TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/24 W186 2203854-1

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Veröffentlicht am 24.08.2018
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Entscheidungsdatum

24.08.2018

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z1
FPG §76 Abs3
VwG-AufwErsV §1
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W186 2203854-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.08.2018, Zahl: IFA 327522103/180772474, und die andauernde Anhaltung, zu Recht erkannt:

A) I. Der Beschwerde gegen den Bescheid vom 15.08.2018 wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG und § 76 Abs. 3 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft von 15.08.2018 bis 24.08.2018 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG und § 76 Abs. 2 Z 1 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

III. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

IV. Gemäß § 35 VwGVG iVm Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, hat der Bund (Bundesminister für Inneres) dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von € 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, ist 2005 in Österreich eingereist.

Am 23.03.2005 hat er einen Asylantrag gestellt, der am 19.02.2011 rechtskräftig abgewiesen wurde. In einem war die Ausweisung des BF ausgesprochen worden. Der BF kam der Ausreiseverpflichtung nicht nach.

Am 04.02.2012 stellte der BF einen weiteren Asylantrag; das Verfahren wurde am 19.03.2012 wegen unbekannten Aufenthaltes des BF eingestellt, die Frist zur neuerlichen Aufnahme des Asylverfahrens lief am 10.03.2014 ab.

2. Am 14.08.2018 wurde der BF von der LPD Wien einer Personenkontrolle unterzogen.

Am 15.08.2018 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich zu einer möglichen Verhängung der Schubhaft einvernommen.

Die Einvernahme gestaltete sich wie folgt:

F: Wann reisten Sie zuletzt nach Österreich ein?

A: 2005. Nachgefragt gebe ich an dass ich seitdem hier lebe. Ich war einmal in Deutschland, 2005

F: Warum kamen Sie nach Österreich?

A: Weil zu Hause hatte ich Probleme?

F: Wo wohnen Sie?

A: Bei meiner Mutter, oder bei Freunden, verschieden?

F: Wo schliefen Sie die letzten Tage?

A: Bei meiner Mutter, XXXX , in Simmering. Nachgefragt gebe ich an es sei die XXXX . Nachgefragt gebe ich an dass ich einen Wohnungsschlüssel bei meinen Sachen habe.

F: Wovon leben Sie?

A: Meine Familie hilft mir, die Mutter.

F: Warum haben Sie sich im Melderegister nicht angemeldet?

A: Ich habe versucht aber ich hatte keine Dokumente, ich weiß dass ich hier illegal lebe wie kann ich mich anmelden.

F: Ihr Asylantrag wurde 2011 abgewiesen, eine weiterer Antrag wurde im Jahre 2012 ingestellt weil Sie untertauchten. Seit dem sind Sie anscheinend ohne Dokumente unter Vorgabe einer Falschidentität (bulgarisch) in Österreich, Sie haben die Abschiebung erdfolgreich durch Untertauchen verhindert, die letze Wohnsitzmeldung unter Ihrem Namen bestand 2012, danach tauchten Sie unter.

A: Das stimmt. Nachgefragt gebe ich an dass ich die falschen Dokumente vor einem Monat erst gekauft habe.

V: Außerdem sind Sie unter falschem Namen an einer Adresse in Wien mit Wohnsitz gemeldet in der Siebenbrunnenfeldegasse. Dazu gebe ich an dass ich dort auch nicht wohne. Mir wird vorgehalten dass zusammengefasst ich meinen Aufenthalt hier erzwingen will und mich als nicht vertrauchenswürdig erweise für die Behörde.

A: Ich arbeitete als Saisonarbeiter als ich eine weiße Karte hatte.

F: Wie ist der Familenstand?

A: Ich bin ledig, habe keine Kinder. Ich habe hier die Mutter, Bruder er hat 5 Kinder. Nachgefragt ob ich jemals versuchte einen Aufenthaltstitel zu bekommen gebe ich an dass ich das versuchte, aber ich konnte keinen Bürgen finden und konnte Ihn nicht bekommen.

F: Was machen Sie den ganzen Tag in Österreich?

A: Nichts, spazieren, den ganzen Tag.

F: Können Sie noch etwas zu Ihrem Privatleben sagen?

A: Ich kann nichts machen weil ich illegal hier bin. Ich habe lebensgefährliche Probleme in Russland, seit 2005, dazu wird mir mitgeteilt dass der Asylantrag bereits entschieden wurde. Wenn ich gefragt werde ob nach 2005 neue Probleme für mich entstanden sind gebe ich an dass ich vor der Armee geflohen bin 2004. Mein Vater lebt in Tschtschenien, die Mutter lebt hier. Das betrifft alles die Zeit vor 2005.

"Ich bin in Kenntnis davon, dass mein rechtswidriger Aufenthalt im Bundesgebiet eine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit im Sinne des § 120 Abs 1a FPG nach sich zieht. Meine ha. getätigten Angaben erhebe ich hiermit auch zu meiner Stellungnahme in diesem Verwaltungsstrafverfahren vor der Landespolizeidirektion Wien, AFA 3 - Fremdenpolizei (1210 Wien, Hermann Bahr - Straße 3) und ergeht von dort diesbezüglich eine gesonderte Entscheidung."

Aufgrund des Sachverhaltes ist ersichtlich, dass ich trotz der gegen mich bestehenden Ausweisung unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig bin. Es ist beabsichtigt mich in Vollstreckung des bestehenden Ausweisung in mein Heimatland abzuschieben. Zur Sicherung der Abschiebung wird über mich die Schubhaft verhängt. Der Schubbescheid wird mir im Anschluss an diese Niederschrift zugestellt.

Im Verfahren zur Verhängung der Schubhaft steht mir eine kostenlose Rechtsberatung zu. Im Anschluss wird mir nachweislich eine Verfahrensanordnung zugestellt, in der die für mich zuständige Rechtsberatung angegeben ist.

Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG haben Sie das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, sofern Sie nach diesem Bundesgesetz festgenommen wurden, unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten werden oder wurden oder wenn gegen Sie die Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde. Die Beschwerde kann auch bei der in der Kopfstampiglie bezeichneten Behörde eingebracht werden.

Es wird Ihnen mitgeteilt, dass Sie bis zur Realisierung der Abschiebung in Schubhaft verbleiben.

F: Haben Sie Effekten einzuholen?

A: Meine Mutter kann mir alles bringen.

Ich habe alles verstanden, und möchte und nichts mehr hinzuzufügen."

2. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes vom 15.08.2018, dem BF zugestellt durch persönliche Übernahme am selben Tag um 20:30 Uhr, wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Die Behörde trifft in ihrem Beschied die folgenden Feststellungen:

"Zu Ihrer Person:

Sie sind nicht österreichischer Staatsbürger. Sie sind russicher Staatsbürger.

Zu Ihrer rechtlichen Position in Österreich:

Gegen Sie besteht eine rechtskräftige Ausweisung seit 19.02.2011, Sie stellten einen Aslyfolgeantrag im Jahre 2012 und tauchten unter, das Verfahren wurde eingestellt, zuletzt wurden Sie am 14.08.2018 im Bundesgebiet angetroffen und wiesen sich mit gefälschten bulgarischen Dokumenten aus. Sie entziehen sich dem laufenden Verfahren der Außerlandesbringung durch untertauchen und versuchen den Aufenthalt unter Vorgabe einer Falschidentiät zu erzwingen.

Zu Ihrem bisherigen Verhalten:

Ihr Asylantrag wurde im Jahre 2011 abgelehnt, Sie kamen der Ausreiseverpflichtung nicht nach. Sie stellten einen Asylfolgeantrag, welher im Jahre 2012 wegen Untertauchens eingestellt wurde. Seit dem Jahre 2012 sind Sie nicht mehr gemeldet, Sie sind unter falscher bulgarischer Identiät in Österreich gemeldet und aufhältig, und entziehen Sich nachhaltig dem Verfahren der Außerlandesbringung.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Sie geben an seit dem Jahr 2005 durchgehend in Österreich zu sein. Ihr Mutter und Ihr Bruder leben hier. Ein Asylantrag wurde im Jahre 2001 abgewiesen und mit einer Ausweisung verbunden. Einen Aufenthaltstitel konnten Sie nicht bekommen. Sie gehen keiner erlaubten Arbeit nach und geben an, nur spazieren zu gehen und nichts bestimmtes zu machen in Österreich. Aufrund des langen Aufenthaltes ist jedenfalls von einem bestehenden Privatleben in Österrreich auszugehen. Sie sind sich des unrechtmä0igen Aufenthaltes aber bewusst und wollen den Aufenthalt im Verborgenen unter Führung einer Falschidentität fortsetzten."

In rechtlicher Hinsicht findet die Behörde:

"Entsprechend ihres bisherigen Verhaltens begründen folgende

Kriterien in Ihrem Fall eine Fluchtgefahr:

Sie erzwangen den Aufenthalt in Österreich durch Führung einer Falschidentität, sie sind nicht oder nur unter Falschidentiät mit Wohnsitz gemeldet, Sie tauchten im Asylfolgantragsverfahren unter, somit täuschen Sie die Behörden und sind keineswegs vertrauenswürdig. Es ist von einem neuerlichen Untertauchen auszugehen.

Die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung ist erforderlich, da Sie sich aufgrund Ihres oben geschilderten Vorverhaltens als nicht vertrauenswürdig erwiesen haben. Es ist davon auszugehen, dass Sie auch hinkünftig nicht gewillt sein werden, die Rechtsvorschriften einzuhalten.

Aus Ihrer Wohn- und Familiensituation, aus Ihrer fehlenden sonstigen Verankerung in Österreich sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens kann geschlossen werden, dass bezüglich Ihrer Person ein beträchtliches Risiko des Untertauchens vorliegt.

Sie entzogen sich bislang dem fremdenrechtlichen Verfahren und sind nicht greifbar für die Behörde, eine Soziale Verankerung besteht nur insofern als Sie hier Familienangehörige haben, einer legalen Arbeit gehen Sie aber nicht nach, Sie hielten sich seit 2012 an mehreren angegebenen Wohnadressen nicht auf und tauchten somit unter, Sie führen eine bulgarische Falschidentität und sind unter dieser Identuität mit Wohnisitz gemeldet. Sie geben beharrlich an, nicht in die russische Föderation zurückzuwollen, obwohl über die von Ihnen behaupteten Fluchtgründe bereits entschieden wurde.

Einem geordneten Fremdenwesen kommt im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und dem wirtschaftlichen Wohl des Staates ein hoher Stellenwert zu. Es besteht die Verpflichtung Österreichs, seinen europarechtlichen Vorgaben, als auch den Pflichten gegenüber seinen Staatsbürgern und anderen legal aufhältigen Personen nachzukommen.

Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft und ihrer Notwendigkeit ergibt daher in Ihrem Fall, dass Ihr privates Interesse an der Schonung Ihrer persönlichen Freiheit dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen hat.

Dabei wurde auch berücksichtigt, dass die Schubhaft eine ultima - ratio - Maßnahme darstellt. Es ist daher zu prüfen, ob die Anordnung gelinderer Mittel gleichermaßen zur Zweckerreichung dienlich wäre. In Betracht käme dabei das gelindere Mittel gem. § 77 FPG mit den dafür vorgesehenen Aufenthalts- und Meldepflichten bzw. der Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit. Dabei kommt die finanzielle Sicherheitsleistung aufgrund Ihrer finanziellen Situation schon von vornherein nicht in Betracht.

Doch auch was die Unterkunftsnahme in bestimmten Räumlichkeiten und die periodische Meldeverpflichtung betrifft, kann in Ihrem Fall damit nicht das Auslangen gefunden werden.

Sie kooperierten bisher nicht im Rückreiseverfahren der Zeitpunkt Ihrer angeblichen Ausreise ist nicht eruierbar, es ist davon auszugehen dass Sie um die Außerlandesbringung zu verhindern in die Anonymität untertauchen werden.

Wie oben ausführlich dargelegt, besteht in Ihrem Fall aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens ein beträchtliches Risiko des Untertauchens. Damit wäre jedoch der Zweck der Schubhaft, nämlich die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung, vereitelt. Es liegt somit eine ultima - ratio - Situation vor, die die Anordnung der Schubhaftverhängung unabdingbar erfordert und eine Verfahrensführung, während derer Sie sich in Freiheit befinden, ausschließt.

Es ist weiters aufgrund Ihres Gesundheitszustandes davon auszugehen, dass auch die subjektiven Haftbedingungen, wie Ihre Haftfähigkeit, gegeben sind.

Sie gaben am 15.08.2018 an gesund zu sein, es liegt daher Sicht Haftfähigkeit vor.

Die Behörde gelangt daher zum Ergebnis, dass sowohl die gesetzlichen Formalerfordernisse vorliegen, als auch, dass die Schubhaft zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis steht und im Interesse des öffentlichen Wohls dringend erforderlich und geboten ist."

3. Mit Schriftsatz vom 20.08.2018, hg. eingebracht am selben Tag, erhob der BF durch seinen Rechtsberater fristgerecht Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid und die fortdauernde Anhaltung in Schubhaft.

Neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Einvernahme des BF zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes beantragte die Beschwerde, dass Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid beheben und aussprechen, dass die Anordnung von Schubhaft und die bisherige Anhaltung in rechtswidriger Weise erfolgten, im Rahmen einer "Habeas Corpus Prüfung" aussprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des BF nicht vorliegen, sowie der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen gemäß VwG-Aufwandersatzverordnung, der Kommissionsgebühr und der Barauslagen, für die der BF aufzukommen hat, auferlegen.

In der Beschwerde wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Behörde den Gesundheitszustand des BF falsch bewertet habe. So sei im angefochtenen Beschied festgestellt worden, dass der BF gesund sei. Der BF befinde sich jedoch in einem sehr prekären Gesundheitszustand. Dazu verweist die Beschwere auf einen psychiatrischen Befund vom 25. Jänner 2016, dem zu Folge der BF an einer generalisierten Angststörung, posttraumatischer Belastungsstörung und nichtorganischer Insomnie mit Albträumen leide. Im Fall einer Rückkehr nach Tschetschenien sei aus fachärztlicher Hinsicht auch mit einer massiven Verschlechterung der Symptomatik zu rechnen. Der BF leide an Panikattacken und sei reaktiv depressiv. Zudem leide der BF schon seit längerer Zeit an einem nicht abgeheilten Magengeschwür, Bluthochdruck, wiederkehrenden Atem- und Kreislaufbeschwerden. Zwei namentlich genannte Vertrauenspersonen des BF hätten ihn in der Haft beucht und seinen Zustand als sehr kritisch beschrieben. Die Vielzahl seiner ernsten physischen Beschwerden und sein extrem labiler psychischer Gesundheitszustand erforderten die Komplettuntersuchung des BF und anschließenden Akutbehandlung im Rahmen eines Spitalsaufenthaltes. Zum Beweis hierfür werde die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens beantragt.

Der VwGH spreche in ständiger Judikatur aus, dass selbst bei Vorliegen einer Haftfähigkeit die Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes zur Unverhältnismäßigkeit der Haft führen könne und bei der Prüfung gelinderer Mittel berücksichtigt werden müsse. Die Behörde sei hier zum Schluss gekommen, dass der BF haftfähig sei, ohne überhaupt etwas über seinen kritischen Gesundheitszustand zu wissen. Es wäre Aufgabe der Behörde gewesen, dem BF die Möglichkeit zu geben, seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorzubringen. Auch wäre die Behörde verpflichtet gewesen, den Gesundheitszustand des BF bei der Prüfung gelinderer Mittel mit einzubeziehen. Auch hätte die Behörde durch Einholung eines fachärztlichen Gutachtens abklären müssen, ob die tatsächliche Gefahr einer unumkehrbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes des BF im Fall seiner Überstellung in die russische Föderation bestehe.

Die Behörde sei des Weiteren unzutreffender Weise vom Bestehen von Fluchtgefahr ausgegangen. So habe die Behörde die Feststellung getroffen, dass beim BF "eine fehlende soziale Verankerung vorliege". Die sei aber nicht der Fall. Die Beschwerde nennt dazu die Namen und Kontaktdaten von zwei Personen, die das Bestehen eines Freundeskreises und sozialer Kontakte des BF bezeugen könnten. Der BF beherrsche mittlerweile die deutsche Sprache sehr gut. Dass seine Mutter und sein Bruder als Asylberechtigte in Österreich lebten, hätte der Behörde bekannt sein müssen. Der BF könnte bei seiner Mutter wohnen. Er sei langjährig in Österreich aufhältig, unbescholten und habe ein weites Netz an sozialen Kontakten. Dies werde durch die der Beschwerde beigefügten Empfehlungsschreiben dokumentiert, wo Freunde und Bekannte des BF ihre Wertschätzung für diesen zum Ausdruck brächten. Der BF könne zudem beim Verein InterDialog im Stundenausmaß von 38 Wochenstunden zu arbeiten beginnen; dazu werde ein "Vorvertrag" vorgelegt. Er beherrsche Deutsch auf B1-Niveau. Insgesamt sei der BF in Österreich sehr gut integriert.

Im Fall des BF käme zudem - sollte das Gericht das Bestehen von Fluchtgefahr bejahen - die Anwendung eines gelinderen Mittels in Frage. Der BF verfüge über eine Wohnmöglichkeit (bei seiner in Wien lebenden Mutter). Somit käme die Anordnung einer periodischen Meldeverpflichtung in Frage. Durch die hier mangelnde Prüfung des gelinderen Mittels erweise sich die Schubhaft als unverhältnismäßig und rechtswidrig. Überdies sei die Anhaltung in Schubhaft für den BF eine größere Belastung als für einen psychischen gesunden Menschen. (Auch) da sich die Behörde auch mit diesem Aspekt im angefochtenen Bescheid nicht auseinandergesetzt habe, sei der Bescheid rechtswidrig.

Die Beschwerde argumentiert weiters, dass die Schubhaft im Fall des BF, der sich seit nunmehr 13 Jahren in Österreich befinde, auf eine "alte" Ausweisung gestützt sei (nämlich vom 19.02.2011). Diese sei zwar formell noch aufrecht, es sei aber angesichts des besonders langen Aufenthalts zu prüfen gewesen, ob sich die Beurteilungsgrundlagen in Hainblick auf Art. 8 MRK nicht so maßgeblich geändert hätten, dass die Ausweisung ihre Wirksamkeit verloren hätte (Verweis auf VwGH 2009/21/0088 vom 24.11.2009 und 2012/21/0076 vom 2.8.2013; weiters VwGH 12.10.2016, Ra 2015/21/0091, 29.6.2017, Ro 2016/21/0077, 17.11.2016, Ra 2016/21/0251).

Im vorliegenden Fall habe sich das Privat- und Familienleben in den vergangenen Jahren erheblich intensiviert. Im Fall des BF liege eine maßgebliche Integration im Sinn der Judikatur des VwGH vor, es bestehe ein schützenswertes Privat- und Familienleben. Die Beurteilungsgrundlagen im Hinblick auf die Interessensabwägung nach Art.8 MRK hätten sich maßgeblich zu Gunsten des BF verschoben, weshalb mit der "alten" Ausweisung ein wirksamer Titel für die Außerlandesbringung nicht vorliege. Die (darauf gestützte) Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung erweise sich (auch) demnach als rechtswidrig.

4. Die belangte Behörde erstattete am 21.08.2018 nachstehende Stellungnahme:

"Der Beschwerdeführer (BF) befindet sich seit 2005 im Bundesgebiet. Sein Asylverfahren wurde mit 19.01.2011 rechtskräftig negativ abgeschlossen und war mit einer Ausweisung verbunden.

Ein Asylfolgeantrag wurde am 19.03.2012 eingestellt.

Der BF. war untergetaucht.

Seit 29.12.2012 bestand keine behördliche Meldung mehr.

Ein Versuch am 14.08.2018 beim Meldeservice des Magistrates zur Vornahme einer Meldung mit gefälschten bulgarischen Dokumenten wurde erkannt und führte zur Festnahme (PI Seitenhafenstraße, AGM; Anzeige Zahl: PAD/18/1517710/001/VstV).

Trotz eklatanter Fälschungsmerkmale der vorgelegten Dokumente beharrte der BF. auf der Behauptung der Echtheit dieser Daten - bis zum Beweis des Gegenteils nach Durchführung einer Search Only Anfrage, welche die richtige Identität klarstellte.

Der BF. verfügt über keinerlei Dokumente.

Er wohnt laut Angabe unangemeldet bei der Mutter. Außerdem lebt ein Bruder im Bundesgebiet.

Der BF wurde von der LPD Wien wegen der gerichtlich strafbaren Handlungen unter der GZ PAD/18/01515762/Krim. zur Anzeige gebracht.

Er war unter seinen falschen Daten ab 11.07.2018 in 1050 Wien, Siebenbrunnenfeldgasse 1/38/19A behördlich gemeldet. Er gab zu, dass es sich um eine Scheinmeldung handelte.

Er wollte sich am 14.08.2018 mit einem gefälschten Reisepass obdachlos melden.

Die Tatsache, dass dem BF. von Seiten seiner Familienangehörigen Unterschlupf und Unterhalt gewährt wurde, und auch weiter gewährt werden würde, erklärt durchaus die Gefahr des neuerlichen Untertauchens. Ist doch ersichtlich, dass es gemeinsames Ziel des BF und seiner Familie war und ist, einen jahrelangen illegalen Aufenthalt des BF.- vor den Behörden verborgen- zu ermöglichen.

Über den BF wurde daher trotz seiner Beziehungen und Bindungen zum Bundesgebiet am 15.08.2018 um 13:37 Uhr im Mandatsverfahren gem. § 76 Abs. 2 Zi. 1 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt.

In der Folge wurde ein Heimreisezertifikatsverfahren erneuert.

Gemäß den derzeit gültigen Vorgaben für die Erlangung eines Heimreisezertifikates, wurde eine dementsprechende diesbezügliche Niederschrift aufgenommen. Auch hier ist ersichtlich, dass der BF zumindest teilweise nicht wahrheitsgetreue Angaben getätigt hat. Demnach gab er an, er hätte einen Führerschein in Russland, obwohl im seinerzeitigen Asylverfahren ein im Jahr 2004 ausgestellter Führerschein neben Personalausweis, Reisepass und Militärausweis vorgelegt und nach Prüfung als authentisch eingestuft worden waren.

Aufgrund der durch diese Dokumente festgestellten Identität wird von einer raschen Ausstellung eines Heimreiszertifikates ausgegangen.

Eine Abschiebung ist nach Ausstellung des Ersatzdokumentes zum nächst möglichen Termin vorgesehen.

Aus den Beilagen zur Schubhaftbeschwerde ergibt sich der Schluss, dass im Jahre 2017 ein Legalisierungsversuch vorbereitet, aber letztlich nicht gesetzt wurde.

Ein Referenzbrief vom 27.08.2017 eines Mag. Vagaev erklärt bis zu diesem Zeitpunkt seit ca. 6 Jahren (?!) keine medizinische Versorgung und mangelnde Ernährung des BF.

Eine Integration liegt nicht vor.

Die Schubhaft wird aufrechterhalten."

5. Aus einer weiteren Übermittlung vom 21.08.2018 von Seiten der Behörde geht hervor, dass es im Fall des BF bis zu zwei Monaten dauern könne, ehe bezüglich seiner Rückübernahme eine Antwort der Russischen Föderation vorläge.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und nicht österreichischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht fest.

Der BF befindet sich seit 2005 in Österreich, somit seit 13 Jahren. Gegen den BF besteht eine Ausweisung, die am 19.01.2011 in Rechtskraft trat.

In Österreich leben die Mutter und der Bruder des BF als anerkannten Flüchtlinge.

Der BF verfügt in Österreich über eine soziale Verfestigung in relevantem Ausmaß, die ua durch enge freundschaftliche Kontakte zu mehreren österreichischen Staatsbürgern dokumentiert ist; weiters durch das Vorliegen einer Einstellungszusage.

Der BF ist unbescholten.

Der BF leidet an relevanten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist aus diesem Grund eine vulnerable Person.

Er befindet sich seit 15.08.2018 in Schubhaft. Diese wird im Polizeianhaltezentrum HERNALSER GÜRTEL vollzogen.

2. Beweiswürdigung:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der im Asylverfahren vorgelegten Dokumente fest. Die Feststellung zum rechtlichen Status des BF in Österreich ergibt sich aus dem vorgelegten Veraltungsakt, ebenso, dass seine Mutter und sein Bruder in Österreich als anerkannten Flüchtlinge leben.

Dass der BF in Österreich über eine soziale Verfestigung in relevantem Grad verfügt, ergibt sich nicht nur aus seiner familiären Anbindung, sondern auch aus dem Umstand, dass er eine Einstellungszusage für eine Anstellung im Vollzeitausmaß hat und Kontakt zu einer Reihe namhaft genannter Personen, die unter Vorlage von "Empfehlungsschreiben" die Integration des BF in Österreich belegt haben. Eine telefonische Nachfrage durch das erkennende Gericht bei einer dieser Personen, einem in Wien wohnhaften und arbeitenden österreichischen Juristen, hat ergeben, dass er zu dem BF ein patenschaftsartiges Verhältnis pflegt. So wurde der BF in der Schubhaft nicht nur von seiner Familie besucht, sondern auch - bereits zweimal - von der genannten Person. Dass - wie in der behördlichen Stellungnahme vermeint - der BF "nicht integriert" sei, kann daher vom erkennenden Gericht nicht nachvollzogen werden.

Die Feststellung, dass der BF eine vulnerable Person ist und sein Gesundheitszustand prekär, ergibt sich aus den im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorgelegten medizinischen Berichten/Gutachten; dies wurde auch von den Vertrauenspersonen, die den BF in der Schubhaft besucht haben, dokumentiert. Das Gericht kann auch hier nicht nachvollziehen, wie die Behörde zu ihrem Schluss gekommen ist, dass der BF gesund sei, weil er nichts Gegenteiliges behauptet hätte. Jedenfalls aber mit der Vorlage medizinischer Unterlagen im Rahmen der Beschwerde (die Behörde hat auch zur Kenntnis genommen, dass der BF unterernährt ist und seit Jahren keine medizinische Versorgung erhalten hat) musste klar sein, dass der BF in einem ausgesprochen prekären gesundheitlichen Zustand und als vulnerable Person zu qualifizieren und zu behandeln ist.

Dass der BF seit 15.08.2018 im Polizeianhaltezentrum HERNALSER GÜRTEL angehalten wird, beruht auf einem Auszug aus der Anhaltedatei.

3. Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 76 Abs. 4 FPG ist die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 57 Abs. 1 AVG ist die Behörde berechtigt, wenn es sich bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen. Gegen einen nach Abs. 1 erlassenen Bescheid kann gemäß § 57 Abs. 2 AVG bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden. Die Vorstellung hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen die Vorschreibung einer Geldleistung gerichtet ist.

Gemäß § 22a Abs. 5 BFA-VG ist gegen die Anordnung der Schubhaft eine Vorstellung nicht zulässig.

2. Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist (Z 1), er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde (Z 2), oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde (Z 3). Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten gemäß Abs. 1a die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat gemäß Abs. 2 binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt. Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht gemäß Abs. 3 jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

3. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchpunkt A.I.) - Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft

1.1. Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden. Die Schubhaft darf gemäß Abs. 2 nur dann angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, (Z 1) oder die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen (Z 2).

1.2. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und nicht österreichischer Staatsbürger. Sohin ist er ein Fremder gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG und Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs 4 Z 10

FPG.

1.3. Über den Beschwerdeführer wurde die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG verhängt. Gegen den BF besteht eine Ausweisung, die am 19.01.2011 in Rechtskraft trat.

1.4. Die Verhängung von Schubhaft muss, um einen rechtmäßigen Eingriff in die persönliche Freiheit darzustellen, notwendig und verhältnismäßig sein.

Diese Kriterien sind im vorliegenden Fall aus mehreren Gründen nicht gegeben. Zunächst ist darauf zu verweisen, dass - anders als die Behörde angenommen hat - beim BF ein erhebliches Ausmaß an sozialer Verfestigung im Bundesgebiet vorliegt. "Fluchtgefahr" wegen des Fehlens sozialer Verfestigung kann durch das erkennende Gericht nicht festgestellt werden, sodass die Notwendigkeit der Schubhaft nicht ersichtlich ist; zudem hätte - wie die Beschwerde ausführt - im vorliegenden Fall ein gelinderes Mittel in Betracht gezogen werden müssen.

Die Schubhaft ist aber auch nicht verhältnismäßig in einem weiteren Sinn. Das Beschwerdeverfahren hat ergeben, dass der BF eine aus Krankheitsgründen vulnerable Person ist. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert eine Abwägung der - konkreten - individuellen Interessen des BF gegen das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherung seiner Abschiebung. Bereits angesichts seines prekären Zustandes schlägt die Güterabwägung zu Gunsten des BF aus. Dieser Befund wird noch verstärkt durch den Umstand, dass die Modalitäten seiner Rückführung nach Russland ungeklärt sind (Heimreisezertifikat), sodass die Schubhaft auf unbestimmte Zeit, wohl aber für zwei Monate aufrechterhalten würde, was den BF als vulnerable BF unverhältnismäßig belasten würde. Eine Prognose über die Entwicklung seines gesundheitlichen Zustandes kann nur auf Grundlage des vorliegenden Materials getroffen werden und fällt schlecht aus, da keine in Bezug auf den Zustand des BF günstigen Umstände vorgefunden werden können.

Die gebotene Güterabgwägung fällt aber auch aus einem weiteren Grund hier zu Gunsten des BF aus. Angesichts der in Beschwerde relevierten Tatsache, dass der BF bereits seit 13 Jahren in Österreich aufhältig ist und hier über in den letzten Jahren verdichtete soziale und berufliche Anknüpfungspunkte verfügt, ist nicht von der Hand zu weisen, dass nach der zitierten Rechtsprechung des VwGh die gegen den BF bestehende Ausweisung - wiewohl rechtskäftig - ihre "Wirksamkeit" verloren hat. Auch aus diesem Grund tritt das Interesse der Öffentlichkeit (an der Umsetzung dieser in ihrer Wirksamkeit zweifelhaften aufenthaltsbeenden Maßnahme) hinter das Interesse des BF an der Schonung seiner persönlichen Freiheit zurück.

Der Vollständigkeit halber wird erwähnt, dass sich aus einem im Rahmen der Beschwerde vorgelegten Unterstützungssschreiben auch Hinweise darauf entnehmen lassen, dass die Abschiebung des BF in die Russische Föderation nicht nur aus Gründe seiner sozialen Verfestigung in Österreich unzulässig wäre, sondern auch, weil er auf Grund geänderter - ihn im Konkreten betreffenden - Verhältnisse in Tschetschenien Eingriffe in Leib und Leben zu befürchten hätte. (Auch) diese Behauptung ist prima facie nicht von der Hand zu weisen. Auch vor diesem Hintergrund bestehen Zweifel an der "Wirksamkeit" der gegen den BF bestehenden Ausweisung - mit den bereits oben erörterten Folgen für die Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf die bescheidmäßig verhängte Schubhaft.

Aus diesen Gründen (fehlende Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges) war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.

2. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH 08.09.2009, 2009/21/0162; 26.01.2012, 2008/21/0626; 11.06.2013, 2012/21/0114). Ebenso war daher die Anhaltung des BF in Schubhaft von 15.08.2018 bis 24.08.2018 für rechtswidrig zu erklären.

Zu Spruchpunkt A.II.) Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft:

1. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Aufgrund obiger Erwägungen - des Nichtvorliegens ihrer Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit - war die Schubhaft auch nicht fortzusetzen.

Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Zu Spruchpunkt A.III. und IV. ) Kostenbegehren

1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da der BF vollständig obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz seiner Aufwendungen zu.

§ 1 VwG-AufwErsV bestimmt die Höhe des zu ersetzenden Schriftsatzaufwands des BF als obsiegende Partei mit € 737,60.

Die belangte Behörde hat daher dem BF Kosten iHv € 737,60 zu ersetzten.

Zu Spruchpunkt B. ) Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in Bezug auf die Kostenentscheidung war die Revision bezüglich der Spruchpunkt A.III. und IV. gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer, Ausweisung, geänderte Verhältnisse,
Gesundheitszustand, Herkunftsstaat, Interessenabwägung,
Kostenersatz, Privatleben, Rechtswidrigkeit, Schubhaftbeschwerde,
Unterkunft, vulnerable Personengruppe, Zeitpunkt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W186.2203854.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.10.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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