Entscheidungsdatum
13.08.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
I408 2202393-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX geb. XXXX alias XXXX StA. Libyen, gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost) vom 04.07.2018, Zl. 1108758706-160401218, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 04.07.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Libyen (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).
4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 26.07.2018.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer gab bereits bei seiner Ersteinvernahme an, in Algerien gelebt zu haben, aber aus Libyen zu stammen. Von dort sei er 2008 mit seiner Familie nach Algerien ausgewandert, wo seine unmittelbaren Angehörigen (Vater, Mutter, 3 Geschwister) noch immer leben.
Erhebungen "Warum seine Eltern Libyen verlassen haben" und "ob dort noch soziale Kontakte in irgendeiner Form bestehen", wurden von der belangten Behörde nicht getätigt.
Die Feststellung, dass der mehrfach vorbestrafet und in Haft befindliche Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Libyen ist beruht einzig und allein auf seinen Angaben und dass er mit den sozialen Gegebenheiten vertraut ist bzw. bei einer Rückkehr aufgrund familiärer Unterstützung finden wird, kann weder den Aussagen des Beschwerdeführers noch den im Bescheid zitierten Länderfeststellungen unmittelbar entnommen werden.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbedenklichen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
3. Rechtliche Beurteilung:
2.1. Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung (Spruchpunkt A.):
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 28 VwGVG Anm. 11). Der VwGH hat festgehalten, dass bei der Ausübung des Ermessens nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch die Bedeutung und Funktion der Rechtmittelbehörde ins Kalkül zu ziehen sei und die Einräumung eines Instanzenzuges nicht "zur bloßen Formsache degradiert" werden dürfe. Der Umstand, dass es die Vorinstanz ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse zu erarbeiten, rechtfertige nicht, dass sich der Rechtsweg "einem erstinstanzlichen Verfahren (...) nähert", in dem eine ernsthafte Prüfung des Antrages erst bei der zweiten und letzten Instanz beginnt und auch endet (VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).
Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).
Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063, in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt etwa, weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebraucht macht.
Im gegenständlichen Fall hat sich ergeben, dass die belangte Behörde erforderliche Ermittlungen zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts unterlassen bzw. bloß ansatzweise und nur grob mangelhaft ermittelt hat:
In der vorliegenden Beschwerde geht die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Libyen ist, mit den Verhältnissen in seinem Herkunftsstaat vertraut ist und über familiäre Anhaltspunkte verfügt, die ihm eine Rückkehr trotz der undurchsichtigen Sicherheitslage ermöglichen.
Diesbezügliche Erhebungen wurden aber von der belangten Behörde nicht getätigt und lassen sich auch aus den vorliegenden Unterlagen entnehmen. Bei der Staatsangehörigkeit stützt sich die belangte Behörde ausschließlich auf die Angaben des Beschwerdeführers, dass er aus Tripolis stamme, die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer mit den örtlichen und sozialen Gegebenheiten vertraut ist und über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, stehen im offen Widerspruch zu seinen Angaben und können so auch nicht nachvollzogen werden.
Aus dem gesamten vorgelegten Verwaltungsakt ist auch nicht zu erblicken, dass die belangte Behörde weitere - jedenfalls notwendige - Ermittlungen oder Veranlassungen zum Zweck der Abklärung der tatsächlichen Staatsangehörigkeit oder Erlangung eines Heimreisezertifikates (zB Anfragen bei der libyschen oder algerischen Botschaft) unternommen hätte, obwohl kein Grund ersichtlich ist, weshalb dies der belangten Behörde nicht möglich gewesen sein sollte, zumal der Beschwerdeführer seit 04.06.2018 in Haft befindet und sich dort, aufgrund der vorliegenden Verurteilungen noch einige Zeit aufhalten wird. Die Vornahme weiterer Ermittlungen bzw. Abklärungen über die tatsächliche Staatsangehörigkeit sowie die familiäre und soziale Situation im tatsächlichen Herkunftsstaat ist jedoch für die Beurteilung des gegenständlichen Falles von wesentlicher Bedeutung.
Aus all dem ergibt sich, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid weder eine hinreichende Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes, noch eine Beantwortung aller relevanten Rechtsfragen vorgenommen hat, die auch eine geeignete nachfolgende verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Bescheides ermöglichen würden (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).
Die belangte Behörde wird daher erneut alle zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen, allenfalls unter neuerlicher Einvernahme des Beschwerdeführers, vorzunehmen und - je nach Ausgang des Ermittlungsverfahrens - einen neuen Bescheid zu erlassen haben, in dessen Begründung in klarer und übersichtlicher Weise darlegt wird, auf Grund welchen für sie als erwiesen anzunehmenden Sachverhalts sie zu der im Spruch wiedergegebenen rechtlichen Beurteilung gekommen ist.
Es hat sich insgesamt nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das BVwG selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.
Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das BVwG selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Hinzu kommt, dass gerade in Verfahren, wo seitens der belangten Behörde einer Beschwerde gegen ihre Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt wird, von ihr vollständige und nachvollziehbare Erhebungen zu erwarten sind.
Da alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Im Hinblick darauf, dass die Beurteilung dieser Fragen unmittelbaren Einfluss auf die Rückkehrentscheidung und das damit verbundene Einreiseverbot hat, umfasst die Behebung alle Spruchpunkte des Bescheides.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Beweisverfahren, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:I408.2202393.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.10.2018