Entscheidungsdatum
13.08.2018Norm
AsylG 2005 §55Spruch
W255 2203093-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 20.05.2018, Zl. 1191794900:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid
aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste am 19.05.2018 am Flughafen Wien-Schwechat aus Griechenland kommend in das österreichische Bundesgebiet ein.
2. Am 20.05.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (im Folgenden: BFA) zum Gegenstand: "Schubhaft und Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot" einvernommen. Dabei gab der BF an, dass er aus der Provinz XXXX , Afghanistan, stamme, wo seine Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder leben würden. Seine Tante mütterlicherseits lebe in der Schweiz. Der BF sei gestern in Österreich angekommen und habe EUR 30,- bei sich. Er habe nicht die Absicht gehabt, in Österreich zu bleiben, sondern habe in die Schweiz weiterreisen wollen. Auf Vorhalt, dass beabsichtigt sei, die Schubhaft über ihn zu verhängen, gab der BF an, dass er einen Landesverweis wolle. Er sei Flüchtling und bereit, das Land zu verlassen, damit er zu seinen Freunden in die Schweiz weiterreisen könne.
3. Mit Bescheid des BFA vom 20.05.2018, Zl. 1191794900, wurde über den BF gemäß § 76 Abs 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs 1 AVG zum Zweck der Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt.
4. Mit Bescheid des BFA vom 20.05.2018, Zl. 1191794900, wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55 und 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BVA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG gegen den BF erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.), gegen den BF gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
Begründend führte das BFA aus, dass der BF am 19.05.2018 durch einen Zollbeamten am Flughafen Wien-Schwechat zu einer Kontrolle angehalten worden sei und sich mit einem gefälschten malaysischen Reisepass ausgewiesen habe. Er sei mit einem gefälschten Reisepass nach Österreich eingereist. Seine Identität habe nicht festgestellt werden können. Er habe angegeben, afghanischer Staatsbürger und am XXXX geboren zu sein. Er halte sich illegal in Österreich auf, sei nicht meldeamtlich erfasst und besitze keinen Wohnsitz in Österreich. Er halte sich seit 19.05.2018 in Österreich auf und sei am selben Tag festgenommen worden. Er sei nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung für Österreich, mittellos, besitze kein regelmäßiges Einkommen und sei daher nicht berechtigt, in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der BF habe in Österreich keine Familienangehörigen, seine Kernfamilie lebe in Afghanistan. Der BF habe keinen Asylantrag gestellt und in der Einvernahme keinerlei Bedenken gegen die Abschiebung nach Serbien vorgebracht.
Im Bescheid wurden keine Feststellungen zur Situation im Herkunftsland des BF getroffen.
In der Beweiswürdigung zu den - im Bescheid nicht enthaltenen - Feststellungen zur Situation im Herkunftsland steht: "Die Feststellungen zu Ihrem Herkunftsland basieren auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA. Diese ist gemäß § 5 Abs 2 BFA-VG zur Objektivität verpflichtet und unterliegt der Beobachtung eines Beirates. Es ist daher davon auszugehen, dass alle zitierten Unterlagen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen stammen, ausgewogen zusammengestellt wurden und somit keine Bedenken bestehen, sich darauf zu stützen."
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung begründete das BFA insbesondere damit, dass der BF über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich verfüge, seine Kernfamilie in Serbien lebe, ihm keine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilten sei und der BF "aufgrund der Begehung der Schwarzarbeit [...] eine potentielle Belastungsquelle für das österreichische Sozialsystem dar[stelle]".
Zusammenfassend sei festzuhalten, dass die persönlichen Interessen des BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich als weniger ausschlaggebend gewertet würden wie jene der öffentlichen Interessen. Der BF habe im österreichischen Bundesgebiet strafbare Handlungen begangen und gefährde durch seinen weiteren Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit.
Die Feststellung, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei, begründete das BFA damit, dass sich weder aus den - im Bescheid nicht enthaltenen - Feststellungen zur Lage im Zielstaat noch aus seinem Vorbringen eine Gefährdung ergeben habe. Der BF habe keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und "derartige Gründe sind auch nicht ersichtlich".
Die Erlassung eines Einreiseverbotes des BF für die Dauer von 5 Jahren begründete das BFA damit, dass der BF den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermöge. Er habe kein Bargeld bei sich gehabt, als er in Österreich eingereist sei. Zudem sei er mit Hilfe eines gefälschten Reisepasses in Österreich eingereist. Dieses Verhalten rechtfertige die Erlassung eines Einreiseverbotes für die Dauer von 5 Jahren.
Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid begründete das BFA damit, dass der BF mittellos sei und eine sofortige Außerlandesbringung seiner Person unabdingbar notwendig sei. Er stelle "auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich jenes an Ruhe, Ordnung und Sicherheit, berührt."
5. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs 2 AVG vom 20.05.2018 wurde dem BF im deutschsprachig gehaltenen Teil die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe und in dem in Dari übersetzten Teil der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
6. Gegen den unter Punkt 4. genannten Bescheid richtet sich die fristgerecht beim BFA eingebrachte und mit 15.06.2018 datierte Beschwerde. Darin brachte der BF ua vor, dass er bereits gegenüber dem BFA angegeben habe, dass er schlepperunterstützt in die Schweiz reisen habe wollen, um dort um Asyl anzusuchen, von den Schleppern jedoch mit dem Flugzeug nach Österreich gebracht worden sei. Der BF habe am 23.05.2018 in Österreich einen Asylantrag gestellt.
Der Bescheid leide an wesentlichen Feststellungsmängeln. Es sei keine Feststellung dahingehend getroffen worden, ob der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer Bedrohung ausgesetzt sei oder nicht. Der Bescheid enthalte keinerlei Länderfeststellungen zur Situation in Afghanistan; es werde bloß auf die Staatendokumentation verwiesen. Der BF habe klar zu erkennen gegeben, dass er nach Europa gekommen sei, um hier Schutz vor Verfolgung zu suchen. Das BFA habe es unterlassen, den maßgeblichen Sachverhalt ermittelt zu haben, obwohl es eine derartige Ermittlungspflicht nach § 37 AVG bzw § 18 Abs 1 AsylG treffe. Das BFA hätte den BF nach den Gründen des Verlassens seines Herkunftsstaates fragen müssen und etwaige Rückkehrbefürchtungen abklären müssen. Der BF habe am 23.05.2018 einen weiteren Asylantrag vor den Polizeibeamten des PAZ-Hernalser Gürtel gestellt, da es das BFA verabsäumt habe, die Asylantragstellung in der Einvernahme vom 20.05.2018 wahrzunehmen. Der Antrag vom 23.05.2018 sei auch als solcher wahrgenommen worden und komme dem BF nun der Status des Asylwerbers zu. Aus der Beweiswürdigung des BFA lasse sich nicht erschließen, warum eine Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sein sollte. Es habe keine Beurteilung der Verfolgungs- bzw. Bedrohungssituation des BF im Falle der Rückkehr getroffen werden können. Da gemäß § 53 Abs 1 FPG 3 ein Einreiseverbot nur in Verbindung mit einer Rückkehrentscheidung erlassen werden könne, sei auch dieses aufzuheben, da auch die Rückkehrentscheidung unzulässig sei. Ein Einreiseverbot wäre somit mangels Rückkehrentscheidung nicht zu erlassen gewesen. Schließlich sei nicht ersichtlich, warum die aufschiebende Wirkung im konkreten Fall ausgeschlossen worden sei.
7. Der Bescheid des BFA und der - lückenhafte - Beschwerdeakt langten am 09.08.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
8. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.08.2018 (und ergänzender telefonischer Aufforderung) wurde das BFA aufgefordert, dem Bundesverwaltungsgericht
* das dem Bescheid zugrundeliegende Protokoll der Einvernahme des BF vom 20.05.2018,
* die der Entscheidung zugrunde liegenden polizeilichen Erhebungen,
* das im Bescheid als Beweismittel herangezogene Urteil ("ihre Verurteilung") betreffend den BF,
* die Beschwerde samt Vollmacht und
* den Asylantrag des BF vom 23.05.2018
zu übermitteln, da diese Unterlagen dem Bundesverwaltungsgericht am 09.08.2018 nicht übermittelt worden waren.
9. Mit E-Mail vom 10.08.2018 übermittelte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht den Festnahmeauftrag vom 19.05.2018, einen AV vom 19.05.2018, behördeninterne E-Mailkorrespondenz vom 19.05.2018 (darunter ein mit einem Smiley versehener Kommentar eines namentlich ausgewiesenen Mitarbeiters des BFA in einem von ihm verfassten E-Mail betreffend den BF: "@ XXXX : Wäre sich ja fast noch mit einer Racheaktion ausgegangen, wenn der etwas nördlicher aufgegriffen worden wäre. ;-) "), die Niederschrift der Einvernahme des BF vom 20.05.2018, den Mandatsbescheid vom 20.05.2018, eine Verfahrensanordnung (Verpflichtung zu Rückkehrberatungsgespräch) vom 20.05.2018, eine Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs 2 AVG (Rechtsberater zur Seite gestellt) vom 20.05.2018, eine Übernahmebestätigung betreffend den Schubhaftbescheid vom 20.05.2018 und einen Einlieferungsauftrag vom 20.05.2018.
Seitens des BFA wurden dem Bundesverwaltungsgericht weiterhin keine Dokumente betreffend den vom BF laut Angaben in der Beschwerde am 23.05.2018 ("weiteren") gestellten Antrag auf internationalen Schutz übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
1.1.1. Der BF reiste am 19.05.2018 aus Griechenland kommend mit dem Flugzeug in Österreich (Wien-Schwechat) ein und verwendete hierbei einen auf " XXXX " ausgestellten Reisepass.
1.1.2. Der BF behauptet, XXXX zu heißen und am XXXX in der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , XXXX , geboren zu sein. Der BF behauptet, afghanischer Staatsangehöriger zu sein. Er führte bei seiner Einreise am Flughafen Wien-Schwechat EUR 30,- an Bargeld bei sich.
1.1.3. Der BF wollte schlepperunterstützt aus Afghanistan in die Schweiz reisen, wo sich eine Tante mütterlicherseits und Freunde befinden, um dort einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Nachdem der BF in Österreich in Schubhaft genommen wurde, stellte er am 23.05.2018 gegenüber Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes des PAZ-Hernalser Gürtel einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
1.2. Zur Mangelhaftigkeit des Verfahrens und des Bescheides des BFA:
1.2.1. Der Bescheid des BFA richtet sich an XXXX , geb. XXXX als Adressat. Laut Feststellungen des BFA im angefochtenen Bescheid habe der BF jedoch angegeben, XXXX zu heißen und am XXXX geboren zu sein. Die Feststellungen zur Person des BF widersprechen somit dem auf dem Bescheid angeführten Adressaten des Bescheides.
1.2.2. Das BFA traf im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen zur Situation in Afghanistan. Dem BF wurden vom BFA nie Länderinformationen zur Situation in Afghanistan vorgehalten, geschweige denn, ihm die Möglichkeit dazu gegeben, hierzu Stellung zu nehmen.
1.2.3. Der BF wurde vom BFA nicht danach gefragt, was ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan erwarten würde und ob sein Leben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan allenfalls gefährdet wäre.
1.2.4. Der BF gab im Zuge der Einvernahme vom 20.05.2018 gegenüber dem BFA klar an, dass es sich bei ihm um einen Flüchtling handelt. Aus seinem Vorbringen ist klar ersichtlich, dass er Afghanistan verlassen hat, um in der Schweiz einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Trotz dieses Vorbringens wurden vom BFA keinerlei diesbezügliche Ermittlungen aufgenommen und das Vorbringen des BF im angefochtenen Bescheid ignoriert.
1.2.5. Das BFA stützt sich im angefochtenen Bescheid (als "Beweismittel") ua auf eine Verurteilung des BF, obwohl sich im gesamten Akt kein Hinweis auf eine Verurteilung des BF findet.
1.2.6. Im angefochtenen Bescheid sind keine Feststellungen enthalten, denen nachvollziehbar zu entnehmen wäre, warum das BFA eine Abschiebung des BF nach Afghanistan für zulässig (oder nicht zulässig) erachtet. Als Zielstaat der Abschiebung des BF wird im angefochtenen Bescheid wiederholt Serbien statt Afghanistan angeführt bzw vom BFA festgestellt, dass sich die Kernfamilie des BF in Serbien befinde.
1.2.7. Dem angefochtenen Bescheid ist keine ordnungsgemäße, die österreichische Rechtsprechung berücksichtigende, ausreichende Abwägung/Gefährdungsprognose enthalten, der nachvollziehbar zu entnehmen wäre, warum das BFA ein Einreiseverbot für die Dauer von fünf Jahren gegen den BF erlassen hat.
1.2.8. Dem angefochtenen Bescheid ist keine ordnungsgemäße, die österreichische Rechtsprechung berücksichtigende, ausreichende Begründung enthalten, der nachvollziehbar zu entnehmen wäre, warum das BFA der Beschwerde gegen den Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt hat. Zudem erscheint befremdlich, dass der gegenständliche Akt - trotz Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde durch das BFA - dem Bundesverwaltungsgericht erst knapp zwei Monate nach Einlangen der Beschwerde des BF beim BFA übermittelt wurde.
1.2.9. Die Verfahrensanordnung des BF gemäß § 63 Abs 2 AVG vom 20.05.2018, mit der dem BF ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wurde, weist unterschiedliche zugewiesene Rechtsberater auf (in deutscher Sprache: "ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe"; in Dari: "Verein Menschenrechte Österreich").
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus den Akten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Bundesverwaltungsgerichtes.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
* Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
3.3. Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
3.3.1. Das BFA hat es gänzlich unterlassen, sich mit der Situation im Herkunftsstaat des BF zu befassen, geschweige denn, dem BF die Möglichkeit einzuräumen, hierzu Stellung zu nehmen. In der Einvernahme des BF vom 20.05.2018 wird die Situation in Afghanistan nie thematisiert. Im angefochtenen Bescheid des BF trifft das BFA keine Feststellungen zur Situation in Afghanistan. In der Beweiswürdigung verweist das BFA ausschließlich darauf, dass die Feststellungen zum Herkunftsland des BF auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA beruhen. Es bleibt jedoch völlig auf, auf welche Zusammenstellung der Staatendokumentation sich das BFA bezieht und welche konkreten Feststellung das BFA seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Das BFA hat es schließlich auch unterlassen, zu ermitteln, welche subjektiven Gründe aus Sicht des BF allenfalls gegen eine Rückkehr nach Afghanistan sprechen und ob diese objektiv vorliegen oder nicht.
3.3.2. Das BFA hat es trotz eindeutiger Hinweise unterlassen, Ermittlungen dahingehend zu tätigen, ob der BF in Österreich (oder andernorts in Europa) einen Antrag auf internationalen Schutz stellen wollte. Seinen Angaben gegenüber dem BFA ist klar zu entnehmen, dass der BF sich selbst als Flüchtling betrachtet, der Afghanistan verlassen hat. Soweit der Beschwerde zu entnehmen ist, hat er am 23.05.2018 auch einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt. Das BFA hat den BF in der Einvernahme vom 20.05.2018 weder zu diesem Thema befragt, noch belehrt.
3.3.3. Das BFA stützt seinen Beschied unter anderem auf eine Verurteilung des BF, ohne dass dem gesamten Akteninhalt zu entnehmen ist, auf welche konkrete Verurteilung (von wann, welchem Gericht, wegen welcher Straftat etc) sich das BFA hierbei bezieht. Selbst der mangelhaften Abwägung/Gefährdungsprognose des BFA im Zusammenhang mit der Erlassung eines Einreiseverbotes ist nichts Näheres zur Verurteilung zu entnehmen. Das BFA hat es somit auch unterlassen, ordnungsgemäß zu ermitteln (und festzustellen), inwieweit der Aufenthalt des BF in Österreich die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies obwohl sich das BFA bei der Erlassung des Einreiseverbotes ausschließlich auf § 53 Abs 2 Z 6 FPG stützt und dieser Tatbestand bereits Fragen hinsichtlich der sachlichen Rechtfertigung und eigenständigen Relevanz seines Regelungsinhaltes aufwirft, zumal in der bloßen zum Zeitpunkt der Erlassung einer Rückkehrentscheidung bestehenden "Mittellosigkeit" eines Fremden kein Grund erblickt werden kann, diesem eine künftige legale Wiedereinreise unter Berufung auf eine Gefährdung öffentlicher Interessen zu verunmöglichen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K14).
3.3.4. Abgesehen von den drei erwähnten, fehlenden Ermittlungsschritten ist der Bescheid des BFA - wie unter Punkt I.1.2. dargestellt - mit weiteren gravierenden Mangeln behaftet, die seitens des BFA im Zuge der Erlassung eines neuen Bescheides zu beheben sein werden.
3.4. Das verwaltungsbehördliche Verfahren ist somit mit den aufgezeigten schwerwiegenden Ermittlungsmängeln belastet, weil das BFA den Sachverhalt in Bezug auf die angeführten maßgeblichen Fragen im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht ermittelt hat.
3.5. Im fortgesetzten Verfahren wird das BFA im Sinne der dargelegten Erwägungsgründe
1. Ermittlungen zur generellen Situation in Afghanistan,
2. Ermittlungen zur konkreten Situation des BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan (etwaige Gefährdung) sowie
3. Ermittlungen in Zusammenhang mit dem Vorbringen des BF, als Flüchtling nach Europa gekommen zu sein und um Schutz ansuchen zu wollen,
zu führen und dabei das Recht des BF auf Parteiengehör wahren müssen.
3.6. Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des BFA gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 20.05.2015, Ra 2014/20/0146; 24.11.2016, Ra 2016/07/0098). Durch die genannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen, Behebung der Entscheidung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W255.2203093.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.10.2018