TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/22 I408 2185275-1

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Veröffentlicht am 22.08.2018
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Entscheidungsdatum

22.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I408 2185275-1/8E

Schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. ÄGYPTEN, vertreten durch: RA Mag Robert BITSCHE gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien (BAW) vom 15.01.2018, Zl. 1094501308-160902969, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.06.2018 zu Recht erkannt:

A)

I) Der Beschwerde wird stattgeben und der angefochtene Bescheid

behoben.

II) XXXX, wird der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellt nach mehreren erfolglosen Versuchen seinen seit 2004 anhaltenden illegalen Aufenthalt in Österreich zu legalisieren am 29.06.2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK.

2. Dieser Antrag wurde mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 15.01.2018 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.), festgestellt, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

3. Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer über seine damalige Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde.

4. Am 18.06.2018 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht statt, in der das gegenständliche Erkenntnis verkündet wurde.

5. Mit Schreiben vom 20.06.2018 beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung dieses Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist ägyptischer Staatsbürger und somit Drittstaatsangehöriger. Seine Identität steht fest. Er beherrscht die deutsche Sprache auf C1 Niveau (Zertifikat vom 21.01.2016 - AS 396) und ist seit 14.07.2011 persönlich haftender Gesellschafter der Firma "XXXX" (AS 398) und seit 02.02.2013 der XXXX. (AS 500) Am 06.02.2012 gab der Beschwerdeführer die Ausübung des Gewerbes in Bezug auf die Blumen Elpigram KG bekannt und dieses Gewerbe wurde mit Wirksamkeit vom 16.02.2012 in das Gewerberegister eingetragen (AS 198). Seit 10.10.2011 ist er durchgehend bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft kranken- und unfallversichert sowie seit 01.01.2012 pensionsversichert, und erfüllt seine Zahlungsverpflichtungen zuverlässig und fristgerecht (AS 490). Er beschäftigt um bis zu 15 Mitarbeiter und verfügt über insgesamt 6 Verkaufslokale. Er ist selbsterhaltungsfähig, lebt in einer Mietwohnung und hat am 16.02.2018 im Zuge einer Zwangsversteigerung eine Liegenschaft erworben (23 E 14/17a-26).

Der Beschwerdeführer reiste 2003 illegal aus Deutschland kommend, wo er sich auf Basis eines Studentenvisums aufhielt, in das Bundesgebiet ein (AS 119).

Nachdem er vom 21.07.2003 bis 02.07.2004 in Österreich unter einem Nebenwohnsitz polizeilich gemeldet war, wies er im Anschluss daran keinen Wohnsitz mehr auf und bestritt seinen Lebensunterhalt über Schwarzarbeit auf Baustellen und im Blumenhandel. Erst seit 17.07.2011 verfügt er wieder über einen gemeldeten Wohnsitz.

Im Juli 2009 versuchte er mit Hilfe eines gefälschten französischen Dokumentes zu einer Anmeldebescheinigung bei der MA 35 zu gelangen. Unter dieser vorgetäuschten Identität hatte er sich bereits zuvor im Melderegister und bei der Sozialversicherung angemeldet. Das darauf eingeleitete Strafverfahren wurde am 16.11.2011 mit Diversion zu 85 Hv 78/09z abgeschlossen (AS 236) und der Beschwerdeführer gilt damit als unbescholten.

Der am 13.07.2009 in Angesicht der drohenden Abschiebung gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.07.2011, Zl. 09 08 283 AW, rechtskräftig abgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet nach Ägypten ausgewiesen (AS 51).

Der Beschwerdeführer leistete dieser Entscheidung keine Folge und stellte am 11.10.2011 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Rot-Weiß-Rot Karte plus", der mit Bescheid des Amts der Wiener Landesregierung vom 21.12.2012 rechtskräftig abgewiesen wurde (AS 290).

Nach der Verständigung, dass er mit einer negativen Erledigung seines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu rechnen habe, stellte er am 20.04.2012 bei der belangten Behörde einen Antrag auf Aufhebung der Ausweisung (AS 233).

Alle Versuche der belangten Behörde den Beschwerdeführer für den Beschwerdeführer ein Heimreisezertifikat zu erlangen bzw. ihn nach Ägypten abzuschieben, blieben erfolglos.

Am 29.06.2016 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 ERMK.

2. Beweiswürdigung:

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem im Akt aufliegenden Unterlagen, die entweder bei den Feststellungen angeführt sind oder die entsprechende Aktenseite (AS) angeführt ist. Er wird zudem vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nicht in Abrede gestellt.

Die unternehmerischen Tätigkeiten des Beschwerdeführers sind zweifelsfrei dokumentiert und den Behörden seit längerem bekannt. Die mündliche Verhandlung hat auch gezeigt, dass der Beschwerdeführer die deutsche Sprache ausgezeichnet beherrscht und in Österreich, nicht nur aufgrund seines Unternehmertums, zwischenzeitlich voll integriert ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde und Zuerkennung eines Aufenthaltstitels

Nach § 55 AsylG ist einem Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn (Z 1) dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und (Z 2) der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Im gegenständlichen Fall ist es unstrittig, dass sich der Beschwerdeführer seit 2003 entgegen den fremden- und polizeirechtlichen Bestimmungen in Österreich aufhält und sich der lange Aufenthalt aufgrund seines nicht gemeldeten Wohnsitzes bis 2011, eines ungerechtfertigten Asylantrages, der Nichtbefolgung der ergangen Rückkehrentscheidung (Ausweisung) nach Ägypten und von nachträglich gestellter Anträge auf Zuerkennung eines Aufenthaltstitels ergibt.

Auf der anderen Seite hat er diese Zeit genützt ein Unternehmen mit 15 Mitarbeiter aufzubauen, die deutsche Sprache sehr gut zu erlernen und sich in das soziale und rechtliche Umfeld in Österreich voll zu integrieren. Er steht mit beiden Beinen im Wirtschaftsleben, gibt anderen Arbeit und hält sich seit Jahren an die diesbezüglichen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Er ist seinen Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf die Sozialversicherung regelmäßig nachgekommen und hat in diesem Zeitraum für sich nie Sozialleistungen in Anspruch genommen. Vielmehr war und ist er selbsterhaltungsfähig, besitzt eine Mietwohnung und hat zuletzt eine Liegenschaft erworben. Es sind zudem die Gewerbeausübung als auch seine Bemühungen, einen Aufenthaltstitel zu erlagen seit Jahren bekannt. In den 15 Jahren seines Aufenthaltes hat sich der Beschwerdeführer in Österreich eine dauerhafte Existenz aufgebaut und sich ein funktionierendes persönliches Umfeld geschaffen.

Auch wenn bei der Interessensabwägung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG dem Umstand, dass sich sein Privatleben im Bewusstsein seines unsicheren Aufenthaltes entwickelt hat, eine wesentliche Bedeutung zukommt, überwiegen im gegenständlichen Fall die nachhaltigen Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der ergangenen Rückkehrentscheidung. Somit sind die Voraussetzungen für die Gewährung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG gegeben.

In Ausübung des Gewerbes erreicht der Beschwerdeführer ein Einkommen, das die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) überschreitet, sodass die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" vorliegen.

Der Bescheid der belangten Behörde war daher zu beheben (Spruchpunkt I.) und ihm antragsgemäß der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigungskarte plus" zuzuerkennen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Im gegenständlichen Fall handelt es sich bei der Beurteilung des Vorliegens eines schützenswerten Privatlebens um eine Einzelfallentscheidung, in der die Interessensabwägung nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfolgt.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus, Aufenthaltstitel aus Gründen des Art.
8 EMRK, Behebung der Entscheidung, mündliche Verkündung,
Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig, Rückkehrentscheidung
behoben, schriftliche Ausfertigung, Selbsterhaltungsfähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I408.2185275.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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