TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/28 W146 2198246-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.08.2018
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Entscheidungsdatum

28.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W146 1434674-2/19E

W146 1434675-2/11E

W146 2198246-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2014, Zl. 821388201-1558506, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2014, Zl. 821388310-1558492, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2018, Zl. 1189914506-180423801/BMI-BFA_BGLD_RD, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin reisten am 03.10.2012 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag die den gegenständlichen Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Anträge auf internationalen Schutz.

Anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vor der BPD Baden am 03.10.2012 gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er Angst habe, dass ihn XXXX umbringe. Er habe in einer Moschee im Jahr 2005 gebetet, wo es zu einer Schlägerei gekommen und er festgenommen worden sei. Er habe damit aber nichts zu tun gehabt. Er sei dann nach 15 Tagen freigekauft worden. Seitdem sei er aber auf der Liste des Geheimdienstes gestanden und sei immer wieder zu Hause kontrolliert worden. Im Jahr 2011 habe er an politischen Demonstration in Dagestan teilgenommen, welche sich gegen die jetzige Regierung gerichtet hätten. Dabei sei er auch festgenommen worden. Im Sommer 2012 sei er an einem ihm unbekannten Ort drei Wochen lang gefoltert und mit dem Tode bedroht worden. Es sei wieder von seiner Familie freigekauft worden. Da habe er gewusst, dass er mit seiner Frau fliehen müsse.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab anlässlich dieser Befragung an, dass sie nur wisse, dass ihr Mann zu Hause mit den staatlichen Behörden Probleme gehabt habe. Er sei immer wieder zu Hause aufgesucht und sogar mitgenommen worden.

Nach Zulassung seines Verfahrens wurde der Erstbeschwerdeführer am 30.01.2013 von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes, Außenstelle Eisenstadt, einvernommen. Dazu befragt, ob ihm jemals ein russischer Auslandsreisepass oder ein Inlandspass ausgestellt worden sei, führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass ihm beide Pässe XXXX Ende Juli 2012 abgenommen worden seien. Auf seine wirtschaftliche Situation in der Russischen Föderation angesprochen, brachte er vor, dass sein Fachgebiet die Technik sei. Er habe aber auch im Bauwesen gearbeitet und sei Unternehmer gewesen. Von 2008 bis 2011 sei er in Moskau beschäftigt gewesen. Außerdem hätte er ein Lebensmittelgeschäft in XXXX gehabt.

Zu seinen Fluchtgründen führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass es am 09.04.2005, als der Erstbeschwerdeführer zum zweiten Mal in einer Moschee gewesen sei, zu einer Rauferei bzw zu einer Massenschlägerei gekommen sei. Der Erstbeschwerdeführer sei neben der Türe gestanden und habe gebetet, als ihm plötzlich jemand von hinten auf den Kopf geschlagen habe. Die Wunde des Erstbeschwerdeführers sei im Krankenhaus behandelt worden; anschließend sei er auf die Polizeiwache überstellt worden. Auch andere Leute aus der Moschee seien zur Polizeiwache gebracht worden, wobei die meisten Leute fünfzehn Tage Untersuchungshaft bekommen hätten. Der Vater des Erstbeschwerdeführers habe 300.000,- Rubel bezahlt, sodass dieser vom Beschuldigten zum Geschädigten geworden und nach fünfzehn Tagen freigelassen worden sei. Bis zum Jahr 2008 sei dann ungefähr sechsmal die Kriminalpolizei gekommen und habe es Vorladungen und laufend Anschläge gegeben. Der Erstbeschwerdeführer habe auf der Polizeiwache jedes Mal die Leute von damals gesehen; viele Leute, die er gekannt habe, seien einfach umgebracht worden. Am 04.08.2008, als der Erstbeschwerdeführer in seine Garage gegangen sei, seien Leute mit einer einfärbigen militärischen Uniform gekommen, hätten eine Granate hingelegt und behauptet, dass diese Granate dem Erstbeschwerdeführer gehören würde. Dieser habe die Granate nicht angegriffen und sei dann mit angelegten Handschellen zur Polizeistation gebracht worden. Der Erstbeschwerdeführer habe dann 500.000,- Rubel Bestechungsgeld zahlen müssen. Jedes Mal, wenn eine Explosion stattgefunden habe, sei der Erstbeschwerdeführer in Gefahr gewesen. Es sei ihm dann gesagt worden, dass er besser nach Moskau fahren solle. Im Jahr 2006 habe der Erstbeschwerdeführer geheiratet. Vor und nach der Hochzeit seien jeweils dreimal Leute von der Behörde gekommen. Am 04.08.2008 sei es zu einem weiteren Vorfall gekommen, woraufhin der Erstbeschwerdeführer und seine Ehegattin nach Moskau gefahren und von 2008 bis 2011 dortgeblieben seien. Im Jahre 2009 seien sie für einen Monat nach Dagestan zurückgekehrt, weil die Mutter des Erstbeschwerdeführers krank gewesen sei. In dieser Zeit habe es eine Schießerei gegeben und sei der Erstbeschwerdeführer damals von Maskierten aus dem Haus geholt und mitgenommen worden. Die Eltern haben nichts dagegen machen können. Konkret sei der Erstbeschwerdeführer nach einer Hausdurchsuchung zur Polizeiwache gebracht und erst am nächsten Tag wieder freigelassen worden. Er sei verhört worden und seien ihm auch Fotos von jenem Mann, der geschossen habe, gezeigt worden. Anschließend nach der Freilassung seien die Beschwerdeführer wieder nach Moskau gefahren, wobei sie dort als Muslime Schwierigkeiten gehabt hätten. Die Zweitbeschwerdeführerin sei einmal überfallen worden und seien der Erstbeschwerdeführer und seine Gattin auch einmal von einer Menschenmenge attackiert und geschlagen worden. Am nächsten Tag hätten die Beschwerdeführer diesen Vorfall bei der Polizeiwache anzeigen wollen, jedoch sei ihnen dort mitgeteilt worden, dass Leute aus dem Kaukasus, Leute aus Moskau umbringen würden und sie das verstehen sollten. Man habe ihnen den Rat gegeben, nach Hause in den Kaukasus zu fahren. Eine Anzeige hätte keinen Sinn gehabt. Auf ihrer Türe in Moskau sei auch ein Hakenkreuz sowie ein Schimpfwort für Kaukasier aufgemalt gewesen.

Im Juli 2011 seien die Beschwerdeführer schließlich nach Dagestan zurückgekehrt. Am XXXX sei der Erstbeschwerdeführer ungefähr um

23.30 Uhr am Heimweg vom Billard spielen gewesen, als ihn Männer in einer finsteren Gasse geschnappt und auf ihn eingeschlagen hätten. Anschließend hätten sie ihm Handschellen angelegt und ihm einen Elektroschocker angesetzt, den er nicht einmal gespürt habe. Anschließend sei der Erstbeschwerdeführer an einen unbekannten Ort gebracht worden, wo er vier Tage lang von einem Russen namens XXXX verhört und ständig geschlagen worden sei. Da der Erstbeschwerdeführer dann versprochen habe, Geld zu bezahlen, sei er freigelassen worden. Sein Vater habe anschließend Schulden gemacht um 3 Millionen Rubel bezahlen zu können. Darüber hinaus führte der Erstbeschwerdeführer aus, an Kundgebungen gegen die Willkür der Behörden, konkret an einer großen Kundgebung in XXXX , teilgenommen zu haben. Außerdem sei der Erstbeschwerdeführer bei einer Demonstration in XXXX dabei gewesen, wobei er bei dieser Demonstration von seinem Vater begleitet worden sei. Während der Anhaltung am XXXX sei der Erstbeschwerdeführer auch nach den Demonstrationsteilnahmen befragt worden.

Darüber hinaus habe es zwei Wochen vor dem XXXX einen Vorfall gegeben. Der Erstbeschwerdeführer habe während der Arbeit seinen Führerschein verloren. Anschließend sei ihm der Führerschein nach Hause gebracht und ihm der Vorwurf gemacht worden, dass er spioniert habe, weil sich in der Nähe von dem Ort, an dem er seinen Führerschein verloren habe, die Wohnung eines XXXX befinde.

Vor der Abreise habe sich der Erstbeschwerdeführer zwei Wochen verstecken müssen. Am fünften Tag seien maskierte Leute zum Elternhaus gekommen und hätten nach dem Erstbeschwerdeführer gesucht. Sein Vater habe daraufhin bei der Schwester des Erstbeschwerdeführers, wo sich dieser zu dem Zeitpunkt aufgehalten habe, angerufen und ihm nahegelegt wegzufahren, was der Erstbeschwerdeführer dann auch gemacht habe. Auf die Frage, ob er in der Russischen Föderation jemals aus religiösen Gründen verfolgt worden sei, gab der Erstbeschwerdeführer an, dass dies in Dagestan der Fall gewesen sei, weil dort die Religion der Hauptgrund für die Verfolgung sei. In Moskau sei der Erstbeschwerdeführer wegen der kaukasischen Abstammung verfolgt worden. Nachgefragt, ob er jemals wegen seiner politischen Überzeugung verfolgt worden sei, führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er sich verpflichtet gefühlt habe, an Kundgebungen teilzunehmen und deshalb auch hingegangen sei. Dazu befragt, was er im Fall einer Rückkehr befürchte, gab der Erstbeschwerdeführer an, mit Sicherheit umgebracht zu werden. Vielleicht würde er auch von den Behörden wieder entführt oder erschossen werden. Er wisse nicht genau wer dahinter stecke, möglicherweise der XXXX . Die Frage, ob er ein Wahabit sei, verneinte der Erstbeschwerdeführer; er würde keiner Strömung angehören, sondern sei ein einfacher Muslim. Die Polizei und andere Behörden würden die Menschen zum Kämpfen zwingen, weil sie Menschen misshandeln würden.

Auch die Zweitbeschwerdeführerin wurde am 30.01.2013 von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes, Außenstelle Eisenstadt, einvernommen. Die Frage, ob sie sich jemals einen Auslandsreisepass oder einen Inlandsreisepass habe ausstellen lassen, bejahte die Zweitbeschwerdeführerin. Beide Pässe seien ihr XXXX Ende Juli 2012 abgenommen worden. Ihr Heimatland habe sie verlassen, weil sich ihr Ehegatte zur Ausreise entschlossen habe; er habe im Herkunftsstaat Probleme gehabt. Die Zweitbeschwerdeführerin führte aus in der Russischen Föderation niemals Probleme mit der Polizei oder einem Gericht gehabt zu haben. Auch sei sie niemals in Haft gewesen oder festgenommen worden. Auf die Frage, ob sie in der Russischen Föderation jemals aus religiösen Gründen verfolgt worden sei, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, als Muslime Probleme mit der Bevölkerung in Moskau gehabt zu haben. Das habe sie bereits gesagt. Sie sei in der Russischen Föderation zu keinem Zeitpunkt Mitglied einer politischen Partei gewesen und auch nicht wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt worden. Im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation befürchte sie, dass ihrem Ehegatten etwas passieren könne, weil nach ihm gesucht werde. Das könne sich auch schlimm auf die Zweitbeschwerdeführerin auswirken, weil es einige Fälle gegeben habe, wo auch moslemische Frauen geschlagen worden seien.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 16.04.2013 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Gegen diese abweisenden Bescheide des Bundesasylamtes wurde Beschwerde erhoben.

Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.03.2014 wurden die bekämpften Bescheide gemäß § 28 Abs 3 2. Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Am 15.07.2014 wurde der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesamt, Regionaldirektion Burgenland, aufgrund der Behebung des erstinstanzlichen Bescheides durch das Bundesverwaltungsgericht niederschriftlich einvernommen. Die Frage, ob sich an seinen Ausreisegründen etwas geändert habe, verneinte der Erstbeschwerdeführer, er halte seine bisher gemachten Angaben vollinhaltlich aufrecht und wolle angeben, dass er siebenmal festgenommen worden sei. Von 2005 bis 2008 sei er sechsmal und im Jahr 2012 erneut einmal festgenommen worden. Die ersten Festnahmen hätte eine ihm nicht näher bekannte Behörde, möglicherweise eine Strafverfolgungsbehörde, durchgeführt. Zuletzt sei der Erstbeschwerdeführer XXXX festgenommen worden. Nach dem fluchtauslösenden Ereignis befragt, gab er an, dass er sich in Lebensgefahr befunden habe und deshalb ausgereist sei. Der Erstbeschwerdeführer sei schon einmal entführt worden. Selbst, wenn man ihnen Geld bezahle, könnten sie einen holen, weil sie Geld damit verdienen würden. Der Erstbeschwerdeführer sei nach der der Freilassung nicht nach Hause gefahren, sondern habe sich zu seiner Schwester, die in XXXX wohne, begeben. Als der Erstbeschwerdeführer den fünften Tag bei seiner Schwester gewesen sei, habe sein Vater angerufen und mitgeteilt, dass eine Hausdurchsuchung stattgefunden habe und nach dem Erstbeschwerdeführer gesucht worden sei. Es seien drei maskierte und zwei unmaskierte Personen gekommen, wobei der Erstbeschwerdeführer annehme, dass diese XXXX gewesen seien. Während der Festnahme sei der Erstbeschwerdeführer von einem Slawen, namens XXXX verhört worden. Diese Leute hätten gewollt, dass er einen Anschlag auf einen XXXX auf sich nehme. Nachgefragt, was sich auf der CD befinde, gab der Erstbeschwerdeführer an, dass darauf eine Demonstration von XXXX ersichtlich sei, an der er teilgenommen habe. Man könne auch den Erstbeschwerdeführer am Video erkennen. Damals hätten mehrere Personen Videos mit dem Mobiltelefon aufgenommen; der Erstbeschwerdeführer habe dieses dann im Internet gefunden und wisse daher nicht, wer es aufgenommen habe.

Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2014 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 03.10.2012 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihnen gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde darin ausgeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Erstbeschwerdeführerin in Dagestan mehrfach von Polizisten, XXXX und von maskierten Männern (möglicherweise XXXX ) festgenommen und misshandelt worden sei. (Grund: Dem Erstbeschwerdeführer sei unterstellt worden, ein Wahabite zu sein). Es haben keine stichhaltigen Gründe festgestellt werden können, die gegen eine Rückkehr der Beschwerdeführer in die Russische Föderation sprechen würden.

Gegen diese Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und die Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften im vollen Umfang angefochten. Zunächst wurde moniert, dass das BVwG die Beweiswürdigung der erstinstanzlichen Behörde im vorliegenden Fall als oberflächlich und unzureichend begründet erachtet habe und die Begründung in den zu bekämpfenden Bescheiden lediglich um einige Sätze erweitert worden sei, die wesentliche Argumentation jedoch gleichgeblieben sei. Anders als das BFA davon ausgehe, seien die Schilderungen der Beschwerdeführer durchaus nachvollziehbar. Es handle sich lediglich um kleinere Ungereimtheiten und um keine groben Widersprüche. Die Beweiswürdigung des BFA sei darüber hinaus nicht schlüssig, weil die belangte Behörde in ihren Länderberichten die allgemeine schlechte Sicherheitslage in Dagestan feststelle, dann jedoch in der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt II. keine Anhaltspunkte für eine Art 3 EMRK Verletzung bei der Rückkehr der Beschwerdeführer nach Dagestan sehe. Auch habe die belangte Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt, weil sie weitere Unklarheiten betreffend das Fluchtvorbringen gleich hätte aufklären können. Beispielsweise habe es das Bundesamt gänzlich unterlassen, Recherchen zur vom Erstbeschwerdeführer vorgebrachten Massenschlägerei in der Moschee in XXXX am XXXX anzustellen, dies obwohl dies in dem zurückverweisenden Erkenntnis des BVwG gefordert worden sei. Für den Fall, dass die Anwesenheit des Erstbeschwerdeführers während der Massenschlägerei in der Moschee in XXXX am XXXX angezweifelt werde, stelle dieser abermals einen Antrag auf zeugenschaftliche Einvernahme des XXXX , der die Anwesenheit des Erstbeschwerdeführers an dem besagten Tag in der Moschee bestätigen könne. Wie aktuelle Länderberichte bestätigen würden, komme es in der Russischen Föderation bis heute zu willkürlichen Festnahmen und der Registrierung von Moschee-Besuchern in Dagestan. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe den Beschwerdeführern als erkennbare Kaukasier und Anhänger der muslimischen Glaubensgemeinschaft, nicht zur Verfügung und seien zu den von den Beschwerdeführern angeführten Problemen in Moskau keinerlei Länderfeststellungen getroffen worden. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und teilweise unrichtig. Sie würden zwar allgemeine Aussagen enthalten, sich jedoch nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer befassen und seien dadurch als Begründung zur Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz unzureichend. Die Beschwerdeführer führten in der Beschwerde einige Artikel an, die das aktuelle willkürliche Vorgehen der Behörden in Dagestan bestätigen würden. Auch wurde vom Erstbeschwerdeführer auf einen ähnlich gelagerten Fall hingewiesen, in dem das BVwG erst unlängst aufgrund der strengen muslimischen Religionsauffassung die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe. Zu Spruchpunkt I. wurde von den Beschwerdeführern festgehalten, dass diese ihr Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hätten, weil dem Erstbeschwerdeführer eine radikal islamische Gesinnung unterstellt worden sei. Der Erstbeschwerdeführer sei diesbezüglich bereits mehrmals von den Sicherheitskräften verhaftet worden, da er auf einer internen Liste für besonders religiöse Personen namentlich vermerkt worden sei. Zudem habe der Erstbeschwerdeführe an mehreren Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Behördenwillkür in Dagestan teilgenommen. Da auch nicht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen sei, wäre den Beschwerdeführern internationaler Schutz gemäß § 3 AsylG zu gewähren gewesen. Bezüglich Spruchpunkt II. wurde von den Beschwerdeführern ausgeführt, dass den Beschwerdeführern aufgrund der Sicherheitslage in Dagestan zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen wäre. Eine angemessene Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer sowie der aktuellen Situation in der Russischen Föderation bzw in Dagestan sei im vorliegenden Fall unterblieben. In Bezug auf Spruchpunkt III. brachten die Beschwerdeführer vor, sehr bemüht zu sein, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren, bereits mehrere Deutschkurse besucht zu haben und auch sehr bemüht zu sei, am österreichischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Aufgrund der mangelhaften Ermittlung des Sachverhaltes wurde von den Beschwerdeführern die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.

Am 23.04.2018 wurde der Drittbeschwerdeführer im Bundesgebiet geboren.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2018 wurde dessen Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.07.2018 brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass gegen ihn in Dagestan ein Strafverfahren laufe; das Interpol Verfahren sei jedoch eingestellt worden. Er wisse von dem Verfahren, weil sein Vater mehrmals vom Untersuchungsbeamten aufgesucht worden sei.

Dazu legte der Erstbeschwerdeführer Dokumente in russischer Sprache vor, welche auch in seinem Auslieferungsverfahren vor dem LG XXXX vorgelegt wurden.

Die Dolmetscherin übersetzt die Passage im Urteil den Cousin des Erstbeschwerdeführers betreffend, wonach der Erstbeschwerdeführer sich verabredet habe, um Herrn XXXX einen schweren Gesundheitsschaden zuzufügen. Damit sei der Tatbestand des § 111 des Strafgesetzes der Russischen Föderation erfüllt.

Weiters schilderte der Beschwerdeführer in der Verhandlung den Vorfall bezüglich seines verlorenen Führerscheins und der ihm untergeschobenen Granate.

In der Verhandlung wurde Einsicht genommen in die vom Erstbeschwerdeführer vorgelegte DVD und vom Richter festgestellt, dass darauf der Erstbeschwerdeführer als Demonstrationsteilnehmer zu sehen ist.

Anlässlich der Verhandlung wurde auch der von den Beschwerdeführern zur Verhandlung stellig gemachte Zeuge einvernommen, welcher zwar vom Vorfall in der Moschee XXXX berichtete, er jedoch angab, erst nach der Schlägerei zur Moschee gekommen zu sein. Der Zeuge gab auch an, den Erstbeschwerdeführer bei diesem Vorfall nicht gesehen zu haben.

Die Rechtsvertretung der Beschwerdeführer brachte in der Verhandlung folgendes vor:

"Dem Erstbeschwerdeführers droht in Dagestan die Verfolgung durch staatliche Behörden. Wie bereits in der Stellungnahme gegen das Auslieferungsbegehren ausgeführt, wird ihm aufgrund seiner Verfolgung einer Straftat angedichtet. Es wird zusätzlich auf eine ACCORD Anfragebeantwortung vom Mai 2018 verwiesen. Dort wird angeführt, dass es nach wie vor zu willkürlichen Festnahmen von Salafisten kommt. Es kommt zu Massenverhaftungen in Moscheen, die mit salafistischen Strömungen in Verbindung gebracht werden. Die Registrierung der Personen auf dieser Liste bleibt bis 2060 bestehen. Auch die BFA-Staatendokumentation vom 21. Juli 2017 beschreibt, dass Anhänger des Salafismus mit Aufständischen gleichgesetzt werden. Die Polizei stellt Salafisten auf spezielle Beobachtungslisten, sperrt sie wiederholt ein, befragt sie, unternimmt Razzien in salafistischen Moscheen und es gab viele Verhaftungen von Gläubigen. Es wird auch ausgeführt, dass gegen vermeintliche Extremisten hart vorgegangen wird (darunter zählen auch vermeintlich salafistische Muslime). Generell sind die Sicherheitsbehörden in Dagestan der Ansicht, dass in salafistischen Moscheen IS-Anhänger rekrutiert werden. Russischen Sicherheitskräften werden bei der Durchführung von Anti-Terror-Operationen schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch genannten Namen, sind Staatsbürger der Russischen Föderation mit moslemischer Religionszugehörigkeit aus Dagestan.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers.

Die Fluchtgründe der Beschwerdeführer gründen sich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers.

Dass der Erstbeschwerdeführer einer puristisch-traditionalistischen bzw. ultrakonservativen Richtung des neuzeitlichen sunnitischen Islams angehört, konnte nicht festgestellt werden. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben im Verfahren mehrere Zeugnisse österreichischer Schulen und zwei Sprachzertifikate B2 zum Zeichen ihrer Integration in Österreich vorgelegt.

Am XXXX kam es in der zentralen Moschee in XXXX zu einer Massenschlägerei. Dem Erstbeschwerdeführer wurde dabei von hinten auf den Kopf geschlagen, sodass er bewusstlos wurde. Die einschreitende Polizei nahm u.a. den Erstbeschwerdeführer fest. Nach 15 Tagen Haft wurde er gegen Bezahlung von 300.000 Rubel freigelassen. Seitdem ist er bei den Sicherheitsbehörden als mutmaßlicher Wahabit registriert.

Am 04.08.2008 kamen uniformierte Männer in die Garage des Erstbeschwerdeführer und wollten ihm eine Granate unterschieben. Der Erstbeschwerdeführer wurde zur Polizeistation gebracht und gegen Bezahlung von 500.000 Rubel wieder freigelassen.

Danach verließen der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin XXXX und waren bis 2011 in Moskau aufhältig. Dort wurden sie Opfer rassistischer Übergriffe.

Im Juli 2011 kehrten Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin nach Dagestan zurück. Am XXXX wurde der Erstbeschwerdeführer von unbekannten Personen verschleppt. Es wurde ihm in Verhören vorgeworfen, dass er einen Anschlag auf einen XXXX plane, da er in dessen Nähe auf dem Dach eines fünfgeschossigen Hauses gearbeitet und dort seinen Führerschein verloren hatte. Weiters wurde ihm die Teilnahme an Demonstrationen vorgeworfen.

Der Erstbeschwerdeführer nahm zumindest an einer Demonstration in XXXX im XXXX wegen Verletzung der Menschenrechte in Dagestan teil.

Vor der Abreise hielt sich der Erstbeschwerdeführer bei seiner Schwester versteckt auf. Nachdem maskierte Personen zu seinem Elternhaus gekommen und nach ihm gefragt hatten, verließen Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin die Russische Föderation. Der Erstbeschwerdeführer wurde insgesamt siebenmal festgenommen.

Gegen den Erstbeschwerdeführer läuft in der Russischen Föderation ein Strafverfahren wegen XXXX . Das diesbezügliche Auslieferungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft XXXX mit Verfügung vom XXXX eingestellt.

Zur Lage in Dagestan wird festgestellt:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Russischen Föderation vom 21.07.2017:

Die Sicherheitslage in Dagestan bleibt instabil. Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Diese reichen von der internen Vertreibung von Personen, der Zerstörung von Häusern von Zivilisten, über exzessive Gewaltanwendung bis hin zu Folter und dem Verschwindenlassen von Personen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der Bevölkerung. Russische Sicherheitskräfte haben in Dagestan bis zum zweiten Quartal 2016 bereits fünf Imame verhaftet, die dem Salafismus anhängen sollen. Laut Sichtweise der Sicherheitsdienste sollen ihre Moscheen als Rekrutierungsstätten für IS-Anhänger dienen, ein Großteil der gläubigen Muslime sieht darin Schikanen der föderalen Strukturen. Fast täglich kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Extremisten. Letztere gehörten bis vor kurzem primär zum 2007 gegründeten sogenannten Kaukasus-Emirat, bekunden jedoch vermehrt ihre Loyalität gegenüber dem IS. Die Anhänger des Emirats beanspruchen, den "wahren Islam" in der Region zu vertreten. Die Vertreter des sog. "traditionellen" Islam werden als korrupt angesehen und stehen im Verdacht, der Regierung in Moskau bzw. ihren Repräsentanten in der Region untertan zu sein. Die Erfolge des IS in Syrien und im Irak haben eine starke Anziehungskraft auf die Anhänger des Kaukasus-Emirats - einerseits wandern sie vermehrt in den Nahen Osten ab, um an der Seite des IS zu kämpfen, andererseits haben seit Jahresbeginn 2015 mehrere Kommandeure des Emirats ihre Loyalität gegenüber dem IS in Videos proklamiert. Im Juni 2015 gab der IS die Gründung des sog. Vilayat Kavkaz bekannt. Operativ ist der IS im Nordkaukasus bislang in eher geringem Umfang in Erscheinung getreten. Einige Angriffe auf Polizisten bzw. Polizeieinrichtungen wurden unter dem Deckmantel des IS ausgeführt; im Dezember 2015 bekannte sich der IS zu einem Anschlag auf eine historische Festung in Derbent. Es bleibt abzuwarten, ob der IS tatsächlich militärische und finanzielle Ressourcen verschieben wird, um im Nordkaukasus operativ tätig zu werden, oder ob der IS das "Vilayat Kavkaz" v.a. zu Propagandazwecken nutzen wird, um seinen globalen Einfluss zu unterstreichen. Die russischen Behörden zeigen sich jedenfalls alarmiert aufgrund dieser Entwicklung (ÖB Moskau 12.2016).

Angesteckt durch die Konflikte in Tschetschenien, hat sich die Sicherheitslage im multiethnischen Dagestan in den letzten Jahren deutlich verschlechtert und bleibt sehr angespannt. Islamistischer Extremismus, Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans, Korruption und organisierte Kriminalität führen zu anhaltender Gewalt und Gegengewalt. Die beinahe täglichen Anschläge von Rebellen richten sich gezielt gegen Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen, politische Führungskader, Polizeipatrouillen, Bahnlinien, Gas- und Stromleitungen und öffentliche Gebäude. Die Behörden gehen mit harter Repression gegen Rebellen und deren vermeintliche Anhänger in der Bevölkerung vor (AA 5.1.2016).

Gemäß verschiedenen Quellen ist Dagestan aktuell das Zentrum der Gewalt im Nordkaukasus. Sicherheitskräfte werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter illegale Inhaftierungen, gewaltsame Entführungen, außergerichtliche Tötungen, manipulierte Strafprozesse und Folter (SFH 25.7.2014).

2016 gab es in Dagestan 204 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2015:

153; 2014: 293), davon 140 Tote und 64 Verwundete (Caucasian Knot 2.2.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-

Caucasian Knot (2.2.2017): Statistics of victims in Northern Caucasus for 2016, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/38325/, Zugriff 18.7.2017

-

ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

-

SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland:

Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,

http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf, Zugriff 18.7.2017

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, 16. Mai 2018:

1. Allgemeine Übersicht

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. In der Republik leben drei Dutzend autochthone Nationalitäten, wodurch Dagestan das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus ist (SWP, April 2015, S. 5-6). Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung sind MuslimInnen, 97 Prozent sind SunnitInnen und drei Prozent sind SchiitInnen. Der im Kaukasus seit Langem praktizierte Sufismus ist in Dagestan tief verwurzelt (HRW, 18. Juni 2015, S. 14)[ii].

1.1. Religiöser Konflikt

Der Islam spielt in Dagestan eine große Rolle. Bis heute sind die meisten BewohnerInnen Dagestans AnhängerInnen verschiedener sufistischer Bruderschaften (Tariqas). Ab den 1990er Jahren fand in Dagestan eine neue religiöse Strömung Verbreitung - der Salafismus (Memorial, 4. September 2012, S. 8)[iii]. Die meisten MuslimInnen in Dagestan hängen einer Form des Islam an, die als traditionell wahrgenommen wird, da sie eng mit den lokalen Bräuchen, Praktiken und Ansichten verwoben ist. Die traditionellen MuslimInnen sind besser als die SalafistInnen in das säkulare System eingebunden und erkennen dessen Institutionen und Gesetze an. Ihre religiösen Gremien sind zu halbstaatlichen Einrichtungen geworden. (ICG, 19. Oktober 2012, S. 2) [iv]

Die SalafistInnen, die oftmals unkorrekt als WahhabitInnen bezeichnet werden, befürworten eine wörtliche Auslegung des Korans, lehnen Heilige sowie religiöse Lehrer ab und treten gegen eine Vermischung des Islam mit lokalen Traditionen ein. In den 1990er Jahren wurde der damals noch nicht bewaffnete Konflikt in Dagestan sowohl innerhalb der islamischen Gemeinschaften als auch zwischen den Vertretern der Geistlichkeit ausgetragen. Gleichzeitig nahm der Druck auf die SalafistInnen von Seiten des Staates zu (Memorial, 4. September 2012, S. 8-9). Gegen Ende der 1990er Jahre verbreitete sich der Salafismus in ganz Dagestan, wodurch es zum religiösen Konflikt zwischen Sufis und SalafistInnen kam. Ende 1996 äußerten sich die offiziellen, von sunnitischen Führern dominierten religiösen Institutionen offen feindselig gegenüber AnhängerInnen des Salafismus. Said Muhammad Hadschi Abubakarow, der damalige Leiter der regierungsfreundlichen Geistlichen Verwaltung der MuslimInnen, sagte damals bei einer Rede, dass jeder Muslim, der einen Wahhabiten töte, ins Paradies komme (HRW, 18. Juni 2015, S. 15).

Am 7. August 1999 fielen 1.500 bis 2.000 bewaffnete Araber, Tschetschenen und Dagestaner von Tschetschenien aus nach Dagestan ein. Im September desselben Jahres begannen die Behörden Personen zu verfolgen, die verdächtigt wurden, an dem Einfall beteiligt gewesen zu sein oder ihn unterstützt zu haben. Dies war der Beginn eines konzertierten, jahrelangen breit angelegten Vorgehens gegen mutmaßliche islamistische ExtremistInnen (HRW, 18. Juni 2015, S. 16). Die dagestanische Volksversammlung verabschiedete 1999 ein Gesetz zum "Verbot von wahhabitischer oder anderer extremistischer Tätigkeiten auf dem Gebiet der Republik Dagestan". Allerdings enthält dieses Gesetz keine genaue Definition von Wahhabismus und Extremismus. Es wurde praktisch jeder, der nach der Einschätzung der Strafverfolgungsbehörden ein Anhänger des Wahhabismus sein konnte, zum Opfer von polizeilicher Willkür. Der Kampf gegen den Terrorismus verwandelte sich in einen Kampf gegen AnhängerInnen des Wahhabismus (Memorial, 4. September 2012, S. 9-10).

Ab dem Beginn des Zweiten Tschetschenienkriegs 1999 unterschieden die dagestanischen Behörden fast zehn Jahre lang nicht zwischen moderaten und radikalen, gewaltorientierten SalafistInnen, was dazu beitrug, die gesamte Gemeinschaft zu radikalisieren (ICG, 19. Oktober 2012, S. 9). 20 Prozent der Jugendlichen gaben bei einer Umfrage in Dagestan 2011 an, moderate SalafistInnen zu sein. Nur zehn Prozent der Befragten gaben an, AnhängerInnen des Sufismus zu sein. Zwölf Prozent befürworteten die radikalen Methoden der Rebellen im Nordkaukasus (Jamestown Foundation, 14. Dezember 2011)[v].

Im Frühling und Sommer 2012 wurde ein Dialog zwischen den Sufis und den SalafistInnen gestartet (Memorial, 4. September 2012, S. 5). Die Aufständischen in Dagestan haben jedoch kein Interesse an einem Dialog und versuchen, diesen durch terroristische Angriffe zu untergraben. Auch die Sicherheitsbehörden stören den Prozess mit ihrem Vorgehen. Der Dialog stand mit der Ermordung von Scheich Said Afandi im August 2012, dem einflussreichsten Scheich im Nordkaukasus, kurz vor dem Ende. Moderate salafistische Organisationen verurteilten den Anschlag und riefen zu einer Fortsetzung des Dialogs auf, woraufhin deren Anführer von Rebellen bedroht wurden. Doku Umarow, der Anführer des Kaukasus-Emirats, veröffentlichte ein Video, in dem er versicherte, dass Sufis, die nicht mit den Behörden kooperierten, "Brüder im Islam" seien. Er lud sie ein, sich dem Dschihad anzuschließen (ICG, 19. Oktober 2012, S. 3-12). Laut Bernhard Clasen, einem freien Journalisten, kam unter dem neuen dagestanischen Oberhaupt Ramasan Abdulatipow der zwischen den traditionellen SunnitInnen und den gemäßigten SalafistInnen begonnene Dialog zum Erliegen und wurde durch staatliche Repressionen abgelöst (AI, Oktober 2013)[vi].

Ende 2013 wurden im Nordkaukasus im Bereich der Sicherheitspolitik härtere Maßnahmen ergriffen. Die Strafverfolgungsbehörden in Dagestan verstärkten ihre Anstrengungen zur Kontrolle der salafistischen Gemeinschaften. Die Polizei begann damit, SalafistInnen festzunehmen, zu fotografieren, zu befragen, von ihnen Fingerabdrücke zu nehmen und sie auf "Extremisten"-Beobachtungslisten zu setzen, ein Vorgehen, das umgangssprachlich unter dem Ausdruck "Wahhabiten-Registrierung" bekannt ist (HRW, 18. Juni 2015, S. 42). Die Aktivitäten von SalafistInnen in Dagestan wurden in den Untergrund gedrängt. Es kam zur Schikanierung moderater Anführer der SalafistInnen, woraufhin einige von ihnen Dagestan verließen und man die von ihnen initiierten Projekte beendete. Die salafistische Menschenrechtsgruppe Prawosaschtschita (Rechtsschutz) wurde zum Ziel von Angriffen, ihre Führungspersonen wurden inhaftiert oder unter Überwachung gestellt und die Wohnungen von AktivistInnen wurden durchsucht. Seit Ende des Jahres 2013 wurde eine große Anzahl SalafistInnen in Cafés, Moscheen und ihren eigenen Wohnungen festgenommen. Festnahmen von Männern mit Bärten und Frauen, die einen Hidschab tragen, sind inzwischen alltäglich geworden. Diese Personen werden üblicherweise befragt und nach Überprüfung der Ausweispapiere und Abnahme von Fingerabdrücken wieder freigelassen. Ramasan Abdulatipow, das dagestanische Oberhaupt, hat die Bildung von Bürgerwehren zur Bekämpfung des Extremismus angeregt. In manchen Fällen bestanden diese aus Sufis, die Berichten zufolge an Vorfällen interkonfessioneller Gewalt beteiligt waren (ICG, 30. Jänner 2014, S. 7-8).

Massenverhaftungen von Muslimen in Moscheen sind zum Kennzeichen der Regierung von Ramasan Abdulatipow geworden. Einige ExpertInnen weisen jedoch darauf hin, dass die Massenverhaftungen dazu dienen, bestimmte Gruppen von Muslimen zu schikanieren, und ein Rückschritt sind in Bezug auf den Dialog zwischen religiösen Gruppen. Achmet Jarlykapow, ein in Moskau ansässiger Experte dagestanischer Herkunft, gibt an, dass sich bis zu 50 Prozent der MuslimInnen Dagestans nicht der offiziellen Geistlichen Verwaltung der MuslimInnen von Dagestan, die von Sufis dominiert sei, unterordnen. Jarlykapow ist der Ansicht, dass die gegen die SalafistInnen gerichtete Politik der Regierung diese dazu bringen könnte, in den Untergrund zu gehen. (Jamestown Foundation, 19. Mai 2015)

Die salafistische Ideologie wird auch weiterhin junge Leute anziehen, die die Lehren dieser religiösen Strömung als den einzigen Weg ansehen, sich den lokalen Behörden zu widersetzen, die von Moskau kontrolliert werden. Die Autorität des Sufismus ist wegen dessen enger Zusammenarbeit mit den Behörden unterminiert. Es besteht eine direkte Verbindung zwischen dem Autoritätsverlust der Sufis und der Hinwendung der Jugendlichen zu den SalafistInnen. (Jamestown Foundation, 10. Jänner 2013)

Massenverhaftungen von BesucherInnen von Moscheen, die mit der salafistischen Strömung in Verbindung gebracht werden sind in Dagestan Routine geworden. So wurden etwa im Juli in bis zu 50 Besucher einer Moschee in Machatschkala verhaftet, einen Monat zuvor waren bis zu 80 Besucher verhaftet worden. Die meisten der Verhafteten wiesen von der Polizei ausgestellte Dokumente vor, die darauf hindeuteten, dass sie zuvor auf die Liste des Innenministeriums für Kontrolle und Prävention gesetzt worden waren. Dennoch wurden die Personen "zur Identifikation" verhaftet. Die Behörden wenden unterschiedliche Methoden der Schikanierung an, darunter Massenverhaftungen von Gläubigen beim Verlassen der Moscheen. Manchmal betreten Polizisten Moscheen, installieren Videokameras und weisen jeden an, Name, Nachname und Adresse in die Kamera zu sagen. Laut Dagestans Innenministerium wurden durch diese Methoden der Polizei 20.000 AnhängerInnen des Salafismus registriert. Die Zahl könnte jedoch auch höher sein und erklärt, warum Dagestan weiterhin einer der Hotspots des Aufstands in Südrussland ist. Allerdings werden nicht nur Erwachsene auf die Liste für Prävention gesetzt, sondern auch Kinder, die zum Teil erst zwei Jahre alt sind. Die Registrierung der Personen bleibt bis 2060 bestehen, also für einen Zeitraum von 40 bis 45 Jahren. Die Strategie der Polizei wird wahrscheinlich nicht dazu beitragen, die Spannungen zwischen den Sufis und SalafistInnen in Dagestan zu verringern. In den Jahren 2014 und 2015 sind viele prominente Anführer der SalafistInnen aus Dagestan geflohen. Mit dem zunehmenden Druck auf die SalafistInnen werden diese sich verstärkt den Bewegungen im Untergrund anschließen, was zu einer Eskalation des Konflikts in Dagestan führen wird. (Jamestown Foundation, 29. Juli 2016)

2. Aufstand in Dagestan

2.1. Entwicklung des Aufstandes

Der islamistische Aufstand in Dagestan begann Mitte der 1990er Jahre, als sich Verbindungen zwischen tschetschenischen separatistischen Kriegsherren und der salafistischen Gemeinschaft Dagestans entwickelten. Die Idee des Dschihads kann in Dagestan bis ins Jahr 1992 zurückverfolgt werden, als Bagautdin Kebedow, auch bekannt als Bagautdin Magomedow, eine Koranschule in Kisiljurt gründete. 1996 rief er explizit zum Krieg gegen die "Ungläubigen" auf. Von 1997 bis 1999, zwischen den beiden Tschetschenienkriegen, fuhren Islamisten zwischen Tschetschenien und Dagestan hin und her. Am 7. August 1999 fielen Kämpfer mit engen Verbindungen zu Magomedow mit 1.500 bis 2.000 Mann in Dagestan ein, vermutlich um Karamachi und Tschabanmachi, die sich unter dem Einfluss von Magomedow selbst zu "Scharia-Ministaaten" erklärt hatten, zu unterstützen. Russische Truppen schlugen die Kämpfer zurück und starteten einen Monat später eine groß angelegte Militäroperation in Tschetschenien, die sich zum zweiten Tschetschenienkrieg entwickelte. Nach diesen Ereignissen blieb Dagestan ein instabiler Schauplatz des Aufstands. Im September 1999 begannen die Behörden gegen Personen vorzugehen, die verdächtigt wurden, an dem Einfall in Dagestan beteiligt gewesen zu sein oder ihn unterstützt zu haben, der Auftakt eines jahrelangen, breit angelegten Vorgehens gegen mutmaßliche islamistische ExtremistInnen. Hunderte Personen wurden verhaftet und nach Angaben von Memorial wurden viele von ihnen gefoltert. Entführungsähnliche Verhaftungen fanden ebenfalls Verbreitung. Die meisten der Verhafteten waren SalafistInnen. (HRW, 18. Juni 2015, S. 15-16)

In den Jahren 2010 bis 2012 wurde Dagestan zum Hauptschauplatz des Widerstandes im Nordkaukasus. Im Nordkaukasus weist die Republik die höchste Anzahl von wahhabitischen Gemeinschaften (Dschamaaten, auf Deutsch Gemeinschaften bzw. Gruppen) auf, die auf ihrem Gebiet aktiv sind. Zudem leben in Dagestan die meisten Personen, die sich mit islamischer Theologie befasst haben und der Idee eines umfassenden Dschihad anhängen. (Jamestown Foundation, 17. Mai 2012)

Mit der Ernennung von Magomedsalam Magomedow im Februar 2010 zum Präsidenten Dagestans wurde ein neuer Versuch unternommen, die Republik zu stabilisieren. Magomedow versprach ein neues Vorgehen im Kampf gegen den Aufstand und betonte die Notwendigkeit eines Dialogs und der garantierten Sicherheit für Kämpfer mit dem Wunsch, zu einem "normalen menschlichen Leben" zurückzukehren. (HRW, 18. Juni 2015, S. 19)

Mitte März 2012 wurden massiv Truppen von Tschetschenien nach Dagestan verlagert, nach Angaben inoffizieller Quellen bis zu 25.000 Mann (CACI, 4. April 2012)[vii]. Im Oktober 2012 gab es weitere Truppenverlegungen nach Dagestan, da der Erfolg der zuvor nach Dagestan verlegten Einheiten sehr beschränkt war. Zudem stieg die Anzahl der getöteten Truppenmitglieder stetig (CACI, 14. November 2012, S. 3).

Magomedsalam Magomedow wurde im Jänner 2013 von Ramasan Abdulatipow als Oberhaupt Dagestans abgelöst. Eine eindeutig härtere Strategie der Aufstandsbekämpfung fiel mit dem im Juni 2013 veröffentlichten Aufruf von Doku Umarow, dem Anführer des Kaukasus-Emirats, zusammen, mit "maximaler Kraft" zu versuchen, ein Stattfinden der Olympischen Spiele in Sotschi im Jahr 2014 zu verhindern. Die dagestanischen Behörden stellten Bemühungen ein, Beziehungen zu nicht gewalttätigen SalafistInnen zu fördern und letztere zu integrieren, und gingen stattdessen rigoros gegen salafistische Gemeinschaften vor. (HRW, 18. Juni 2015, S. 21)

Die Hoffnungen auf eine Verbesserung der Sicherheitslage in Dagestan zerstreuten sich mit den häufiger werdenden Angriffen langsam. Das härtere Vorgehen der Regierung führte offenbar zu wütenderen Angriffen der Aufständischen, die wiederum die Gründung neuer, gegen die Aufständischen gerichteter Dschamaate (Gruppen) zum Rächen von Opfern terroristischer Anschläge zur Folge hatten. (CACI, 12. Juni 2013)

Im Oktober 2013 wurden nach einem Selbstmordanschlag in Dagestan die Regierungstruppen in den Berggebieten deutlich verstärkt, um die sich verschlechternde Sicherheitslage zu verbessern. (Jamestown Foundation, 28. Oktober 2013)

Rückblickend war Dagestan 2013 nach wie vor das Zentrum der Gewalt im Nordkaukasus. Es gab im Laufe des Jahres viele bewaffnete Auseinandersetzungen, Vorfälle mit unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen, Tötungen von AmtsträgerInnen und Angriffe auf Geschäfte, in denen Alkohol verkauft wurde. Zudem wurde mutmaßlich eine beträchtliche Anzahl an Menschenrechtsverletzungen seitens der Sicherheitskräfte verübt, darunter illegale Inhaftierungen, Fälle von Verschwindenlassen, außergerichtliche Tötungen, manipulierte Strafprozesse und Folter (ICG, 30. Jänner 2014, S. 21). Die Zahl der Opfer im Jahr 2013 sank im Nordkaukasus im Vergleich zum Vorjahr insgesamt um 19,5 Prozent. Die etwas gesunkenen, aber russlandweit höchsten Opferzahlen wurden mit 341 Toten und 300 Verletzten in Dagestan registriert (Caucasian Knot, 31. Jänner 2014)[viii].

2014 waren fast 70 Prozent aller Anschläge und Opfer im Nordkaukasus Dagestan zuzuordnen. Auch das Machtzentrum des Aufstands verlagerte sich nach Dagestan, da der dagestanische Emir Aliaschab Kebekow, auch bekannt als Abu Muhammad, die Nachfolge von Doku Umarow nach dessen Tod im September 2013 als Anführer des Kaukasus-Emirats antrat. Aliaschab Kebekow (Abu Muhammad) brachte seine Unterstützung für den Anführer von al-Qaida zum Ausdruck, was ihn in Opposition zur Führung des Islamischen Staates (IS) und jenen Personen aus dem Nordkaukasus brachte, die unter der Führung des IS kämpfen (Jamestown Foundation, 9. Jänner 2015). Insgesamt gesehen gab es 2014 einen dramatischen Rückgang bei der Anzahl der Opfer im Nordkaukasus. Dagestan war in Bezug auf die Opferzahlen nach wie vor an erster Stelle, abgesehen vom vierten Quartal 2014, wo es von Tschetschenien überholt wurde. Insgesamt ging die Anzahl der Opfer in Dagestan aber im Jahr 2014 um 54,3 Prozent zurück und belief sich auf 208 getötete Personen und 85 Verletzte (Caucasian Knot, 31. Jänner 2015).

Aus den Aktionen der Aufständischen im Februar und Anfang März 2015 kann geschlossen werden, dass größere Umgruppierungen innerhalb des dagestanischen Dschamaats stattgefunden haben. Nach Klärung der Fragen bezüglich Führung und Unterordnung nahmen die Aufständischen die Angriffe auf Regierungskräfte wieder auf. (Jamestown Foundation, 13. März 2015)

Im April 2015 wurde der Anführer des Kaukasus-Emirats, Aliaschab Kebekow (Abu Muhammad), bei einem Sondereinsatz der russischen Sicherheitskräfte im Rajon Bujnaksk getötet. Sein Tod fiel in eine Zeit, da die Dschihadisten aus dem Nordkaukasus stark an Bedeutung verloren hatten und die Bewegung sich immer weiter spaltete, weil sich mehr und mehr Kämpfer und Anführer der Aufständischen dem IS zuwandten. (CACI, 29. April 2015)

Im Mai 2015 wurde Magomed Suleimanow, auch bekannt als Abu Usman aus Gimry, ein Scharia-Richter der Aufständischen und Rebellenführer aus Dagestan, zum neuen Anführer des Kaukasus-Emirats ernannt. (Caucasian Knot, 28. Mai 2015)

Im Juni 2015 wurde über die Ernennung von Rustam Asilderow, auch bekannt als Abu Muchammad, zum Anführer des IS im Nordkaukasus informiert. Am 21. Juni wurde auf dem Videoportal YouTube eine Nachricht veröffentlicht, dass Rebellen aus vier Wilajaten (Provinzen) des Kaukasus-Emirats Abu Bakr al-Baghdadi, dem Anführer des IS, die Treue geschworen haben. Der IS akzeptierte den Schwur und verkündete die Gründung einer Untergruppe in dem Gebiet. (Caucasian Knot, 25. Juni 2015)

Ein einziger Emir aus der Gruppe des getöteten Anführers des Kaukasus-Emirats schwor dem Emirat die Treue. Es handelt sich um Kamil Saidow, auch bekannt als Said Abu Muhammad Arakanskij, den Emir von Dagestan. (Jamestown Foundation, 9. Juli 2015)

Trotz aller Rückschläge begann das Kaukasus-Emirat neue militärische Strukturen in Dagestan aufzubauen. Mitte August 2015 verlor das Emirat jedoch drei seiner hochrangigsten Kommandanten, darunter erneut seinen Anführer, Magomed Suleimanow ( Abu Usman aus Gimry). (Jamestown Foundation, 14. August 2015)

Das dagestanische Oberhaupt Ramasan Abdulatipow sprach im August 2015 von einem drastischen Rückgang der Anzahl der Angriffe durch Rebellen in Dagestan im Jahr 2014. Russische Statistiken zeigten jedoch, dass die Angriffe in Dagestan tatsächlich im Steigen begriffen waren. Dagestanische ExpertInnen wiesen jedoch auf eine Reihe von Unregelmäßigkeiten bei Abdulatipows Berichten hin. Zudem deuteten die russischen Statistiken darauf hin, dass die Anzahl der mit Terrorismus in Verbindung stehenden Verbrechen in Dagestan in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist und Dagestan in dieser Hinsicht in Russland seit mindestens 2011 an erster Stelle steht. 2011 wurden 220 derartige Verbrechen von der Staatsanwaltschaft dokumentiert, 2012 stieg die Zahl auf 295, 2013 waren es 365. 2014 wurden 472 derartige Verbrechen dokumentiert und in der ersten Jahreshälfte 2015 waren es bereits 352. (Jamestown Foundation, 16. September 2015)

Im Dezember 2015 gab der Innenminister von Dagestan an, dass viele Dagestaner zusammen mit ihren Familien und Kindern nach Syrien gegangen sind. Alle Männer, die nach Syrien ausgereist sind, wurden auf die Fahndungsliste gesetzt, so der Minister. Seinen Angaben zufolge gibt es aber auch ernstzunehmende Konfliktherde in Dagestan, derzeit vor allem in Süddagestan, unter anderem in den Rajonen Schamil, Chunsach, Zumada und Zuntin. (Caucasian Knot, 10. Dezember 2015)

Laut Caucasian Knot wurden mindestens 209 Menschen 2015 im Nordkaukasus getötet, davon etwa 135 in Dagestan. Der Grund für den starken Rückgang dürfte sein, dass sich seit 2015 immer mehr Kämpfer aus dem Nordkaukasus dem IS in Syrien und im Irak angeschlossen haben. (BAMF, 25. Jänner 2016, S.4)[ix]

Im Laufe des Jahres 2015 änderte Russland seine Einschätzung, was die vom IS ausgehende Gefahr anlangt. Dabei sind die Behörden nicht so sehr über die Anzahl der Personen besorgt, die nach Syrien gegangen sind und zurückkehren könnten, als über den möglichen Einfluss, den die Ideen des IS auf die 20 Millionen MuslimInnen in Russland ausüben könnten. Nach Angaben des dagestanischen Oberhauptes Ramasan Abdulatipow kämpfen 643 EinwohnerInnen Dagestans in den Reihen des IS. Der dagestanische Innenminister hatte die Zahl der vom IS rekrutierten Dagestaner im Dezember 2015 auf 900 geschätzt, was den Schluss nahelegt, dass Abdulatipow sich nur auf die Personen bezogen hat, deren aufständische Aktivitäten bestätigt wurden. (Jamestown Foundation, 8. Jänner 2016)

Im März 2016 wird berichtet, dass die russischen Behörden angeordnet haben, alle potenziellen ExtremistInnen, die nach Ansicht der Polizei und des Geheimdienstes einen Terroranschlag verüben könnten, zu registrieren. In Dagestan allein sollen die Behörden Berichten zufolge 14.000 Personen als potenzielle Extremisten registriert haben. Laut dagestanischem Generalstaatsanwalt wurden 15.000 Personen registriert, laut einem Mitglied des Menschenrechtsrates beim Präsidenten wurden in Dagestan etwa 100.000 Personen als unzuverlässig registriert. Die Schätzungen bezüglich der Anzahl der ExtremistInnen in Dagestan sind ziemlich hoch, insbesondere unter Berücksichtigung, dass es in der Republik 21.000 Polizisten gibt. (Jamestown Foundation, 24. März 2016)

Seit 2012 geht die Anzahl der Getöteten im Nordkaukasus zurück. Auch in Dagestan ist ein merklicher Rückgang der Opferzahlen zu verzeichnen, aber dennoch ist die Republik das Zentrum des Aufstands im Nordkaukasus. Nach Erkenntnissen von Caucasian Knot wurden im ersten Halbjahr 2016 in Dagestan 53 Personen getötet. (BAMF, 12. September 2016, S. 3-4)

Im Jahr 2016 gab es weiterhin bewaffnete Zusammenstöße zwischen islamistischen Aufständischen und den Strafverfolgungsbehörden im Nordkaukasus, insbesondere in Dagestan. Nach Angaben der Medien schlossen sich nach wie vor BewohnerInnen des Nordkaukasus dem IS an, andere wurden wegen mutmaßlicher Verbindungen zum IS verhaftet. Salafistische Gemeinschaften in Dagestan wurden streng kontrolliert und schikaniert, weil die Strafverfolgungsbehörden sie großteils mit Aufständischen oder deren Unterstützern gleichsetzten. Die Behörden setzten SalafistInnen auf Beobachtungslisten, verhafteten sie wiederholt und befragten viele von ihnen ohne speziellen Grund. Zudem wurden Razzien in salafistischen Moscheen und Massenverhaftungen von Gläubigen durchgeführt, mehrere Moscheen wurden im Laufe des Jahres geschlossen. (HRW, 12. Jänner 2017)

Auch laut dem amerikanischen Außenministerium setze sich die Gewalt im Nordkaukasus 2016 fort. Das Niveau der Gewalt in Dagestan war nach Angaben von MenschenrechtsaktivistInnen weiterhin hoch, wodurch die Republik weiterhin die gewaltreichste Region im Nordkaukasus blieb. Lokale Medien führten das Niveau der Gewalt auf Taktiken islamistischer Aufständischer sowie auf das starke organisierte Kriminalität in der Region zurück. (USDOS, 3. März 2017)[x]

Das BAMF meldet ebenfalls, dass sich in den vergangenen Jahren Hauptkonfliktzone von Tschetschenien weg in die Nachbarrepublik Dagestan verlagert hat. (BAMF, 13. Februar 2017, S. 6)

Im Februar 2017 wird über die Aufdeckung einer beachtlich großen Zelle der Gruppe Islamischer Staat (IS) in der Stadt Chassawjurt berichtet. Laut der Jamestown Foundation sind die Aktivitäten Aufständischer in Dagestan wieder im Ansteigen begriffen. Offiziellen dagestanisc

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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