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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1332;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über den Antrag der R B in S, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Stellung eines Verfahrenshilfeantrages zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. April 2018, W171 1426491-5/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
Begründung
1 1. Mit Bescheid vom 7. Jänner 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den von der Antragstellerin am 18. März 2015 gestellten Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt III.).
2 Mit dem der Antragstellerin am 12. April 2018 zugestellten Erkenntnis vom 9. April 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
3 Die Antragstellerin brachte am 9. Mai 2018 einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer außerordentlichen Revision beim BVwG ein, wo dieser Antrag am 14. Mai 2018 einlangte. Das BVwG leitete den Antrag am 6. Juni 2018 an den Verwaltungsgerichtshof weiter.
4 Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Juni 2018 wurde der Antragstellerin zur Kenntnis gebracht, der Verwaltungsgerichtshof gehe vorläufig davon aus, dass der beim unzuständigen BVwG eingebrachte Verfahrenshilfeantrag nach dem Ende der sechswöchigen Revisionsfrist am 24. Mai 2018 und somit verspätet beim Verwaltungsgerichtshof eingelangt sei. Der Antragstellerin wurde die Möglichkeit eingeräumt, zu diesen Umständen binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.
5 Daraufhin brachte die Antragstellerin mit Schreiben vom 27. Juni 2018 eine Stellungnahme verbunden mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Verwaltungsgerichtshof ein. Die Antragstellerin führte aus, es sei richtig, dass der Verfahrenshilfeantrag versehentlich am 9. Mai 2018 an das BVwG gesendet worden sei und die sechswöchige Frist "zur Beantragung der Verfahrenshilfe" am 24. Mai 2018 geendet habe.
Nichtsdestotrotz sei es aber Aufgabe des Gerichts, unrichtig adressierte Unterlagen umgehend an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Das BVwG hätte den bei ihm am 14. Mai 2018 eingelangten Verfahrenshilfeantrag ohne besonderen Aufwand innerhalb von zehn Tagen an den Verwaltungsgerichtshof weiterleiten können. Die Antragstellerin treffe an dieser Säumnis kein Verschulden.
6 2. Gemäß § 24 Abs. 1 Z 2 VwGG sind Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision gegen ein Erkenntnis oder einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen, der gemäß § 61 Abs. 3 VwGG über derartige Anträge entscheidet.
7 Mangels näherer Vorschriften im VwGG - § 46 Abs. 3 und 4 VwGG enthält Regelungen betreffend die Wiedereinsetzung nach erfolgter Einbringung der Revision bzw. für den Fall der Versäumung der Revisionsfrist - sind Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Anträge zu entscheiden (vgl. VwGH 23.9.2014, Ra 2014/01/0070).
8 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erlitten hat. Ein minderer Grad des Versehens hindert die Wiedereinsetzung nicht.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt die Auffassung vertreten, dass auch ein Rechtsirrtum über die richtige Einbringungsstelle als Wiedereinsetzungsgrund in Betracht kommen kann. Wenn ein solcher Irrtum als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht wird, ist im Einzelfall die Verschuldensfrage zu prüfen. Der Begriff des minderen Grades des Versehens im letzten Satz des § 46 Abs. 1 VwGG ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. zu allem VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0222, mwN).
10 3. Im vorliegenden Fall brachte die Antragstellerin nicht vor, dass sie dem Rechtsirrtum unterlegen sei, der von ihr gestellte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wäre beim BVwG einzubringen. Sie gab lediglich an, den Antrag "versehentlich" an das BVwG gesendet zu haben, und verwies darauf, dass das BVwG "unrichtig adressierte" Unterlagen umgehend weiterzuleiten habe. Somit lässt sich dem Vorbringen nicht entnehmen, dass ein die Wiedereinsetzung begründender Rechtsirrtum vorgelegen habe. Im Übrigen hätte die Wiedereinsetzungswerberin im Rahmen der ihr als "ordentliche Prozesspartei" treffenden Sorgfaltspflichten die Obliegenheit getroffen, sich bei geeigneten Stellen zu erkundigen und Gewissheit darüber zu verschaffen, wo sie ihren Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer außerordentlichen Revision einzubringen hat (vgl. VwGH 9.9.2015, Ra 2015/03/0049).
11 Das Vorbringen zur Begründung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zielt im Ergebnis darauf ab, dass das BVwG gegen die gemäß § 6 Abs. 1 AVG bestehende Pflicht, einlangende Anbringen, zu deren Behandlung es nicht zuständig ist, ohne unnötigen Aufschub an die zuständige Stelle weiterzuleiten, verstoßen habe.
12 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die rechtzeitige Weiterleitung eines bei einer unzuständigen Stelle eingebrachten, fristgebundenen Anbringens nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf Gefahr des Einschreiters erfolgt. Die Frist ist nur dann gewahrt, wenn die unzuständige Stelle das Einbringen zur Weiterleitung an die zuständige Stelle spätestens am letzten Tag der Frist zur Post gibt oder das Anbringen bis zu diesem Zeitpunkt bei der zuständigen Stelle einlangt (vgl. zB VwGH 4.4.2018, Ro 2017/22/0018, mwN).
Die in § 6 AVG normierte Pflicht der unzuständigen Stelle zur Weiterleitung von Schriftstücken an die zuständige Stelle darf nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber nicht beliebig lange hinausgezögert werden. Wurde die Partei durch eine grundlose extreme Verzögerung der Weiterleitung ihres irrtümlich bei der unzuständigen Stelle eingebrachten Anbringens gehindert, die Frist einzuhalten, stellt das für die Fristversäumung letztlich kausale Fehlverhalten der betreffenden Stelle ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar. Diesfalls trifft den Antragsteller an der Versäumung der Frist kein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden. Ein Wiedereinsetzungsgrund liegt aber nur dann vor, wenn die Partei durch ein im Nachhinein bekannt gewordenes "krasses Fehlverhalten" der zur Weiterleitung verpflichteten Stelle an der Einhaltung der Frist gehindert wurde (vgl. die im Zusammenhang mit § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ergangene und auf § 46 VwGG übertragbare Rechtsprechung:
VwGH 23.10.2014, 2012/07/0209; 28.5.2014, 2013/12/0209 sowie 20.11.2002, 2002/08/0134, betreffend den Fall eines für die Weiterleitung offen stehenden Zeitraumes von mehr als einem Monat).
13 Im vorliegenden Fall wäre dem BVwG ein Zeitraum von maximal acht Werktagen zur Verfügung gestanden, um den Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der offenen Revisionsfrist an den Verwaltungsgerichtshof weiterzuleiten. Schon angesichts des dem Gericht zuzugestehenden Zeitraumes für eine geschäftsordnungsgemäße Behandlung der Eingabe kann jedenfalls nicht von einer "extremen Verzögerung" oder von einem "krassen Fehlverhalten" im Sinn der dargestellten Judikatur gesprochen werden. Daran ändert auch der Umstand, dass die Weiterleitung letztlich (erst) am 6. Juni 2018 erfolgte, nichts. Die aufgetretene Verzögerung bei der Weiterleitung geht daher zu Lasten der Partei, die den Schriftsatz bei der falschen Einbringungsstelle eingebracht hat (vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070).
14 Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war somit gemäß § 46 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am 10. September 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190331.L00Im RIS seit
11.10.2018Zuletzt aktualisiert am
15.10.2018