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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §67a Abs2;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/03/0231Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Gruber als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des WM in N, vertreten durch Dr. Markus Orgler und Dr. Josef Purtscheller, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Anichstraße 29, gegen die in einer gemeinsamen Ausfertigung zusammengefassten Bescheide (Kammer und Einzelmitglied) des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 25. Jänner 1996, Zlen. 3/50-2/1995, 13/215-1/1995, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
1. Der angefochtene Bescheid der Kammer, der sich (im Spruchteil II) auf Punkt 4) des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bezieht, wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
2. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Einzelmitgliedes, der sich (im Spruchteil II) auf die Punkte 2) und 3) des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bezieht, wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 2.282,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 16. Oktober 1995 wurde der Beschwerdeführer wie folgt schuldig erkannt:
"1) Sie lenkten am 30.5.1995 um 01.50 Uhr den PKW IL in Navis, bei der Kreuzung Burgweg (Naviser Gemeindestraße) mit der Naviser Landesstraße mit ca 40 km/h in die Kreuzung ein und überfuhren an dieser Stelle die Fahrbahnmitte auf einer Länge von ca 50 Metern.
2) Um 01.51 Uhr überfuhren Sie bei ca StrKm 2.5 die Fahrbahnmitte der Naviser Landesstraße mit ganzer Fahrzeugbreite.
3) Um 01.52 Uhr überfuhren Sie mit dem PKW bei StrKm 3.3 der
L 228 die Fahrbahnmitte wieder mit ganzer Fahrzeugbreite.
4) Sie weigerten sich weiters am 30.5.1995 um 01.55 Uhr, ca 200 Meter unterhalb des Hauses Außernavis 35 im Gemeindegebiet von Navis, gegenüber einem von der Behörde hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht, die Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl vermutet werden konnte, dass Sie sich zuvor beim Lenken eines Kraftfahrzeuges (siehe Punkte 1-3) in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden haben."
Dadurch habe der Beschwerdeführer - in den Punkten 1) bis 3) - § 7 Abs. 1 StVO 1960 und - im Punkt 4) - § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 verletzt.
Über den Beschwerdeführer wurden wegen der in den Punkten 1) bis 3) genannten Übertretungen jeweils eine Geldstrafe in Höhe von S 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils 12 Stunden) und wegen der im Punkt 4) genannten Übertretung eine Geldstrafe in Höhe von S 15.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 15 Tage) verhängt.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen dieses Straferkenntnis - und zwar hinsichtlich dessen Punkte 1) - 3) durch das Einzelmitglied und hinsichtlich dessen Punkt 4) durch die Kammer - insofern Folge gegeben, als dessen Punkt 1) behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG eingestellt wurde (Punkt I des angefochtenen Bescheides); hinsichtlich der Punkte 2), 3) und 4) wurde die Berufung mit folgender Maßgabe als unbegründet abgewiesen (Punkt II des angefochtenen Bescheides):
"Der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses wird dahingehend verbessert, als im Spruchpunkt 4 anstelle der Worte 'gegenüber einem' die Worte 'trotz Aufforderung durch ein' zu treten haben. Weiters haben in den Spruchpunkten 2 und 3 nach den Worten 'mit ganzer Fahrzeugbreite' die Worte 'und ist somit nicht so weit rechts gefahren, wie ihm dies unter Bedachtnahme auf die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs zumutbar und dies ohne Gefährdung, Behinderung und Belästigung anderer Straßenbenützer, ohne eigene Gefährdung und ohne Beschädigung von Sachen möglich gewesen wäre' zu lauten. Des Weiteren haben zu Punkt 2 nach den Worten 'ca. Straßenkilometer 2,5' die Worte 'der L 228' zu folgen. Die Gebotsnorm zu Punkt 4 hat zu lauten § 99 Abs. 1 lit. b StVO i. V.m. § 5 Abs. 2 StVO."
Gegen diesen Bescheid - und zwar dessen Punkt II - richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Hinsichtlich der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretungen des § 7 Abs. 1 StVO 1960 zielen die - unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemachten - Beschwerdeausführungen darauf ab, dass die "möglicherweise gesetzten" Verstöße gegen Verkehrsregeln lediglich dadurch geschehen seien, dass der Beschwerdeführer vermeinte habe, vor dem ihn verfolgenden Fahrzeug fliehen zu müssen, um einen körperlichen Angriff auf seine Person zu vermeiden.
Eine Wesentlichkeit der in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmängel wird nicht dargetan. So wird gar nicht behauptet, es habe eine schwere unmittelbare Gefahr bestanden, aus der es eine Rettung nur durch Übertretung von Verkehrsvorschriften habe geben können.
Aber auch ein Putativnotstand, also die irrtümliche Annahme eines Notstandes, kann den Täter nur dann entschuldigen, wenn der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Notstandes nicht auf Fahrlässigkeit beruht, ihm also nicht vorwerfbar ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 1993, Zl. 91/10/0196). Anders als der Beschwerdeführer meint, ist allein aus dem geltend gemachten Umstand, dass das nachfolgende Kraftfahrzeug den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand nicht eingehalten habe, das Vorliegen eines Putativnotstandes noch nicht anzunehmen.
Wenn in der Beschwerde eine "Befangenheit des Senates" geltend gemacht wird, so ist zunächst klarzustellen, dass sich ein Befangenheitsgrund nur auf ein individuelles Verwaltungsorgan (einen Organwalter) beziehen kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1991, Zl. 87/17/0254). Soweit sich aber die Beschwerdeausführungen erkennbar (auch) darauf beziehen, der Organwalter - das Einzelmitglied hinsichtlich der Übertretungen nach § 7 Abs. 1 StVO 1960 - sei befangen gewesen, vermag auch damit eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides (in dem hier zunächst in Frage stehenden Umfang) nicht aufgezeigt zu werden.
Nach § 7 Abs. 1 Z. 4 AVG haben sich Verwaltungsorgane der Ausübung ihres Amtes zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn sonstige (als die in den Z. 1 bis 3 genannten) wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu setzen.
Die Amtshandlung eines befangenen Verwaltungsorganes ist nicht rechtsungültig oder nichtig, sondern es ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich sachliche Bedenken gegen den Bescheid ergeben (vgl. etwa schon das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1974, Slg. Nr. 8644/A). Wenn sich sachliche Bedenken gegen das Ergebnis des angefochtenen Bescheides nicht ergeben, kann auch ein allfälliger Verfahrensmangel wegen Teilnahme eines befangenen Amtsorganes im Verwaltungsverfahren nicht wesentlich sein (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1991, Zl. 87/17/0254). Solche sachlichen Bedenken vermag der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das oben Gesagte jedoch nicht zu erblicken.
Die Beschwerde war daher im Umfang des Spruchpunktes II des angefochtenen Bescheides, soweit sich dieser auf die Punkt 2) und 3) des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bezieht, gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Hinsichtlich der Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 2 StVO 1960 ist die Beschwerde aber im Ergebnis begründet:
§ 5 Abs. 2 StVO 1960 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung der 19. StVO-Novelle lautet:
"(2) Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht sind berechtigt, jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Sie sind außerdem berechtigt, die Atemluft von Personen, die verdächtig sind, in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand
1.
ein Fahrzeug gelenkt zu haben, oder
2.
als Fußgänger einen Verkehrsunfall verursacht zu haben,
auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Wer zu einer Untersuchung der Atemluft aufgefordert wird, hat sich dieser zu unterziehen."
Nach § 99 Abs. 1 lit. b leg. cit. begeht unter anderem eine Verwaltungsübertretung, wer sich bei Vorliegen der im § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe, da das ihn verfolgende Kraftfahrzeug, das sich später als Gendarmeriekraftfahrzeug herausgestellt habe, nicht von der Verfolgung abgelassen habe, sein Kraftfahrzeug fluchtartig verlassen und sei über einen steilen Wiesenhang geflohen. Dabei sei der Beschwerdeführer zu Sturz gekommen und habe von den ihn verfolgenden Personen (den Gendarmeriebeamten) eingeholt werden können. An der Sturzstelle sei er durch den Gendarmeriebeamten zur Ablegung eines Alko-Tests aufgefordert worden, wozu der Beschwerdeführer auch bereit gewesen sei und welchen er nicht verweigert habe. Mangels entsprechender "Utensilien" habe die Atemluftuntersuchung jedoch nicht an Ort und Stelle abgelegt werden können. Aufforderungsgemäß habe sich der Beschwerdeführer unverzüglich mit dem Gendarmeriebeamten zum Gendarmeriekraftfahrzeug begeben. Der dort befindliche zweite Gendarmeriebeamte habe jedoch, weil der Beschwerdeführer durch den Sturz beschmutzt gewesen sei, diesem aufgetragen, er möge unverzüglich ins Haus gehen und sich dort reinigen. "Die gleiche Weisung" sei "zwischenzeitig von der aus dem Haus zum Gendarmeriefahrzeug getretenen vormaligen Lebensgefährtin des Beschwerdeführers im Hinblick auf diesen erteilt" worden. Der Beschwerdeführer habe angenommen, dass er sich reinigen und dann zum Alko-Test einfinden solle. Nach der Reinigung sei der Beschwerdeführer wieder vor das Haus getreten. Das Gendarmeriekraftfahrzeug habe sich aber nicht mehr dort befunden.
Der Beschwerdeführer verbindet dieses Vorbringen unter anderem mit der Verfahrensrüge, die belangte Behörde habe zu Unrecht den im Verwaltungsstrafverfahren gestellten Beweisantrag auf Einvernahme der vormaligen Lebensgefährtin des Beschwerdeführers abgelehnt. Der Beschwerdeführer begründet die Wesentlichkeit des darin gelegenen Verfahrensmangels (zusammengefasst) damit, dass die Zeugeneinvernahme die Aussagen der Gendarmeriebeamten, der Beschwerdeführer habe den Alkotest verweigert, widerlegt hätte. Es sei der "Auftrag" von einem der Gendarmeriebeamten, ins Haus zu gehen und sich dort zu reinigen, nur dann verständlich, wenn der Beschwerdeführer seine Bereitschaft zum Alkotest "bekundet" habe.
Der Beschwerdeführer ist im Recht, wenn er aus diesem Schluss ableitet, die belangte Behörde hätte sich bei ihrer Sachverhaltsannahme hinsichtlich der Übertretung nach § 5 Abs. 2 StVO 1960 nicht "im Wesentlichen" - in Wahrheit nur - auf die Aussagen der beiden Gendarmeriebeamten stützen dürfen, ohne die beantragte Zeugeneinvernahme durchzuführen. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Durchführung der Zeugeneinvernahme Zweifel an der von der belangten Behörde angenommenen "glaubwürdigen und widerspruchsfreien Aussage der beiden Meldungsleger" und damit über den Geschehensablauf begründet hätte. Im Hinblick darauf kann jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des vom Beschwerdeführer gerügten Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Hinsichtlich der Übertretung nach § 5 Abs. 2 StVO 1960 war daher schon aus diesem Grund der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff (insbesondere auch § 52 Abs. 1) VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Da die Erstattung der Gegenschrift und die Aktenvorlage durch das Einzelmitglied und die Kammer gemeinsam erfolgten, war nur die auf das Einzelmitglied entfallende Hälfte des geltend gemachten Schriftsatz- und Vorlageaufwandes zuzusprechen. Die Abweisung des Mehrbegehrens des Beschwerdeführers betrifft Stempelaufwand für nicht erforderliche Beilagen.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Wien, am 24. November 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996030230.X00Im RIS seit
03.04.2001