TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/31 W237 1405993-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2018
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Entscheidungsdatum

31.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §53 Abs3 Z6
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 1405993-3/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2018, Zl. 780952405/180350049, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird betreffend die Spruchpunkte I., II. und VI. des angefochtenen Bescheids gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, iVm § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: AsylG 2005), § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: FPG), und § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: BFA-VG), sowie § 53 Abs. 3 Z 6 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird betreffend Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids stattgegeben und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 iVm § 50 FPG in die Russische Föderation unzulässig ist.

III. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids wird ersatzlos behoben.

IV. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt V. wird mit der Maßgabe abgewiesen, dass dieser zu lauten hat:

"Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste am 04.10.2008 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte einen Tag später einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 31.03.2009 wurde dieser Antrag vollinhaltlich ab- und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

Der Asylgerichtshof gab der Beschwerde gegen diesen Bescheid mit Erkenntnis vom 02.03.2011 statt und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zu; unter einem wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Begründend führte der Asylgerichtshof zusammengefasst aus, dass die drei älteren Brüder des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat verfolgt und bedroht worden seien und der Beschwerdeführer wegen deren Probleme zusammen mit seinen Brüdern seinen Herkunftsstaat verlassen habe.

2. Infolge einer polizeilichen Anzeige wurde am 20.08.2014 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten eingeleitet.

2.1. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung gemäß § 278b Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt. Die seit dem XXXX verbüßte Vorhaft wurde dabei auf die Haftdauer angerechnet.

Am XXXX wurde der Beschwerdeführer unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren unter Anordnung von Bewährungshilfe aus der Strafhaft entlassen.

2.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte mit dem Beschwerdeführer am 13.10.2015 eine niederschriftliche Einvernahme durch, in der er angab, an keinen gesundheitlichen Problemen zu leiden. Er lebe seit dem Jahr 2008 in Österreich und habe nach islamischem Recht im Jahr 2014 geheiratet; mit seiner Frau habe er eine gemeinsame Tochter. Derzeit "wohne" er noch in der Justizanstalt, davor habe er gemeinsam mit seiner Ehegattin und Tochter zusammengelebt. Nach Erwerbstätigkeiten befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er vor seiner Inhaftierung soziale Unterstützung bezogen habe. Nach seiner Haftentlassung werde er wieder bei seinen Eltern Unterkunft nehmen. Im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation befürchte er, zuerst verhört und im Anschluss getötet zu werden. Sein Bruder sei auf einer Liste von Rebellen gestanden und in Georgien an der Grenze zu Russland erschossen worden. Er habe eine Schwester in Tschetschenien, die über den Beschwerdeführer und dessen Brüder befragt worden sei. Die Schwester meide seither den Kontakt.

2.3. Mit Bescheid vom 18.11.2015 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den mit Erkenntnis vom 02.03.2011 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015, ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 leg.cit. fest, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Weiters erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 leg.cit den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation wurde gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 leg.cit. für unzulässig erklärt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 leg.cit. wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und führte begründend zusammengefasst aus, dass die Unterstützung einer terroristischen Organisation zweifelsohne ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Artikel 1 Abschnitt F der GFK darstelle. Durch seine Beteiligung an der Vereinigung IS-Islamic State und der in Angriff genommenen Ausreise aus Österreich nach Syrien habe sich der Beschwerdeführer eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht. Der Beschwerdeführer habe - wie im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX ersichtlich - Österreich am XXXX mit dem Ziel Syrien (jenes Gebiet, welches vom IS kontrolliert werde) verlassen, wobei er an der türkisch-syrischen Grenze von der türkischen Polizei festgenommen und nach Österreich abgeschoben worden sei. Am XXXX sei der Beschwerdeführer erneut aus Österreich mit dem Ziel Syrien ausgereist, jedoch an der rumänisch-bulgarischen Grenze zurückgewiesen worden. Am XXXX habe der Beschwerdeführer schließlich ein weiteres Mal versucht, nach Syrien auszureisen, sei jedoch am österreichischen Grenzübergang festgenommen worden. Durch den wiederholten Antritt der Reise nach den Anwerbungen habe der Beschwerdeführer unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, den IS in seinen terroristischen Zielen zu unterstützen und zu fördern. Im gegenständlichen Fall liege ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention (im Folgenden: GFK) vor, womit der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 2 leg.cit. erfüllt sei. Weiters ergebe sich ob der Verurteilung des Beschwerdeführers zweifelsfrei, dass er eine terroristische Vereinigung, konkret den IS-Islamic State, unterstützt habe, weshalb auch der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 3 leg.cit. gegeben sei. Weil ein in Art. 1 Abschnitt F GFK genannter Asylausschlussgrund vorliege, sei auch die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von Vornherein ausgeschlossen. Im Verfahren hätten sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, welche die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 leg.cit. rechtfertigen würden. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet werde gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 121/2015, geduldet.

2.4. Die gegen diese Entscheidung erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 14.04.2016 als vollinhaltlich unbegründet ab. Es stellte fest, dass der Beschwerdeführer die seiner strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Straftat begangen und am XXXX , XXXX und XXXX versucht habe, nach Syrien zu reisen, um sich dort am bewaffneten Kampf der Terrororganisation IS, durch logistische Unterstützungshandlungen, finanziell oder auf sonstige Art und Weise zu beteiligen. Er habe sich durch seine wissentliche Unterstützung der Terrororganisation IS eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Sinne des Art. 1 Abschnitt F GFK schuldig gemacht. Da "somit ein Aberkennungstatbestand nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005" vorliege, sei "der Entscheidung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nach § 8 Abs. 3a AsylG 2005 nicht entgegenzutreten". Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich in seiner Entscheidung den im Bescheid vom 18.11.2015 getroffenen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation an. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen erachtete das Bundesverwaltungsgericht als nicht gegeben.

3. In der Folge beantragte der Beschwerdeführer am 19.12.2016 die Ausstellung einer Duldungskarte gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016. Mit Aktenvermerk vom 31.05.2017 hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass die Voraussetzungen der genannten Bestimmung vorlägen und eine Karte für Geduldete unter Berufung auf diese Ziffer ausgestellt werde, weil die "Abschiebung in die Russische Föderation gem. § 8 Abs. 3a iVm. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig" sei. Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge wiederholt zur Abholung der Duldungskarte zur Behörde geladen, befolgte diese Ladungen allerdings nicht.

4.1. Am 24.05.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Dabei meinte er zunächst, er habe die Duldungskarte nicht abgeholt, weil er kein Geld habe und dieses Dokument nicht benötige; dies habe er auch seinem Bewährungshelfer mitgeteilt. Auf Vorhalt des bisherigen Verfahrensgangs und seiner strafgerichtlichen Verurteilung meinte der Beschwerdeführer, er habe niemandem etwas getan, was dieses Urteil rechtfertigen würde. Er sei nie in Syrien gewesen und habe in den zehn Jahren seines Aufenthalts in Österreich niemandem etwas getan. Seinen Bewährungsauflagen komme er nach, was sein Bewährungshelfer bezeugen könne. Über die Republik Österreich könne er nichts Schlechtes denken, weil man ihm hier geholfen habe. Er habe kein Naheverhältnis zum Islamischen Staat.

In Österreich habe er als Bauarbeiter gearbeitet, derzeit beziehe er Notstandshilfe vom Arbeitsmarktservice (AMS). Er habe die Zusage, dass er bei einer Maschinenbaufirma zu arbeiten beginnen könne; eine schriftliche Einstellungszusage könne er aber nicht vorlegen. In seinem Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer sieben Jahre die Grundschule besucht und keine weitere Ausbildung absolviert. Im Alter von 13 Jahren sei er nach Österreich gekommen, wo er zunächst ein Jahr die Hauptschule und sodann einen polytechnischen Lehrgang besucht habe.

Mit seiner nach islamischem Ritus geehelichten Frau, einer im August 1996 in Tschetschenien geborenen russischen Staatsangehörigen, habe eine Tochter und einen Sohn. Warum der Beschwerdeführer in der Geburtsurkunde seiner Tochter nicht als ihr Vater eingetragen sei, wisse er nicht. Pro Monat erhalte er 600,- Euro vom AMS, wovon er im Durchschnitt 200,- Euro seiner Frau gebe. Er lebe aber weder mit ihr noch den Kindern im gemeinsamen Haushalt, weil er zuerst eine Arbeit finden müsse. Derzeit wohne er zeitweise bei seiner Mutter und manchmal bei seinen älteren Brüdern, die als anerkannte Flüchtlinge in Österreich lebten. Ein dritter Bruder sei 2012 getötet worden:

Auch er sei in Österreich anerkannter Flüchtling gewesen, weil er in der Russischen Föderation gefoltert worden sei. Bei einem Besuch bei tschetschenischen Verwandten in Georgien sei er aber von der tschetschenischen Regierung getötet worden. Weiters habe er noch eine ältere Schwester, die in der Russischen Föderation lebe.

Der Beschwerdeführer gab auf entsprechende Befragung an, in Tschetschenien mit Sicherheit verfolgt zu werden. Schließlich sei auch sein Bruder in Georgien gefunden und umgebracht worden; man habe seine Schwester zudem mehrfach über den Beschwerdeführer befragt, weshalb sie immer wieder Probleme bekommen habe. Außerdem sei er in Österreich verurteilt worden, was ihm Probleme in seinem Herkunftsstaat brächte. Dem Beschwerdeführer wurde daraufhin vorgehalten, dass ihm laut Länderinformationsblatt der Staatendokumentation bei einer Rückkehr in die Russische Föderation keine generelle Verfolgung drohe und er innerhalb des Staatsgebiets volle Bewegungsfreiheit genieße. Die Einsicht in das Länderinformationsblatt lehnte der Beschwerdeführer ab. Ihm wurde weiters vorgehalten, dass er nach Ansicht des Bundesamts eine Gefährdung für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle. Der österreichische Staat habe ein gesteigertes Interesse daran, den Aufenthalt des Beschwerdeführers zu beenden, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung beabsichtigt sei; in diesem Zusammenhang sei auf näher angeführte Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) zu verweisen.

Der Beschwerdeführer weigerte sich daraufhin, weitere - auf die Erlangung eines Heimreisezertifikats gerichtete - Fragen zu beantworten.

4.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 30.05.2018 einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: AsylG 2005), nicht zu (Spruchpunkt I.), erließ im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: BFA-VG), eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: FPG), (Spruchpunkt II.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.); die Behörde erkannte einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.) und gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 3 Z 6 FPG wurde schließlich gegenüber dem Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.).

4.2.1. Begründend führte das Bundesamt aus, der Beschwerdeführer habe keiner der Ladungen zur Ausstellung einer Duldungskarte Folge geleistet. Da der Aufenthalt erst mit Ausstellung einer entsprechenden Karte als geduldet gelte, sei dem Beschwerdeführer die Duldung nicht zugekommen. Zudem sei er wegen einer schwerwiegenden Straftat verurteilt worden und stelle eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Es sei somit keine Voraussetzung des § 57 AsylG 2005 erfüllt, weshalb kein Aufenthaltstitel nach dieser Bestimmung zu erteilen sei.

4.2.2. Der Beschwerdeführer halte sich nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weshalb eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Dieser stehe auch das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK nicht entgegen: So werde durch eine Rückkehrentscheidung nicht in sein Familienleben eingegriffen, weil gegenüber der nach Aberkennung ihres Asylstatus illegal im Bundesgebiet befindlichen Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ebenfalls ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung anhängig sei. Hinsichtlich der Anträge der Kinder des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sei festzuhalten, dass die Gewährung eines Schutzstatus unwahrscheinlich und dies auch im Wege des Familienverfahrens nicht möglich sei, weil beiden Elternteilen der Asylstatus ab- bzw. der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt worden sei - auch im Verfahren der Kinder sei also eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Mag der Beschwerdeführer bei seinen Eltern und Brüdern vorübergehend auch Unterkunft nehmen, so habe er sich doch nicht davon abbringen lassen, drei Mal seine Ausreise nach Syrien - und damit die Aufgabe seines Lebens mit ihnen in Österreich - zu versuchen. Der durch die Rückkehrentscheidung erfolgende Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers sei statthaft, weil er wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung verurteilt worden sei und sein Aufenthalt im Bundesgebiet eine massive Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich darstelle. Außerdem könne gemäß den Darstellungen in einem Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vom 23.03.2018 nicht von einer relevanten Integration des Beschwerdeführers in die österreichische Gesellschaft ausgegangen werden, zumal er nicht einmal einfachste allgemein anerkannte Gepflogenheiten, wie das Grüßen weiblicher Personen, beherzige.

4.2.3. Die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation sei zulässig, weil er Nachweise für sein Verfolgungsvorbringen nicht habe vorlegen können. Es stünde ihm bei seiner Rückkehr dorthin eine innerstaatliche Fluchtalternative offen; aus dem Verfahren gehe nicht hervor, dass der Beschwerdeführer jedenfalls nach Tschetschenien zurückkehren müsste, zumal er bei einer Niederlassung in anderen Landesteilen der Russischen Föderation von der tschetschenischen Diaspora Unterstützung erfahren könnte. Aus der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts ergäben sich keine Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer entweder durch tschetschenische Sicherheitskräfte gefunden und misshandelt oder von russischen Sicherheitskräften "präventiv" misshandelt werden würde, selbst wenn die Verurteilung durch ein österreichisches Strafgericht bekannt sein sollte. Dies lasse sich auch nicht aus Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation und von ACCORD ableiten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zitierte in diesem Zusammenhang - neben aktuellen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation - ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, in dem das Urteil des EGMR vom 07.11.2017, Appl. 54646/17, X. gg. Deutschland, wiedergegeben wurde. Außerdem habe das Bundesverwaltungsgericht in einem anderen Fall entschieden, dass nicht davon auszugehen sei, die russischen Behörden würden von strafgerichtlichen Verurteilungen russischer Staatsangehöriger in Österreich erfahren; die Russische Föderation sei im Rahmen der EMRK auch zum Prinzip "ne bis in idem" verpflichtet, bei dessen Verletzung eine Beschwerde an den EGMR möglich sei.

4.2.4. Der Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich stelle eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich dar, weshalb seine sofortige Ausreise erforderlich sei. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung sei somit gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung abzuerkennen. Dem Beschwerdeführer sei folglich auch keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren.

Angesichts der Schwere des strafrechtlichen Fehlverhaltens sei unter Bezugnahme auf näher angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbots geboten.

4.3. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 13.06.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für sein Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt und der Beschwerdeführer über sein verpflichtendes Rückkehrberatungsgespräch bis zum 28.06.2018 in Kenntnis gesetzt.

5. Mit Schriftsatz vom 11.07.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter gegen den angeführten Bescheid vollumfänglich Beschwerde.

5.1. Darin wird unter näherer Begründung ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in unmittelbare Gefahr geriete, dort verschleppt, gefoltert und/oder ermordet zu werden, weil ihm immer noch eine ideologische Nähe zu islamistisch-extremistischen Kräften unterstellt werden würde. Um das Leben des Beschwerdeführers nicht in Gefahr zu bringen, werde dringend angeregt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG zuzuerkennen. Aus den im angefochtenen Bescheid angeführten Länderberichten gehe klar hervor, dass Angehörige von Personengruppen, denen eine Nähe zu extremistischen Kräften unterstellt werde, keinesfalls in die Russische Föderation zurückkehren könnten. Ebenso werde betont, dass Personen aus Tschetschenien eine Neuansiedlung in anderen Teilen Russlands nicht möglich sei. Der Beschwerdeführer habe insbesondere vorgebracht, dass im Herkunftsstaat lebende Familienmitglieder aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilung in Zusammenhang mit versuchten Ausreisen in das syrische IS-Gebiet befragt, diskriminiert und gefoltert worden seien. Familiäre oder soziale Bezugspunkte außerhalb Tschetscheniens habe der Beschwerdeführer nicht. In russischen Medien sei namentlich über ihn als IS-Mitglied berichtet worden. Von zwei Personen, die gemeinsam mit dem Beschwerdeführer verurteilt worden seien, fehle jede Spur, weshalb kein Zweifel daran bestehen könne, dass die russischen und tschetschenischen Behörden von der Verurteilung des Beschwerdeführers wüssten.

Vermeintlich mit dem vorliegenden Fall vergleichbare Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, des deutschen Bundesverfassungsgerichts und des EGMR seien nicht tauglich, im konkreten Fall als Entscheidungshilfe herangezogen zu werden. So sei beim Beschwerdeführer zu beurteilen, ob die Rückkehr auch seiner Lebensgefährtin und minderjährigen Kinder möglich sei; als Jungfamilienverband seien sie besonders vulnerabel. In den meisten anderen Entscheidungen sei lediglich zu beurteilen gewesen, ob die Rückkehr einem alleinstehenden Mann zugemutet werden könne. Dem Beschwerdeführer würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen. Überdies stelle eine Abschiebung des Beschwerdeführers eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 8 EMRK dar, weil er bereits seit langem in Österreich lebe und hier ein schützenswertes Privat- und Familienleben führe.

Der Beschwerdeführer stelle auch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, weil er sich nach Verbüßung seiner Haftstrafe von seinen bisherigen ideologischen und religiösen Überzeugungen zunehmend entfernt habe. Er sei nunmehr erwerbstätig, besuche regelmäßig die gerichtlich auferlegten Beratungstreffen bei einem Imam und habe sich auch schon vor der belangten Behörde explizit von seinen früheren Taten distanziert.

In der Beschwerde wird folglich auf mehrere Passagen der im angefochtenen Bescheid angeführten Länderberichte verwiesen, mit denen der Beschwerdeführer das dargestellte Beschwerdevorbringen zu stützen beabsichtigt. Angesichts der von der belangten Behörde selbst ins Treffen geführten Berichte sei das Verfolgungsvorbringen des Beschwerdeführers glaubhaft.

5.2. Seiner Beschwerde legte der Beschwerdeführer eine auf den 25.06.2018 datierende Stellungnahme seines Bewährungshelfers vom Verein Neustart bei, der zufolge er seit Haftentlassung seine Termine bei der Bewährungshilfe einhalte oder diese zeitgerecht absage; Absagen kämen dabei nur vor, wenn er seine Kinder vom Kindergarten abhole oder seine Familie auf Amtswegen begleite. Er nehme gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin an einem vom Innenministerium koordinierten Deradikalisierungsprogramm teil und besuche auch regelmäßig die Termine beim Verein DERAD. Er sei als obdachlos gemeldet und nächtige bei verschiedenen Bekannten und Verwandten. Seine finanzielle Situation erlaube keine ordentliche Wohnsitznahme. Aufgrund seines im Bundesgebiet lediglich geduldeten Aufenthalts finde er keine Arbeit; derzeit absolviere er einen vom AMS vermittelten Deutschkurs. Seine Versuche, nach Syrien zu gelangen, beurteile der Beschwerdeführer heute als großen Fehler, den er nicht wiederholen würde. Die daraus resultierenden Konsequenzen trage er mit Fassung. Die Trennung von seiner Frau und seinen Kindern belaste ihn allerdings sehr. Trotzdem versuche er, ein guter Vater und Mann zu sein: Er begleite seine Frau zu Terminen und hole die Kinder vom Kindergarten ab, wenn seine Frau dafür keine Zeit habe; insgesamt bemühe er sich um die bestmögliche Unterstützung seiner Familie. Es werde daher ersucht, dem Beschwerdeführer und seiner Familie eine Chance in Österreich zu geben, zumal sein Leben in Tschetschenien nicht sicher sei.

5.3. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 17.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig.

1.1.1. Er gelangte im Alter von 13 Jahren nach Österreich und stellte durch seinen gesetzlichen Vertreter am 05.10.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 02.03.2011 wurde ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte mit Bescheid vom 18.11.2015 dem Beschwerdeführer diesen Status ab und zugleich den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation wurde für unzulässig erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 14.04.2016 ab.

Der Verfahrensgang im Detail wird wie unter Pkt. I. dargelegt festgestellt.

1.1.2. Der Aberkennung des Asyl- und Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzstatus lag zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer an einer terroristischen Vereinigung beteiligte, indem er zunächst am XXXX mit mehreren Personen, aufgeteilt auf zwei PKW, nach Syrien in das zum damaligen Zeitpunkt von der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) gehaltene Territorium reisen wollte. Im Raum XXXX (Türkei) wurde der Beschwerdeführer zusammen mit seinen Mitreisenden jedoch von der türkischen Polizei festgenommen und nach kurzer Haft über Sofia nach Österreich abgeschoben. Am XXXX versuchte er per Bus erneut, nach Syrien zu gelangen; an der bulgarisch-türkischen Grenze wurde ihm aber die Einreise mangels Visums verweigert, weshalb er nach Wien zurückkehrte. Schließlich tat er sich am XXXX neuerlich mit mehreren Personen zusammen, die auf zwei PKW aufgeteilt über den osteuropäischen Raum nach Syrien gelangen wollten. Noch auf österreichischem Staatsgebiet wurden jedoch alle Personen festgenommen. Der Beschwerdeführer beabsichtigte mit seinen Ausreiseversuchen nach Syrien, sich dem dortigen bewaffneten Kampf des IS - sei es auch durch logistische Unterstützungshandlungen, finanziell oder auf sonstige Art und Weise durch Stärkung der Gruppenmoral - anzuschließen.

Wegen dieser Handlungen wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX gemäß § 278b Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt. Die seit dem XXXX verbüßte Vorhaft wurde dabei auf die Haftdauer angerechnet. In der Bemessung des Strafausmaßes wertete das Gericht den bisherigen ordentlichen Lebenswandel des Beschwerdeführers sowie den Umstand, dass er die Tat zwar nach Vollendung des 18., aber vor Vollendung des 21. Lebensjahres beging, sowie den Beitrag zur Wahrheitsfindung durch Zugestehen des Reiseziels als mildernd, erschwerend demgegenüber die wiederholte gleichartige Begehung. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer unter der Anordnung von Bewährungshilfe und Setzung einer Probezeit von drei Jahren aus der Strafhaft entlassen. Er befolgt die Bewährungsauflagen und nimmt an einem vom Innenministerium koordinierten Deradikalisierungsprogramm teil.

1.1.3. Sämtliche Ausreiseversuche nach Syrien unternahm der Beschwerdeführer mit seiner im Frühjahr 2014 nach islamischem Ritus geheirateten Lebensgefährtin, welcher in Österreich im Jahr 2005 ebenfalls der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden war, dieser nach entsprechender strafrechtlicher Verurteilung jedoch ebenso aberkannt wurde. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2018 wurde ihr gegenüber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht zuerkannt, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei; einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt, gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und schließlich ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers erhob gegen den sie betreffenden Bescheid unter einem mit dem Beschwerdeführer im selben Schriftsatz Beschwerde. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht - im Spruch gleichlautend wie vorliegend - über die Beschwerde auch der Lebensgefährtin.

Der Beschwerdeführer hat mit seiner Lebensgefährtin zwei Kinder: Die Tochter wurde am 08.02.2015 während der Haft der Mutter geboren, der Sohn am 01.09.2016. Für beide Kinder wurde ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der - verbunden mit einer Rückkehrentscheidung - von der belangten Behörde mit Bescheiden vom 08.06.2016 abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde ist beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.

Mit seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern wohnt der Beschwerdeführer nicht in gemeinsamem Haushalt, weil er zunächst die Aufnahme einer Arbeit beabsichtigt, um seine Familie ernähren zu können. Derzeit ist er obdachlos beim Verein Neustart gemeldet, er wohnt zeitweise bei seinen Eltern und manchmal bei seinen beiden älteren Brüdern, die als anerkannte Flüchtlinge in Österreich leben. Von XXXX .2015 bis XXXX .2016 und vom XXXX .2016 bis XXXX .2017 war der Beschwerdeführer als Bauarbeiter unselbständig erwerbstätig, in den Jahren 2013 und 2016/2017 bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld; seit 13.06.2017 erhält er laufend Notstandshilfe. In der Russischen Föderation lebt eine ältere Schwester des Beschwerdeführers.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation:

1.2.1. Die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten samt Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers stützte sich auf folgende - auszugsweise wiedergegebene - Feststellungen, die im Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 18.11.2015 enthalten sind:

"Im August 2015 erlitt der Rest des noch bestehenden Kaukasus Emirat einen erneuten harten Rückschlag. Drei der Top-Kommandanten wurden im Untsukul Distrikt in Dagestan von Regierungskräften getötet, darunter der neue Anführer des Emirates Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov). Gimrinsky war der Nachfolger des im Frühling getöteten Emir des Kaukasus Emirates Aliaschab Kebekow. Bei den anderen getöteten Kommandanten handelt es sich um Said Arakansky (Kamil Saidov), dem Amir des Velayat Dagestan, und Abu Dujan (Abdulla Abdullaev), dem Amir des Gebirgssektors des Velayat Dagestan. Nun sind quasi alle Top-Anführer des Kaukasus Emirates ausgelöscht. Wie es mit dem Emirat weitergehen wird ist unklar. Ob nun ein muslimischer Kleriker oder ein Kämpfer nächster Anführer des Emirates wird ist momentan wohl zu vernachlässigen. Wichtiger erscheint, ob das Emirat als ein Teil des bewaffneten islamischen Widerstandes überhaupt überleben wird. Es könnte durchaus sein, dass das Emirat - acht Jahre nach Entstehung - als Ganzes verschwindet, denn mit dem Tod von Amir Abu Usman Gimrinsky scheint niemand mehr da zu sein, der gegen den Islamischen Staat (IS) auftreten kann. Die übriggebliebenen Mitglieder des Emirates könnten sich nun dem IS anschließen und Amir Rustam Asilderov (vom IS eingesetzter Repräsentant des Vilayat Qavqaz; vgl. vorige Kurzinfo) den Treueeid schwören. Dies wird die russische Position im Nordkaukasus wohl auch nicht verbessern, da weiterhin aufständische Kämpfer bekämpft werden müssen (Jamestown 14.8.2015, vgl. Long War Journal 11.8.2015).

Quellen:

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Jamestown Foundation (14.8.2015): After Loss of Three Senior Commanders, Is the Caucasus Emirate on the Ropes? Eurasia Daily Monitor Volume 12, Issue 154,

http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=44288&tx_ttnews%5BbackPid%5D=27&cHash=e1581c2f53e999f26a5cc0261f489d38, Zugriff 26.8.2015

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Long War Journal (11.8.2015): New leader of Islamic Caucasus Emirate killed by Russian forces,

http://www.longwarjournal.org/archives/2015/08/new-leader-of-islamic-caucasus-emirate-killed-by-russian-forces.php, Zugriff 26.8.2015

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Nachdem einige Kommandanten des Kaukasus Emirates (von Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien/Karatschai) dem IS ihren Treueeid schworen, verlautbarte am 23.6.2015 Abu Muhammad al-Adnani - Sprecher des IS - die Schaffung der Provinz Kaukasus (Vilayat Qavqaz). Diese Entwicklung ist keine große Überraschung, da seit Herbst 2014 einige der Kommandanten von Tschetschenien und Dagestan dem IS den Treueeid leisteten. Der IS-Sprecher gratulierte den "Soldaten des Islamischen Staates im Kaukasus" und richtete aus, dass der Kalif den Treueeid annimmt und Sheikh Abu Mohammad al-Qadari (Rustam Asilderov) als "Gouverneur" des Kaukasus ernennt. Dies zeugt wohl davon, dass die Kaukasusgruppe vom IS als wichtige Organisation gesehen wird, da nicht jede Gruppe, die den Treueeid leistet, auch anerkannt wird. Natürlich ist der Ruf der tschetschenischen bzw. der nordkaukasischen Kämpfer im IS ein sehr guter. Dies dürfte wohl auch ein ausschlaggebender Punkt in der Anerkennung gewesen sein. Obwohl die "übergelaufenen" Kommandanten verlautbarten, dass "alle Mudschahedin des Kaukasus in dieser Entscheidung einig sind" haben jedoch das Vilayat Nogai Steppe und Karatschai-Tscherkessia ihre Position noch nicht öffentlich gemacht. Auch gibt es einige Anführer im Kaukasus Emirat, die sich weigern, dem IS die Treue zu schwören, wie z.B. Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov), der angeblich momentan dem Emirat vorstehen bzw. der Nachfolger von Aliaschab Kebekow (alias Ali Abu Muhammad) sein soll (siehe vorige Kurzinformation) (TOL 1.7.2015).

Bis jetzt hat die Abreise von Kämpfern aus dem Nordkaukasus nach Syrien dazu geführt, dass die Terroraktivitäten in Russland im vergangenen Jahr nachgelassen haben. Nur wenige kehrten bis jetzt zurück - in ganz Russland wurden weniger als 100 Strafverfahren gegen die Rückkehrer eingeleitet. Doch jetzt scheint sich die Lage zu verändern. Die Folgen für Russland könnten sehr ernst sein. Die Kampfmethoden könnten sich verändern (öffentliche Hinrichtungen, auch der Zivilbevölkerung). Der ehemalige Anführer der Islamisten im Kaukasus, Kebekow, sprach sich gegen brutale Aktionen gegen die Zivilbevölkerung aus und wollte sich auf die Anschläge auf russische Sicherheitskräfte konzentrieren. In den nordkaukasischen Republiken waren die Terroristen auch auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung angewiesen. Doch im April 2015 wurde Kebekow getötet. Sein Nachfolger war offenbar nicht stark genug, um die Verbreitung des IS-Einflusses zu stoppen (Welt.de 25.6.2015).

Quellen:

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TOL - Transitions Online (1.7.2015): Is This the End of the Caucasus Emirate?

http://www.tol.org/client/article/24859-is-this-the-end-of-the-caucasus-emirate.html?utm_source=TOL+mailing+list&utm_campaign=64e31337c0-TOL_newsletter_21_11_2014&utm_medium=email&utm_term=0_35d0a711b5-64e31337c0-298048990, Zugriff 6.7.2015

-

Welt.de (25.6.2015): Der Islamische Staat bedroht Putins Reich, http://www.welt.de/politik/ausland/article143097410/Der-Islamische-Staat-bedroht-Putins-Reich.html, Zugriff 6.7.2015

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Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015). Die Macht von Ramsan Kadyrow ist in Tschetschenien unumstritten. Kadyrow versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge (ÖB Moskau 10.2014).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, Ria Novosti 5.12.2012, vgl. auch ICG 6.9.2013).

Quellen:

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

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ICG - International Crisis Group (6.9.2013): The North Caucasus:

The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law,

http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf, Zugriff 1.4.2015

-

ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 1.4.2015

-

Ria Novosti (5.12.2012): United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya,

http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html, Zugriff 1.4.2015

-

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/, Zugriff 1.4.2015

-

Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html, Zugriff 1.4.2015

Sicherheitslage

Russische Behörden gehen weiterhin von einer terroristischen Gefahr auch außerhalb des Nordkaukasus aus (SFH 25.7.2014, vgl. AA 1.4.2015b). Aus Sicht der Behörden versuchen die Aufständischen nicht nur den Nordkaukasus zu destabilisieren, sondern auch Terroranschläge in anderen Regionen Russlands zu verüben. Nach Angaben russischer Experten spiegelt die Wahl von Alaiskhab Kebekov als neuem Führer des kaukasischen Emirats, die Tatsache wider, dass mittlerweile Dagestan und nicht mehr Tschetschenien das Zentrum des Aufstands ist (SFH 25.7.2014).

Die Terroranschläge auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Newski Express Ende November 2009 (28 Todesopfer), die beiden Anschläge in der Moskauer U-Bahn am 29.3.2010 (40 Todesopfer), der Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo am 24.1.2011 (37 Todesopfer darunter zwei österreichische Staatsbürger) sowie zwei Selbstmordanschläge auf den Bahnhof bzw. einen Trolley-Bus in Wolgograd Ende Dezember 2013 (33 Todesopfer) (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 1.4.2015b) scheinen von Tätern aus dem Nordkaukasus verübt worden zu sein, um somit zu zeigen, dass die Unruhe im Nord-Kaukasus auch auf das russische Kernland ausstrahlt. Zuletzt häuften sich Berichte, wonach zahlreiche Personen aus dem Nordkaukasus sich an Kämpfen in Syrien und zuletzt auch dem Irak auf Seiten radikalislamischer Gruppierungen und Organisationen (IS, Al Nusra-Front,...) beteiligen sollen. Die diesbezüglichen Angaben schwanken: von offizieller Seite werden die russisch-stämmigen Kämpfer auf einige Hundert geschätzt. Experten gehen hingegen von bis zu 2.000 Kämpfern mit russ. Staatsbürgerschaft aus (davon 1500 aus Tschetschenien, 200 aus Dagestan, der Rest aus anderen Gebieten). Auch in Österreich wurden Fälle bekannt, in denen Personen tschetschenischer Herkunft sich an Kämpfen in Syrien beteiligt bzw. dies zumindest ernsthaft versucht haben sollen oder andere Personen als Kämpfer für den Nahen Osten angeworben haben.

Beobachter sehen dies als neues Phänomen an: bis vor kurzem hätten Tschetschenen und andere Kaukasier fast ausschließlich in ihrer Heimatregion gekämpft, um diese von der russischen Herrschaft zu befreien. Der Bürgerkrieg in Syrien zeige insofern eine Neuausrichtung des bisher stark nationalistischen Jihadismus der Kaukasier hin zu mehr Integration in die transnationale Szene. In Syrien sollen Kaukasier mittlerweile die größte nicht-arabische Gruppe unter den ausländischen Kämpfern darstellen und zugleich auch aufgrund ihrer Kampferfahrung und Homogenität eine der effektivsten Gruppierungen sein. Russische Offizielle warnten wiederholt vor den Gefahren, die für Russland (und andere Staaten) entstünden, wenn diese Personen mit der gesammelten Kampferfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Berichten russischer Zeitungen zu Folge werden aus Syrien zurückkehrende Kämpfer bei ihrer Rückkehr nach Russland in der Regel umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (1.4.2015b): Russische Föderation - Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 1.4.2015

-

SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland:

Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,

http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf, Zugriff 1.4.2015

-

ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

Nordkaukasus allgemein

Die Lage im Nordkaukasus war 2014 weiterhin instabil; bewaffnete Gruppen griffen wiederholt Angehörige der Sicherheitskräfte an. Bei verschiedenen Anschlägen sollen mehr als 200 Personen getötet worden sein, darunter zahlreiche Zivilpersonen (AI 25.2.2015). Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. So haben sich seit Sommer 2010 auch in Kabardino-Balkarien die Anschlagstätigkeiten intensiviert. Nach zwei Anschlägen auf Touristen und touristische Infrastruktur, bei denen drei Touristen getötet wurden, wurde im Februar 2011 in zwei Distrikten Kabardino-Balkariens (Elbrus und Baksan) der Ausnahmezustand verhängt. Vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer Rivalitäten warnen Experten auch vor einer Destabilisierung Karatschaj-Tscherkessiens. Zusätzlich werden zahlreiche "kleinere" Anschläge verübt, die überregional kaum mehr Aufmerksamkeit finden. Dabei werden neben Sicherheitskräften zunehmend auch belebte Märkte sowie Geschäfte und Cafés, in denen Alkohol verkauft wird, Ziele von Anschlägen. Dieser Zunahme von Anschlägen korrespondiert eine Steigerung von Anti-Terror Operationen, die auch regelmäßig Todesopfer fordern. Die russischen Sicherheitskräfte gehen mit einiger Härte gegen Rebellen und deren Unterstützer vor. Dabei wird auch von Fällen von Sippenhaftung berichtet, insbesondere der Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Rebellen (ÖB Moskau 10.2014).

Im Jahr 2014 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 525 Opfer des bewaffneten Konfliktes. 341 davon wurden getötet, 184 verwundet. Im Vergleich zu 2013 fiel die Zahl der Opfer um 46,9% (Caucasian Knot 31.1.2015). Mehr als zwei Drittel aller Todesopfer im Kampf gegen den islamistischen Widerstand im Nordkaukasus wurden 2014 in Dagestan gezählt (HRW 29.1.2015).

Quellen:

-

AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,

https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation, Zugriff 1.4.2015

-

Caucasian Knot (31.1.2015): In 2014, there were 525 victims of armed conflict in Northern Caucasus, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30689/, Zugriff 1.4.2015

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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