TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/13 W249 2175220-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.08.2018
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Entscheidungsdatum

13.08.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W249 2175217-1/10E

W249 2175220-1/11E

W249 2175200-1/8E

W249 2175214-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX (alias XXXX ), Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2018 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX (alias XXXX ), Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2018 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geboren am XXXX (alias XXXX ), Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch seine Mutter XXXX , geboren am XXXX (alias XXXX ), diese vertreten durch die XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2018 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Ingrid ZEHETNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des minderjährigen XXXX (alias XXXX ), geboren am XXXX (alias XXXX ), Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch seine Mutter XXXX , geboren am XXXX (alias XXXX ), diese vertreten durch die XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2018 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX (alias XXXX ) gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX (alias XXXX ) damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführer ( XXXX , in der Folge "BF1") und die Zweitbeschwerdeführerin ( XXXX , in der Folge "BF2") sind verheiratet und die Eltern der Dritt- ( XXXX , in der Folge "BF3") und Viertbeschwerdeführer ( XXXX , in der Folge "BF4").

BF1 und BF2 stellten für sich und ihre minderjährigen Kinder nach unrechtmäßiger, schlepperunterstützter Einreise am 09.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am selben Tag vor der Landespolizeidirektion Salzburg erfolgten Erstbefragung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi gab BF1 im Wesentlichen an, er sei am XXXX in Ghazni, XXXX , geboren worden, schiitischen Bekenntnisses und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Er sei verheiratet und habe zwei Kinder. BF1 habe 5 Jahre eine Grundschule in Afghanistan besucht und habe als Hilfsarbeiter gearbeitet; zuletzt in Isfahan, Iran, in einer Teppichfabrik.

Zur finanziellen Situation befragt führte BF1 an, dass diese in Afghanistan schlecht gewesen sei. Auch jene der Familie sei schlecht. Alle seien Hilfsarbeiter. BF1 besitze ein Grundstück im Iran.

BF1 habe vor ca. 45 Tagen den Iran verlassen, wo er 22 Jahre lang illegal gelebt habe, und die Reise sei durch ihn selbst organisiert worden. Die Kosten dafür hätten vom Iran in die Türkei USD 1.800,--, von der Türkei nach Griechenland weitere USD 1.800,-- und von Griechenland nach Ungarn EUR 1.000,-- betragen.

Zum Fluchtgrund führte BF1 aus, dass er mit 15 Jahren aus Afghanistan in den Iran geflohen sei, da viele seiner Verwandten getötet worden seien. Im Iran habe er sich nicht frei bewegen und seine Kinder hätten dort nicht zur Schule gehen können. Er habe im Iran illegal gelebt. Nach Afghanistan könne BF1 nicht zurück, da es dort noch immer Krieg gebe. Seine Kinder seien behindert, daher wisse er nicht, was er machen solle.

Bei einer Rückkehr habe BF1 Angst, da sein Leben in Gefahr sei. Es gebe keine Sicherheit. Es gebe die Taliban und den IS.

3. BF2 gab bei ihrer Erstbefragung am selben Tag im Wesentlichen an, sie sei am XXXX in Mashad, Iran, geboren worden, schiitischen Bekenntnisses und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Sie habe in XXXX geheiratet und habe zuletzt in XXXX gewohnt. BF2 sei verheiratet und habe zwei Kinder. Sie habe eine Grundschule von 1995 bis 2000 im Iran besucht, habe eine Berufsberufsausbildung als Schneiderin, Verkäuferin (Blumengeschäft) und Friseurin und sei zuletzt als Schneiderin tätig gewesen. BF2 besitze zusammen mit ihrem Mann ein eigenes Haus, jedoch hätten sie dieses nicht auf ihren eigenen Namen gekauft, da sie dies nicht gedurft hätten. BF1 besitze Grundstücke.

Zur finanziellen Situation befragt führte BF2 an, dass diese mittel gewesen sei. Auch jene der Familie sei mittel. Ihr Vater sei selbstständiger Händler und arbeite mit Steinen.

BF2 habe zusammen mit ihrer Familie vor 40 Tagen den Iran verlassen. Es sei ihre Idee gewesen, organisiert habe die Ausreise ihr Mann.

Zum Fluchtgrund führte BF2 aus, dass sie und ihr Ehemann wie auch ihre Kinder nicht vom Iran unterstützt worden seien. Da beide Kinder von Geburt an schwer krank seien (Erkrankung der Lunge, Leber, schlechte Blutwerte) und die Familie keine Unterstützung erhalten habe, sei dies der Grund zur Ausreise gewesen. Der Hauptgrund für die Flucht von BF2 seien ihre Kinder gewesen.

Bei einer Rückkehr habe sie Angst vor Unsicherheit und Armut. In ihrer Heimat sei es sehr gefährlich. Dauernd explodiere irgendwo eine Bombe. Für die Kinder von BF2 gebe es überhaupt keinen Schutz. Sie sei außerdem nicht in Afghanistan aufgewachsen.

4. Durch die Rechtsvertretung der Beschwerdeführer wurden am 02.11.2015 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "BFA") diverse medizinische Unterlagen (u.a. Dokumente aus dem Iran) betreffend BF3 und BF4 übersandt.

5. Das BFA stellte am 09.06.2017 eine Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich der Behandelbarkeit der Krankheiten sowie der Erhältlichkeit und Kosten der Medikamente von BF3 und BF4 in Afghanistan, deren Beantwortung in allen Fragen negativ ausfiel.

6. BF1 und BF2 wurden am 18.09.2017 vor dem BFA, Regionaldirektion Burgenland, niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme legten diese folgende Unterlagen vor:

* iranischer Personalausweis von BF1, BF2, BF3 und BF4

* iranischer Impfpass von BF2

* iranischer Mutter-Kind-Pass von BF3 und BF4

* iranische und österreichische Ärztebefunde von BF3

* österreichische Ärztebefunde von BF4

* Teilnahmebestätigung an einem A1-Deutschkurs von BF1 vom 28.04.2017

* Teilnahmebestätigung an einem A1-Deutschkurs von BF2 vom 27.04.2017

* Bestätigung über die Teilnahme an Deutschkursen und Integrationsveranstaltungen von BF1 vom 31.05.2017

* Bestätigung über die Teilnahme an Deutschkursen und Integrationsveranstaltungen von BF2 vom 31.05.2017

* A1-ÖSD-Zertifikat von BF1 vom 17.05.2017

* Bestätigung über Remunerationsleistungen von BF1 vom 01.06.2017

* Heiratsurkunde

* diverse Fotos

* diverse Unterstützungsschreiben (zwei Mal ohne Datum, 07.06.2017, 01.06.2017, 05.06.2017, 01.06.2017)

7. Im Rahmen der Befragung vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi führte BF1 an, dass er am XXXX in Ghazni, XXXX , geboren worden sei, aber zuletzt in Isfahan, XXXX , Iran, gelebt habe. In Afghanistan habe er 5 Jahre lang eine Koranschule besucht und nebenbei seinen Vater in der Landwirtschaft unterstützt. Danach habe er 17 Jahre lang als Mechaniker in einer Teppichfabrik im Iran gearbeitet.

Zu den Fluchtgründen befragt gab BF1 im Wesentlichen an, dass er Afghanistan verlassen habe, da es Krieg und viele politische Kräfte geben habe sowie viele Menschen getötet und entführt worden seien. Vor allem Hazara würden verfolgt und unterdrückt werden. Der Vater von BF1 habe vor ihm bereits zwei seiner Brüder aus Sicherheitsgründen in den Iran geschickt. Seine Kinder seien krank und würden regelmäßig ärztliche Behandlung und Kontrollen benötigen. Diese Chance hätten diese weder im Iran noch in Afghanistan.

8. BF2 gab in ihrer Befragung vor dem BFA an, dass sie am XXXX in Mashad, Iran, geboren worden sei und zuletzt in Isfahan, XXXX , Iran, gelebt habe. Sie habe 5 Jahre lang eine Schule besucht und habe zuletzt 1 Jahr lang als Schneiderin gearbeitet.

Zu ihrem Fluchtgrund befragt gab BF2 zusammengefasst an, dass sie zwei behinderte Kinder habe, die krank und ständig in ärztlicher Kontrolle seien. Jedes Mal, wenn sie ins Krankenhaus gegangen seien, hätten sie eine Kaution hinterlegen müssen. Außerdem hätten die Ärzte im Iran nicht die Krankheit ihres 11-jährigen Sohnes diagnostizieren können; hier in Österreich habe er Medikamente erhalten, und es gehe ihm viel besser. Im Iran seien die Kinder von BF2 zudem mit falschen Medikamenten und überdosiert behandelt worden. Es habe auch Fehldiagnosen gegeben. BF2 sei wegen den Kindern nach Österreich gekommen. Im Iran würden außerdem Afghanen diskriminiert werden. Nach Afghanistan könnte die Familie nicht zurückkehren, da dort Krieg herrsche. Es drohe auch eine Verfolgung als Hazara. Als Frau könne BF2 nicht mit ihren Kindern ins Krankenhaus gehen, da es keine Sicherheit gebe.

9. Das BFA wies mit den in den Sprüchen angeführten Bescheiden vom 29.09.2017 die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz jeweils bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) (Spruchpunkte I.) ab, erkannte jeweils den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (iVm § 34 Abs. 3 AsylG) (Spruchpunkte II.) zu und erteilte jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 29.09.2018 (Spruchpunkte III.).

In der Begründung der Bescheide gab das BFA die entscheidungsrelevanten Angaben von BF1 und BF2 wieder und traf Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer und der Lage in Afghanistan. Es habe nicht festgestellt werden können, dass diese aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung in ihrer Heimat verfolgt worden seien.

Beweiswürdigend führte das BFA insbesondere an, dass eine aktuell drohende individuell gegen die Beschwerdeführer gerichtete Gefahr einer Verfolgung im Heimatland nicht glaubhaft gemacht werden habe können.

BF4 erhielt aufgrund einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK im Sinne des § 8 Abs. 1 subsidiären Schutz (keine ausreichende medizinische Behandlung in Afghanistan). BF1, BF2 und BF3 erhielten aufgrund des § 34 Abs. 3 AsylG den Status von subsidiären Schutzberechtigten zuerkannt.

10. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 29.09.2017 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG jeweils die XXXX als Rechtsberatung zur Seite gegeben.

11. Mit 10.10.2017 wurde die XXXX zur rechtsfreundlichen Vertretung von BF1 und BF2 (und damit BF3 und BF4) bevollmächtigt.

12. Mit Schreiben vom 25.10.2017 erhoben die Beschwerdeführer jeweils fristgerecht eine gleichlautende Beschwerde. Die Beschwerden brachten im Wesentlichen vor, dass die Beschwerdeführer westlich orientiert seien. Den Kindern würden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Menschen mit Behinderungen soziale, gesellschaftliche und staatliche Diskriminierungen drohen. Für diese gebe es auch keine ausreichende medizinische Versorgung in Afghanistan. Hinzu komme, dass die Beschwerdeführer der Volksgruppe der Hazara angehören würden, was bei einer Rückkehr zu Schwierigkeiten führen würde.

13. Die Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) am 02.11.2017 vorgelegt.

14. Am 06.06.2018 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt. Das BFA verzichtete mit Schreiben vom 23.05.2018 auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Im Zuge dieser Verhandlung wurde durch Parteienvernehmung von BF1 und BF2 in Anwesenheit ihrer Rechtsvertreterin und einer Vertrauensperson in der Sprache Dari Beweis erhoben.

Vorgelegt wurden dabei von BF1 und BF2:

* A2-ÖSD-Zertifikat von BF1 vom 03.04.2018

* Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs von BF2 vom 06.06.2018

* Bestätigung über einen Werte- und Orientierungskurs von BF1 vom 14.12.2016

* Bestätigung über einen Werte- und Orientierungskurs von BF2 vom 15.11.2017

* Teilnahmebestätigung an Integrationsangeboten von BF1 und BF2 vom 29.05.2018

* Schulbesuchsbestätigungen von BF3 (01.07.2016, 30.05.2018)

* Schulnachrichten von BF3 (10.02.2017, 09.02.2018)

* Jahreszeugnis von BF3 vom 30.06.2017

* schulischer Bericht von BF3 vom Mai 2018

* ärztliche Entlassungsberichte von BF4 (19.11.2017, 29.01.2018, 11.04.2018)

* Ambulanzbefund von BF3 vom 09.02.2016

* Erstuntersuchung Kinderambulanz von BF4 vom 22.05.2018

* Bescheid über den Anspruch von Pflegegeld von BF3 (Stufe 4) vom 28.11.2017

* Bescheid über den Anspruch von Pflegegeld von BF4 (Stufe 3) vom 24.11.2017

* diverse Unterstützungsschreiben (31.05.2018, 01.06.2018, 05.06.2018)

15. Die Niederschrift der Befragung von BF1 und BF2 lautet auszugsweise:

"Zur heutigen Situation:

R: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF1+2: Ja.

R: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF1+2: Nein.

Zum bisherigen Verfahren:

[...]

BF2 ist mit Pullover und Hose bekleidet und trägt kein Kopftuch.

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

R: Vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurden im angefochtenen Bescheid die folgenden Feststellungen zur Identiät der Beschwerdeführer getroffen:

BF1: XXXX , geb. am XXXX

BF2: XXXX , geb. am XXXX

BF3: XXXX , geb. am XXXX

BF4: XXXX , geb. am XXXX alias XXXX

Weiters wurden die Feststellungen getroffen, dass die Beschwerdeführer Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan sind sowie der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Glaubensrichtung des Islam angehören.

Sind diese Feststellungen korrekt?

BF1 + BF2: Ja, diese Feststellungen sind korrekt.

[...]

R: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF1: Ich war in einer Koranschule, die fünf Jahre gedauert hat.

BF2: Ich bin im Iran geboren, und dort bin ich fünf Jahre lang in die Schule gegangen.

R: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF1: Ich habe im Iran gearbeitet und habe für den Familienunterhalt gesorgt. Ich war in einer Teppichfabrik tätig.

BF2: Ich war zu Hause und habe meine kranken Kinder betreut.

[...]

R: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat zuletzt genau verlassen?

BF1: Ich habe meinen Herkunftsstaat im Jahr 1993 verlassen.

BF2: Ich bin im Iran geboren.

[...]

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

[...]

R stellt fest, dass BF2 die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen rudimentär verstanden und rudimentär auf Deutsch beantwortet hat.

R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF2: Ich besuche derzeit einen A1 Kurs, seit zwei Monaten. Davor bin ich einmal in der Woche zum Sprachkurs gegangen. Dieser Kurs hat zweimal in der Woche stattgefunden. Einmal bin ich zum Kurs gegangen und mein Mann hat die Kinder betreut, und einmal ist mein Mann in den Kurs gegangen und ich habe die Kinder betreut.

R: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF2: Nein, ich kümmere mich um meine Kinder.

R: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF2: Ich besuche derzeit den A1 Kurs. Ich habe bei allen kulturellen Aktivitäten, die in unserem Heim stattgefunden haben, teilgenommen. Zum Beispiel beim Zeichen und Malen und Stricken. Ich gehe laufen mit meinen Freundinnen.

R: Sind Sie ehrenamtlich tätig?

BF2: Ich muss mich um meine Kinder kümmern, meistens bin ich mit ihnen beschäftigt und daher fehlt mir die Zeit dafür, ehrenamtlich zu arbeiten.

R: Haben Sie österr. Freunde?

BF2: Ja, meine Vertrauensperson ist meine Freundin. Sie begleitet mich heute; außerdem XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX . Auf Nachfrage gebe ich an, dass ich diese über den Deutschkurs kennengelernt habe. Das sind die Freunde der Lehrer. Einige habe ich auch beim Einkaufen kennengelernt. Die Gegend, wo wir wohnen, ist eine kleine Ortschaft, und da kommt man schneller miteinander ins Gespräch.

R: Leben Sie in Österreich alleine oder mit jemandem zusammen?

BF2: Ich lebe gemeinsam mit meiner Familie.

R: Gehen Sie in Österreich einer Beschäftigung nach, machen Sie eine Ausbildung?

BF2: Ich möchte zunächst meine Sprachkenntnisse verbessern, derzeit besuche ich einen Sprachkurs. Danach habe ich vor, als Friseurin zu arbeiten.

R: Wissen Sie, was Sie dafür für eine Ausbildung brauchen?

BF2: Ja, ich habe mich erkundigt. Zunächst muss ich ein Zertifikat für den Sprachkurs A2 haben. Dann wird mir für einen Tag in einem Friseursalon die Gelegenheit zu einem Schnuppertag gegeben. Ich werde dann schauen, ob ich für diesen Job geeignet bin oder nicht. Wenn ich mich für diesen Beruf entscheide, dann muss ich entweder drei Jahre eine Ausbildung absolvieren oder, wenn ich noch professioneller sein möchte, muss ich eine fünfjährige Ausbildung absolvieren.

R: Wer würde sich in dieser Zeit um Ihre Kinder kümmern?

BF2: Ich habe mir überlegt, in der Zeit, wo meine Kinder in den Kindergarten oder in die Schule gehen, werde ich das für das Lernen in der Schule nützen.

R: Ich habe gemeint, wenn Sie die Friseurausbildung machen, da müssen Sie ja den ganzen Tag dort sein?

BF2: Meine Kinder werden von 07:00 bis 16:00 in der Schule sein. Diese Zeit könnte ich für meine Ausbildung nützen. Wenn ich mit der Arbeit anfangen sollte, dann werde ich, wenn es nicht geht, nicht acht Stunden arbeiten.

R: Haben Sie schon eine Deutschprüfung abgelegt?

BF2: Nein.

R: Sind Sie selbsterhaltungsfähig (Frage wird erklärt)?

BF2: Nein.

R: Haben Sie versucht (sei es erfolgreich oder erfolglos) Ihre Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen?

BF2: Ich habe diesen Freundeskreis, den ich Ihnen bereits genannt habe, angesprochen und sie gebeten, ob sie mir eine Arbeit anbieten könnten, dann bin ich gerne bereit, dies zu machen. Bei einer Behörde habe ich mich aber nicht erkundigt. Nachdem ich auch die Sprache noch nicht so gut kann, habe ich mich bei keiner Behörde erkundigt.

R: Wie sieht derzeit Ihr Alltag in Österreich aus?

BF2: Ich stehe um sechs Uhr in der Früh auf und bereite meine Kinder auf die Schule vor. Das älteste Kind wird mit einem Schulbus abgeholt, und das zweite Kind wird von mir in den Kindergarten gebracht. Dann gehe ich zurück nach Hause und mache den Haushalt, ich bereite das Mittagessen vor. Ich hole mein Kind vom Kindergarten ab. Manchmal hole ich das Kind vom Kindergarten ab und manchmal mein Mann, je nachdem wer Zeit hat. Dreimal in der Woche habe ich einen Sprachkurs, dieser dauert von 08:00 bis 12:00 Uhr. Wenn ich Sprachkurs habe, dann gehe ich zum Sprachkurs. Am Nachmittag lerne ich Deutsch und betreibe Sport. Ich wickle die Kinder und kümmere mich um sie.

R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF2: In meiner Freizeit schaue ich die Tutorials auf YouTube an, für Haare schneiden und färben. Ich lerne auch Deutsch. Im Fernsehen schaue ich mir das Kinderprogramm an, um Deutsch zu lernen. Ich betreibe auch Sport: Ich gehe laufen.

R: Wie wollen Sie Ihr Leben in Österreich gestalten, wenn Sie den Asylstatus bekämen?

BF2: Ich möchte Maskenbildnerin im Theater werden. Das ist mein Zukunftsplan, aber davor möchte ich Friseurin werden.

R: Was würden Sie sagen, inwiefern sich Ihr Leben in Österreich von dem im Iran hauptsächlich unterscheidet?

BF2: Im Iran war die Betreuung meiner Kinder nicht so gut. Ich war die ganze Zeit mit meinen Kindern beschäftigt, sie sind öfters schnell krank geworden und im Spital gewesen. Ich war mit ihnen die ganze Zeit beschäftigt. Ich hatte sehr viele Sorgen. Ich war dort gezwungen, einen Hijab zu tragen. Diese Frisur, die ich hier in Österreich habe, konnte ich im Iran auf keinen Fall haben. Da hätten sie mich ausgelacht und verspottet.

Anmerkung: BF2 trägt die Haare circa 2-3 cm kurz.

BF2: Nachdem meine beiden Kinder behindert sind, haben die Leute sie ausgelacht und Distanz gehalten. Die anderen Eltern haben ihre Kinder nicht mit meinen Kindern spielen lassen. Sie haben gemeint, dass meine Kinder ihren Kinder Schaden zufügen können. Meine Familie und Bekannten haben uns nicht besucht, weil meine Kinder behindert sind. Meine Eltern haben mich schon besucht. Ich konnte dort nicht sorgenlos einkaufen gehen. Ich habe dort Schneiderin gelernt, aber kein Diplom bekommen, weil ich eine Afghanin bin.

R: Wer führt in Ihrer Familie den Haushalt?

BF2: Ich und mein Mann.

R: Haben Sie eigenes Geld, über das Sie frei verfügen können?

BF2: Das Geld, das wir bekommen, geben wir an einen bestimmten Ort, und jeder, der das Geld braucht, nimmt es.

R: Wie viel Geld bekommen Sie im Monat vom Staat?

BF2: Pro Woche bekommen wir 147 €.

R: Gehen Sie alleine einkaufen?

BF2: Ja, wenn ich Zeit habe, gehe ich.

R: Wer trifft in Ihrer Familie die Entscheidungen?

BF2: Wir beide besprechen und entscheiden gemeinsam.

[...]

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

R: Sind Sie jemals in Afghanistan aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara oder Ihrer Religionszugehörigkeit zu den Schiiten konkret persönlich bedroht oder verfolgt worden?

BF2: Ich war noch nie in Afghanistan.

R: Warum haben Ihre Eltern Afghanistan verlassen?

BF2: Meine Großeltern haben Afghanistan verlassen, als meine Eltern noch kleine Kinder waren. Den Grund dafür weiß ich nicht.

R: Haben Ihre Kinder eigene Fluchtgründe in Bezug auf Afghanistan?

BF2: Meine Kinder haben ihre eigenen Gründe, weil sie gegen Luftverschmutzung sehr sensibel sind. Die Luft in Afghanistan ist sehr schmutzig. Meine Kinder sind von Medikamenten abhängig, und diese Medikamente gibt es in Afghanistan nicht. Ihre Antikörper stürzen ab, und sie müssen dann dafür Medikamente bekommen. Nachdem meine Kinder behindert sind, werden sie in Afghanistan von den anderen Kindern verspottet und mit den Steinen beworfen. Iran ist fortschrittlicher als Afghanistan, wenn eine Betreuung für meine Kinder im Iran nicht möglich war, wird es in Afghanistan genauso sein, da Afghanistan rückständiger als Iran ist.

R: Welche Behinderung haben Ihre beiden Kinder?

BF2: Sie sind geistig und körperlich behindert. Den Namen der Krankheit meiner Kinder weiß ich nicht.

Vertrauensperson: Es handelt sich dabei um einen Gendeffekt mit körperlicher und geistiger Behinderung, einen Enzymdefekt und Blutbildstörungen.

R: Was für eine medizinische Betreuung bzw. Medikamente bekommen Ihre Kinder?

BF2: Meine beiden Kinder nehmen Medikamente ein, deren Namen ich vergessen habe. Vielleicht weiß es mein Mann. Ich muss mit ihnen einige Fußbewegungen üben. Einige Übungen habe ich auch im Iran gelernt. Das sind Bewegungsübungen, die ich mit ihnen täglich mache.

R: Wieso denken Sie, dass diese medizinische Betreuung in Afghanistan, zB in Kabul, nicht möglich wäre?

BF2: Meine Kinder haben eine besondere Krankheit, und in Afghanistan besteht die Möglichkeit einer medizinischen Betreuung nicht.

R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF2: Wenn ich über mich sprechen muss, kann ich sagen, dass ich in Afghanistan nicht einmal selbst einkaufen gehen kann. So, wie ich mich hier anziehe, kann ich mich in Afghanistan auf keinen Fall anziehen. Meine Kinder werden körperlich belästigt und verspottet. In Afghanistan hat eine Frau nicht das Recht, über ihre Angelegenheiten persönlich zu entscheiden. Afghanistan ist auch nicht ein sicheres Land.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

[...]

R stellt fest, dass BF1 die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und gut auf Deutsch beantwortet hat.

R: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF1: Ich habe den Sprachkurs A1 mit Zertifikat abgeschlossen, und für A2 habe ich auf YouTube gelernt und habe die Prüfung auch bestanden. Ich besuche zurzeit einen Intensivkurs für B1 vom AMS.

R: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF1: Ich besuche jeden Tag in den B1 Kurs.

R: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?

BF1: Ich besuche derzeit einen Sprachkurs B1. Sportlich bin ich aktiv. An den Wochenenden gehe ich Fußball spielen oder Rad fahren. Ich fahre 20 bis 24 Kilometer. Im Sommer gehe ich schwimmen. Kulturell bin ich auch aktiv. Ich nehme bei allen Festen und Feierlichkeiten in unserer Gegend teil. Wir kochen das afghansische Essen und teilen es bei diesen Festen aus. Es gibt auch für behinderte Kinder beim Haus XXXX Veranstaltungen, an denen wir auch teilnehmen.

R: Haben Sie österr. Freunde?

BF1: Ja, zu viele (lacht).

R: Wie sieht derzeit Ihr Alltag in Österreich aus?

BF1: Um 6 Uhr in der Früh stehen wir auf und wickeln die Kinder. Wir bereiten sie für die Schule vor. Das älteste Kind wird mit dem Bus abgeholt. Er geht in die Schule. Das jüngste Kind bringe ich oder meine Frau in den Kindergarten. Um 11:00 Uhr fängt mein Deutschkurs an und dauert bis 14:00 Uhr. Ich mache gemeinsam mit meiner Frau den Haushalt oder das Essen. Nach dem Mittagessen, nachdem wir uns um die Kinder gekümmert haben, mache ich meine Hausaufgaben.

[...]

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

R: Welche Ihrer Verwandten wurden in Afghanistan getötet, und warum?

BF1: In Ghazni ist mein Cousin väterlicherseits getötet worden, von den Taliban. Ein Cousin väterlicherseits ist in Kabul in einer schiitischen Moschee, wo ein Selbstmordattentat verübt wurde, getötet worden.

R: Sind Sie in diesen Zusammenhängen jemals konkret persönlich bedroht oder verfolgt worden?

BF1: Ich war 15 Jahre alt, als ich Afghanistan verlassen habe. Ich bin weder direkt verfolgt noch bedroht worden.

R: Sind Sie jemals in Afghanistan aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara oder Ihrer Religionszugehörigkeit zu den Schiiten konkret persönlich bedroht oder verfolgt worden?

BF1: Nein.

R: Wieson sind Sie von Afghanistan in den Iran gezogen?

BF1: Das war im Jahr 1993, als mein Vater mich in den Iran geschickt hat, es war Bürgerkrieg, und es gab verschiedene Gruppierungen. Mein Vater wollte nicht, dass ich von einer Gruppierung rekrutiert werde und gegen die andere kämpfe.

R: Sind Sie in Afghanistan jemals konkret persönlich bedroht oder verfolgt worden?

BF1: Nein.

R: Haben Ihre Kinder eigene Fluchtgründe in Bezug auf Afghanistan?

BF1: Meine Kinder sind behindert. Sie haben auch medizinische Probleme. Ihre Bauchspeichel funktionieren nicht. Deren Antikörper sind auch nicht im Takt. Sie haben hohe Entzündungswerte. Wenn sie auch nur eine leichte Verkühlung haben, entzündet sich ihr ganzer Körper.

R: Was für eine medizinische Betreuung bekommen ihre Kinder bzw. welche Medikamente nehmen Sie ein?

BF1: Sie bekommen für den Bauchspeichel " XXXX ". Sie bekommen auch Tropfen namens " XXXX ". Sie nehmen zwanzig Tropfen täglich ein. Sie sind körperlich und geistig behindert. Sie können nicht gehen. Das jüngste Kind bringe ich einmal in der Woche zur Musik- und Physiotherapie. Das älteste Kind bekommt in der Schule eine Physiotherapie.

R: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?

BF1: Wenn ich nach Afghanistan zurückkehren würde, sind die Überlebensmöglichkeiten für meine Kinder nicht gegeben. Sie werden es nicht überleben."

16. Den Beschwerdeführern wurde in der Verhandlung hinsichtlich folgender vorgelegter Berichte zur Situation in Afghanistan die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt:

* Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, aktualisiert am 30.01.2018)

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016

* Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern vom Dezember 2016

* Auszug aus dem Urteil des EGMR vom 05.07.2016 (EGMR AM/NL, 5.7.2016, 29.094/09)

* Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.09.2017 ("Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren")

17. Am 19.06.2018 langte beim BVwG eine Stellungnahme von der Beschwerdeseite ein. Darin wurde nochmals darauf hingewiesen, dass BF2 einen selbstbestimmten Lebensstil angenommen habe und BF3 und BF4 eine Verfolgung als Angehörige der sozialen Gruppe der Menschen mit Behinderung drohe. Beigelegt wurden dem Schreiben die Kopien von den Rezepten der Kinder.

18. Am 05.07.2018 übermittelte das BVwG den Beschwerdeführern die aktualisierte Version des im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderinformationsblattes, Stand 29.06.2018, zur Kenntnis und allfälligen Stellungnahme.

19. Von den Beschwerdeführern langte am 13.07.2018 eine Stellungnahme zu dem übermittelten Länderinformationsmaterial ein, in der insbesondere die Feststellungen zur Rückkehrsituation bemängelt wurden; es läge keine interne Fluchtalternative vor, und die verschlechterte Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif werde nur unzureichend abgebildet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer

1.1.1. BF1 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX (alias XXXX ), BF2 den Namen XXXX , geboren am XXXX (alias XXXX ), BF3 den Namen XXXX , geboren am XXXX (alias XXXX ), und BF4 den Namen XXXX (alias XXXX ), geboren am 02.04.2012 (alias XXXX ).

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Hazara an und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Sie sprechen Dari/Farsi als Muttersprache. BF1 und BF2 sind miteinander verheiratet und sind die Eltern der minderjährigen BF3 und BF4.

Die Beschwerdeführer haben Angehörige in Afghanistan und im Iran:

Die Mutter von BF1 sowie seine beiden Schwestern leben in Afghanistan (Kabul und Ghazni). Zumindest zwei seiner vier Brüder leben im Iran. Seine Angehörigen sind alle als Hilfsarbeiter tätig. BF1 hat Kontakt zu seiner Mutter und einer Schwester.

Drei Tanten und zwei Onkel von BF2 leben in Herat. Die Eltern, ein Bruder und drei Schwestern sind hingegen im Iran aufhältig. BF2 tritt einmal im Monat mit den Letztgenannten in Kontakt. Ihr Vater arbeitet als Händler.

1.1.2. BF1 wurde in Ghazni, XXXX , geboren und verließ Afghanistan aus Sicherheitsgründen im Jahr 1993 in Richtung Iran. In seiner Heimatstadt besitzt BF1 noch ein Grundstück.

BF2 wurde in Mashad, Iran, geboren. BF3 und BF4 kamen in Isfahan, XXXX , Iran, dem letzten Wohnort der Familie bis zu ihrer Ausreise nach Österreich, zur Welt. BF2 bis BF4 waren noch nie in Afghanistan. Im Iran hielt sich die Familie legal auf.

1.1.3. BF1 besuchte in Afghanistan 5 Jahre lang eine Koranschule und unterstützte seinen Vater in der Landwirtschaft. Im Iran arbeitete er 17 Jahre lang in einer Teppichfabrik als Mechaniker und erledigte auch diverse andere Arbeiten.

BF2 besuchte 5 Jahre lang eine Schule und war Hausfrau bzw. für die Betreuung der Kinder zuständig. 1 Jahr arbeitete sie als Schneiderin von zuhause aus.

1.1.4. Ende Juli/Anfang August 2015 reisten die Beschwerdeführer vom Iran aus über die Türkei, Griechenland und mehrere weitere Staaten nach Österreich. Die Reise kostete zumindest EUR 3.000,-- und wurde durch BF1 organisiert.

1.1.5. Die Beschwerdeführer wurden in ihrem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatten mit den Behörden ihres Heimatstaates keine Probleme. Sie waren nie politisch tätig und gehörten keiner politischen Partei an.

1.1.6. Derzeit lebt BF1 von der Grundversorgung und geht keiner Beschäftigung nach. Er betätigte sich aber in der Vergangenheit ehrenamtlich. BF1 hat mehrere Deutschkurse absolviert bzw. besucht aktuell einen B1-Intensiv-Deutschkurs. Dieser hat zudem zwei Deutschprüfungen abgelegt (Niveau A1 und A2). Er konnte die in der Verhandlung gestellten und nicht übersetzten Fragen der Richterin verstehen und gut auf Deutsch beantworten. BF1 hat auch einen Werte- und Orientierungskurs und Integrationsveranstaltungen absolviert. Er nimmt darüber hinaus an Festen und Feierlichkeiten seines Wohnheimes teil und hat viele österreichische Freunde. Ansonsten geht er in seiner Freizeit Fußball spielen und Rad fahren. Er möchte zukünftig als Installateur arbeiten und hat sich Gedanken über die Eröffnung eines Restaurants gemacht.

BF2 lebt ebenfalls von der Grundversorgung und geht keiner Beschäftigung nach. Sie kümmert sich um ihre Kinder. BF2 hat mehrere Deutschkurse besucht (Haus XXXX , Februar 2016 bis Jänner 2017, A1 Anfänger, 6 Wochenstunden; XXXX , 01.02.2017 bis 27.04.2017, A1, 120 Einheiten; seit 11.05.2017, A1 Fortgeschrittene, 6 Wochenstunden) bzw. besucht aktuell einen solchen ( XXXX , 19.03.2018 bis 17.07.2018, je 3-mal wöchentlich, A1), hat jedoch keine Sprachprüfung abgelegt. BF2 konnte die in der Verhandlung zuletzt auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen der Richterin rudimentär verstehen und rudimentär auf Deutsch beantworten. BF2 hat auch Integrationsveranstaltungen sowie einen eintägigen Werte- und Orientierungskurs absolviert und nimmt kulturelle Aktivitäten in ihrem Wohnheim wahr. In ihrer Freizeit geht sie mit ihren Freundinnen laufen, joggen und Rad fahren. Außerdem schaut BF2 Tutorials auf YouTube für Haareschneiden und -färben und Kinderprogramme, um ihr Deutsch zu verbessern. Viele ihrer Freunde hat BF2 über den Deutschkurs oder beim Einkaufen kennengelernt. Sie hat sich bisher nicht ehrenamtlich engagiert. In Zukunft möchte BF2 als Frisörin und danach als Maskenbildnerin am Theater arbeiten. Diese hat sich bei Freunden erkundigt, welche Ausbildung sie für den Friseurberuf benötigt.

BF3 geht in eine Sonderschule für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf und BF4 in den Kindergarten. BF4 ist bereits für das nächste Jahr an der Sonderschule angemeldet.

1.1.7. BF1 und BF2 leiden an keiner chronischen oder akuten Krankheit oder anderen Leiden oder Gebrechen.

1.1.8. Im Bundesgebiet befinden sich keine Familienangehörigen der Beschwerdeführer. Diese sind zudem strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen und einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat

1.2.1. BF3 und BF4 leiden an einem angeborenen Gendefekt mit körperlicher und geistiger Behinderung, der nicht heilbar ist.

Bei BF3 wurde u.a. eine Stoffwechselstörung, ein Entwicklungsrückstand mit muskulärer Hypotonie (fehlende Sprache und Motorik), eine auffällige Facies (prominente Stirn, breite Nase, tief angesetzte Ohren, mandibulärer Überbiss und weite Schneidezähne), ein Knick-Senkfuß mit Spitzfußstellung, Digitus subductus, Dystrophie und Maldeszensus testis diagnostiziert. Er weist zudem Verhaltensauffälligkeiten wie Zähneknirschen, Beißen, Nägelkratzen und Schlagen bei Aufregung und eine Schluckproblematik auf.

BF4 wurde u.a. eine Panzytopenie, eine Hepatopathie mit stark ausgeprägter Splenomegalie, eine Entwicklungsretardierung mit muskulärer Hypotonie, eine Pankreasinsuffizienz, Eisenmangel, eine auffällige Facies (niedrig ansetzende Ohren), eine verstärkte Venenzeichnung am gesamten Körper, eine hochgradige Knickplattfußfehlstellung und massiver Meteorismus attestiert. Er musste in der Vergangenheit immer wieder stationär im Krankenhaus aufgenommen werden.

Beide Kinder sind seit ihrer Geburt bettlägerig und müssen von ihren Eltern gewickelt sowie ganztags betreut werden: BF3 wurde die Pflegestufe 4 (Pflegebedarf von durchschnittlich 168 Stunden im Monat) und BF4 die Pflegestufe 3 (Pflegebedarf von durchschnittlich 143 Stunden im Monat) zuerkannt.

Sowohl BF3 als auch BF4 nehmen die Medikamente " XXXX " für eine Panzytopenie und " XXXX " für eine Pankreasinsuffizienz ein. Nicht alle der erforderlichen Medikamente sind in Afghanistan verfügbar. BF3 erhält zusätzlich in seiner Schule Physiotherapie, BF4 besucht einmal in der Woche eine Musik- und Physiotherapie. Darüber hinaus machen die Eltern zuhause mit ihren Kindern Bewegungsübungen.

In Afghanistan können die meisten der genannten Krankheiten von BF3 und BF4 nicht behandelt werden: Bei Stoffwechselkrankheiten mangelt es an gut ausgestatteten Laboratorien mit diagnostischen Geräten. Für die Behandlung einer Panzytopenie ist eine Knochenmarktransplantation und für die Behandlung einer Bauchspeicheldrüsenerkrankung ein hohes Maß an Fachwissen und Ausrüstung erforderlich, das dort nicht vorhanden ist. BF3 und BF4 benötigen regelmäßige ärztliche Behandlungen und Kontrollen.

1.2.2. Aufgrund der individuellen Situation von BF3 und BF4 und der momentan in Afghanistan vorherrschenden medizinischen Versorgungslage sind diese bei einer Rückkehr einer erhöhten Gefährdung aufgrund mangelnder Behandlungsmöglichkeiten ihrer Krankheiten ausgesetzt.

Das afghanische Staatswesen ist derzeit auch nicht in der Lage, BF3 und BF4 eine adäquate Gesundheits- und Sozialversorgung zukommen lassen zu können, da keine entsprechenden Strukturen zur Behindertenförderung vorhanden sind. Das Fehlen von entsprechenden Bildungseinrichtungen würde zudem die Entwicklung der beiden behinderten Kinder einschränken. BF3 und BF4 würden daher bei einer Rückkehr von staatlicher Seite benachteiligt werden.

Diese würden in Afghanistan außerdem mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit wegen ihrer für jeden nach außen hin erkennbaren Behinderungen jenem Bevölkerungsanteil zugerechnet werden, der als körperlich und psychisch krank angesehen wird und aufgrund dieser Beeinträchtigungen (erschwerend: geistig und körperlich, angeboren, unheilbar und für uninformierte Dritte "unerklärlich") mannigfaltigen und sehr schweren Diskriminierungen und Übergriffen von Seiten der Gesellschaft (Mitmenschen, selbst der eigenen Familie) ausgesetzt sein.

Die staatliche, soziale und gesellschaftliche Stigmatisierung hätte für BF3 und BF4 ein Leben in Isolation und für ihre Eltern einen Ausschluss aus sozialen Netzwerken zur Folge.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen sowie der im Rahmen des Parteiengehörs übermittelten Aktualisierung des Länderinformationsblatts werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer getroffen:

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018

1.3.1.1. Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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