Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A***** Z*****, 2. J***** B*****, 3. A***** Z*****, 4. F***** Z*****, 5. H***** P*****, 6. D***** P*****, 7. G***** F*****, 8. H***** R*****, alle vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei R***** G*****, vertreten durch Dr. Christopher Kempf, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, wegen Unterlassung (Streitwert 69.760 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 4. Juli 2018, GZ 5 R 104/18f-11, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 14. Mai 2018, GZ 22 Cg 8/18w-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekursgericht wird eine Bewertung seines Entscheidungsgegenstands hinsichtlich jeder einzelnen klagenden Partei aufgetragen.
Text
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens ist eine Klage von acht Gemeinderäten der Gemeinde S*****, die nach ihren eigenen Behauptungen als S*****- und F*****-Politiker eine Koalition im Gemeinderat bilden, gegen den Beklagten, ein Mitglied der Gruppierung „Liste S*****“ (Oppositionspartei), auf Unterlassung der Äußerung gegenüber jedem der Kläger, dieser sei ein „Schimpanse“ (in eventu: „Partisane“); das Begehren stützt sich erkennbar auf § 1330 ABGB. Die Kläger bewerteten in der Klage das Klagebegehren mit 8.720 EUR pro Kläger, somit insgesamt mit 69.760 EUR.
Der Beklagte wendet sachliche und örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Landesgerichts Klagenfurt ein; die Ansprüche der einzelnen Kläger seien nicht zusammenzurechnen.
Das Erstgericht sprach seine sachliche Unzuständigkeit aus und trat die Rechtssache an das Bezirksgericht Spittal an der Drau ab. Der Streitwert übersteige 15.000 EUR nicht, weil die jeweils selbständigen Unterlassungsansprüche der Kläger zwar auf derselben öffentlichen Äußerung des Beklagten beruhten, zur Frage der Betroffenheit jedes einzelnen Klägers aber jeweils eigenes Vorbringen notwendig sei. Die Kläger seien lediglich eine formelle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO, bei der die Streitwerte nicht zusammenzurechnen seien.
Das Rekursgericht verwarf die Einrede der fehlenden sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteige sowie dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Kläger seien aus demselben tatsächlichen Grund zur Klage berechtigt, wozu es keines individuellen Vorbringens bedürfe, weil es hinsichtlich der Beeinträchtigung der Ehre nur auf den (objektiven) Eindruck eines unbefangenen Durchschnittsadressaten ankomme, welcher im Fall einer Kollektivbeleidigung zwangsläufig bei jedem Betroffenen derselbe sei.
Rechtliche Beurteilung
Nunmehr legte das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof den außerordentlichen Revisionsrekurs des Beklagten vor. Diese Vorgangsweise widerspricht der Rechtslage:
1. Bei subjektiver Klagehäufung (Parteienmehrheit) werden gemäß § 55 Abs 1 JN iVm § 11 Z 1 ZPO in einer Klage geltend gemachte Ansprüche (nur) im Fall materieller Streitgenossen zusammengerechnet, wenn diese in Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des Streitgegenstands stehen (was hier nicht der Fall ist) oder die Parteienmehrheit aus demselben tatsächlichen Grund im Sinn des § 11 ZPO (allenfalls sogar solidarisch) berechtigt ist (jüngst 4 Ob 97/17v). Ansprüche von und gegen formelle Streitgenossen im Sinn des § 11 Z 2 ZPO sind hingegen nicht zusammenzurechnen (RIS-Justiz RS0035615), und zwar selbst dann nicht, wenn die geltend gemachten Forderungen in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl RIS-Justiz RS0053096 [T20]).
1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt beispielsweise keine materielle Streitgenossenschaft vor, wenn mehrere Geschädigte ihre Ansprüche aus ein und demselben (etwa Unfall-)ereignis ableiten (RIS-Justiz RS0037838 [T32]) oder wenn mehrere Wohnungseigentümer auf Unterlassung (§ 364 Abs 3 ABGB) klagen, die in Ansehung des Streitgegenstands zueinander in keiner Rechtsbeziehung stehen (5 Ob 91/09g).
1.2. Die Kläger leiten ihre jeweils separat zu beurteilenden Unterlassungsbegehren zwar aus ein und derselben Äußerung des Beklagten ab, stehen aber – so wie auch die Ansprüche mehrerer durch ein und dasselbe Unfallereignis geschädigter Kläger – nur in formeller Streitgenossenschaft. Die Kläger machen lediglich gleichartige, auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Grund beruhende Ansprüche im Sinn des § 11 Z 2 ZPO geltend, nicht jedoch solche, die sie als materielle Streitgenossen erscheinen ließen, wie dies § 55 Abs 1 Z 2 JN fordert. Dass die Kläger Mandatare von politischen Parteien sind, die im Gemeinderat eine Koalition bilden, stellt keine ausreichende Rechtsbeziehung dar. Eine Zusammenrechnung der einzelnen Unterlassungsansprüche hat somit nicht stattzufinden (vgl auch 6 Ob 218/98x und 6 Ob 21/99b zu beleidigenden Äußerungen gegen namentlich nicht genannte Mitglieder eines überschaubaren Kollektivs).
2. Damit erweist sich aber der
(auch bei Ansprüchen auf Unterlassung ehrenrühriger Behauptungen zwingend vorzunehmende [6 Ob 164/09z; 3 Ob 154/11k]) Bewertungsausspruch des Rekursgerichts (Gesamtbewertung des Entscheidungsgegenstands) als unvollständig. § 55 Abs 1 JN ist nämlich auch hinsichtlich der einheitlichen Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Gericht zweiter Instanz maßgeblich (RIS-Justiz RS0053096, RS0037838, RS0042349). Zwar ist der Oberste Gerichtshof an dessen Bewertungsausspruch gebunden; wurden jedoch zwingende gesetzliche Bewertungsvorschriften verletzt oder der ihm vom Gesetzgeber eingeräumte Ermessensspielraum überschritten und liegt damit ein gesetzwidriger Bewertungsausspruch vor, kommt es zu keiner Bindung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0042251, RS0042450, RS0042437). Das gilt auch für die Frage, ob mehrere vom Gericht zweiter Instanz erledigte Ansprüche zusammenzurechnen sind oder nicht (§ 500 Abs 3 ZPO iVm § 55 Abs 1 Z 1 JN): Hat das Gericht zweiter Instanz einheitlich bewertet, obwohl die Ansprüche nicht zusammenzurechnen sind, ist die Ergänzung des Bewertungsausspruchs aufzutragen (4 Ob 147/12i).
3. Sollte das Rekursgericht den Entscheidungsgegenstand hinsichtlich der einzelnen Kläger mit einem zwar 5.000 EUR, nicht jedoch auch 30.000 EUR übersteigenden Betrag bewerten, wird es auch darüber zu entscheiden haben, ob es den als Zulassungsvorstellung nach § 508 Abs 1 ZPO zu wertenden außerordentlichen Revisionsrekurs zum Anlass nimmt, seinen Zulässigkeitsausspruch abzuändern.
Schlagworte
Liste S.,Textnummer
E122849European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00153.18W.0831.000Im RIS seit
12.10.2018Zuletzt aktualisiert am
25.07.2019