TE OGH 2018/8/31 6Ob146/18s

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.08.2018
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** H*****, vertreten durch Mag. Max Verdino und andere Rechtsanwälte in St. Veit an der Glan, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch PHH Prochaska Havranek Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 18.664,48 EUR und Feststellung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 6. Juni 2018, GZ 4 R 51/18d-12, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 20. Februar 2018, GZ 28 Cg 75/17s-8, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin buchte bei der Beklagten eine Pauschalreise. Der Rückflug wurde von der Fluggesellschaft annulliert und der Klägerin von dieser ein neues Ticket für einen Flug am nächsten Tag sowie eine Übernachtung in einem Hotel zur Verfügung gestellt. Nach dem Klagsvorbringen stürzte die auf einen Rollstuhl angewiesene Klägerin beim Spazierengehen im Nahebereich des Hotels aufgrund einer im Asphalt gelegenen Querrinne und verletzte sich schwer.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es führte kein Beweisverfahren durch und ließ auch die Frage offen, ob mit der behaupteten Querrinne im Asphalt tatsächlich Verkehrssicherungspflichten nach dem Standard des Lageortes in Spanien verletzt wurden. Das der Klägerin von der Fluglinie zur Verfügung gestellte Hotel sei dem Reiseveranstalter nicht zuzurechnen.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil zur Durchführung eines Beweisverfahrens auf.

Das ausführende Luftfahrtunternehmen habe mit der Erbringung der Betreuungsleistung im Sinne des Art 9 Abs 1 lit b iVm Art 5 Abs 1 lit b Fluggastrechte-VO den vertraglichen Pflichtenkreis des beklagten Reiseveranstalters nicht verlassen. Eine abschließende Beurteilung, ob der Hotelanbieter seine Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber der Klägerin schuldhaft verletzte, ließen die vom Erstgericht zum Unfallhergang getroffenen Feststellungen nicht zu. Im fortgesetzten Verfahren werde noch festzustellen sein, ob sich der Unfall der Klägerin auf dem Hotelgelände ereignete. Die Beurteilung, ob der Hotelanbieter seine Schutz- und Sorgfaltspflichten verletzt habe, werde davon abhängen, welche Verkehrssicherungspflichten ihm nach dem Standard der Rechtsordnung des Lageortes treffen.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob der Reiseveranstalter für schuldhaft, mangelhaft erbrachte Betreuungsleistungen im Sinne des § 1313a ABGB einzustehen habe, die das ausführende Luftfahrtunternehmen im Sinne der Fluggastrechteverordnung durch einen Hotelanbieter erbringen lasse.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Der Rekurs der beklagten Partei ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1. Zutreffend gehen die Parteien davon aus, dass auf den vorliegenden Fall gemäß Art 6 Rom I-VO österreichisches Recht anzuwenden ist.

2.1. Dass dem Reisenden aus einer Schlechterfüllung des Reiseveranstaltungsvertrags (zB verdorbenes Essen) – Verschulden vorausgesetzt – Schadenersatzansprüche gegen den Reiseveranstalter zustehen, entspricht völlig herrschender Auffassung (vgl Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 31e KSchG Rz 23). Die gleiche Überlegung gilt auch für Unfälle, die bei der Beseitigung eines Reisemangels entstehen (Geib in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB §§ 651 f Rz 8). So hat der deutsche Bundesgerichtshof zu X ZR 163/02 entschieden, dass der Reiseveranstalter, dessen Reisendem von der Fluggesellschaft der vorgesehene Rückflug wegen Platzmangels versagt wird, und dessen Reisender auf Veranlassung eines Angestellten der Fluggesellschaft im Dauerlauf durch die Abflughalle einen bevorstehenden Flug bei einer anderen Gesellschaft zu erreichen versucht, für die Folgen eines Sturzes des Reisenden bei diesem Dauerlauf haftet. Der Gerichtshof begründete dies damit, dass die Fluglinie, die den Reisenden auf den Ersatzflug verwiesen hatte, dabei als Erfüllungsgehilfin des Reiseveranstalters handelte.

2.2. Bei einer Pauschalreise können Nichtbeförderung (Überbuchung), Annullierung und Abflugverspätung einen Reisemangel darstellen, der zu Minderungs- und Schadenersatzansprüchen berechtigt; auch die fehlende oder unzureichende Betreuung und Unterstützung in diesen Fällen, etwa durch die örtliche Reiseleitung oder infolge eines Organisationsfehlers, kann sich im Einzelfall als Reisemangel darstellen (Bollweg in Staudinger/Keiler, Fluggastrechte-Verordnung Art 12 Rz 26 mwN).

3.1. Fraglich kann daher nur sein, ob der behauptete Mangel der Beschaffenheit des Hotels der Beklagten zuzurechnen ist.

3.2. Nach § 1313a ABGB haftet derjenige, der sich zur Erfüllung einer Leistungsverpflichtung anderer Personen bedient, für deren Verschulden wie für eigenes. Das schuldhafte Verhalten des Erfüllungsgehilfen muss innerhalb des vom Geschäftsherrn übernommenen Pflichtenkreises liegen (RIS-Justiz RS0028582 [T3]). Letzterer hat dieses Verschulden nicht nur dann zu vertreten, wenn dadurch der Gegenstand der Leistung beschädigt wurde, sondern auch dann, wenn der Erfüllungsgehilfe durch die Erfüllungshandlung den anderen Vertragsteil auf andere Weise geschädigt hat, wobei zwischen Sachschaden und Personenschaden nicht zu unterscheiden ist, während hingegen eine Haftung des Geschäftsherrn nach § 1313a ABGB für den von seinem Erfüllungsgehilfen nur gelegentlich der Erfüllung verschuldeten Schaden nicht besteht (RIS-Justiz RS0028582 [T1]). Voraussetzung für die Haftung ist daher, dass der Gehilfe „in Erfüllung“ und nicht bloß „gelegentlich der Erfüllung“ gehandelt hat (RIS-Justiz RS0028582 [T2]). Die Haftung für den Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 1313a ABGB setzt voraus, dass die Verpflichtung zu einer Leistung gegenüber dem Geschädigten besteht, die der Verpflichtete, statt sie selbst zu erfüllen, durch einen Dritten erbringen lässt (RIS-Justiz RS0028582 [T5]). Demgegenüber haftet der Schuldner nicht für ein Verhalten der Hilfspersonen, das mit dem Schuldverhältnis in keinem inneren Zusammenhang mehr steht, sondern in den Bereich der allgemeinen Lebensführung des Gehilfen gehört, in deren Rahmen er seine eigenen Interessen verfolgt (RIS-Justiz RS0028582 [T7]). Zusammengefasst haftet der Geschäftsherr nur für schädigende Handlungen, die mit der Erfüllung in einem inneren Zusammenhang stehen, dh für Schäden durch die Erfüllung, und zwar bei Verletzung einer Hauptleistungspflicht, Nebenpflicht oder Schutzpflicht (RIS-Justiz RS0028582 [T8]).

3.3. Der Gehilfe muss mit Willen des Schuldners im Rahmen der dem Schuldner obliegenden Verbindlichkeit tätig werden und es muss sich um einen Schaden handeln, der durch den Gehilfen bei der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen zugefügt wurde (RIS-Justiz RS0028566). Erfüllungsgehilfe ist demnach, wer nach den tatsächlichen Verhältnissen des gegebenen Falls mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung der diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird; aus welchem Grunde er sich veranlasst sieht, tätig zu werden, ist unerheblich (RIS-Justiz RS0028729). Der Geschäftsherr hat auch für jene Personen einzustehen, für die der Anschein der Gehilfenstellung besteht (Anscheinserfüllungsgehilfe); dabei genügt, dass der Geschäftsherr in zurechenbarer Weise den Anschein einer Erfüllungsgehilfeneigenschaft erweckt (RIS-Justiz RS0028729 [T4]).

3.4. Wesentlich ist die Einbeziehung des Gehilfen in das Interessenverfolgungsprogramm des Geschäftsherrn bei der von diesem veranlassten Erfüllung eigener Vertragspflichten (RIS-Justiz RS0028425). Voraussetzung für die Zurechnung als Erfüllungsgehilfe im Sinn des § 1313a ABGB ist somit, dass der Geschäftsherr als Vertragspartner ihn treffende vertragliche Pflichten auslagert und sich für die Erfüllung eigener Vertragspflichten des Gehilfen bedient; der Gehilfe muss also im Pflichtenkreis des Geschäftsherrn tätig werden (RIS-Justiz RS0028729 [T6]).

3.5. Es ist unstrittig, dass auch selbstständige Unternehmer Erfüllungsgehilfen sein können (RIS-Justiz RS0028563 [T2]). Für die Zurechnung selbständiger Unternehmer ist die Auslegung des Vertrags von entscheidender Bedeutung (RIS-Justiz RS0028729 [T7]). Auch kann eine Haftung für den Gehilfen eines Gehilfen bestehen („Erfüllungsgehilfenkette“: RIS-Justiz RS0021803). Die Haftung für den Erfüllungsgehilfen gilt auch hinsichtlich der Verletzung von Schutzpflichten (RIS-Justiz RS0028470). In diesem Sinne ist § 1313a ABGB nicht nur dann anwendbar, wenn zur Erfüllung der Hauptleistungspflicht ein Gehilfe herangezogen wird, sondern auch dann, wenn die Erfüllung der mit einem Schuldverhältnis verknüpften Schutzpflichten und Sorgfaltspflichten einem anderen übertragen wird (RIS-Justiz RS0028435).

4.1. Für die Anwendung des § 1313a ABGB ist ein Vertragsverhältnis keine zwingende Voraussetzung; auch außerhalb einer Vertragsbeziehung haften Schuldner einer gesetzlichen Verbindlichkeit für ihre Hilfspersonen nach § 1313a ABGB: Die Abgrenzung wird danach vorgenommen, ob es sich um die Verletzung von Pflichten handelt, die gegenüber jedermann bestehen, in welchem Fall § 1313a ABGB unanwendbar ist, oder ob Pflichten aus einer „rechtlichen Sonderbeziehung“ missachtet werden (RIS-Justiz RS0028527 [T6]). In diesem Sinne wird auch formuliert, die Zurechnung nach § 1313a ABGB setze einen Zusammenhang des schadensursächlichen Gehilfenverhaltens mit der vom Haftenden geschuldeten Leistung voraus (RIS-Justiz RS0028530 [T1]). Es kommt nur darauf an, ob die Schädigung im sachlichen Zusammenhang mit der Interessenverfolgung des Schuldners steht (RIS-Justiz RS0028530 [T2]). Der sachliche Zusammenhang ist vor allem dort zu bejahen, wo ein Gehilfe innerhalb seines Aufgabenkreises schadensstiftende Handlungen setzt (RIS-Justiz RS0028425 [T2]). Die Haftung eines Schuldners nach § 1313a ABGB wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Schuldner gar nicht in der Lage ist, nähere Anweisungen zu geben (RIS-Justiz RS0028447 [T7]); das Kriterium der Weisungsbefugnis wird in der jüngeren Judikatur ausdrücklich abgelehnt (RIS-Justiz RS0028447 [T4]).

4.2. Übernimmt der Gehilfe hingegen eine, wenn auch im sachlichen, räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der geschuldeten Leistung stehende, aber doch im Wirtschaftsleben allgemein als selbständige Leistung gewertete und auch regelmäßig als solche entgoltene Leistung auf ausdrückliches Verlangen des Gläubigers, scheidet das damit verbundene Verhalten des Gehilfen jedenfalls dann aus dem Haftungsbereich des Leistungsschuldners aus, wenn die vom Gläubiger begehrte Leistung objektiv nicht bloße Konkretisierung der geschuldeten Leistung, sondern deren umfängliche Erweiterung darstellt (RIS-Justiz RS0028550). In diesem Sinne wurde in der Entscheidung 6 Ob 94/16s erwogen, bei einem Skiverleih, der im Hinterhof eines Hotels untergebracht war, handle es sich um keinen Erfüllungsgehilfen des Hotels, da der Skiverleih selbst vom Hotel nicht geschuldet war und jedermann offenstand. Setzt der Gehilfe hingegen aus eigenem Antrieb nicht geschuldete Handlungen, die vom sachlichen Zusammenhang mit der vom Schuldner angestrebten Interessenverfolgung nicht zur Gänze gelöst sind, so ist dafür nach § 1313a ABGB zu haften (RIS-Justiz RS0028499 [T3]).

5.1. Die Überlegungen des Berufungsgerichts im vorliegenden Fall stehen mit der dargestellten Judikatur in Einklang. Wenn man davon ausgeht, dass die Fluglinie hinsichtlich der Beförderung als Erfüllungsgehilfin der Beklagten handelt (8 Ob 14/18v) und die Annullierung des Flugs mit Umbuchung auf einen Flug am nächsten Tag eine Schlechterfüllung des Reiseveranstaltungsvertrags zwischen den Streitteilen darstellt, dann handelte die Fluglinie mit der Bereitstellung eines Hotels für die Klägerin im Interessenverfolgungsprogramm der Beklagten. Zwar hat die Fluglinie die Betreuungsleistungen nicht nur den Gästen der Pauschalreise, sondern allen ihren Fluggästen zu erbringen. Dennoch hat die Fluglinie hier mit der Erfüllung der Ansprüche der Klägerin aus der Fluggastrechte-Verordnung im Ergebnis auch Pflichten der Beklagten aus dem Reiseveranstaltungsvertrag erfüllt (vgl RIS-Justiz RS0028435). Der Vertrag zwischen der Beklagten und der Fluglinie kann auch so ausgelegt werden, dass die Fluglinie in einem solchen Fall die Fluggäste im Sinne der Fluggastrechte-Verordnung versorgen soll, damit sich die Beklagte nicht selbst darum kümmern muss (vgl RIS-Justiz RS0028729 [T6, T7]).

5.2. Insgesamt erscheint somit eine Zurechnung des Hotels und der Fluglinie zur Beklagten im vorliegenden Fall sachgerecht, weil diese im „Pflichtenkreis“ der Beklagten tätig wurden und zu diesen Pflichten auch Betreuungspflichten bei Annullierung eines Flugs gehören, der Teil der von der Beklagten der Klägerin im Rahmen der Pauschalreise geschuldeten Beförderungsleistung ist (dazu näher unten bei § 31e Abs 1 KSchG). Die Fluglinie handelte damit „im sachlichen Zusammenhang mit der Interessenverfolgung des Schuldners“, was für die Zurechnung nach § 1313a ABGB ausreicht (vgl RIS-Justiz RS0028530 [T2]).

6.1. Für die Zurechnung an die beklagte Partei spricht auch der auf den vorliegenden Pauschalreisevertrag noch anzuwendende § 31e Abs 1 KSchG. Nach dieser Bestimmung hatte der Veranstalter, wenn sich nach der Abreise ergibt, dass ein erheblicher Teil der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht erbracht wird oder nicht erbracht werden kann, ohne zusätzliches Entgelt „angemessene Vorkehrungen“ zu treffen, damit die Reiseveranstaltung weiter durchgeführt werden kann. Können solche Vorkehrungen nicht getroffen werden oder werden sie vom Reisenden aus triftigen Gründen nicht akzeptiert, so hat der Veranstalter ohne zusätzliches Entgelt gegebenenfalls für eine gleichwertige Möglichkeit zu sorgen, mit der der Reisende zum Ort der Abreise oder an einen anderen mit ihm vereinbarten Ort befördert wird.

6.2. Die in § 31e Abs 1 KSchG aE enthaltene Formulierung, wonach der Veranstalter verpflichtet ist, bei Nichterfüllung oder mangelhafter Erfüllung des Vertrags dem Reisenden zur Überwindung von Schwierigkeiten nach Kräften Hilfe zu leisten, wird auch als „Beistandspflicht“ des Veranstalters bezeichnet, die verschuldensunabhängig ist (Mayrhofer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 31e KSchG Rz 32). Die Hilfestellungspflicht umfasst adäquate Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten (Keiler in Keiler/Klauser, Verbraucherrecht § 31e KSchG Rz 25).

6.3. Nach der Literatur handelt es sich bei § 31e Abs 1 KSchG nicht nur um Gewährleistungsbestimmungen, sondern um eigenständige, zusätzliche Rechtsansprüche des Reisenden, sodass der Reiseveranstalter am Urlaubsort alle erdenklichen Maßnahmen ergreifen muss, um dem Reisenden die ordnungsgemäße Erfüllung der Reiseleistung zu ermöglichen (vgl Michitsch, Reiserecht § 31e KSchG Rz 20 mwN). In diesem Sinne können die „angemessenen Vorkehrungen“, die der Reiseveranstalter nach § 31e Abs 1 KSchG treffen muss, über die bloße Verbesserung hinausgehen (Fischer-Czermak, Leistungsstörungen beim Reiseveranstaltungsvertrag, JBl 1997, 274; zustimmend Michitsch, Reiserecht § 31e KSchG Rz 23).

6.4. Daraus ist abzuleiten, dass der Reiseveranstalter, der den Rückflug zum vereinbarten Zeitpunkt nicht erbringt, weil die Fluglinie den Flug annulliert, nicht nur dazu verpflichtet ist, den Reisenden möglichst bald mit einem Ersatzflug an sein Ziel zu befördern, sondern – als „angemessene Vorkehrung“ – dem Reisenden auch ein Hotel zur Übernachtung bis zum neuen Rückflug zur Verfügung stellen muss. Im neuen, auf ab dem 1. 7. 2018 geschlossene Pauschalreiseverträge anzuwendenden Pauschalreisegesetz ist diese Verpflichtung des Reiseveranstalters in § 11 Abs 7 PRG ausdrücklich positiviert: „Ist die im Pauschalreisevertrag vereinbarte Rückbeförderung des Reisenden aufgrund unvermeidbarer und außergewöhnlicher Umstände nicht möglich, so hat der Reiseveranstalter die Kosten für die notwendige Unterbringung des Reisenden, nach Möglichkeit in einer gleichwertigen Kategorie, für einen Zeitraum von höchstens drei Nächten zu tragen.“

6.5. In diesem Sinne kann die Unterbringung in einem Hotel mit einer besonderen Gefahrenquelle für die behinderte Klägerin als „unzureichende Unterstützung“ nach der Annullierung des Flugs qualifiziert werden.

6.6. Dass die Klägerin kein ausdrückliches Verlangen an die Beklagte richtete, schadet nicht: § 31e Abs 1 KSchG sieht – anders als die Formulierung der „Parallelbestimmung“ des § 651c BGB – kein ausdrückliches Verlangen des Reisenden nach Abhilfe vor. Die in § 31e Abs 2 KSchG bzw § 651d Abs 2 BGB normierte Rügeobliegenheit ist auch von einem Verlangen nach Abhilfe zu unterscheiden (vgl Tonner in Münchener Kommentar zum BGB7 § 651c Rz 135; Geib in Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BeckOK BGB § 651c Rz 43; Staudinger in Staudinger, BGB § 651c Rz 151). Der Reiseveranstalter muss daher grundsätzlich von sich aus tätig werden und für „angemessene Vorkehrungen“ und Hilfestellung im Sinn des § 31e Abs 1 KSchG sorgen, sobald ihm bekannt ist, dass eine Leistungsstörung vorliegt. Im vorliegenden Fall hat er sich dabei – ähnlich wie im Fall BGH X ZR 163/02 – der Fluglinie bedient, die wiederum das Hotel eingesetzt hat, in dessen Bereich die Klägerin nach dem Klagsvorbringen gestürzt ist. Dass der Reiseveranstalter vom Wissensstand des Erfüllungsgehilfen und von dessen Tätigkeiten im Einzelnen keine Kenntnis hat, steht der Zurechnung nach § 1313a ABGB nicht entgegen.

7.1. Die Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (im Folgenden Fluggastrechte-VO) ändert an der Verpflichtung der Beklagten zur Erbringung von „Betreuungsleistungen“ im Sinn des § 31e KSchG nichts:

7.2. Für den hier vorliegenden Fall der Annullierung verpflichtet Art 5 Fluggastrechte-VO das ausführende Luftfahrtunternehmen, den betroffenen Fluggästen Unterstützungsleistungen gemäß Art 8 und 9 anzubieten. Dazu gehören gemäß Art 9 Abs 1 lit b und c für den Fall, dass die zu erwartende Abflugzeit des neuen Flugs erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Flugs liegt, eine Hotelunterbringung und die Beförderung zwischen dem Flughafen und dem Ort der Unterbringung (Hotel oder Sonstiges). Gemäß Art 9 Abs 3 hat das ausführende Luftfahrtunternehmen dabei besonders auf die Bedürfnisse von Personen mit eingeschränkter Mobilität und deren Begleitpersonen sowie auf die Bedürfnisse von Kindern ohne Begleitung zu achten.

7.3. Die Verordnung verpflichtet zu Ausgleichszahlungen und Unterstützungsleistungen nicht das Luftfahrtunternehmen, das die konkrete Luftbeförderung vertraglich schuldet, sondern ausschließlich dasjenige, welches den konkreten Flug durchführt oder durchführen sollte, auf dem der Fluggast nicht befördert wird oder sonst von einer Flugunregelmäßigkeit betroffen ist; welche vertragliche Konstruktion dem Fluggeschehen zugrunde liegt, ist nicht maßgebend (Schmid in Schmid, Fluggastrechte-VO7 Art 3 Rz 55). Gleich, ob der Fluggast einen sogenannten „Nur-Flug“ gebucht hat oder im Rahmen einer Flugpauschalreise befördert wird, muss er seine Ansprüche daher gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen richten, auch wenn keine Vertragsbeziehung zwischen ihm und diesem Luftfahrtunternehmen besteht (Schmid in Schmid, Fluggastrechte-VO7 Art 3 Rz 56).

7.4. Bei einer Pauschalreise können Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach Art 7 Fluggastrechte-VO daher nicht gegen den Reiseveranstalter geltend gemacht werden (BGH X ZR 49/07).

7.5. Die Fluggastrechte-VO regelt jedoch ausdrücklich nur Mindestrechte für Fluggäste. Weitergehende Ansprüche nach nationalem Recht werden dadurch nicht ausgeschlossen. Ausdrücklich ist etwa in Art 12 Abs 1 leg cit normiert, dass die Verordnung „unbeschadet eines weitergehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes“ gilt.

7.6. Daher kann aus der Fluggastrechte-VO nicht abgeleitet werden, dass nicht gleichzeitig auch – im Sinne des zitierten § 31e KSchG – Unterstützungspflichten der Beklagten bestanden. Selbstverständlich können von einer Fluglinie erbrachte Leistungen bei entsprechender Kongruenz auch den Reiseveranstalter befreien. Daher sind etwa gewährte Entschädigungen bei der Bemessung eines allfälligen Preisminderungsanspruchs zu berücksichtigen. Dass – wie der Rekurs vermeint – bei dieser Auslegung die Fluggastrechte „unterwandert“ würden, weil der Vertragspartner des Reisenden die Leistung dann unter Umständen kondizieren könne, ist nicht stichhaltig, weil dem Reisenden die Leistung nach der Fluggastrechte-VO zusteht und sie somit nicht rechtsgrundlos erbracht wurde. Zu einer Anrechnung würde es hingegen kommen, wenn der Reisende, der bereits von der Fluglinie eine Entschädigung erhalten hat, vom Veranstalter eine zusätzliche Entschädigung begehrt.

7.7. Zusammenfassend erweist sich damit die Rechtsansicht des Berufungsgerichts als zutreffend, wonach im vorliegenden Fall auch der Reiseveranstalter gemäß § 31e Abs 1 KSchG verpflichtet war, für eine Unterbringung der Klägerin bis zum Rückflug am nächsten Tag zu sorgen.

8. In dem Umstand, dass die Klägerin die von der Fluglinie angebotene Unterbringung annahm, kann bei lebensnaher Würdigung kein Verzicht auf den Anspruch auf Unterstützungsleistungen im Sinn des § 31e KSchG gegenüber dem Veranstalter erblickt werden. In diesem Zusammenhang ist auch auf Art 3 Abs 5 Fluggastrechte-VO hinzuweisen, wonach, wenn ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung erfüllt, davon ausgegangen wird, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht. Das Anbot einer Ersatzunterkunft wegen der Flugannullierung konnte aus Sicht des Verbrauchers auch dahin verstanden werden, dass die Fluglinie damit – zumindest auch – im Namen des Reiseveranstalters handelt, dessen Erfüllungsgehilfin sie ist (vgl 8 Ob 14/18v).

Zusammenfassend erweist sich die Rechtsansicht des Berufungsgerichts daher als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Textnummer

E122858

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00146.18S.0831.000

Im RIS seit

12.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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