TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/3 W176 2149317-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.09.2018
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Entscheidungsdatum

03.09.2018

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W176 2104609-4/ 9E

W176 2149310-2/ 8E

W176 2149314-2/ 8E

W176 2149317-2/ 8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von (1.) XXXX , geboren am XXXX ,

(2.) XXXX , geboren am XXXX , (3.) XXXX , geboren am XXXX und (4.) XXXX , geboren am XXXX , alle syrische Staatsangehörige, alle vertreten durch RA Edward W. DAIGNEAULT, gegen (1.) den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2017, Zl. 1.049.617.610 - 150021248, sowie gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 04.05.2017,

(2.) Zl. 1069516200-161313686/BMI-BFA_SZB_RD, (3.) Zl. 1109727007-161313708/BMI-BFA_SZB_RD bzw. (4.) Zl. 1069520410-161313651/BMI-BFA_SZB_RD, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Dee Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 33/2013 (VwGVG) stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) und XXXX , XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) stellte am XXXX 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gleichen Tag gab der BF1 im Wesentlichen Folgendes an: Er sei syrischer Staatsbürger und in XXXX geboren. Er sei verheiratet und habe eine Zweitfrau. Nach dem Besuch der Schule von 2008 bis 2010 habe er an der Universität in XXXX studiert. Zuletzt habe er als selbständiger Verkäufer gearbeitet. Im Oktober 2014 habe er Syrien von seinem Wohnort XXXX aus legal mit einem PKW Richtung Türkei verlassen. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der BF1 an, dass sein Haus im Februar 2012 von einer Rakete getroffen und zerstört worden sei. Er sei mehrmals vom "Islamischen Staat" (IS) schriftlich mit dem Tode bedroht worden, da er Prediger in einer Moschee gewesen sei und gegen den Krieg in Syrien und gegen den IS gesprochen habe. Bei einer Rückkehr befürchte er umgebracht oder vom syrischen Regime verfolgt zu werden. Überdies legte der BF1 seinen syrischen Personalausweis vor.

2. Am 03.03.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen, gab der BF 1 im Wesentlichen an, dass er von der syrischen Regierung und vom IS verfolgt werde. Er sei Oppositioneller bzw. Regimegegner und sei auch gegen den IS. Der IS habe eine Bombe unter sein Auto gelegt, welche aber nicht explodiert sei. Sein Auto sei danach zerstört worden. Nach der Matura sei er einem Scharia-Studium in XXXX nachgegangen. Die Moschee sei vom Regime bombardiert worden. Von Februar 2012 bis August 2012 habe er Probleme mit den syrischen Sicherheitsbehörden gehabt. Seinen Heimatort verlassen habe er am 01.11.2014. Er sei legal ausgereist. In Syrien sei er beamteter Imam und dann Journalist gewesen. Der BF1 legte seinen syrischen Reisepass, sein Familienbuch, sein Militärbuch sowie einen Auszug aus dem Familienregister vor.

3. Mit Bescheid vom 04.03.2015 wies das BFA den Antrag des BF1 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 erstmalig ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erteilt (Spruchpunkt III.).

4. Gegen Spruchpunkt I. dieses ersten Bescheides erhob der BF1 fristgerecht Beschwerde. Zusammengefasst wurde gerügt, dass das asylrelevante Vorbringen des BF1 vom BFA vollkommen ignoriert worden sei und es sei ihm auch nicht ausreichend Zeit eingeräumt worden, Beweismittel vorzulegen. Mit der Beschwerde wurden diverse Beweismittel, darunter Fotos von Auszügen aus Videos, die Kopie einer Ausweiskarte, diverse Veröffentlichungen, Tätigkeitsbestätigungen, Screenshots und Fotos, die den BF1 auf Demonstrationen zeigten, vorgelegt.

5. Mit Erkenntnis vom 01.09.2015, hob das Bundesverwaltungsgericht den unter Punkt 3. dargestellten Bescheid in dessen Spruchpunkt I. auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Begründend wurde festgehalten, dass das BFA den Sachverhalt nur ansatzweise ermittelt habe. Es habe sich mit dem Vorbringen, der BF1 sei vom IS bedroht worden, nicht sachgerecht auseinandergesetzt, und es auch unterlassen, auf das Vorbringen, der BF1 sei Journalist gewesen, einzugehen. Auch betreffend einen vom BF1 zu leistenden Wehrdienst habe das BFA jegliche Ermittlungen unterlassen.

6. Im fortgesetzten Verfahren vor dem BFA legte der BF1 mit Schriftsatz vom 25.11.2015 u.a. Fotos von seiner Teilnahme an Demonstrationen, eine Bestätigung eines syrischen Radiosenders über die Beschäftigung des BF1 sowie Screenshots der Facebook-Seite eines syrischen Fernsehsenders, auf der ein Posting des BF1 geteilt worden sei, vor.

7. Am 15.01.2016 erneut vor dem BFA einvernommen, gab der BF1 im Wesentlichen Folgendes an: Eingangs wies er darauf hin, er habe bereits bei der vorangegangenen Einvernahme angeführt, dass er während der syrischen Revolution als Journalist tätig gewesen sei. Abermals zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF1 an, dass er vor der syrischen Revolution Imam in einer Moschee und Mitglied der Baath-Partei gewesen sei. Er habe sich aber von dieser Partei getrennt und sich einer anderen Partei angeschlossen. Da er sich negativ gegen das syrische Regime geäußert habe, sei er vom Geheimdienst von XXXX einvernommen worden. Nach dieser Einvernahme sei er vorsichtiger geworden und habe nicht mehr direkt die Regierung kritisiert. Er habe dann an Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen, am Anfang maskiert. Er habe bereits eine Liste vorgelegt, auf der sein Name stehen solle. Als die Moschee beschossen worden sei, habe er seine erste Frau und die Kinder in die Türkei gebracht. Er sei selbst hin und wieder nach Syrien gegangen, um "in der Revolution aktiv" zu sein. In dieser Zeit sei er auch als Imam gekündigt worden. Er habe auf seinem Handy die Demonstrationen gefilmt und veröffentlicht und sei als Journalist tätig gewesen. Auch habe er beim Fernsehen Nachrichten präsentiert und sei beim Radio aktiv gewesen. Als der IS die Heimatgemeinde des BF1 übernommen habe, sei er in die Türkei geflüchtet. Als der IS die Gemeinde wieder verlassen habe, sei er zurückgekehrt und habe als Leiter eines Vereines humanitäre Hilfe geleistet. Der BF1 sei von den Leuten des IS per Whats App bedroht worden. Befragt, weshalb er immer wieder zwischen Syrien und der Türkei hin und her gereist sei, erwiderte er, dass er als Journalist gearbeitet habe und es ihm wichtig gewesen sei, Nachrichten zu veröffentlichen. Er habe Probleme mit der syrischen Regierung und dem IS sowie einigen Personen der Freien Syrischen Armee (FSA) gehabt.

8. Mit Schriftsatz vom 09.02.2016 brachte der BF1 vor, dass in der Türkei syrische Journalisten getötet worden seien, die Dokumentationen über die Verbrechen des IS in XXXX veröffentlicht hätten. Der BF1 habe einen getöteten Journalisten persönlich gekannt, er habe gemeinsam mit ihm beim Radio gearbeitet. Auch habe der BF1 habe Drohbotschaften über soziale Medien erhalten.

9. Am 12.04.2016 erging ein Erhebungsbericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Landesamt für Verfassungsschutz, der aufgrund eines Hinweises, wonach der BF1 in einer terroristischen bzw. extremistischen Gruppierung tätig gewesen sein soll, erstellt wurde. Diesem Bericht ist zu entnehmen, dass aufgrund der durchgeführten Erhebungen einschließlich persönlicher Gespräche davon ausgegangen werde, dass der BF1 "keine Neigung zum islamischen Extremismus/Terrorismus" aufweise.

10. Mit Bescheid vom 18.05.2016 wies das BFA den Antrag des BF1 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Anerkennung des Status eines Asylberechtigten erneut ab.

In dessen Begründung wurde u.a. festgestellt, dass der BF1 vor der syrischen Revolution als Imam tätig gewesen sei, er als Journalist gearbeitet und an Demonstrationen gegen das syrische Regime teilgenommen habe. Weiters sei der BF1 in seinem Herkunftsstaat politisch als oppositioneller Regimegegner tätig gewesen; er habe die Regierung öffentlich kritisiert und an Demonstrationen gegen diese teilgenommen. Er habe eine gegen ihn gerichtete Bedrohungshandlung und einen Angriff gegen seine Person vorgebracht, habe aber in seinem Herkunftsstaat keine asylrelevanten Probleme gehabt. Denn er habe nur Probleme mit Ämtern und Behörden in der Zeit von 02/2012 bis 08/2012 vorgebracht. Es habe somit nicht festgestellt werden können, dass der BF1 in seinem Herkunftsstaat tatsächlich einer staatlichen Bedrohung bzw. Verfolgung ausgesetzt gewesen war bzw. sein würde. Weiters wurde festgestellt, dass sich aus seinem Vorbringen keine Anhaltspunkte für einen Ausschlussgrund ergeben hätten.

Beweiswürdigend wurde dazu ausgeführt, dass die Behauptung einer Verfolgung durch den BF1 "menschlich durchaus verständlich" sei und nur dazu diene einen positiven Ausgang im Asylverfahren zu erwirken. Der berichtete Vorfall eine Autobombe des IS betreffend werde als unglaubwürdig gewertet. Zu einer Bedrohung durch den IS wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sich frei bewegen habe können und es nicht nachvollziehbar sei, wieso er durch den IS bedroht worden sein soll. Auch könne bei in einer Whats App Gruppe mit 150 Teilnehmern ausgesprochenen Drohungen nicht von einer persönlichen Bedrohung des BF1 gesprochen werden, es lasse sich auch nicht feststellen, ob diese Leute wirklich dem IS angehörten. Überdies sei der BF1 freiwillig in dieser Chatgruppe geblieben. Weiters sei nicht nachvollziehbar, dass der BF1 Syrien aus Angst verlassen habe, nachfolgend aber immer wieder dorthin zurückgekehrt sei, um an Demonstrationen teilzunehmen. Er habe keine Bedrohung durch eine staatliche Verfolgung vorgebracht. Dass der BF1 Beweismittel erst mit der Beschwerde vorgelegt habe, lasse darauf schließen, dass er diese Beweismittel "nur aufgetrieben habe um doch noch einen Asylstatus" zu erhalten.

11. Gegen diesen Bescheid erhob der BF1 fristgerecht Beschwerde und begründete diese im Wesentlichen damit, dass das BFA die im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes geforderten Ermittlungen nur zum Teil durchgeführt habe. Er sei zwar ein weiteres Mal einvernommen worden, wesentliche Themengebiete seien aber ein weiteres Mal ausgespart worden.

12. Am 30.09.2016 wurde für die mj. Zweit- bis Viertbeschwerdeführer (BF2 bis BF4) ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Dabei wurde vorgebracht, dass die BF2 bis BF4 keine eigenen Fluchtgründe hätten und sich ihre Anträge auf den des BF1 bezögen.

13. Mit Beschluss vom 24.01.2017 hob das Bundesverwaltungsgericht den unter Punkt 10. dargestellten Bescheid mit der Begründung auf, dass das Asylverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 "unter einem" mit jenen der BF2 bis BF4 zu führen sei.

14. In der Folge wies das BFA mit dem erstangefochtenen Bescheid den Antrag des BF1 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Anerkennung des Status eines Asylberechtigten in identer Weise ab wie in dem unter Punkt 10. dargestellten Bescheid.

15. Mit den zweit- bis viertangefochtenen Bescheiden wies das BFA die Anträge der BF2 bis BF4 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten ab und erkannte ihnen den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu.

16. Gegen die unter Punkt 14. und 15. genannten Bescheide richtet sich die fristgerechte Beschwerde, in der im Wesentlichen Folgendes vorgebracht wird: Der BF1 sei als Imam in einer Moschee tätig gewesen und sei ursprünglich auch Mitglied der Baath-Partei gewesen. Dem BF1 werde zu Unrecht eine Nähe zum IS unterstellt. Eine große und jedenfalls asylrelevante Gefahr gehe aber vom syrischen Staat aus, der BF1 sei vom Geheimdienst einvernommen worden. Dem BF1 werde eine oppositionelle Gesinnung unterstellt, weil er als Imam tätig gewesen sei, es zu Whats App-Kommunikationen mit IS-Aktivisten/Sympathisanten gekommen sei und er auch im Verein "Die Freien SyrerInnen in Österreich" mitarbeite. Er habe bei der Durchführung von Demonstrationen und Informationsständen mitgewirkt.

17. In der Folge legte das BFA die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

19. Am 05.06.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht (in Abwesenheit eines Vertreters des BFA) eine mündliche Verhandlung durch. Darin wurde der BF1 u.a. zu seinen Fluchtgründen befragt wurde, wobei er im Wesentlichen Folgendes angab:

Er sei in Syrien Mitglied der Baath-Partei geworden, um als Imam zu arbeiten. 2007 sei er als Beamter pragmatisiert worden und habe in einer Moschee gearbeitet und auch gewohnt. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe er gegen das Regime und auch gegen den IS gepredigt sowie auch an Demonstrationen teilgenommen. Ende 2012/Anfang 2013 habe der BF1 Syrien verlassen und sei in die Türkei gegangen und habe dort für NGOs gearbeitet, die die syrische Bevölkerung humanitär unterstützt hätten. Weiters habe er sich journalistisch sowohl beim Radio als auch beim Fernsehen betätigt. Der BF1 sei auch eine Zeit lang zwischen Syrien und der Türkei gependelt. In der Folge habe er für einen Radiosender in der Türkei gearbeitet und über die Lage in Syrien berichtet. Auf einer dem syrischen Regime nahestehenden Facebookseite sei der Namen des BF1 als Regimegegner angeführt gewesen und es sei ihm mit dem Tod gedroht worden. 2013 habe der BF1 gemeinsam mit anderen religiösen Gelehrten einen Verein gegründet, der gemeinsam mit der FSA Dienste für die Leute geleistet habe. Sie hätten Seelsorge betrieben und Hilfsgüter geliefert. Ab Dezember 2014 sei er nicht mehr nach Syrien zurückgekehrt, da er zu diesem Zeitpunkt auch Probleme mit der FSA bekommen habe und von dieser dann als Verräter betrachtet worden sei. Der BF1 könne auch aufgrund des Wehrdienstes nicht mehr nach Syrien zurückkehren, er habe seinen Militärdienst abgeleistet, es bestehe aber die Gefahr, dass er als Reservist eingezogen werde. Auch habe sich der BF1 in Österreich politisch betätigt, er habe im ersten Jahr, in dem er in Österreich gelebt habe, an Demonstrationen teilgenommen, diesbezügliche Unterlagen habe er bereits vorgelegt. Nunmehr habe er eine eigene Sendung auf Okto-TV. Auf die Videos angesprochen, zu denen vom Verfassungsschutz befragt worden war, brachte der BF1 vor, dass diese gedreht worden seien, um auf die Revolution in Syrien aufmerksam zu machen. Auf konkrete Befragung gab er an, der Begleitschutz auf den betreffenden Fahrten sei von der FSA durchgeführt worden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur hier relevanten Situation in Syrien:

1.1.1. Politische Lage

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 3.3.2017). Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte, Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce" (Haaretz 4.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 3.3.2017). Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2017)

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016). Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt (BS 2016). Der IS übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in Deir ez-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes und rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus (USDOS 3.3.2017). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, leben (Reuters 13.4.2016). Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte (USDOS 3.3.2017). Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht wird auf etwa ein Viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt (DS 23.12.2017; vgl. Standard 29.12.2017).

Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch (FH 27.1.2016; vgl. AI 24.2.2016).

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden (Spiegel 16.8.2017). 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden ?Afrin, ?Ain al-?Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (ES BFA 8.2017). Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden (ICC 4.5.2017; vgl. IRIN 15.9.2017). Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet (ES BFA 8.2017 und ICC 4.5.2017). In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren (CHH 8.12.2016).

Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen (Spiegel 16.8.2016). Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten (Standard 29.12.2017).

Quellen:

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): Syria Country Report, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Syria.pdf, Zugriff 22.12.2017

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CHH - Chatham House (8.12.2017): Governing Rojava - Layers of Legitimacy in Syria,

https://www.chathamhouse.org/sites/files/chathamhouse/publications/research/2016-12-08-governing-rojava-khalaf.pdf, Zugriff 11.12.2017

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DS - The Daily Star (23.12.2017): Syria war winds down but tangled map belies conflict ahead,

https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2017/Dec-23/431317-syria-war-winds-down-but-tangled-map-belies-conflict-ahead.ashx, Zugriff 28.12.2017

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ES BFA - Eva Savelsberg: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017) in BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 12.12.2017

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FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/341821/485142_de.html, Zugriff 17.1.2018

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Spiegel - Spiegel Online (16.8.2016b): Ankara sieht kurdischen Militärerfolg mit Sorge,

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https://www.ecoi.net/local_link/337226/479990_de.html, Zugriff 17.8.2017

1.1.2. Aleppo

Nach der Waffenruhe eskalierte die Gewalt, und die Stadt Aleppo erlebte die heftigsten Bombardierungen durch das Regime und die russische Luftwaffe seit Beginn des Bürgerkrieges, während die Armee zugleich eine Bodenoffensive startete. Die USA brachen daraufhin Anfang Oktober des Jahres 2016 die direkten Gespräche mit Russland über eine weitere Waffenruhe in Syrien ab. Unter anderem konnten sich die beiden Länder nicht darauf einigen, welche der syrischen Rebellengruppen als terroristisch und welche als gemäßigt einzustufen sind (Welt 3.10.2016). Ende Oktober fand eine einseitig von Russland eingehaltene, humanitäre Waffenruhe in Aleppo statt. Anfangs sollte die Waffenruhe acht Stunden dauern und am 20.10.2016 beginnen (Al Jazeera 18.10.2016). Sie wurde dann jedoch bis 22.10.2016 verlängert. Danach erlebte Aleppo erneut schwere Kämpfe. Die Vereinten Nationen hofften während dieser Zeit Verletzte evakuieren und Hilfsgüter liefern zu können. Jedoch war beides aufgrund fehlender Sicherheitsgarantien nicht möglich (Al Jazeera 23.10.2016; vgl. BBC News 22.10.2016). Im Dezember 2016 nahmen syrische Regierungssoldaten nach einer von der russischen Luftwaffe unterstützten Offensive den Osten Aleppos ein, welcher seit 2012 von bewaffneten Gruppen gehalten wurde (Standard 21.12.2016). Es fanden Evakuierungen von Kämpfern sowie von Zivilisten statt, die jedoch durch erneute Gefechte zwischenzeitlich unterbrochen wurden. Zugleich wurden Zivilisten aus den von Rebellen belagerten Orten Fua und Kafraja im Nordwesten Syriens evakuiert (Standard 19.12.2016).

Nach der Eroberung Aleppos wurden große Teile der regulären Armee aus Aleppo abgezogen was zur Verschlechterung der Sicherheitslage führte, da so den Milizen freie Hand gelassen wurde. Kriminalität von Seiten der Milizen wurde so zum Problem für die Bevölkerung Aleppos. Im Juni 2017 unternahm die syrische Regierung den Versuch großflächig gegen die Milizen in Aleppo vorzugehen. Vorhergehende Verhaftungswellen in Aleppo konnten die Kriminalität von Milizen nicht unter Kontrolle bringen (IRIN 22.6.2017). Die Milizen sind unter anderem auch für eine steigende Zahl an Entführungen und damit Lösegelderpressungen und zudem für Morde, auch durch Fahrerflucht, verantwortlich. Auch die Sicherheitskräfte beuten die Bewohner Aleppos aus militärischen und wirtschaftlichen Gründen aus. Vor allem in Ostaleppo sind die Bewohner Opfer von Razzien, und außerdem Festnahmen von Wehrdienstverweigerern, die dann zum Einsatz geschickt werden. Ein weiterer Faktor in Aleppo ist die Baath-Partei. Nach der Eroberung Ost-Aleppos wurde der örtliche Zweig der Baath-Partei aufgelöst. Mittlerweile wurde dieser mitsamt eines bewaffneten Zweiges neu gebildet (SD 24.11.2017).

1.1.3. Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes

In von oppositionellen Gruppen kontrollierten Gebieten wurden unterschiedlich konstituierte Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, welche sich stark darin unterscheiden, wie sie organisiert sind und inwieweit sie sich an juristische Normen halten. Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere folgen einem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, das von der Arabischen Liga aus dem Jahr 1996 stammt, während wiederum andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und oft von den dominanten bewaffneten Gruppierungen dieser Gebiete beeinflusst (USDOS 3.3.2017; vgl. MEE 9.6.2016 und Al Monitor 11.2.2016). Inwieweit bewaffnete Gruppierungen Kontrolle über die Gerichte ausüben, unterscheidet sich von Gegend zu Gegend (NRC 7.2017)

Manchmal resultieren Gerichtsverhandlungen von Sharia-Gerichten der Opposition in öffentlichen Hinrichtungen, ohne dass der Angeklagte Berufung einlegen oder Besuch von seiner Familie erhalten hätte können (USDOS 3.3.2017).

In den vom IS kontrollierten Gebieten hat der IS seine strikte Auslegung des islamischen Rechts eingeführt. Es kommt dort häufig zu öffentlichen Hinrichtungen. Unter den Opfern befinden sich Menschen, denen Abfall vom Glauben, Ehebruch, Schmuggel oder Diebstahl zur Last gelegt wird, sowie Menschen, die wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Orientierung angeklagt wurden (AI 22.2.2017; vgl. USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/2017 - The State of the World's Human Rights - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/336435/479102_de.html, Zugriff 23.11.2017

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Al Monitor (11.2.2016): Syria's Sharia Courts, http://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/02/syria-extremist-factions-sharia-courts-aleppo-idlib.html, Zugriff 25.8.2017

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MEE - Middle East Eye (9.6.2016): Sharia law will play a greater role in Syria's future,

http://www.middleeasteye.net/columns/no-need-run-if-you-hear-sharia-101217981, Zugriff 25.8.2017

-

NRC - Norwegian Refugee Council (7.2017): Displacement, housing land and property and access to civil documentation in the south of the Syrian Arab Republic,

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1503397330_final-nrc-displacement-hlp-civil-doc-nw-syria-23-07-2017-en.pdf, Zugriff 25.8.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Syria,

https://www.ecoi.net/local_link/337226/479990_de.html, Zugriff 11.8.2017

1.1.4. Die syrischen Streitkräfte Wehr- und Reservedienst

Seit Jahren versuchen immer mehr Männer die Rekrutierung zu vermeiden, indem sie beispielsweise das Land verlassen oder lokalen bewaffneten Gruppen beitreten, die das Regime unterstützen. Jenen, die den Militärdienst verweigern, oder auch ihren Familienangehörigen, können Konsequenzen drohen. Es ist schwer zu sagen, in welchem Ausmaß die Rekrutierung durch die syrische Armee in verschiedenen Gebieten Syriens, die unter der Kontrolle verschiedener Akteure stehen, tatsächlich durchgesetzt wird, und wie dies geschieht. In der syrischen Armee herrscht zunehmende Willkür und die Situation kann sich von einer Person zur anderen unterscheiden (FIS 23.8.2016).

Die Rekrutierung von männlichen Syrern findet nach wie unvermindert statt (DRC/DIS 8.2017). Für männliche syrischen Staatsbürger und Palästinenser, welche in Syrien leben, ist ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend, außerdem gibt es einen freiwilligen Militärdienst. Frauen können ebenfalls freiwillig einen Militärdienst ableisten (CIA 5.12.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. BFA 8.2017). Diejenigen männlichen palästinensischen Flüchtlinge, im Alter von 18 bis 42 Jahren, welche vor 1956 bei der General Administration for Palestine Arab Refugees (GAPAR) registriert waren, und deren Nachkommen müssen den verpflichtenden Wehrdienst bei der Palästinensischen Befreiungsarmee (PLA), einer Einheit der syrischen Streitkräfte, ableisten. Für diese Palästinenser gelten die gleichen Voraussetzungen für den Wehrdienst wie für Syrer (BFA 8.2017).

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsatz verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. "Rekrut" ist der niedrigste Rang, und die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Normalerweise werden Einberufungsbefehle schriftlich mit der Post zugestellt, zur Zeit wird jedoch eher auf persönlichem Wege zum verpflichtenden Militärdienst rekrutiert, um ein Untertauchen der potentiellen Rekruten möglichst zu verhindern. Zu diesem Zweck werden Mitarbeiter des Rekrutierungsbüros zum Haus der Wehrpflichtigen geschickt. Wenn der Gesuchte zu Hause ist, wird er direkt mitgenommen. Wenn er nicht zu Hause ist, wird der Familie mitgeteilt, dass er sich bei der nächsten Kaserne zu melden habe. Es gibt immer wieder Razzien, wie zum Beispiel Anfang Mai 2017, als bei einem Fußballspiel in Tartus alle Männer beim Verlassen des Stadions versammelt und zum Dienst verpflichtet wurden. Einige Zeit zuvor gab es einen weiteren Vorfall, bei dem vor einem Einkaufszentrum in Damaskus alle wehrfähigen Männer eingesammelt und rekrutiert wurden. Auch ein "Herauspflücken" bei einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet. Die Altersgrenze ist auf beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch und jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter, kann rekrutiert werden (BFA 8.2017; vgl. FIS 23.8.2016; vgl. Syria Direct 7.12.2017). Berichten zufolge besteht aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein (UNHCR 30.11.2016). Wenn eine persönliche Benachrichtigung nicht möglich ist, können Männer, die das wehrfähige Alter erreichen, auch durch Durchsagen im staatlichen Fernsehen, Radio oder der Zeitung zum Wehrdienst aufgerufen werden (DIS 26.2.2015).

Die syrische Armee hat durch Todesfälle, Desertionen und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (FIS 23.8.2016; vgl. ISW 8.3.2017). Viele weigern sich, der Armee beizutreten. Die regulären Rekrutierungsmethoden werden in Syrien noch immer angewendet, weil das Regime zeigen will, dass sich nichts verändert hat, und das Land nicht in totaler Anarchie versinkt. Es gibt auch Männer im kampffähigen Alter, die frei in Syrien leben. Dem Regime liegt nicht daran, alle wehrtauglichen Personen in die Flucht zu treiben. Es werden nämlich auch künftig motivierte Kämpfer benötigt (FIS 23.8.2016).

Bei der Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, wird bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Selbst wenn sie ihren Militärdienst bereits absolviert haben, kommt es vor, dass Männer im wehrfähigen Alter erneut zwangsrekrutiert werden (IRB 19.1.2016; vgl. Zeit 10.12.2017).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, und auch nicht aus anderen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017; vgl. PAR 15.11.2017)

Zusatzinformationen zum Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, und wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der im Militär erforderlichen Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden zum Reservedienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt (BFA 8.2017). Bei der Einberufung von Reservisten ist das Alter weniger entscheidend als der Beruf oder die Ausbildung einer Person, sowie Rang und Position während des bereits abgeleisteten Militärdienstes oder die Einheit, in der gedient wurde (DIS 26.2.2015; vgl. DRC/DIS 8.2017). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (BFA 8.2017). Reservisten können je nach Gebiet und Fall auch im Alter von 50 bis 60 Jahren zum aktiven Dienst einberufen werden. Sie werden z.B. mittels Brief, den die Polizei persönlich zustellt, oder an Checkpoints rekrutiert (FIS 23.8.2016).

Das Militärbuch zeigt lediglich Informationen über den verpflichtenden Wehrdienst und nicht, ob eine Person Reservist ist oder nicht. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten würden dies jedoch nur auf informellem Weg tun, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (BFA 8.2017).

Befreiung und Aufschub

Es gibt verschiedene Gründe, um vom Militärdienst befreit zu werden. Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Versorger der Familie können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Außerdem sind Männer mit Doppelstaatsbürgerschaft, die den Wehrdienst bereits in einem anderen Land abgeleistet haben, üblicherweise vom Wehrdienst befreit (FIS 23.8.2016; vgl. DIS 26.2.2015). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, die Situation in der Praxis ist jedoch anders. Präsident al-Assad versucht den Druck in Bezug auf den Wehrdienst zu erhöhen, und es gibt nun weniger Befreiungen und Aufschübe beim Wehrdienst. Generell werden die Regelungen nun strenger durchgesetzt, außerdem gibt es Gerüchte, dass Personen trotz einer Befreiung oder eines Aufschubs rekrutiert werden. Was die Regelungen zur Befreiung oder zum Aufschub des Wehrdienstes betrifft, so hat man als einziger Sohn der Familie noch die besten Chancen. Das Risiko der Willkür ist jedoch immer gegeben (BFA 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, in den letzten zwei Jahren wird der Status von Studenten aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Kürzlich gab es eine Änderung bezüglich des Aufschubs aufgrund eines Lehramts-Studiums. Zuvor war es möglich, einen Aufschub des Wehrdienstes zu erwirken, wenn man ein Lehramts-Masterstudium begann, unabhängig davon welches Bachelor-Studium man zuvor absolviert hatte. Dieser Aufschubgrund funktioniert nun nur noch, wenn man auch den Bachelorabschluss im Lehramtsstudium gemacht hat (BFA 8.2017).

Es gibt Beispiele, dass Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann, sondern schlicht Willkür darstellt. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden (BFA 8.2017).

Es gibt ein Gesetz, das syrischen Männern, die mehr als fünf Jahre außerhalb des Landes gelebt haben, gegen Zahlung eines Bußgeldes die Befreiung vom Militärdienst ermöglicht. Diese Gebühr wurde von 5.000 USD auf 8.000 USD erhöht (BFA 8.2017).

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin den Kriegsdienst verweigern, wobei muslimische Führer eine Abgabe bezahlen müssen, um vom Kriegsdienst befreit zu werden (USDOS 15.8.2017). Zunehmend zieht die Regierung, wie berichtet wird, zuvor "geschützte" Personen wie Studenten, Beamte und Häftlinge zum Militärdienst ein (BFA 8.2017; vgl. UNHCR 3.11.2017). Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Um sich ein "Pool" von potentiell zur Verfügung Stehenden zu sichern, wurde ein Dekret bezüglich Staatsangestellte und Wehrdienst erlassen: Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen (BFA 8.2017). Hierzu gab es bereits Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers Imad Khamis, laut der "die Anstellung von jenen beendet werden soll, die den verpflichtenden Wehrdienst oder den Reservedienst vermeiden". Dieser Direktive folgten bereits Entlassungen, wobei nicht bekannt ist, in welchem Ausmaß sie stattfinden (Syria Direct 7.12.2017). Gerade auch in alawitischen Gebieten gibt es eine Verbindung zwischen Staatsangestellten und der Notwendigkeit der Erfüllung bürgerlicher Pflichten (BFA 8.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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