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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1002;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Schattleitner, über die Beschwerde der A, vertreten durch Dr. V und Dr. G, Rechtsanwälte in L, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenats im Land Niederösterreich vom 15. Februar 1994, Zl. Senat-NK-93-060, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheiten Übertretung des Glücksspielgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft vom 16. Dezember 1992 wurde über die Beschwerdeführerin eine Geldstrafe wegen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 5 Glücksspielgesetz in der Höhe von S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe drei Tage) verhängt.
Der Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 23. Dezember 1992 zugestellt. Die Beschwerdeführerin leitete das Straferkenntnis an einen Vertreter der Eigentümerin (einer GmbH) des Glücksspielautomaten, wegen dessen Betrieb die Verwaltungsstrafe verhängt worden war, weiter. Der Vertreter der GmbH hatte der Beschwerdeführerin zugesagt, dass sein Rechtsvertreter (der Rechtsvertreter der GmbH) eine Berufung einbringen werde.
Mit Schriftsatz vom 11. Jänner 1993 suchte die Beschwerdeführerin infolge Ablaufes der Rechtsmittelfrist um die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an und erhob gleichzeitig Berufung. Begründet war der Antrag mit dem Hinweis darauf, dass das Schreiben bei der GmbH nicht bearbeitet worden sei und daher erst am 8. Jänner dem Beschwerdevertreter weitergeleitet worden sei.
Mit Bescheid vom 12. Oktober 1993 wies die Bezirkshauptmannschaft den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab; das Straferkenntnis vom 16. Dezember 1992 sei wirksam zugestellt worden; eine Zustellbevollmächtigung sei der Behörde nicht bekanntgegeben worden. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig Berufung, in der insbesondere die Auffassung vertreten wird, dass der Beschwerdeführerin die Unterlassung seitens der GmbH, an die der Bescheid weitergeleitet worden sei, nicht angelastet werden könne.
Über diese Berufung führte die belangte Behörde am 4. Februar 1994 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher insbesondere hinsichtlich der Zustellung und Weitergabe des Straferkenntnisses erster Instanz sowie zur Frage einer Bekanntgabe eines Vollmachtsverhältnisses während des erstinstanzlichen Verwaltungsverfahrens Beweis erhoben wurde. Die Beschwerdeführerin gab an, dass ihr der "Eigentümer" des Glücksspielautomaten gesagt habe, "dass alles sein Anwalt machen würde" und sie "das Ganze nichts angehen würde". Es habe meistens ihre Mutter mit dem "Eigentümer" des Glücksspielautomaten gesprochen. Ihrer Meinung nach sei auch nachgefragt worden, ob der "Eigentümer" das Straferkenntnis an seinen Rechtsanwalt weitergeleitet habe (gemeint jeweils offenbar der Vertreter der GmbH).
Im Anschluss daran wird in der Übertragung der Tonbandaufnahme folgende Aussage der Beschwerdeführerin wiedergegeben:
"Wenn mich nunmehr Herr Dr. V (der Beschwerdevertreter) aus L vertritt, kann das schon der Richtigkeit entsprechen. Jedenfalls vor Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses habe ich Herrn Dr. V nicht bevollmächtigt."
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gegen die Abweisung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht Folge. Im Hinblick auf die Beweisergebnisse, die sich insbesondere in der mündlichen Verhandlung ergeben hätten, sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin den Beschwerdevertreter vor der Erlassung des mit Berufung bekämpften Straferkenntnisses vom 16. Dezember 1992 nicht bevollmächtigt habe. Auch die Befragung der mit der Angelegenheit befassten Bearbeiterin der Bezirkshauptmannschaft (die in der mündlichen Verhandlung erfolgt war) habe ergeben, dass der Bezirkshauptmannschaft weder schriftlich noch telefonisch ein Vollmachtsverhältnis bekanntgegeben worden sei. Nach Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes des § 71 AVG wird festgehalten, dass die Säumnis betreffend die Rechtsmittelfrist zur Erhebung der Berufung gegen das Straferkenntnis vom 16. Dezember 1992 nicht ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstelle, an welchem die Rechtsmittelwerberin kein Verschulden treffe. Die Beschwerdeführerin hätte sich Kenntnis zu verschaffen gehabt, wem das Straferkenntnis weitergeleitet wird, und hätte durch rechtzeitige Nachfrage bei dem Rechtsfreund, der vom Eigentümer des Glücksspielautomaten eingeschaltet worden sei, die Einhaltung der Frist sicherstellen können. Die Beschwerdeführerin hätte sich zu vergewissern gehabt, dass die erforderlichen Schritte veranlasst werden. Das Verhalten der Beschwerdeführerin entspreche somit nicht den gesetzlich gebotenen Sorgfaltspflichten und es könne in diesem Verhalten kein minderer Grad des Versehens gesehen werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der unrichtige rechtliche Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrem Wiedereinsetzungsantrag insoferne unschlüssig war, als dann, wenn von einer der Erstbehörde bekanntgegebenen Zustellungsbevollmächtigung auszugehen gewesen wäre, durch die Zustellung an die Beschwerdeführerin persönlich keine wirksame Zustellung erfolgt wäre. Die Behörde erster Instanz hätte vielmehr das Straferkenntnis gemäß § 9 Abs. 1 Zustellgesetz dem Beschwerdevertreter zuzustellen gehabt. Eine Heilung des Zustellmangels, dass das Straferkenntnis an die Beschwerdeführerin zugestellt wurde, hätte nur durch das tatsächliche Zukommen des Schriftstücks an den Vertreter gemäß § 9 Abs. 1 zweiter Satz Zustellgesetz eintreten können. Das Straferkenntnis erster Instanz ist nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Wiedereinsetzungsantrag vom 11. Jänner 1993 dem Beschwerdevertreter am 8. Jänner 1993 vom Eigentümer des Spielautomaten weitergeleitet worden. Ausgehend von diesem Sachverhalt wäre der Wiedereinsetzungsantrag mangels Versäumung einer Frist nicht erforderlich und von der Behörde erster Instanz zurückzuweisen gewesen.
Wie jedoch im Folgenden zu zeigen ist, konnte die belangte Behörde ausgehend von ihren Sachverhaltsfeststellungen zu Recht annehmen, dass die Zustellung an die Beschwerdeführerin rechtswirksam war. Es ist daher auf die im Übrigen von der Beschwerdeführerin für ihren Rechtsstandpunkt betreffend die Abweisung ihres Wiedereinsetzungsantrages ins Treffen geführten Argumente einzugehen.
Unter dem Gesichtspunkt der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geht die Beschwerdeführerin davon aus, dass die Säumnis einer dritten Person jedenfalls ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis darstelle und daher im Beschwerdefall lediglich zu prüfen sei, ob auf ihrer Seite kein Verschulden vorliege oder sie kein minderer Grad des Versehens treffe. Es sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin, wenn überhaupt, nur ein minderer Grad des Versehens treffe.
Damit übersieht die Beschwerdeführerin jedoch, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann, wenn sich die Partei bei der Erteilung eines Auftrags an einen Vertreter zur Einbringung eines Rechtsmittels eines Boten bedient, die Partei besondere Sorgfaltspflichten treffen.
Es kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgegangen ist, dass die Beschwerdeführerin durch geeignete Nachfrage die Einhaltung der Berufungsfrist sicherstellen hätte müssen, wenn sie das Straferkenntnis einem Dritten zur Weiterleitung an einen Rechtsanwalt zum Zwecke der Einbringung einer Berufung weitergegeben hat. Wenn in diesem Zusammenhang in der Beschwerde die Auffassung vertreten wird, dass ein Versäumnis des Boten nicht der Beschwerdeführerin angelastet werden könne, so ist auf den hg. Beschluss vom 27. Juni 1991, Zl. 90/06/0191, zu verweisen. Darin hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es Sache des Beschwerdeführers sei, nachzufragen, ob der Vertreter eine Beschwerde einbringen werde, wenn er den Auftrag zur Erhebung der Beschwerde durch einen Boten überbringen lässt. Der Verwaltungsgerichtshof hob in diesem Fall insbesondere hervor, dass der beauftragte Rechtsanwalt den Beschwerdeführer des damaligen Verfahrens vor der Verwaltungsbehörde nicht vertreten hatte und daher nicht ohne weiteres die Einhaltung der Frist durch den Rechtsanwalt zu erwarten gewesen sei. Gleiches muss im Fall der Erteilung eines Auftrags zur Einbringung einer Berufung gelten. Auch im Beschwerdefall bestand nach den Feststellungen der belangten Behörde bis zur Erteilung des Auftrags zur Einbringung einer Berufung kein Vollmachtsverhältnis mit dem beauftragten Rechtsanwalt. Der Verwaltungsgerichtshof sieht daher keinen Anlass, die Verschuldensfrage im Beschwerdefall anders zu beurteilen als in dem genannten Erkenntnis vom 27. Juni 1991.
Sollte es sich beim Vertreter der Eigentümerin des Apparates aber um einen selbständigen Untervertreter der Beschwerdeführerin (also um eine zur Beauftragung und Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes namens der Beschwerdeführerin bevollmächtigte Person) gehandelt haben, so wäre dessen Verschulden der Beschwerdeführerin zurechenbar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 1998, Zl. 96/19/2258). Dass diesem Vertreter aber die Einhaltung der Frist durch ein unabwendbares oder unvorhersehbares Ereignis unmöglich gewesen wäre, ohne dass ihm ein grobes Verschulden anzulasten wäre, wurde nicht vorgebracht.
Dem Vorbringen in der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, dass auf Grund der gleichzeitigen Führung von Verfahren gegen den Eigentümer des Spielautomaten und die Beschwerdeführerin sowie aufgrund der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin die "diesbezüglichen Bescheide unter Hinweis auf den Automatenhersteller bestritten" habe, der Behörde bekannt hätte sein müssen, dass der Beschwerdevertreter auch für die Beschwerdeführerin einschreite, ist Folgendes zu entgegnen:
Die belangte Behörde hat in ihrem Bescheid insbesondere auf Grund der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 1994 festgestellt, dass der Bezirkshauptmannschaft keine Bevollmächtigung (auch nicht Zustellbevollmächtigung) seitens der Beschwerdeführerin an den Beschwerdevertreter mitgeteilt wurde. Insoweit ist der angefochtene Bescheid durch den Verwaltungsgerichtshof nur dahingehend einer Überprüfung zugänglich, ob diese Feststellung in einem mängelfreien Verfahren zustande gekommen ist (§§ 41 Abs. 1 und 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG). Das entsprechende Beschwerdevorbringen ist auch nicht zwingend als neues Tatsachenvorbringen zu verstehen, sondern kann als Vorbringen gegen die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde verstanden werden. Auch so verstanden führt das Vorbringen jedoch die Beschwerde nicht zum Erfolg, da aus dem bloßen Umstand, dass der Beschuldigte in einem Strafverfahren nach dem Glücksspielgesetz "Bescheide unter Hinweis auf den Automatenbetreiber" "bestreitet", nicht ableitbar ist, dass der Beschuldigte vom Vertreter des Automatenbetreibers vertreten werde. Das Einschreiten eines Vertreters im Verfahren gegen den Eigentümer des Glücksspielautomaten berechtigt die Behörde jedoch nicht, den Vertreter des Eigentümers auch als Vertreter des Betreibers, bei dem der Apparat aufgestellt war, anzusehen. Die Beschwerdeführerin hatte gegen die an sie ergangene Strafverfügung selbst Einspruch erhoben. Welche Anhaltspunkte für die Behörde erster Instanz außer dem Auftreten des Beschwerdevertreters im Verfahren gegen die Eigentümerin des Spielapparats vorgelegen seien, die auf ein Vollmachtsverhältnis mit der Beschwerdeführerin hingedeutet hätten, wird auch in der Beschwerde nicht vorgebracht. Soweit in diesem Zusammenhang darüber hinaus dezidiert die Beweiswürdigung der belangten Behörde angezweifelt wird, da die Feststellung, dass keine Bevollmächtigung des Beschwerdevertreters vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides erfolgt sei, entweder auf einer unrichtigen Protokollierung oder auf einem Irrtum beruhe, vermag die Beschwerde keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung hervorzurufen, die zur Annahme eines wesentlichen Verfahrensmangels führen müssten. Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass das Beweisthema für die belangte Behörde nur sein konnte, ob der Behörde erster Instanz eine Bevollmächtigung bekanntgegeben wurde oder bekannt sein musste. Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführerin selbst in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, vor der Erteilung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses keine Bevollmächtigung erteilt zu haben, wird mit der nunmehrigen Behauptung, es sei eine Bevollmächtigung erfolgt, nicht behauptet, dass die Bevollmächtigung der Behörde erster Instanz bekannt gegeben worden sei. Es wird im Gegenteil, wie bereits dargestellt, in der Beschwerde die Auffassung vertreten, dass die Behörde erster Instanz aus gewissen äußeren Umständen auf das Bestehen der Vollmacht schließen hätte müssen. Diese Auffassung ist jedoch, wie oben ausgeführt, unzutreffend. Der belangten Behörde ist daher in diesem Zusammenhang weder ein Verfahrensmangel bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, noch eine unrichtige rechtliche Beurteilung anzulasten.
Die Abweisung der Berufung gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages war daher nicht rechtswidrig.
Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 22. November 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1994170188.X00Im RIS seit
20.11.2000