich der im Bescheid behaupteten widersprüchlichen Angaben hinsichtlich ihres Hauses in Somalia habe sie sich nicht widersprochen. Das Haus, in dem sie mit ihrem Mann und den Kindern gelebt habe, sei ihnen von einem Mann (Hawiye) aus dem Dorf weggenommen worden. Ihr Mann habe auch dem Clan der Ashraf angehört und würde ihm als "Unterclan" so ein schönes Haus nicht zustehen. Deswegen sei ihr Mann auch ermordet worden. Danach sei sie zum Haus ihrer Eltern gezogen, dies habe sie mit "Haus ihrer Familie" gemeint. Sie habe sich ständig gewehrt, da sie nicht nochmal heiraten habe wollen. Sie komme aber aus einem Land, wo ihre Wünsche als alleinstehende Frau nicht zu berücksichtigen seien. Zudem gehöre sie einer Minderheit an und komme ihrer Stimme kein Gewicht zu. Wenn sie nach Somalia zurückkehren müsse, dann müsse sie erneut heiraten. Durch ihre Weigerung habe sie gegen alle von ihr zu erwartenden Traditionen verstoßen. Zudem sei sie alleine geflüchtet und würde die somalische Gesellschaft keine Frauen tolerieren, welche unabhängig sein wollen. Ihre Weigerung sei auch nicht mit den Vorstellungen der Al Shabaab vereinbar und komme sie aus einer Region, in der Al Shabaab sehr stark präsent sei. Dazu werde auf einen Bericht von SFH-Länderanalyse vom 21.02.2018 verwiesen, wonach bestätigt werde, dass Al Shabaab die Macht in der Stadt Merka habe. Es liege eine Asylrelevanz aufgrund der Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zur sozialen Gruppe der alleinstehenden somalischen Frauen, welche diversen geschlechtsspezifischen Verfolgungshandlungen ausgesetzt seien, vor. Als alleinstehende Mutter sei es in der somalischen Gesellschaft und wegen der Schutzunfähigkeit und Schutzunwilligkeit des Staates unmöglich, Schutz vor Verschleppung, gewalttätigen Übergriffen und Zwangsverheiratung zu erlangen. Als verwitwete Frau sei sie in Somalia in einer wehrlosen und verletzlichen Position und sei frauenspezifischen Übergriffen wehrlos ausgeliefert. Auch wegen ihrer Clanzugehörigkeit sei sie besonders vulnerabel.
Der Stellungnahme wurde ein ärztlicher Befundbericht eines Facharztes für Psychiatrie, datiert mit 15.03.2018 beigelegt, wonach bei ihr dieselben Diagnosen wie in dem Befund vom 06.04.2017 erstellt wurden und ihr das Medikament Venlafaxin (antidepressive Wirkung) verschrieben wurde.
11. Mit Schreiben vom 05.02.2018 wurden die Beschwerdeführerin und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.04.2018 unter gleichzeitiger Übermittelung eines aktuellen Länderberichtes zu Somalia (Stand 12.01.2018) geladen.
12. Am 05.04.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache, der Beschwerdeführerin sowie deren Rechtsvertreters statt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl entsandte keinen Vertreter.
In dieser Beschwerdeverhandlung wurde die Beschwerdeführerin ausführlich zu den von ihr geltend gemachten Fluchtgründen befragt. Dabei führte sie im Wesentlichen an, sie habe bisher im Verfahren die Wahrheit gesagt und halte diese aufrecht.
Befragt zu ihren Fluchtgründen gab die Beschwerdeführerin in der Verhandlung wie folgt an:
"Ich habe in Merka im Bezirk XXXXgelebt. Ich lebte in einem Haus, das meiner Familie gehört gemeinsam mit meinen Kindern und meiner Mutter gelebt. Es war ein altes Haus. Der Vater meiner Kinder wurde im Dezember 2010 in Merka getötet. Er wurde erschossen. Es gab Streitigkeiten wegen seinem Haus. Sie haben ihm das Haus weggenommen und ihn getötet. Ich flüchtete dann mit den Kindern aus dem Haus und ging zu meiner Mutter. Das Haus gehörte meiner Mutter, mein Vater ist gestorben. Dort bin ich geboren.
R: Was war mit dem Haus Ihres Mannes?
BF: Das Haus gehörte meinem Mann. Er hat das Haus gebaut. Ein mächtiger Clan, die Habr Gedir in unserer Stadt hat es ihm weggenommen. In diesem Haus haben zuvor nur ich, mein Mann und meine Kinder gelebt.
R: Wie ist das vor sich gegangen, dass man ein Haus wegnimmt?
BF: Als das Haus fertiggebaut wurde, wurden die Männer gierig. Sie meinten, dass das Grundstück auf dem das Haus errichtet wurde, ihr Eigentum sei. Mein Mann meinte aber, er habe das Grundstück von anderen Männern gekauft. Sie haben gesagt, dass es sie nicht interessiert, wer ihm das Haus verkauft hat. Das Grundstück gehört ihnen. Mein Mann sagte, er wird ihnen das Grundstück nicht überlassen. Er habe es gekauft und das Haus darauf errichtet. Aber die Männer sagten, dass wir das Haus verlassen müssen, weil das Grundstück ihnen gehöre. Dann sind sie in der Nacht zu uns gekommen. Sie haben an die Tür geklopft. Mein Mann öffnete und wurde erschossen. Auf Grund des Geräusches sind ich und die Kinder aufgewacht. Wir haben geschrien und die Nachbarn sind zu uns gekommen. Sie haben uns in das Haus meiner Mutter gebracht.
R: Wie lange haben Sie tatsächlich in dem Haus gewohnt, dass Ihr Mann gebaut hat?
BF: Das Haus war noch neu. Wir haben ca. 6 Monate dort gewohnt. Es war noch nicht vollständig eingerichtet. Die Nachbarn haben uns später unsere Möbel gebracht.
R: Welchem Clan hat Ihr Mann angehört?
BF: Er gehörte demselben Clan an wie ich, nämlich Ashraaf. Mein Subclan ist XXXX, Subsubclan XXXX.
R: Wie lange haben Sie bei Ihrer Mutter gelebt?
BF: Von Dezember 2010 bis zu meiner Ausreise im Dezember 2014.
R: Wovon hat Ihr Mann gelebt?
BF: Er hatte ein eigenes Geschäft. Da war er Verkäufer. So lange er gelebt hat, war ich Hausfrau. Später habe ich Gemüse vor dem Haus meiner Mutter verkauft.
R: Wie viele Kinder haben Sie?
BF: Fünf. Ich habe drei Töchter und zwei Söhne. Wenn ich gefragt werde, wie alt meine Kinder sind, muss ich nachrechnen, ich kann es nicht sofort angeben. Ich weiß zwar den Abstand zwischen meinen Kindern, aber das Alter weiß ich nicht.
R: Was hat letztendlich dazu geführt, dass Sie Ihr Heimatland verlassen haben?
BF: Der Halbbruder meines Mannes machte mir Probleme. Er gehört einem anderen Clan an und zwar Habr Gedir. Er sagte, dass er mich heiraten will, ich wollte das nicht. Ich wollte arbeiten, und die Kinder großziehen. Wenn ein Mann in Somalia stirbt, dann heiratet der Bruder bzw. der nächste Verwandte des Mannes die Witwe. Es ist nicht aus Liebe. Später gibt es oft viele Probleme. Der Mann wollte lange Zeit, dass ich ihn heirate. Er war drei Jahre lang hinter mir her. Er hat sehr oft Kath gekaut. Ich habe ihn nicht geliebt, ich wollte ihn nicht heiraten. Mir haben seine Art und sein Charakter nicht gefallen. Am Ende hat er gesagt, entweder heirate ich ihn oder er wird mich töten. Er sagte, jetzt sei es soweit, dass ich ihn heiraten müsse. Er war eifersüchtig auf meine Kunden, denen ich das Gemüse verkaufte. Ich wollte frei leben, ich wollte nicht mehr heiraten. Ich wollte meine Kinder in aller Ruhe großziehen. Er wollte mein Gold und das, was ich von meinem Mann geerbt habe wegnehmen. Er wollte mir auch meinen Verdienst wegnehmen. Er hat gesehen, dass ich alleine bin und keinen Bruder oder Vater als männlichen Schutz hatte. Meine Söhne sind noch jung und ich gehöre einer Minderheit an. Diese kann mich nicht schützen. Er wollte mich unterdrücken und von meinem Verdienst leben. Er hat nicht gearbeitet. Er wollte auf meine Kosten weiterleben. Seine Frau war eifersüchtig. Sie hat andere Frauen zu mir geschickt um mitzuteilen, dass sie mich töten würde, wenn ich in die Nähre ihres Mannes komme. Sie hat mich bedroht. Ich wollte ja ihren Mann nicht haben. Ich wusste nicht, was ich tun soll. Dann habe ich dem Mann gesagt, dass ich es mir überlegen werde. Er soll mir ein bisschen Zeit geben. Er hat mir zuletzt gesagt, dass er mich tötet, wenn ich nicht in die Heirat einwillige. Dann sagten meine Mutter und eine Freundin von mir, dass ich flüchten muss, sonst wird mich dieser Mann töten. Ich muss flüchten, anderen falls muss ich ihn heiraten. Meine Mutter sagte, dass ich die Kinder bei ihr lassen kann. Die Frau des Halbbruders sagte, meine Kinder haben schon ihren Vater verloren, bald werden sie auch ihre Mutter verlieren.
R: Wann war das erste Mal, dass der Halbbruder Ihnen mitgeteilt hat, er wolle Sie heiraten?
BF: Knapp ein Jahr nach dem Tod meines Mannes. Er hat in derselben Stadt gelebt.
R: Wie viele Frauen hatte er?
BF: Zwei.
R: Wie alt war der Halbbruder?
BF: Er war jünger als mein Mann und ein bisschen älter als ich.
R: Wie war der Kontakt?
BF: Er ist immer persönlich zu mir gekommen.
R: Wie oft ist er zu Ihnen gekommen?
BF: Er ist öfter zu mir gekommen. Zirka einmal pro Woche.
R: Sie haben vorher angegeben, der Halbbruder wollte Ihnen etwas von Ihrem Erbe und Ihrem Verdienst wegnehmen? Hat er Ihnen tatsächlich etwas weggenommen?
BF: Nein.
R: Wie viel haben Sie von Ihrem Mann geerbt? Wie kam es dazu, dass Ihr Mann, der als Verkäufer gearbeitet und die Familie ernährt hat, Ihnen überhaupt etwas vererben konnte?
BF: Mein Mann hatte in großes Geschäft. Wir haben die Ware dieses Geschäftes bekommen. Er hat immer etwas gespart in Form von Gold.
R: Ist es jemals zu einem persönlichen Gespräch zwischen Ihnen und der Frau des Halbbruders, die gegen die Ehe war, gekommen?
BF: Doch, sie ist zu mir persönlich gekommen. Öfter hat sie die Leute zu mir geschickt, die die Drohnachrichten ausgerichtet haben.
R: Wie oft ist diese Frau zu Ihnen gekommen? Wie oft sind andere Leute zu Ihnen gekommen?
BF: Sie ist zwei Mal zu mir persönlich gekommen. Drei bis vier Mal hat sie andere Leute geschickt.
R: Was hat Ihnen diese Frau gesagt?
BF: Die Stimmung war sehr schlecht, als sie gekommen ist. Ich habe ihr auch gesagt, dass ich ihren Mann nicht will. Sie soll nicht mehr zu mir kommen. Sie hat immer gesagt, meine Kinder sind bereits vaterlos, bald werden sie auch mutterlos sein.
R: Sie haben vorher gesagt, dass der Halbbruder zwei Frauen hatte. War das der anderen Frau egal?
BF: Die andere Frau hat nichts gemacht. Es war die erste Frau.
R: Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Mutter und Ihren Kindern?
BF: Ja. Über Festnetz. Mit meiner Mutter und den Kindern. Sie leben noch in Merka. Der Halbbruder meines Mannes hat meine erste Tochter mitgenommen, damit sie für ihn den Haushalt macht.
R: War das vor oder nach Ihrer Flucht?
BF: Nach meiner Flucht.
R: Hat er sie gewaltsam oder freiwillig mitgenommen?
BF: Er hat sie gewaltsam mitgenommen. Sie macht den Haushalt und dafür bekommt sie nichts bezahlt.
R: Haben Sie auch Kontakt zu dieser Tochter?
BF: Nein.
R: Wann nach Ihrer Flucht soll das gewesen sein?
BF: 6 Monate nach meiner Flucht.
R: Sie haben vor dem BFA angegeben, dass der Halbbruder dem Clan Hawiya angehört. Heute sagen Sie Habr Gedir.
BF: Das ist dasselbe.
R: Wie haben Sie Ihre Flucht organisiert?
BF: Ein Schlepper hat die Flucht für mich organisiert. Er hat einen Reisepass besorgt. Ich habe vorher das Gold verkauft. Die Flucht hat 6.000 US Dollar gekostet.
R: Wie viel Zeit ist zwischen der letzten Bedrohung durch den Halbbruder und Ihrer Flucht vergangen?
BF: Es war in derselben Woche. Ich flüchtete zwei Tage später.
R: Gibt es etwas, was Sie heute noch nicht gesagt haben?
BF: Ich möchte hier frei leben. Ich möchte nicht zurückkehren. Ich habe niemanden dort, der mich beschützen kann. Ich will nicht unter der Unterdrückung von einem Mann leben. Ich habe keinen Clan, der mich schützen kann. Mein Clan wird verachtet, er ist eine Minderheit.
R: Sie sind sicher, dass Sie dem Clan Ashraaf angehören?
BF: Ja.
R: Sie haben immer in Merka gelebt?
BF: Ja."
Mit der Beschwerdeführerin wurde Einblick in aktuelle Länderinformationen zum Herkunftsstaat sowie in den Bericht "Focus Somalia, Clans und Minderheiten vom 31.05.2017 genommen. Auf eine Erörterung wurde verzichtet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person und den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin wird festgestellt:
Die Beschwerdeführerin ist somalische Staatsangehörige, gehört dem Clan der Ashraf an und bekennt sich zum muslimischen Glauben (Sunnitin).
Die Beschwerdeführerin stammt aus der Stadt Merka in der Region Lower Shabelle und hat dort mit ihrem Ehemann (einem Geschäftsmann und ebenfalls Zugehörigem der Volksgruppe der Ashraf) und ihren fünf minderjährigen Kindern im Haus des Ehemannes gelebt. Aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten wurde ihnen das Haus von Angehörigen des Hawiye-Clans weggenommen und ihr Ehemann ermordet. Nach dem Tod des Ehemanns ist die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihren Kindern zu ihrer Mutter geflüchtet. In weiterer Folge wollte der Schwager der Beschwerdeführerin (Halbbruder mütterlicherseits des Ehemannes und Angehöriger des Clans der Hawiye) diese zur Frau nehmen, was die Beschwerdeführerin aber vehement ablehnte. Aufgrund dieser Ablehnungen wurde sie vom Schwager drei Jahre lang verfolgt, belästigt und schließlich mit dem Tode bedroht. Auch die zweite Frau des Schwagers hat der Beschwerdeführerin mehrmals mit dem Umbringen gedroht. Letztlich gelang der Beschwerdeführerin im Dezember 2014 die Flucht nach Europa.
Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführerin in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität (Zwangsheirat) droht und sie weder von staatlicher Seite noch von männlicher Verwandtschaft entsprechende Hilfe erwarten könnte.
Die Beschwerdeführerin ist in Somalia an Krebs (Knochenkrebs im Gesicht) erkrankt und wurde bei ihr im Jahr 2008 in XXXX eine Gesichtsoperation durchgeführt. Auch in Österreich hat sie sich deswegen schon Operationen unterzogen. Darüber hinaus wurden bei ihr psychische Probleme, nämlich eine "mittel- bis schwergradige depressive Episode mit somatischen Syndrom und fraglich psychiotischen Elementen; posttraumatische Belastungsstörung; Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung" diagnostiziert. Sie befindet sich in Österreich in regelmäßiger psychiatrischer Behandlung und nimmt Antidepressiva ein.
Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.
Zur maßgeblichen Situation in Somalia wird festgestellt:
Politische Lage
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).
Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator
Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).
Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).
Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).
Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).
Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).
Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)
Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).
Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).
Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.
Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).
Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Si