Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Handstanger und Dr. Lehofer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des E K in G, vertreten durch Dr. Karl Claus & Mag. Dieter Berthold Rechtsanwaltspartnerschaft KG in 2130 Mistelbach, Hauptplatz 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 9. November 2017, Zl. LVwG-AV-716/001-2017, betreffend Entziehung der Waffenbesitzkarte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mistelbach), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 8. Mai 2017 wurde dem Revisionswerber die am 10. Jänner 1997 für zwei genehmigungspflichtige Schusswaffen ausgestellte Waffenbesitzkarte entzogen, da die erforderliche Verlässlichkeit im Sinne des § 8 Waffengesetz (WaffG) nicht mehr vorliege. Dabei stützte sich die Behörde auf eine fachärztliche Stellungnahme vom 20. Dezember 2016, ein amtsärztliches Aktengutachten vom 7. Februar 2017, sowie auf eine weitere amtsärztliche Stellungnahme vom 20. Februar 2017. Letztere war von der Behörde ergänzend eingeholt worden, nachdem der Revisionswerber im Rahmen des ihm eingeräumten Parteiengehörs eine die Beweisergebnisse bestreitende Stellungnahme mit Schriftsatz vom 14. Februar 2017 mitsamt einem Blutbefund vorgelegt hatte.
2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wandte sich insbesondere gegen die fachärztliche Stellungnahme vom 20. Dezember 2016. Durch die Vorlage des Blutbefunds sei diese fachärztliche Stellungnahme widerlegt worden. Zudem seien dem Bescheid keine Feststellungen zu entnehmen, obwohl die Behörde aufgrund des Grundsatzes der Amtswegigkeit und der materiellen Wahrheit dazu verpflichtet gewesen wäre.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.
4 Das Verwaltungsgericht kam in seinem Erkenntnis zum Ergebnis, dass der Revisionswerber alkoholkrank und aufgrund einer näher bezeichneten weiteren Krankheit nicht in der Lage sei, mit Waffen sachgemäß umzugehen, sodass die Verlässlichkeit gemäß § 8 Abs. 2 WaffG nicht mehr gegeben sei.
Dabei ging das Verwaltungsgericht in seinen Erwägungen von der Glaubwürdigkeit und Schlüssigkeit des amtsärztlichen Gutachtens aus. Auf Grundlage dieses Gutachtens bestehe für das Verwaltungsgericht "kein Anlass an diesen Feststellungen" zu zweifeln. Darüber hinaus sei ein Amtsarzt nach Vorlage des Blutbefunds mit der neuerlichen Beurteilung beauftragt worden. Dieser habe ausführlich begründet und festgestellt, dass sich durch den Blutbefund an der amtsärztlichen Begutachtung "nichts ändere".
Weiters führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Blutbefund als eine reine Blutuntersuchung zu werten sei, der keinerlei Schlussfolgerungen im Hinblick auf die verfahrensgegenständlichen Fragen zu entnehmen seien. Unabhängig von der mangelnden Qualifikation als Gutachten seien diesem Blutbefund auch keine Umstände zu entnehmen, die die Ausführungen des Amtsarztes oder des Gutachtens widerlegen könnten.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben.
6 Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Revision ist - im Hinblick auf die im Verfahren unterlaufenen Verfahrensmängel, auf die die Revision hinweist - zulässig und berechtigt.
8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs hat die Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts auf dem Boden des § 29 VwGVG mit Blick auf § 17 leg. cit. den Anforderungen zu entsprechen, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach dieser Rechtsprechung bestehen die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung 1. in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, 2. in der Beweiswürdigung, 3. in der rechtlichen Beurteilung. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund. Bei der Anwendung der in Rede stehenden Rechtsvorschriften ist die besondere Stellung der Verwaltungsgerichte zu berücksichtigen. Angesichts ihrer sich aus Art. 130 B-VG ergebenden Zuständigkeit werden die Verwaltungsgerichte ihrer Begründungspflicht nach § 29 VwGVG dann nicht gerecht, wenn sich die ihre Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie die rechtliche Beurteilung in den wesentlichen Punkten nicht aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. zu all dem VwGH 18.2.2015, Ra 2014/03/0045, mwN).
9 Von dieser Begründungspflicht ist das Verwaltungsgericht abgewichen:
So enthält das angefochtene Erkenntnis keinen getrennten Aufbau im Sinne der obigen Ausführungen. Zwar enthält es einen Abschnitt ("Von folgendem Sachverhalt ist auszugehen"), der als Sachverhaltsfeststellung angesehen werden könnte (wobei darin jedoch bloß Ausführungen des Amtsarztes im Konjunktiv wiedergegeben werden), sowie einen Abschnitt, in dem eine rechtliche Beurteilung vorgenommen wird. Dem gesamten Erkenntnis sind jedoch keine beweiswürdigenden Überlegungen zu entnehmen, sodass sich das Erkenntnis der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofs insbesondere im Hinblick auf die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung entzieht, was im vorliegenden Fall schon deshalb von Relevanz ist, weil die Revision wesentliche Verfahrensmängel im Zusammenhang mit den vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltsannahmen rügt.
10 Auch lässt das Erkenntnis fallgegenständlich notwendige Feststellungen zu dem ihm zugrunde zu legenden Sachverhalt vermissen. Insbesondere werden keine Feststellungen getroffen, aus denen sich nachvollziehbar die Erfüllung des Tatbestands des § 8 Abs. 2 Z 1 WaffG (Alkohol- oder Suchtkrankheit) oder des Tatbestands des § 8 Abs. 2 Z 3 WaffG (körperliches Gebrechen, durch das der Revisionswerber nicht in der Lage ist, mit Waffen sachgemäß umzugehen) ableiten lässt.
11 Schließlich folgt in der als "rechtliche Beurteilung" zu interpretierenden Begründung der pauschale Hinweis, dass die Verlässlichkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 (zu ergänzen: Z 1 und/oder 3) WaffG nicht mehr gegeben sei, ohne diesbezüglich zu spezifizieren, welchen Tatbestand das Verwaltungsgericht konkret als erfüllt erachtet bzw. ob es beide - alternativen - Tatbestände als erfüllt ansieht.
12 Soweit das Verwaltungsgericht jedenfalls implizit - ohne nähere Feststellungen dazu zu treffen - (auch) die Erfüllung des Tatbestandes des § 8 Abs. 2 Z 3 WaffG annimmt, ist es für das weiterführende Verfahren auf die Rechtsprechung hinzuweisen, wonach ausgehend von dieser Regelung die Beurteilung der gebrechensbedingt fehlenden Fähigkeit eines sachgemäßen Umgangs mit Waffen in der Regel, sofern nicht Offenkundigkeit vorliegt, auf gegebenenfalls in Zusammenspiel der beteiligten Professionen (Mediziner, Waffentechniker) erstatteten Sachverständigengutachten beruhende Feststellungen über die körperlichen Gebrechen des Betroffenen und die davon ausgehenden Auswirkungen auf die Fähigkeit zu einem sachgemäßen Umgang mit Waffen voraussetzt (vgl. VwGH 20.1.2017, Ra 2015/03/0062).
13 Da der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall mangels ordnungsgemäßer Begründung des angefochtenen Erkenntnisses gehindert ist, seine Rechtskontrollaufgabe im Sinne des § 41 Abs. 1 VwGG wahrzunehmen, war das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben (vgl. auch VwGH 15.9.2016, Ra 2016/02/0135).
14 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
15 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war einerseits abzuweisen, weil es den in der zitierten Verordnung festgelegten Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand übersteigt (vgl. VwGH 16.10.2017, Ra 2015/05/0070), andererseits war auch das den Ersatz der Umsatzsteuer betreffende Kostenmehrbegehren abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist (vgl. VwGH 30.10.2015, Ra 2015/03/0051-0052, mwN).
Wien, am 17. September 2018
Schlagworte
Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztSachverständiger Erfordernis der Beiziehung TechnikerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018030049.L00.1Im RIS seit
12.10.2018Zuletzt aktualisiert am
14.11.2018