TE OGH 2018/9/26 15Os91/18y

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Veröffentlicht am 26.09.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat am 26. September 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ertl, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Ahmad R***** wegen Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 1, 2 und 3, Abs 4 erster Fall FPG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 11. Oktober 2017, GZ 8 Hv 28/17t-531, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ahmad R***** der Verbrechen der Schlepperei „nach § 114 Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 1, 2 und 3, Abs 4 erster Fall FPG teilweise auch nach § 114 Abs 3 Z 2 FPG idF BGBl I Nr 144/2013“ (A./I./, A./VII./, A./X./1./, A./X./2./), der Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (G./ und I./) und des Vergehens der Annahme, der Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden nach § 224a StGB (H./) schuldig erkannt.

Danach hat er – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant –

A./ in N***** und an anderen Orten als Mitglied einer kriminellen Vereinigung bestehend aus ihm, fünf namentlich genannten abgesondert Verfolgten und weiteren teils bekannten, teils unbekannten Mittätern im bewussten und gewollten arbeitsteiligen Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB), obwohl er am 14. Oktober 2014 zu AZ 25 Hv 74/14b des Landesgerichts Eisenstadt schon einmal wegen Schlepperei nach § 114 Abs 1 und 3 Z 1 FPG verurteilt worden war, gewerbsmäßig (§ 70 StGB) die rechtswidrige Einreise von Fremden, die über keine gültigen Reisedokumente für die Einreise oder den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder dem Schengenraum verfügten, in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs, nämlich aus Serbien über Ungarn nach Österreich und Deutschland, mit dem Vorsatz, sich und Dritte durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, gefördert, „wobei er die Taten teilweise in Bezug auf eine größere Zahl von Fremden beging“, und zwar

I./ gemeinsam mit Murat K*****, Haci K***** und Adnan A***** am 21. Jänner 2015 die Einreise von 24 unbekannt gebliebenen syrischen Staatsangehörigen von Serbien nach Ungarn mit dem Ziel Österreich, indem Murat K***** die Schleppung organisierte und sie gemeinsam mit Döndü K***** mit drei Kfz, nämlich einem schwarzen BMW X5, einem weißen Audi A6 mit dem Kennzeichen ***** und einem Kastenwagen der Marke Mercedes Benz mit der Aufschrift „B*****“ und dem österreichischen Kennzeichen *****, von Linz bis an die ungarisch-serbische Grenze (M***** und Á*****) fuhren, wobei zwei Begleitfahrzeuge gedacht waren und Haci K***** das Schlepperfahrzeug nach Ungarn lenkte und auch in Richtung Österreich fahren sollte, jedoch der Kastenwagen von der ungarischen Polizei angehalten wurde und dem Lenker Haci K***** die Flucht gelang;

VII./ gemeinsam mit Haci K*****, Ihsam B***** und anderen Mitgliedern der kriminellen Vereinigung am 12. Mai 2015 einer nicht mehr exakt feststellbaren Anzahl von Fremden, die mit dem bei der Firma Bu***** angemeldeten Mercedes Sprinter mit dem Kennzeichen ***** nach Österreich befördert wurden, wobei Haci K***** mit dem BMW mit dem Kennzeichen ***** als Lenker des Vorausfahrzeugs fungierte und ein weiteres Mitglied der kriminellen Vereinigung als Lenker des Schlepperfahrzeugs;

X./1./ am 15. Mai 2015, indem er bei der Schleppung von 53 afghanischen und syrischen Staatsangehörigen durch den abgesondert verfolgten Fahrer Ilir H*****, der die Fremden in den von der kriminellen Vereinigung zur Verfügung gestellten Citroën Jumper mit dem französischen Kennzeichen ***** aufnahm und nach Österreich transportierte, für diese Personen zuvor als Fußschlepper über die serbisch-ungarische grüne Grenze fungierte, wobei sie die Tat auf eine Art und Weise begingen, durch die die Fremden längere Zeit hindurch, nämlich fünf Stunden lang, in einen qualvollen Zustand versetzt wurden, indem sie ohne Essen und ohne Möglichkeit, ihre Notdurft zu verrichten, auf einer Fläche von 3 m x 1,8 m, sohin auf einer Gesamtfläche von 5,4 m², und einer Höhe von 2 m verharren mussten, wodurch sie pro erwachsener Person (es waren auch sechs Kinder dabei) nur eine Fläche von 0,11 m² und 0,22 m³ Volumen beanspruchen konnten;

X./2./ am 6. Oktober 2015, indem er bei der Schleppung von sechs afghanischen Staatsangehörigen durch Simeon P***** von Budapest nach Deutschland über Auftrag von Haq C***** seinen Pkw der Marke BMW X5 mit dem Kennzeichen ***** zur Verfügung stellte.

Rechtliche Beurteilung

Ausschließlich gegen A./X./1./ des Schuldspruchs richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

Die Tatrichter stützten ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zu A./X./1./ auf die im Ermittlungsverfahren kurz nach ihrer Entdeckung in Österreich (US 9) getätigten Aussagen mehrerer namentlich genannter Zeugen, darunter Mohammed Ha***** (US 10; ON 139 S 117), Basel Ba***** (US 9; ON 139 S 101) und Samer Al***** (US 10; ON 139 S 125), wobei es auch deren Angaben in der Hauptverhandlung berücksichtigte (US 10; ON 518 S 50, 63). Dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe folgend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) waren sie dabei nicht gehalten, jedes Detail der Angaben dieser Personen einer besonderen Würdigung zu unterziehen. Mangels Erheblichkeit für die entscheidende Frage der Tatbegehung durch den Angeklagten musste sich das Schöffengericht in diesem Zusammenhang nicht damit auseinandersetzen (Z 5 zweiter Fall), ob der von Ba***** und Al***** eindeutig als einer der Fußschlepper identifizierte Angeklagte während des (mehrstündigen) Fußwegs (stets) vor oder hinter den Genannten ging (RIS-Justiz RS0098377).

Schließlich wird auch mit aus dem Kontext gerissenen Details der Depositionen der Zeugin Ab***** (ON 518 S 47) zur Identifizierung der Fußschlepper (vgl dazu US 10) und zur Anwesenheit der Letztgenannten (auch) beim Einsteigen der 53 in der Folge von Ilir H***** nach Österreich transportierten Fremden in das Fahrzeug (US 6 f) keine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) der Begründung in Bezug auf den für die Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 3 FPG erforderlichen Vorsatz (US 7, 12) dargetan.

Soweit die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) darüber hinaus bloß pauschal kritisiert, das Ersturteil habe sich mit „Aussagen der übrigen Zeugen“, die den Angeklagten im Ermittlungsverfahren nicht identifiziert hätten („ON 2 der ON 56“), nicht auseinandergesetzt, verabsäumt sie eine deutliche und bestimmte Bezeichnung von in der Hauptverhandlung vorgekommenen, (konkret) gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden und damit erörterungsbedürftigen Beweisergebnissen, zumal das erwähnte Konvolut insgesamt 439 Seiten und eine Vielzahl von Zeugenaussagen umfasst (RIS-Justiz RS0124172).

Die beweiswürdigenden Erwägungen, mehrere (namentlich genannte) Zeugen hätten den Angeklagten (kurz nach der Tat) als einen der Fußschlepper identifiziert, andere hingegen hätten ihn – aufgrund der Dunkelheit, der teilweisen Verhüllung der Gesichter der Schlepper und des Umstands, dass sie diese nicht ansehen durften – nicht wiedererkannt (US 9 f), sind nach logischen Kriterien miteinander in Einklang zu bringen. Somit geht auch der darauf bezogene Einwand eines Widerspruchs (Z 5 dritter Fall; RIS-Justiz RS0119089) ins Leere.

Insgesamt stellt das Vorbringen der Mängelrüge bloß einen Versuch dar, die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld anzugreifen.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810).

Die gegen die Annahme der Qualifikation nach § 114 Abs 3 Z 3 FPG gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) behauptet einen Rechtsfehler mangels Feststellungen in Bezug auf eine „qualifizierende Tathandlung“ (des Angeklagten). Sie erklärt aber nicht, weshalb die Feststellungen des Erstgerichts zur – von Beginn an mit entsprechendem Vorsatz verbundenen – Mitwirkung des im Rahmen des arbeitsteilig operierenden kriminellen Zusammenschlusses agierenden Angeklagten an der Verbringung von 53 Fremden über die Grenze zu einem Kastenwagen, der die Beförderung einer solchen Personenanzahl nur auf engstem Raum erlaubte, und dessen Fahrzeugtür er öffnete (US 6 f, 9 f, 11 f), keine solche (qualifizierte) Förderungshandlung zum Ausdruck bringen sollten. Indem sie bloß jegliche Mitwirkung des Angeklagten „an der anschließenden Transportfahrt“ negiert, orientiert sie sich nicht an der Gesamtheit der dargestellten Entscheidungsgründe und verabsäumt damit eine prozessordnungskonforme Darlegung des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Bleibt mit Blick auf § 290 StPO anzumerken, dass das Erstgericht zu Unrecht von (mehreren) Verbrechen „nach § 114 Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 1, 2 und 3, Abs 4 erster Fall FPG teilweise auch nach § 114 Abs 3 Z 2 FPG idF BGBl I Nr 144/2013“ ausging: Da nach den Feststellungen vier – nicht im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene – einzelne Mehrpersonentransporte vorlagen (RIS-Justiz RS0130603), war jede dieser Taten auf Basis des konkreten Urteilssachverhalts einer gesonderten rechtlichen Beurteilung zu unterziehen.

Angesichts der dynamischen Verweisung auf § 70 StGB war hinsichtlich der vor Inkrafttreten des StRÄG 2015 (BGBl I 2015/112 mit 1. Jänner 2016) begangenen Taten (A./I./, A./VII./, A./X./1./ und A./X./2./), angesichts der Änderung von § 114 Abs 3 Z 2 FPG durch BGBl I 2015/121 mit 1. Oktober 2015 überdies hinsichtlich der davor begangenen Taten (A./I./, A./VII./, A./X./1./) zu prüfen, ob jeweils entweder Tat- oder Urteilszeitrecht anzuwenden ist und welche Qualifikationen jeweils erfüllt sind. Eine Mischung von Rechtsschichten – wie vom Erstgericht offenbar angenommen – ist jedenfalls unzulässig (RIS-Justiz RS0119085, RS0112939).         

Nachdem § 70 StGB vor Inkraftteten des StRÄG 2015 weniger strenge (hier nach den Feststellungen zu allen Fakten) erfüllte Voraussetzungen für die Annahme von Gewerbsmäßigkeit vorsah, war Tatzeitrecht insoweit nicht günstiger als die im Urteilszeitpunkt geltende Rechtslage (vgl 14 Os 86/17d). Bei konkret 24 (A./I./) und 53 (A./X./1./) Geschleppten waren überdies sowohl „eine größere Zahl von Fremden“ iSd § 114 Abs 3 Z 2 FPG aF als auch „mindestens drei Fremde“ iSd § 114 Abs 3 Z 2 FPG idgF betroffen. Hinsichtlich A./VII./ wiederum war die Anzahl der Fremden nicht feststellbar (US 2, 6, 8), sodass – mangels Nennung einer Mindestzahl in den Entscheidungsgründen – § 114 Abs 3 Z 2 FPG nicht erfüllt ist. Außer zu A./X./1./ (US 2, 6 f, 12, 14) wiederum ist keine weitere Schleppung nach § 114 Abs 3 Z 3 FPG qualifiziert.

Demnach erweist sich das Tatzeitrecht in der konkreten Gesamtauswirkung gerade nicht als günstiger als das Urteilszeitrecht (§ 61 zweiter Fall StGB), sodass die vom Erstgericht vorgenommene Unterstellung der Taten „teilweise“ (US 2 f 12 ff) unter „§ 114 Abs 3 Z 2 FPG idF BGBl I Nr 144/2013“ rechtsirrig erfolgte. Vielmehr wäre
– angesichts der Vorverurteilung vom 14. Oktober 2014 – zu A./I./ ein Verbrechen nach § 114 Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 1 (iVm § 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StGB), Z 2, Abs 4 erster Fall FPG idgF, zu A./VII./ ein Verbrechen nach § 114 Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 1 (iVm § 70 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StGB), Abs 4 erster Fall FPG idgF und zu A./X./I./ – zufolge der Vorverurteilung und der Begehung bereits zwei solcher (noch nicht abgeurteilter) Taten binnen Jahresfrist des § 70 Abs 3 StGB – ein Verbrechen nach § 114 Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 1 (iVm § 70 Abs 1 Z 3 erster und zweiter Fall StGB), Z 2, Z 3, Abs 4 erster Fall FPG idgF und zu A./X./2. ein Verbrechen nach § 114 Abs 1, Abs 2, Abs 3 Z 1 (iVm § 70 Abs 1 Z 3 erster und zweiter Fall StGB), Z 2 und Abs 4 erster Fall FPG idgF anzunehmen gewesen.

Die aufgezeigten – ungerügt gebliebenen – Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) blieben jedoch
– angesichts der nach § 114 Abs 4 FPG (der seit den hier in Rede stehenden Tatzeiten im Strafrahmen ebenso unverändert blieb wie die übrigen Absätze des § 114 FPG) erfolgten Strafrahmenbildung sowie des Umstands, dass sie die vom Erstgericht angenommenen besonderen Erschwerungsgründe nicht tangieren (US 15) für den Angeklagten per se ohne Nachteil im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher nicht zu amtswegigem Vorgehen bestimmt (vgl 13 Os 129/17w). Bei der Ausstellung der Endverfügung und der Strafkarte durch das Erstgericht besteht insoweit keine Bindung an den formal verfehlten Schuldspruch (RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E122829

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00091.18Y.0926.000

Im RIS seit

11.10.2018

Zuletzt aktualisiert am

11.10.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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