Entscheidungsdatum
22.08.2018Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W185 2126578-2/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.06.2017, Zl. 1100640405-170369427, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG
stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid wird behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger aus Afghanistan, stellte am 30.12.2015 den ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.04.2016 aufgrund der festgestellten Zuständigkeit Kroatiens nach der Dublin-III-VO gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Die dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.08.2016 gem. § 5 AsylG und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobene Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.01.2017 zurückgewiesen, da das Vorbringen des Beschwerdeführers zur festgestellten Zuständigkeit Kroatiens im vorliegenden Fall dem Neuerungsverbot unterliege und sich das Bundesverwaltungsgericht darüber hinaus in seiner Entscheidung mit der Frage eines Eingriffs in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte ausführlich auseinandergesetzt habe. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde ab. Das Bundesamt erließ in der Folge einen Festnahme- und Abschiebeauftrag gegen den Beschwerdeführer, welcher dann untergetaucht ist.
Mit Schreiben vom 21.02.2017 wurden die kroatischen Behörden darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Beschwerdeführer untergetaucht sei, weshalb die Überstellungsfrist gem. Art. 29 Abs. 2 nunmehr 18 Monate betrage.
Am 24.03.2017 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (Folgeantrag) und wurde hiezu am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt. Hierbei gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, Österreich seit der ersten Entscheidung des Bundesamtes nicht verlassen zu haben. Er wolle bei seiner Familie bleiben, die sich - abgesehen von seiner verlorenen Schwester - hier aufhalte. Außerdem habe er psychische Probleme und nehme deshalb starke Medikamente. Aufgrund seiner Erkrankung verletze er sich auch selber.
Neben einem Unterstützungsschreiben für die Familie des Beschwerdeführers vom Dezember 2016 sowie einem psychotherapeutischen Befundbericht vom 07.03.2017 die Mutter des Beschwerdeführers betreffend, worin über deren Traumatisierungen und gesundheitlichen Beschwerden berichtet wird (Diagnosen:
"posttraumatische Belastungsstörung mit depressiv-dissoziativer Symptomatik, schwere akute Belastungsreaktion") lagen zum Zeitpunkt der Befragung folgende ärztliche Unterlagen hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers vor:
-ein ärztlicher Befundbericht vom 09.02.2017 mit der Diagnose:
"mittelgradig bis schwergradig depressive Episode; posttraumatische Belastungsstörung"; es wurden eine Psychotherapie und die Einleitung einer medikamentösen antidepressiven Therapie empfohlen
-eine Medikamentenverordnung und ein Rezept
-ein Datenblatt mit dem Vermerk von psychischen Problemen
-ein Sozialbericht des Samariterbundes vom 22.02.2017, worin festgehalten wurde, dass alle Familienmitglieder des Beschwerdeführers (Eltern, zwei Schwestern) stark traumatisiert seien, weshalb der Familienzusammenhalt dadurch sehr intensiv sei, um sich gegenseitig zu stützen; eine Abschiebung des Beschwerdeführers würde die Familie hochgradig belasten; der Beschwerdeführer wohne seit 25.01.2016 durchgehend mit seiner Familie zusammen und sei immer nur positiv aufgefallen; er habe an einem Deutschkurs Niveau A2 teilgenommen
-eine Bestätigung von Hemayat vom 16.03.2017, wonach der Beschwerdeführer auf der Warteliste für einen Psychotherapieplatz vorgemerkt sei
-ein ambulanter Patientenbrief eines Klinikums, Abteilung für Sozialpsychiatrie, vom 20.03.2017 mit den Diagnosen "Persönlichkeitsstörung; posttraumatische Belastungsreaktion" und der Empfehlung einer Medikamenteneinnahme sowie einer kontinuierlichen psychiatrischen sowie psychotherapeutischen Behandlung
In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 25.04.2017 einer Untersuchung durch eine allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige unterzogen, die in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 07.05.2017 zu folgenden psychologischen Schlussfolgerungen kam: Aus aktueller Sicht würden beim Beschwerdeführer eine Anpassungsstörung, F 43.2 sowie ein Verdacht auf dysfunktionale Strategien/Reaktionen auf Belastungen (Selbstverletzungen) im Rahmen einer Persönlichkeitsakzentuierung/-störung , F 60.3 vorliegen; er sei emotional instabil. Für eine PTSD würden sich derzeit keine typischen Symptome finden. Die Einnahme von Seroquel wäre bei Spannungszuständen ratsam. Bei einer Überstellung des Beschwerdeführers sei eine Verschlechterung des psychischen und physischen Zustandes nicht auszuschließen; eine akute Suizidalität finde sich bei Befundaufnahme aber nicht. Affekthandlungen, appellative Handlungen oder Selbstverletzungen bei unerwünschtem Verlauf im Asylverfahren seien möglich.
Hinsichtlich der gutachterlichen Stellungnahme wurde mit Schreiben vom 26.05.2017 eine Stellungnahme abgegeben. Darin wird zusammengefasst festgehalten, dass in Anbetracht des Begutachtungsergebnisses in Verbindung mit der familiären und psychosozialen Situation des Beschwerdeführers eine Überstellung nach Kroatien (wo er ganz ohne seine Familie allein sich selbst überlassen wäre) unzumutbar sei. Zudem wurde diesbezüglich auch auf die Vorgaben des Art. 10 der Dublin-III-VO hingewiesen.
Mit Schreiben vom 14.06.2017 langte eine weitere Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Bundesamt ein, worin dieser Ausführungen zur - seiner Ansicht nach - vorliegenden Unzuständigkeit Kroatiens für das gegenständlichen Verfahren sowie zu seinem Gesundheitszustand und seinen familiären Anknüpfungspunkten in Österreich erstattete. Die offensichtlich schwerwiegende psychische Erkrankung des Beschwerdeführers sei im Erstverfahren noch nicht beweiswürdigend behandelt worden, weshalb dies nunmehr vorzunehmen sei. Aktuell befinde sich der Beschwerdeführer in regelmäßiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Eine Überstellung nach Kroatien würde diesbezüglich zu einer erheblichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen und sei demnach unzumutbar. Darüber hinaus sei eine Verletzung des Art. 8 EMRK anzunehmen, da die Familie des Beschwerdeführers in Österreich zum inhaltlichen Asylverfahren zugelassen sei, ein gemeinsamer Haushalt mit diesen bestehe und sich alle in einem wechselseitigen emotionalen Abhängigkeitsverhältnis zueinander befinden würden. Eine Trennung der Familie wäre demnach jedenfalls ein sachlich nicht gerechtfertigter Eingriff in die Rechte nach Art. 8 EMRK.
Der Stellungnahme wurde neben den bereits bekannten ärztlichen Unterlagen noch ein klinisch-psychologischer Befundbericht einer Klinischen- und Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin vom 29.03.2017 beigefügt, wonach der Beschwerdeführer unter stark ausgeprägten Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung nach schweren Traumata mit klinisch relevanten Symptomen und Flashbacks leide, wobei auch eine mittelgradige depressive Störung mit suizidalen Gedanken zu beobachten sei und eine Persönlichkeitsstörung zusätzlich nicht ausgeschlossen werden könne. Die anhaltende Bedrohung seiner Lebenssituation, die Bedrohung einer Abschiebung, jede Zwangsmaßnahme und die damit verbundene Unterbrechung einer effektiven psychiatrischen und psychologischen Behandlung, die dringend anzuraten sei, könne als weitere traumatische Erfahrung mit Retraumatisierung angenommen werden. Es bestehe Suizidgefahr. Eine Besserung der Symptome könne nur durch äußere Sicherheit, intensive fachärztliche Betreuung und begleitende traumaspezifische Psychotherapie erwartet werden.
Am 19.06.2017 wurde der Beschwerdeführer nach durchgeführter Rechtsberatung in Anwesenheit eines Rechtsberaters und seiner Mutter als Vertrauensperson vor dem Bundesamt einvernommen. Hierbei gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, seit fünf bis sechs Monaten Beruhigungsmittel gegen Stress und Depressionen zu nehmen (Trittico, Escitalopram, Mirtazapin). Sein Gesundheitszustand habe sich seit seiner Ankunft in Österreich täglich verschlechtert, als er hier erfahren habe, dass die Familie seine Schwester am Weg nach Europa "verloren" habe. Zudem bedrücke ihn auch die mögliche Abschiebung nach Kroatien. Der Beschwerdeführer gehe regelmäßig zur Therapie und nehme auch regelmäßig Medikamente. Er lebe bei seinen Eltern, habe hier Freunde und auch eine Freundin; zudem gehe er trainieren. Er lebe von der Grundversorgung. Über Vorhalt der beabsichtigten Überstellung nach Kroatien erklärte der Beschwerdeführer, mit seinen Eltern zusammenleben zu wollen. Er gehe hier zur Schule und wolle sich in Österreich integrieren. Er habe Kroatien nie gesehen und dort auch keinen Behördenkontakt gehabt. Der Rechtsberater beantragte die Verfahrenszulassung. Die Mutter des Beschwerdeführers gab an, dass sich der Beschwerdeführer mehrmals selbst verletzt hätte. Es sei für die Familie sehr schwer gewesen, als sie eine Tochter verloren hätten. Sollten sie jetzt auch noch den Beschwerdeführer "verlieren", wäre dies für die Familie unerträglich.
Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer folgende Unterlagen vor:
-ärztliche Terminbestätigungen und Medikamentenverordnungen
-einen ärztlichen Befundbericht vom 14.04.2017 mit den Diagnosen "mittelgradig bis schwergradig depressive Episode; posttraumatische Belastungsstörung" und der Empfehlung einer entsprechenden Medikation; zudem wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer durch das Verschwinden der Schwester unter dramatischen Umständen traumatisiert, depressiv, schlafgestört und zeitweise sich selbstverletzend sei; es wäre sowohl im Sinne des Beschwerdeführers als auch im Sinne der ebenfalls in ärztlicher Betreuung stehenden Mutter des Beschwerdeführers (welche auch an einer Depression erkrankt sei), diesen nicht nach Kroatien abzuschieben, um die ohnehin durch das Verschwinden der Schwester des Beschwerdeführers während der Flucht traumatisierte Familie nicht weiter zu traumatisieren
-eine psychotherapeutische Stellungnahme vom 16.06.2017, worin vorgebracht wird, dass sich beim Beschwerdeführer eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung entwickelt habe und ihn starke Schuldgefühle wegen des Schicksals seiner Familie und wegen des Verlusts seiner Schwester plagen würden, für deren Schutz er sich verantwortlich gefühlt habe. Wenn die Anspannung und der Druck zu groß werden würden, greife er zu selbstverletzenden Handlungen; seit einiger Zeit würden auch suizidale Gedanken auftreten. Erschwert werde die aktuelle Situation durch eine drohende Rückschiebung und somit Trennung von der Herkunftsfamilie. Aus traumatherapeutischer Sicht sei die Herstellung von Schutz und äußerer Sicherheit unerlässliche Basis für die Verarbeitung von Traumatisierungen. Dem Beschwerdeführer würde seine Familie psychischen Schutz bieten. Jegliche zwangsweise Maßnahme, die ihn von der Familie trennen würde, könne daher als weitere traumatische Erfahrung und Retraumatisierung angenommen werden. Auch der Verlust neugewonnener Bezüge und eine Unterbrechung oder der ungewollte Abbruch der Psychotherapie und der fachärztlichen Behandlung wären zusätzlich destabilisierend. Die Gefahr, dass in einem solchen Fall die Symptomatik stark zunehme und insgesamt der Druck so groß werde, dass es zu weiteren selbstverletzenden oder auch suizidalen Handlungen komme, sei real gegeben. Der Beschwerdeführer habe sich wegen seiner psychischen Probleme vor einigen Monaten in psychiatrische Behandlung begeben und habe Anfang Mai mit der Psychotherapie begonnen. Ziel der Psychotherapie sei die psychische Stabilisierung und Besserung sowie die Verarbeitung der Traumatisierungen. Dies sei ein weiter Weg, der nur unter Bedingungen von äußerer und psychischer Sicherheit und bei kontinuierlicher Fortsetzung der fachärztlichen Behandlung und der Psychotherapie gelingen könne. Ein Abbruch der Psychotherapie sei daher unbedingt zu vermeiden.
-Deutschkursbestätigungen Niveau A1 und A2
-ein Schreiben vom 07.06.2017, wonach der Beschwerdeführer voraussichtlich mit Juni 2018 seinen erwachsenengerechten Pflichtschulabschluss absolvieren werde
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 22.06.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gem. § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und gem. § 61 FPG gegen ihn die Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei gem. § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Kroatien zulässig.
Zusammengefasst wurde im Bescheid festgehalten, dass der Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er tatsächlich Gefahr liefe, in Kroatien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Im vorliegenden Fall sei weder eine Änderung in der maßgeblichen Sachlage noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eingetreten, weshalb die Rechtskraft des ergangenen Bescheides vom 18.04.2016 dem neuerlichen Antrag des Beschwerdeführers entgegenstehe. Der Beschwerdeführer habe aufgrund Untertauchens nicht nach Kroatien überstellt werden können. Der Beschwerdeführer sei im Erstverfahren "noch vollkommen gesund" gewesen. Nunmehr leide dieser an einer Anpassungsstörung und einer Persönlichkeitsstörung; therapeutische und medizinische Maßnahmen seien angeraten worden. Laut der vorliegenden gutachterlichen Stellungnahme ergebe sich beim Beschwerdeführer aus aktueller Sicht keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung und würden auch keine sonstigen psychischen Krankheitssymptome vorliegen (sic!). Zudem seien in Kroatien zumutbare Behandlungsmöglichkeiten für den Beschwerdeführer vorhanden und zugänglich. Im vorliegenden Fall seien zwar die Eltern und zwei Schwestern des Beschwerdeführers in Österreich aufhältig, welche hier ebenfalls um Asyl angesucht hätten, jedoch sei der Beschwerdeführer volljährig und allein in Österreich eingereist und von seiner Familie nicht abhängig. Der Kontakt sei auch über die Staatsgrenzen hinweg über Telefon möglich.
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und - neben Ausführungen zur (Un-)Zuständigkeit Kroatiens - vorgebracht, dass der Beschwerdeführer an einer Persönlichkeitsstörung sowie einer mittel- bis schwergradigen Depression leide, welche unter anderem durch selbstverletzendes Verhalten nach außen treten würden, und Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung aufweise. Eine Außerlandesbringung würde nicht nur eine enorme Verschlechterung des Gesundheitszustandes, sondern auch eine Trennung von seiner Familie bedeuten. Die emotionale Bindung und der Zusammenhalt der Familie sei stark und seien die Familienangehörigen auf eine gegenseitige Unterstützung angewiesen. Allein schon aufgrund der nunmehr massiven psychischen Probleme des Beschwerdeführers könne zudem nicht von einer entschiedenen Sache iSd § 68 AVG ausgegangen werden. Festzuhalten sei weiters, dass die Länderberichte die Situation der massenhaften Dublin-Rückkehrer nicht umfasse uns somit nicht als ausreichend aktuell anzusehen seien. Es müsse somit offenbleiben, inwiefern irgendeine Art der psychologischen oder psychotherapeutischen Betreuung gewährleistet sein könne. Festzuhalten sei weiters, dass hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers lediglich die gutachterliche Stellungnahme vom 07.05.2017 herangezogen würde und die übrigen Befunde und Arztschreiben unerwähnt geblieben wären. Dies betreffe insbesondere die Stellungnahme der behandelnden Psychotherapeutin vom 16.06.2017, worin sämtliche Diagnosen der übrigen Fachkundigen bestätigt würden und überdies die emotionale Abhängigkeit des Beschwerdeführers von seiner Familie betont werde. Eine Trennung würde demnach zu einer Retraumatisierung führen. Ein Abbruch der Psychotherapie sei unbedingt zu vermeiden; eine Außerlandesbringung des Beschwerdeführers würde unzweifelhaft einen solchen Abbruch nach sich ziehen. Wenn die Behörde unter Bezugnahme auf die gutachterliche Stellungnahme vom 07.05.2017 feststelle, dass keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung und auch keine sonstigen psychischen Krankheitssymptome vorliegen würden, so sei dies schlicht aktenwidrig. Aus der genannten Stellungnahme gehe genau das Gegenteil hervor. Die Feststellung der Behörde, wonach der Beschwerdeführer nicht von seiner Familie abhängig sei, sei nicht begründet worden und sei auch nachvollziehbar. Dies vor allem in Hinblick auf die traumatischen Erfahrungen auf der Flucht, bei der eine Schwester des Beschwerdeführers verloren gegangen sei. Er mache sich deswegen massive Vorwürfe. Auch die Mutter des Beschwerdeführers leide sehr stark unter diesem Umstand. Eine besondere wechselseitige emotionale Abhängigkeit der Familienmitglieder liege daher nachvollziehbar vor. Die Ausführungen der Behörde, wonach der Beschwerdeführer sein Asylverfahren in Kroatien abwarten und dann einen Antrag auf Familienzusammenführung hätte stellen sollen/können, sei unrichtig; zum einen deshalb, da der Beschwerdeführer in Kroatien nicht um Asyl angesucht habe und zum andern, da dieser volljährig sei und daher ein Antrag auf Familienzusammenführung erfolglos geblieben wäre.
Der Beschwerde wurden folgende Unterlagen beigefügt:
-ein psychotherapeutischer Befundbericht vom 07.03.2017 die Mutter des Beschwerdeführers betreffend (Diagnose: "posttraumatische Belastungsstörung mit depressiv-dissoziativer Symptomatik; schwere akute Belastungsreaktion"), worin ausgeführt wird, dass allein seit Beginn der Psychotherapie zwei stationäre Aufenthalte erforderlich gewesen wären, sodass eine Abschiebung des Beschwerdeführers aus psychisch-emotionaler Hinsicht enorm schädigend und gefährdend für die Mutter wäre
-ein ärztlicher Befundbericht vom 22.09.2016 den Beschwerdeführer betreffend mit den Diagnosen "mittelgradige depressive Episode"
-eine selbst verfasste Stellungnahme der Mutter des Beschwerdeführers, worin diese auf die schlechte gesundheitliche Situation ihrer Familienangehörigen hinweist
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.07.2017 wurde der Beschwerde gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Am 06.02.2018 wurde dem erkennenden Gericht eine psychotherapeutische Stellungnahme vom 02.02.2018 zur Kenntnis gebracht. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer am 08.05.2017 eine Psychotherapie begonnen habe und seitdem regelmäßig zu psychotherapeutischen Behandlungen komme. Es sei zu einer geringfügigen Besserung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers gekommen; die erreichten Fortschritte wären jedoch sehr fragil und im Falle zu großer Belastung wäre eine starke Zunahme der ursprünglichen Symptomatik zu befürchten. Jegliche Trennung von der Familie könne als weitere traumatische Erfahrung und Retraumatisierung angenommen werden. Eine kontinuierliche und längerfristige Weiterführung der Psychotherapie sei jedenfalls indiziert und notwendig.
Mit Schreiben vom 23.04.2018 wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt, sich zu seiner persönlichen (privaten) Situation in Österreich bzw. zu seinem aktuellen Gesundheitszustand - unter Vorlage allfälliger Beweismittel - binnen festgesetzter Frist zu äußern. Ebenso wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, binnen der genannten Frist zu den ihm übermittelten Länderfeststellungen zu Kroatien (LIB vom 01.09.2017, mit einer Aktualisierung vom 14.11.2017) Stellung zu nehmen.
Am 23.04.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers, nunmehr vertreten durch RA Mag. Robert Bitsche, Nikolsdorfergasse 7-11, 1050 Wien, beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde zusammengefasst vorgebracht, dass mittlerweile die gesamte Familie des Beschwerdeführers in Österreich Asylstatus erhalten habe. Der Beschwerdeführer leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung und Depressionen, greife nach wie vor zu selbstverletzenden Handlungen und sei jedenfalls auf die Unterstützung seiner Familie in Österreich angewiesen. Die psychische Situation der gesamten Familie sei angespannt. Zuletzt wurde darauf hingewiesen, dass sich der Beschwerdeführer trotz seines Gesundheitszustandes sehr gut in Österreich integriert habe, Deutsch auf Niveau A2 - B1 spreche, derzeit die Schule besuche und im Juni 2018 den Pflichtschulabschluss absolvieren werde. Der Stellungnahme waren die ersten Seiten der positiven Bescheide der Familienangehörigen des Beschwerdeführers, die bereits bekannte psychotherapeutische Stellungnahme vom 16.06.2017, ein Schreiben vom 07.06.2017 über seinen Schulbesuch und die beabsichtigte Absolvierung des Pflichtschulabschlusses, Zertifikate vom 30.06.2017 und 24.01.2018 über eine "Basisbildung und Vorbereitung auf den Pflichtschulabschluss", Deutschkursbestätigungen und ein A1-Deutschzertifikat, beigefügt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger aus Afghanistan, stellte am 30.12.2015 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, welcher sowohl vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (mit Bescheid vom 18.04.2016) als auch vom Bundesverwaltungsgericht (mit Erkenntnis vom 23.08.2016) negativ entschieden und eine Zuständigkeit Kroatiens nach der Dublin III-VO festgestellt wurde. Die von erhobene Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.01.2017, nach einer Abtretung seitens des VfGH, zurückgewiesen.
Am 24.03.2017 stellte der Beschwerdeführer den vorliegenden zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (Folgeantrag).
Der Beschwerdeführer leidet unter folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen: "mittelgradig bis schwergradig depressive Episode/Störung mit selbstverletzenden Handlungen und suizidalen Gedanken; komplexe posttraumatische Belastungsstörung nach schweren Traumata mit klinisch relevanten Symptomen und Flashbacks; Persönlichkeitsstörung; weiters wurden eine Anpassungsstörung F 43.2 sowie der Verdacht auf dysfunktionale Strategien/Reaktionen auf Belastungen (Selbstverletzungen) im Rahmen einer Persönlichkeitsakzentuierung/-störung F 60.3" diagnostiziert. Suizidgefahr ist als gegeben erachtet worden. Beim Beschwerdeführer wurden eine medikamentöse Therapie und eine Psychotherapie eingeleitet, deren Abbruch oder Unterbrechung als kontraindiziert erachtet wurde. Zudem wurde aus ärztlicher Sicht mehrmals der Verbleib des Beschwerdeführers im Familienverband befürwortet.
In Österreich leben die Eltern und zwei Schwestern des Beschwerdeführers, denen mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Mit den genannten Familienangehörigen besteht ein gemeinsamer Haushalt. Eine weitere Schwester des Beschwerdeführers wird seit der Flucht in der Türkei vermisst und gibt es über deren Schicksal keinerlei Informationen. Die Mutter des Beschwerdeführers leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit depressiv-dissoziativer Symptomatik und an einer schweren akuten Belastungsreaktion; es waren zwei stationäre Aufenthalte erforderlich.
Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse auf dem Niveau A2 absolviert und besucht die Schule (erwarteter Abschluss Juni 2018).
2. Beweiswürdigung: Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich des Vorverfahrens des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers basieren auf den unbedenklichen (oben angeführten) medizinischen Befunden und ärztlichen Stellungnahmen.
Die Feststellungen zum Familienbezug des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage; insbesondere aus den Angaben des Beschwerdeführers sowie dessen Mutter. Die Feststellungen zum Status der Familienmitglieder des Beschwerdeführers als nunmehr anerkannte Flüchtlinge ergeben sich aus den vorgelegten Bescheiden des Bundesamtes.
Das mittlerweile Bestehen eines gemeinsamen Haushalts mit seinen Familienangehörigen ergibt sich aus einer am 21.08.2018 veranlassten ZMR-Abfrage.
Die Feststellungen zu den Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers basieren auf den entsprechenden vorgelegten Unterlagen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl § 75 Abs 18 AsylG 2005 idF BGBGl I 2013/144).
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:
"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zu-ständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zu-ständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
...
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaub-haft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offen-kundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet."
§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:
"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:
Art. 3 Abs. 1:
"(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaats-angehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird."
Art. 13 Abs. 1:
"Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 22 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."
Art. 16
"Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen."
Art. 17 lautet:
"Ermessensklauseln:
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.
Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.
Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.
Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen."
Art. 22:
"(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen."
Im gegenständlichen Verfahren ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zunächst grundsätzlich zutreffend davon aus, dass Kroatien gemäß der Dublin III-VO zur Prüfung des in Rede stehenden Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zuständig ist. Abgesehen davon, dass sich, entgegen der Ansicht der Behörde, der wesentliche Sachverhalt gegenüber dem Vorbescheid relevant geändert hat (Erkrankung des Beschwerdeführers; Status der Familienangehörigen, gemeinsamer Haushalt; siehe hiezu weiter unten), ist in casu Österreich gehalten, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zu prüfen.
Zur Frage des im vorliegenden Fall gebotenen Selbsteintritts Österreichs wird Folgendes ausgeführt:
Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin III-VO bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn dieser nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist.
Da Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (aus jüngster Zeit: VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua, mit Hinweis auf Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art. 17 K2).
Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 10.12.2013, Rechtssache C-394/12, Abdullahi, festgehalten, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 (diese entsprechen nunmehr Art. 17 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Dublin III-VO) "die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein" (vgl. Rn. 57, mwN).
Nach der Rechtsprechung des VfGH (zB VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (zB VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0139; 17.11.2015, Ra 2015/01/0114, 2.12.2014, Ra 2014/18/0100, 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua) macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig und es ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.
Im "ersten Verfahren" wurde davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer gesund ist, kein gemeinsamer Haushalt mit seinen Eltern und Geschwistern besteht, keine wechselseitigen Abhängigkeiten vorliegen und die Verfahren seiner Familienangehörigen zugelassen worden sind.
Wie sich jedoch aus den zahlreichen mittlerweile in Vorlage gebrachten Befunden bzw. Arztschreiben ergibt (Anm: welche zum Teil von einem Zeitpunkt nach der Erstellung der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 07.05.2017 datieren), liegt beim Beschwerdeführer eine schwere psychische Erkrankung vor (siehe die entsprechenden Feststellungen oben), weshalb dieser sowohl eine medikamentöse Therapie als auch eine Psychotherapie erhält. Nach diversen Befunden/Arztschreiben besteht sowohl Selbstverletzungsals auch Suizidgefahr. Der Beschwerdeführer ist als besonders vulnerabel anzusehen. Recht zu geben ist dem Beschwerdevorbringen, dass die Behörde lediglich die Ergebnisse der gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 07.05.2017 herangezogen hat und die zahlreichen übrigen Befunde, welche teilweise eine schwerere Erkrankung diagnostiziert haben (PTSD etc), gänzlich unberücksichtigt gelassen hat. An dieser Stelle ist weiters festzuhalten, dass im Bescheid - worauf ebenfalls in der Beschwerde zutreffend hingewiesen wurde - das Ergebnis der gutachterlichen Stellungnahme vom 07.05.2017 aktenwidrig dargestellt wurde, wenn auf Seite 33 ausgeführt wird, dass sich aus der genannten gutachterlichen Stellungnahme keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung und auch keine sonstigen psychischen Krankheitssymptome ergeben würden. Demgegenüber ist vielmehr vom Vorliegen einer schweren psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers auszugehen, welche jedoch - wie auch die Behörde zurecht ausgeführt hat - per se nicht als aktuell lebensbedrohlich anzusehen ist. Wie das Bundesamt auch zutreffend ausführt, bestehen im zuständigen Mitgliedstaat grundsätzlich auch entsprechende Behandlungsmöglichkeiten. Dennoch erscheint es im vorliegenden Fall angezeigt, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. In einer Zusammenschau mit der ebenfalls als schwer zu qualifizierenden psychischen Erkrankung der Mutter (siehe Feststellungen oben), welche bereits 2 stationäre Aufenthalte erforderlich gemacht hat, und dem Verlust einer Schwester des Beschwerdeführers im Zuge der Flucht, ist vom Vorliegen einer besonders engen Beziehung bzw einer besonderen emotionalen Abhängigkeit/Bindung des Beschwerdeführers von/zu seinen Familienangehörigen auszugehen. Wie aus einigen ärztlichen Schreiben ersichtlich ist, bieten die in Österreich aufhältigen Familienangehörigen dem Beschwerdeführer ein stabiles soziales Umfeld und tragen so einen wichtigen Teil zur psychischen Stabilisierung des Beschwerdeführers bei. Mehrfach wurde auch explizit darauf hingewiesen, dass eine Abschiebung eine massive Belastung für den Beschwerdeführer und für die hier aufhältigen Familienangehörigen darstellen würde. Mit einer Überstellung nach Kroatien und einer damit einhergehenden Trennung des Beschwerdeführers von diesem stabilen Umfeld, nämlich von seinen hier lebenden und nunmehr als anerkannte Flüchtlinge aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen, seinen Schulkameraden etc, wäre aufgrund des fehlenden familiären Auffangnetzes in Kroatien und der weiters mit seinen psychischen Beschwerden verbundenen Problemen vor Ort eine gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu befürchten. So wird auch in einigen Befunden/Arztschreiben ausdrücklich vor der realen Gefahr einer Retraumatisierung im Zuge einer Außerlandesbringung gewarnt. Überdies wäre im Rahmen einer Überstellung nach Kroatien jedenfalls mit einer Unterbrechung der Psychotherapie zu rechnen, welche von sämtliche Experten als kontraindiziert angesehen wurde.
Nach dem Gesagten erscheint es gegenständlich - infolge der bestehenden Konstellation aus dem Vorliegen einer schweren psychischen Erkrankung des Beschwerdeführers (und seiner Mutter) sowie dem Verlust einer seiner Schwestern auf der Flucht, in Zusammenschau mit der vorliegenden familiären Nahebeziehung zu den in Österreich aufhältigen Eltern und Geschwistern des Beschwerdeführers, mit welchen auch ein gemeinsamer Haushalt besteht - zur Vermeidung einer Verletzung des Art. 8 EMRK im Rahmen der "Ermessensklausel" des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO - im konkreten Einzelfall angezeigt, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
Im Übrigen erscheint auch eine Prüfung der Fluchtgründe des Beschwerdeführers durch Österreich als umso sinnvoller und auch zweckmäßig, als den Eltern und Geschwistern des Beschwerdeführers in Österreich zwischenzeitig der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde.
Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben, zumal sämtliche verfahrenswesentliche Abklärungen, insbesondere aber der gesundheitliche Zustand des Beschwerdeführers, eindeutig aus den vorliegenden Verwaltungsakten beantwortet werden konnten.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Fristablauf, Fristversäumung, Überstellungsfrist, Verfristung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W185.2126578.2.00Zuletzt aktualisiert am
11.10.2018