Entscheidungsdatum
14.09.2018Norm
ABGB §6Spruch
W147 2198286-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan KANHÄUSER als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichterinnen Drin. Anna BUCSICS und Drin. Sabine VOGLER sowie die fachkundigen Laienrichter DDr. Wolfgang KÖNIGSHOFER und ao. Univ.-Prof. Dr. Peter PLACHETA über die Beschwerde der Ratiopharm Arzneimittel Vertriebs-GmbH, vertreten durch Grillhofer & Plank Rechtsanwälte GmbH, gegen den Bescheid des Hauptverbands der Österreichischen Sozialversicherungsträger vom 18. Mai 2018, Zl. VPM-68.1/18/Kr:Pat:Sem/Mis; Abschnitt VII/2260-18, betreffend Streichung der Arzneispezialität XXXX aus dem Grünen Bereich des Erstattungskodex zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, und § 351c Abs. 10 Z 3 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 49/2017, abgewiesen.
II. Gemäß § 351j Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 130/2013, hat die Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens in der Höhe von 2 620 Euro binnen 14 Tagen ab Zustellung dieses Erkenntnisses bei sonstiger Exekution zu tragen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Mit Schreiben vom 1. März 2018 leitete der Hauptverband ein Verfahren auf Streichung der im Spruch genannten Arzneispezialität (mit dem Wirkstoff: XXXX) aus dem Grünen Bereich des Erstattungskodex (EKO) ein.
Begründend wurde in dem an die Beschwerdeführerin gerichteten Schreiben ausgeführt, die im Spruch genannte Arzneispezialität sei das im Grünen Bereich des Erstattungskodex angeführte Originalprodukt. Mit 1. März 2018 sei ein drittes wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt, nämlich XXXX in den Grünen Bereich des Erstattungskodex aufgenommen worden. Eine Preissenkung des Originalproduktes auf Grund der Aufnahme des dritten wirkstoffgleichen Nachfolgeproduktes sei bis dato nicht vereinbart worden.
Gemäß § 351c Abs. 10 Z 3 ASVG iVm § 35 Abs. 2 iVm § 25 Abs. 2 Z 1 lit. b VO-EKO iVm § 1 Abs. 1 Z 2 der ökonomischen Beurteilungskriterien der Grundsätze der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission sei der Preis des im Grünen Bereich des Erstattungskodex angeführten Originalproduktes spätestens drei Monate nach Aufnahme des dritten wirkstoffgleichen Nachfolgeproduktes mindestens auf den Preis des dritten im Grünen Bereich angeführten Nachfolgeproduktes zu senken, damit die Wirtschaftlichkeit gegeben sei. Könne keine Einigung erzielt werden, so sei die Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex zu streichen.
Könne hingegen eine Vereinbarung über eine Preissenkung der im Spruch genannten Arzneispezialität auf einen Fabriksabgabepreis (FAP) von € XXXX ab spätestens 1. Juni 2018 getroffen werden, wären die Bedenken bzw. Zweifel aus Sicht des Hauptverbandes jedenfalls ausgeräumt und das Streichungsverfahren würde eingestellt werden.
Der Beschwerdeführerin wurde gemäß § 36 Abs. 2 VO-EKO eine Frist von 30 Tagen zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.
2. Mit Schreiben vom 28. März 2018 nahm die Beschwerdeführerin zu den Bedenken des Hauptverbandes Stellung. Dabei wurde der geforderten Preisreduktion ausdrücklich nicht zugestimmt. Weitere Ausführungen unterblieben.
3. Nach Befassung der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission wurde die im Spruch genannte Arzneispezialität mit verfahrensgegenständlichem Bescheid des Hauptverbandes vom 18. Mai 2018 aus dem Grünen Bereich des Erstattungskodex gestrichen.
Begründend führte der Hauptverband aus, die Streichung erfolge nicht aus medizinisch-therapeutischen, sondern aus ökonomischen Gründen. Als therapeutische Alternativen (§ 23 Abs. 1 Z 2 VO-EKO) stünden chemisch (praktisch) idente Präparate mit XXXX zur Verfügung.
Aus medizinisch-therapeutischer Sicht sei eine Streichung aus dem Erstattungskodex vertretbar, da im EKO therapeutische Alternativen verfügbar seien.
Im Rahmen der gesundheitsökonomischen Evaluation wurde einleitend ausgeführt, dass der Preis des im Grünen Bereich des Erstattungskodex angeführten Originalproduktes gemäß § 351c Abs. 10 Z 3 ASVG iVm § 35 Abs. 2 iVm § 25 Abs. 2 Z 1 lit. b VO-EKO iVm § 1 Abs. 1 Z 2 der ökonomischen Beurteilungskriterien der Grundsätze der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission spätestens drei Monate nach Aufnahme des dritten wirkstoffgleichen Nachfolgeproduktes mindestens auf den Preis des dritten im Grünen Bereich angeführten wirkstoffgleichen Nachfolgeproduktes zu senken sei, damit die Wirtschaftlichkeit gegeben sei. Mit 1. März 2018 wurde ein drittes wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt, nämlich XXXX mit einem FAP von €
XXXX in den Grünen Bereich des Erstattungskodex aufgenommen. Die Beschwerdeführerin habe mit Schreiben vom 28. März 2018 bekannt gegeben, dass sie der Aufforderung, den FAP von derzeit € XXXX auf €
XXXX zu senken, nicht zustimme.
Eine Bewertung der Wirtschaftlichkeit der gegenständlichen Arzneispezialität gemäß § 25 Abs. 3 Z 1 VO-EKO entfalle, da nur eine Wirkstoffstärke von der Streichung betroffen sei.
Aus gesundheitsökonomischer Sicht sei die Streichung der gegenständlichen Arzneispezialität geboten, da deren Wirtschaftlichkeit nicht gegeben sei.
4. Mit fristgerecht eingebrachten Schriftsatz vom 13. Juni 2018 erhob die Beschwerdeführerin die verfahrensgegenständliche Beschwerde und focht den Bescheid in seinem gesamten Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften an.
Dem Verfahren liege folgender Sachverhalt zugrunde:
XXXX enthalte den Wirkstoff XXXX. Dieser wirke in erster Linie schmerzstillend und fiebersenkend. Dieser Effekt entstehe durch die Hemmung der Produktion von Prostaglandinen (Botenstoffe).
Das Produkt XXXX sei seit XXXX am österreichischen Markt verfügbar. Dennoch seien erst in jüngerer Vergangenheit Generika in den Markt eingetreten. Mit 1. März 2018 sei ein drittes wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt XXXX in den Erstattungskodex (EKO) aufgenommen worden. Der Hauptverband habe eine Preissenkung für XXXX auf den Preis dieser Arzneispezialität per 1. Juni 2018 gefordert.
Mit 1. Juni 2018 seien im EKO das Produkt XXXX und XXXX zu dem geforderten Preis gelistet. Es sei daher davon auszugehen, dass auch gegen XXXX ein Streichungsverfahren eingeleitet worden und das Produkt aus dem EKO gestrichen worden sei.
Derzeit würden die Produkte folgende Marktanteile halten: Laut IMS Dataview (MAT/4/2018) seien in einem Jahr XXXX Packungen zu XXXX verkauft worden. Davon seien XXXX Packungen auf XXXX entfallen, was einem Marktanteil von XXXX entspräche. Der Marktanteil von XXXX betrage XXXX. Auf XXXX würden XXXX, auf XXXX entfallen.
Für XXXX Tabletten sei eine Preissenkung auf den geforderten Preis aufgrund der Waren- und Produktionskosten nicht möglich.
Der Hauptverband habe ohne weitere Diskussion und ohne Einholung weiterer Informationen mit 18. Mai 2018 einen Streichungsbescheid erlassen.
Die Beschwerdeführerin begründete ihre Beschwerde damit, dass die rechtliche Beurteilung von § 351c Abs. 10 Z 3 ASVG iVm § 35 Abs. 2 iVm § 25 Abs. 2 Z 1 lit. b VO-EKO nicht zutreffend sei.
§ 25 Abs. 2 Z 1 lit. b VO-EKO laute:
"[...] Spätestens drei Monate nach Aufnahme des dritten wirkstoffgleichen Nachfolgeproduktes, ist der Preis des im Grünen Bereich angeführten Originalproduktes neuerlich zu senken, damit die Wirtschaftlichkeit gegeben ist."
Die VO-EKO gehe daher nicht von einer Senkung auf den Preis des niedrigsten Produktes aus, sondern fordere eine weitere Preissenkung. Insofern habe der Hauptverband im Bescheid § 25 Abs. 2 Z 1 lit. b VO-EKO einen Interpretationsspielraum und könne die Möglichkeit einer geringeren Preissenkung oder andere Mittel wie zB eine Einschränkung der Verschreibbarkeit in Betracht ziehen.
Eine Verwaltungsbehörde - wie zB der Hauptverband - sei angehalten, mit möglichst schonenden Mitteln den Zweck oder das Ziel der Verwaltungshandlung zu erreichen. Das Ziel des EKO sei die Bevölkerung mit zugelassenen, erstattungsfähigen und gesichert lieferfähigen Arzneispezialitäten zu versorgen (§ 1 VO-EKO). Der Hauptverband habe im gesamten Verfahren die Lieferfähigkeit bzw die Versorgungslage des Marktes nach Streichung der im Spruch genannten Arzneispezialität nicht in Erwägung gezogen und auch nicht evaluiert, ob eine Streichung im Hinblick auf die Versorgung des Marktes vertretbar sei.
Zudem sei nicht evaluiert worden, ob andere Maßnahmen zum gewünschten Zweck einer gesicherten Versorgung zu ökonomisch günstigen Preisen in Betracht komme. Im vorliegenden Fall wäre es möglich gewesen eine geringere Preissenkung zu lukrieren und somit eine Streichung der im Spruch genannten Arzneispezialität aus dem EKO zu vermeiden. Weiters wäre es möglich gewesen, die Verschreibbarkeit einzuschränken wie zB für den Fall von Lieferschwierigkeiten und Lieferengpässen der kostengünstigeren Produkte.
Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum der Hauptverband ohne jede weitere Diskussion und ohne Aufnahme einer umfassenden Tatsachenfeststellung das Produkt aus dem EKO gestrichen habe.
Der Hauptverband habe es insbesondere verabsäumt, Feststellungen zur Lieferfähigkeit der XXXXProdukte am österreichischen Markt zu treffen.
Wie im Sachverhalt ausgeführt, decke derzeit XXXX des Gesamtmarktes zu diesem Produkt ab. Wenn daher XXXX und XXXX aus dem EKO gestrichen würden, würde der Markt nicht unmittelbar den gesteigerten Bedarf decken können. Ein neu in den Markt tretendes Generikum wie XXXX plane keinesfalls im ersten Jahr sofort XXXX bis XXXX des Marktes bedienen zu müssen. Es würde daher zu massiven Lieferengpässen und Versorgungsproblemen kommen, wenn der Marktführer aus dem EKO gestrichen würde und damit nicht mehr auf Kosten der sozialen Krankenversicherung verschrieben werden dürfe.
Der Hauptverband habe zwar in seinem Bescheid auf Seite 2 angeführt, "Im EKO sind therapeutische Alternativen verfügbar", habe es aber verabsäumt die tatsächlichen Kapazitätsmengen gegeneinander abzuschätzen und keine Feststellungen dazu getroffen, ob mit einer Streichung von XXXX mit einem Marktanteil von XXXX (XXXX Packungen) aus dem EKO der österreichische Markt überhaupt versorgbar wäre. Für den Hauptverband wäre diese Abwägung sehr leicht zu bewerkstelligen gewesen, weil auch die Generikaunternehmen im Rahmen eines Aufnahmeantrages den geschätzten Absatz (Anzahl von Packungen pro Jahr ab Aufnahme in den EKO) im Rahmen des Formblattes AE4 bekanntzugeben hätte. Der Hauptverband kenne zudem den Absatz jedes einzelnen Produktes mit der Krankenversicherung und damit den XXXXAbsatz. Es sei daher für den Hauptverband sehr einfach eine Abschätzung zu treffen, ob die Versorgung der Bevölkerung mit den zwei im EKO verbleibenden Produkten überhaupt aufrechterhalten werden könne.
Dadurch, dass der Hauptverband diese Erhebungen verabsäumt und keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen habe, sei der Bescheid mit einem schweren Mangel behaftet, denn hätte der Hauptverband diese Sachverhaltselemente erhoben, hätte er zu der Erkenntnis kommen müssen, dass der Markt mit den verbleibenden Produkten im EKO nicht ausreichend versorgt werden könne. Dies führe zwangsläufig zu der Folge, dass im Sinne einer Patientenversorgung XXXX nicht aus dem EKO zu streichen gewesen wäre, sondern das Ziel einer ökonomischen gesicherten Versorgung der Bevölkerung nur durch andere Maßnahmen erreicht werden könne; wie zB eine strenge Umsetzung von § 2 der Richtlinien der ökonomischen Verschreibweise (RöV): nachdem zuerst die kostengünstigeren Arzneimittel zu verschreiben seien und nur bei Bedarf (zB Lieferengpässen) XXXX in Betracht komme oder die Verschreibung von XXXX generell einzuschränken sei.
Es wäre zB möglich gewesen die Verschreibbarkeit von XXXX auf den Fall von Lieferengpässen bei den anderen Produkten zu beschränken. Diese wäre durch einen Zusatz wie eine IND im EKO leicht zu bewerkstelligen gewesen.
Durch dieses Versäumnis sei der Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet. Hätte der Hauptverband diese Punkte beachtet, hätte er zu dem Schluss kommen müssen, dass XXXX nicht aus dem EKO zu streichen sei.
Aus all den genannten Gründen werde daher der Antrag gestellt, das Bundesverwaltungsgericht möge
a) in der Sache selbst entscheiden und den Verbleib von XXXX im EKO unter Einschränkung der Verschreibbarkeit von XXXX im grünen Bereich des EKO mit der IND: "wenn keine kostengünstigeren Alternativen verfügbar sind" verfügen.
b) in eventu den angefochtenen Bescheid des Hauptverbands der Österreichischen Sozialversicherungsträger Zl.VPM-68.1/18/Kr:Pat:Sem/Mis; Abschnitt VII/2260-18 betreffend das Verfahren auf Streichung der Arzneispezialität XXXX aus dem grünen Bereich zur Gänze aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zurückverweisen.
5. Mit Schriftsatz vom 26. Juni 2018 übermittelte der Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger seine Stellungnahme zur Beschwerde, die nachrichtlich an die Beschwerdeführerin übermittelt und in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Bei gegenständlicher Arzneispezialität handelt es sich um das Originalprodukt, das im Grünen Bereich des Erstattungskodex gelistet ist.
Mit 1. März 2018 wurde ein drittes wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt, nämlich XXXX in den Grünen Bereich des Erstattungskodex als drittes Generikum zu gegenständlicher Arzneispezialität aufgenommen, woraufhin der Hauptverband von der Beschwerdeführerin die Absenkung des Preises des Originalproduktes auf das Niveau des Preises von XXXX forderte.
Die Beschwerdeführerin lehnte eine Preissenkung ab und brachte im Zuge des gesamten verwaltungsbehördlichen Verfahrens keinerlei Argumente gegen eine Streichung vor.
Durch den Eintritt von XXXX als wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt erfolgte eine dritte Preisreduktion. Eine Einigung auf eine neuerliche Preisreduktion der verfahrensgegenständlichen Arzneispezialität auf den Preis des dritten Generikums wurde nicht erzielt.
Daraufhin strich der Hauptverband mit angefochtenem Bescheid die gegenständliche Arzneispezialität aus dem Grünen Bereich des Erstattungskodex.
Festgestellt wird, dass der Beschwerde aufschiebende Wirkung bis zur Erlassung des gegenständlichen Erkenntnisses zukam.
2. Beweiswürdigung:
Die angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem Verfahrensakt, Einsichtnahme in die Fachinformationen und in den Erstattungskodex.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit und Verfahren
Gemäß § 351h Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 130/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht
1. über Beschwerden des vertriebsberechtigten Unternehmens,
a. dessen Antrag auf Aufnahme einer Arzneispezialität in den gelben oder grünen Bereich des Erstattungskodex (teilweise) ab- oder zurückgewiesen wurde oder
b. über dessen Antrag nicht fristgerecht (§ 351d Abs. 1) entschieden wurde;
2. über Beschwerden des vertriebsberechtigten Unternehmens, dessen Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex gestrichen bzw. von Amts wegen aufgenommen wird.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. entscheidet das Bundesverwaltungsgericht auch über Beschwerden des vertriebsberechtigten Unternehmens gegen Entscheidungen des Hauptverbandes, mit denen Anträge nach einer Änderung der Verschreibbarkeit oder nach einer Preiserhöhung von Arzneispezialitäten (teilweise) ab- oder zurückgewiesen wurden, oder wenn über diese Anträge nicht fristgerecht (§ 351e Abs. 1 und 2) entschieden wurde.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
In Angelegenheiten nach § 351h ASVG hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch einen Senat zu erfolgen, der aus dem/der Senatsvorsitzenden und vier fachkundigen Laienrichtern/Laienrichterinnen besteht, wobei zwei davon Fachärzte/Fachärztinnen für Pharmakologie und Toxikologie oder Fachärzte/Fachärztinnen mit dem Additivfach klinische Pharmakologie und zwei Ökonomen/Ökonominnen mit spezifischen Kenntnissen im Gesundheits- und Sozialversicherungsbereich (Gesundheitsökonomen/Gesundheits-ökonominnen) sind. Die Zusammensetzung der Laienrichter/Laienrichterinnen im Senat hat das paritätische Nominierungsrecht nach Abs. 2 abzubilden (§ 351i Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2015). Die fachkundigen Laienrichter/Laienrichterinnen werden vom Bundeskanzler auf Vorschlag des Bundesministers für Gesundheit bestellt. Der Bundesminister für Gesundheit hat hierfür Vorschläge der Bundesarbeitskammer und der Wirtschaftskammer Österreich einzuholen. Die Bundesarbeitskammer und die Wirtschaftskammer Österreich haben jeweils in ihren Vorschlägen Fachärzte/Fachärztinnen für Pharmakologie und Toxikologie oder Fachärzte/Fachärztinnen mit dem Additivfach Klinische Pharmakologie sowie Gesundheitsökonomen/Gesundheitsökonominnen namhaft zu machen. Für die fachkundigen Laienrichter/Laienrichterinnen sind Stellvertreter/Stellvertreterinnen in gleicher Anzahl und auf dieselbe Weise zu bestellen (§ 351i Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2015).
Gemäß § 351h Abs. 3 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 130/2013, sind Beschwerden nach Abs. 1 und 2 binnen vier Wochen nach Zustellung der Entscheidung des Hauptverbandes beim Hauptverband über das Internetportal www.sozialversicherung.at einzubringen. Eine Beschwerdevorentscheidung und eine Nachholung des Bescheides nach den §§ 14 bis 16 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, sind unzulässig. Der Hauptverband hat dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich die Beschwerde unter Anschluss der Verfahrensakten vorzulegen.
Verfahrensgegenständliche Entscheidung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger wurde der Beschwerdeführerin am 18. Mai 2018 zugestellt (§ 15 Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach § 351g AVG - VO-EKO, zuletzt geändert durch die amtliche Verlautbarung Nr. 159/2013 in Verbindung mit §§ 28ff Zustellgesetz - ZustG, BGBl Nr. 200/1982 in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013), die Beschwerde wurde fristgerecht eingebracht.
Dem Hauptverband steht es frei, binnen vier Wochen ab Einbringung der Beschwerde eine Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht abzugeben. In der Beschwerde oder in der Stellungnahme nach Abs. 3 können sich das vertriebsberechtigte Unternehmen und der Hauptverband gemäß § 351h Abs. 4 ASVG nur auf Tatsachen und Beweise beziehen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Hauptverbandes vom vertriebsberechtigten Unternehmen oder vom Hauptverband bereits eingebracht worden sind. Das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweise im Beschwerdeverfahren ist nur zur Stützung oder zur Widerlegung der in der ersten Instanz rechtzeitig vorgebrachten Tatsachen und Beweise zulässig. Solche neuen Tatsachen und Beweise dürfen überdies nur dann berücksichtigt werden, wenn diese entweder in der Beschwerde oder der Stellungnahme des Hauptverbandes nach Abs. 3 bereits eingebracht wurden. Diese Stellungnahme des Hauptverbandes ist vom Bundesverwaltungsgericht als Bestandteil der Begründung der Entscheidung des Hauptverbandes nach Abs. 3 erster Satz zu berücksichtigen. Eine Einschränkung oder Klarstellung des Antragbegehrens ist ausgeschlossen.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
a) Maßgebliche Rechtsgrundlagen:
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 49/2017:
"3. UNTERABSCHNITT
Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger
§ 31. (1) Die in den §§ 23 bis 25 bezeichneten Versicherungsträger und die Träger der im § 2 Abs. 2 bezeichneten Sonderversicherungen werden zum Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (im folgenden kurz Hauptverband genannt) zusammengefaßt.
(2) Dem Hauptverband obliegt
[...]
12. die Herausgabe eines Erstattungskodex der Sozialversicherung für die Abgabe von Arzneispezialitäten auf Rechnung eines Sozialversicherungsträgers im niedergelassenen Bereich; in dieses Verzeichnis sind jene für Österreich zugelassenen, erstattungsfähigen und gesichert lieferbaren Arzneispezialitäten aufzunehmen, die nach den Erfahrungen im In- und Ausland und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine therapeutische Wirkung und einen Nutzen für Patienten und Patientinnen im Sinne der Ziele der Krankenbehandlung (§ 133 Abs. 2) annehmen lassen. Die Arzneispezialitäten sind nach dem anatomisch-therapeutisch-chemischen Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (ATC-Code) zu ordnen. Sie sind im Erstattungskodex jeweils einem der folgenden Bereiche zuzuordnen:
a) Roter Bereich (red box): Dieser Bereich beinhaltet zeitlich befristet jene Arzneispezialitäten, die erstmalig am österreichischen Markt lieferbar sind und für deren Aufnahme in den Erstattungskodex ein Antrag nach § 351c Abs. 1 gestellt wurde. Sie unterliegen der ärztlichen Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes der Sozialversicherungsträger nach Maßgabe der Richtlinie nach § 31 Abs. 5 Z 13. Zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit darf einem Sozialversicherungsträger für eine Arzneispezialität dieses Bereiches der ermittelte EU-Durchschnittspreis verrechnet werden.
b) Gelber Bereich (yellow box): Dieser Bereich beinhaltet jene Arzneispezialitäten, die einen wesentlichen zusätzlichen therapeutischen Nutzen für Patienten und Patientinnen aufweisen und die aus medizinischen oder gesundheitsökonomischen Gründen nicht in den grünen Bereich aufgenommen werden. Arzneispezialitäten dieses Bereiches unterliegen der ärztlichen Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes der Sozialversicherungsträger nach Maßgabe der Richtlinie nach § 31 Abs. 5 Z 13. Bezieht sich die Aufnahme von Arzneispezialitäten in diesen Bereich auch auf bestimmte Verwendungen (zB Gruppen von Krankheiten, ärztliche Fachgruppen, Altersstufen von Patient(inn)en, Mengenbegrenzung oder Darreichungsform), kann die ärztliche Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes durch eine nachfolgende Kontrolle der Einhaltung der bestimmten Verwendung ersetzt werden. Zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit darf einem Sozialversicherungsträger für eine Arzneispezialität dieses Bereiches höchstens der ermittelte EU-Durchschnittspreis verrechnet werden.
c) Grüner Bereich (green box): Dieser Bereich beinhaltet jene Arzneispezialitäten, deren Abgabe ohne ärztliche Bewilligung des chef- und kontrollärztlichen Dienstes der Sozialversicherungsträger auf Grund ärztlicher Verschreibung medizinisch und gesundheitsökonomisch sinnvoll und vertretbar ist. Die Aufnahme von Arzneispezialitäten in diesem Bereich kann sich auch auf bestimmte Verwendungen (zB Gruppen von Krankheiten, ärztliche Fachgruppen, Altersstufen von Patient(inn)en oder Darreichungsform) beziehen.
[...]."
"Abschnitt V
Erstattungskodex
Aufnahme von Arzneispezialitäten in den Erstattungskodex
§ 351c. (1) .....
(10) Liegt für eine Arzneispezialität ein wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt vor, so gilt zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit Folgendes:
1. Vereinbart der Hauptverband bei Vorliegen eines Generikums
a. mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen des Originalprodukts eine Preisreduktion von 30%, so verbleibt die Arzneispezialität weiter im Erstattungskodex.
b. mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen für ein Generikum einen Preis, der um 28,6% unter dem abgesenkten Preis des Originalprodukts liegt, so ist dieses in den Erstattungskodex aufzunehmen. Alle weiteren Generika werden vom Hauptverband in den Erstattungskodex aufgenommen, wenn ein genügend großer Preisunterschied zum ersten Generikum besteht. Dieser Preisunterschied liegt jedenfalls dann vor, wenn
-
für das zweite Generikum ein Preis vereinbart wird, der um 18% unter dem Preis des ersten Generikums und
-
für das dritte Generikum ein Preis vereinbart wird, der um 15% unter dem Preis des zweiten Generikums
liegt.
2. .......
3. Sobald durch ein wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt eine dritte Preisreduktion erfolgt, hat der Hauptverband mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen des Originalprodukts sowie der wirkstoffgleichen Nachfolgeprodukte eine neuerliche Preisreduktion auf den Preis des dritten Generikums oder des dritten Biosimilars zu vereinbaren. Kann eine Einigung nicht erzielt werden, so ist die Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex zu streichen.
4. Der Hauptverband kann bei ausgewählten Indikationsgruppen zur Förderung der Verfügbarkeit eines wirkstoffgleichen Nachfolgeprodukts abweichende Regelungen zur Anwendung bringen.
5. Ist abzusehen, dass bei einer Arzneispezialität trotz rechtlicher Möglichkeit in Österreich kein wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt vorliegen wird und der Hauptverband mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen ab diesem Zeitpunkt keine Preisreduktion vereinbaren kann, so kann der Hauptverband ein Jahr davor den Wirkstoff oder die Wirkstoffklasse auf Empfehlung der Heilmittel-Evaluierungs-Kommission ausschreiben.
(11) ...."
"Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem Erstattungskodex
§ 351h. (1) ......
(3) Beschwerden nach Abs. 1 und 2 sind binnen vier Wochen nach Zustellung der Entscheidung des Hauptverbandes beim Hauptverband über das Internetportal www.sozialversicherung.at einzubringen. Eine Beschwerdevorentscheidung und eine Nachholung des Bescheides nach den §§ 14 bis 16 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, sind unzulässig. Der Hauptverband hat dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich die Beschwerde unter Anschluss der Verfahrensakten vorzulegen. Dem Hauptverband steht es frei, binnen vier Wochen ab Einbringung der Beschwerde eine Stellungnahme an das Bundesverwaltungsgericht abzugeben. Die Beschwerden haben aufschiebende Wirkung; Beschwerden gegen die Streichung einer Arzneispezialität nach § 351c Abs. 10 Z 1 aus dem grünen Bereich des Erstattungskodex haben aufschiebende Wirkung im Ausmaß von 90 Tagen ab Einbringung der Beschwerde. Beschwerden gegen die Streichung einer Arzneispezialität auf Grund mangelnder Erstattungsfähigkeit (§ 351c Abs. 2 und 4) haben keine aufschiebende Wirkung. § 13 Abs. 2 VwGVG ist nicht anzuwenden.
(4) ...."
"Schlussbestimmung zum Bundesgesetz BGBl. I Nr. 49/2017
§ 705. (1) Es treten in Kraft:
1. ...
3. mit 1. Mai 2017 die §§ 351c Abs. 6, Abs. 7 Z 2, Abs. 10 bis 13 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 49/2017;
4. mit 1. Jänner 2018 § 351c Abs. 9a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 49/2017.
(2) § 351c Abs. 6, 7 Z 2 und 10 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 49/2017 sind auf Verfahren anzuwenden, in denen die Antragstellung durch das vertriebsberechtigte Unternehmen oder die Einleitung des Verfahrens durch den Hauptverband nach dem 1. April 2017 erfolgt.
(3) § 351c Abs. 10 tritt mit 31. Dezember 2021 außer Kraft. § 351c Abs. 10 in der am 30. April 2017 geltenden Fassung tritt mit 1. Jänner 2022 in Kraft. Für Verfahren, in denen die Antragstellung durch das vertriebsberechtigte Unternehmen oder die Einleitung des Verfahrens durch den Hauptverband vor dem 1. Jänner 2022 erfolgt, ist § 351c Abs. 10 in der am 31. Dezember 2021 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden.
(4) Sofern die Preise für die vom § 351c Abs. 11 und 12 erfassten Arzneispezialitäten bis 1. Oktober 2017 beziehungsweise für die vom § 351c Abs. 13 erfassten Arzneispezialitäten bis 1. Oktober 2019 innerhalb des Preisbandes gesenkt werden, sind Streichungen für diese Arzneispezialitäten nach § 351f Abs. 1 aus gesundheitsökonomischen Gründen bis 1. Oktober 2020 ausgeschlossen."
b) Rechtliche Würdigung:
Im vorliegenden Fall wurde seitens des Hauptverbandes die im Spruch genannte Arzneispezialität als Originalprodukt mit Bescheid aus dem Erstattungskodex gestrichen, nachdem die Beschwerdeführerin nach Eintritt des dritten Generikums in den Erstattungskodex nicht dazu bereit war, den Preis des Originals auf das Niveau des dritten Generikums zu senken. Der Hauptverband stützte seine Entscheidung dabei nicht auf § 25 Abs. 2 Z 1 lit. b) VO-EKO iVm § 1 Abs. 1 Z 2 der ÖBK, sondern insbesondere auf die gesetzliche Bestimmung des § 351c Abs. 10 Z 3 ASVG in der nunmehr geltenden Fassung.
Tatsächlich fand sich das Erfordernis der Preissenkung auf den Preis des dritten angeführten Nachfolgeproduktes vor In-Kraft-Treten der ASVG-Novelle BGBl. I Nr. 49/2017 lediglich in den ökonomischen Grundsätzen der HEK.
Der Verfassungsgerichtshof hat sich nicht nur zu dem rechtlichen Charakter dieser Festlegungen mehrfach geäußert. In seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, B970/09 (VfSlg 19.631/2012), führte der VfGH etwa aus, eine verfassungskonforme Deutung des § 25 Abs. 2 Z 1 lit. b) VO-EKO führe zu dem Ergebnis, dass es bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks dem Hauptverband weder freistehe, manche Unternehmen im Gegensatz zu anderen von einer Forderung nach einer weiteren angemessenen Preisreduktion auszunehmen, noch im Falle der Ablehnung einer angemessenen Preisreduktion von einer Streichung aus dem Erstattungskodex abzusehen. Die Streichung der Arzneispezialität aus dem EKO sei daher die zwingende Folge einer Nichteinigung zwischen dem Hauptverband und dem vertriebsberechtigten Unternehmen im Rahmen dieser (Anmerkung: damals geltenden) gesetzlichen, durch die VO-EKO noch näher präzisierten Vorgaben. Dabei war es Aufgabe der UHK (später des BVwG), auf Grund der dem Hauptverband vorgelegenen Faktenlage zu untersuchen, ob das Unternehmen eine angemessene Preisreduktion angeboten hat bzw. die Ablehnung dieses Angebots durch den Hauptverband sachlich begründet war.
Die diesbezüglichen Ausführungen präzisierte der VfGH in seinem Erkenntnis vom 11.03.2014, B1451/2011. Angesichts der Voraussetzungen des ersten Satzes der Z 1 des § 351c Abs. 10 ASVG (Anmerkung: in der damals geltenden Fassung) sei es demnach grundsätzlich konsequent, für wirkstoffgleiche Produkte im System des EKO gleiche Preise vorzusehen.
Mit 1. Mai 2017 trat die mit BGBl. I Nr. 49/2017 novellierte Fassung des § 351c Abs. 10 ASVG in Kraft. Dieser lautet nunmehr - für gegenständliches Verfahren maßgeblich - auszugsweise:
"(10) Liegt für eine Arzneispezialität ein wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt vor, so gilt zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit Folgendes:
1. .....
2. ....
3. Sobald durch ein wirkstoffgleiches Nachfolgeprodukt eine dritte Preisreduktion erfolgt, hat der Hauptverband mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen des Originalprodukts sowie der wirkstoffgleichen Nachfolgeprodukte eine neuerliche Preisreduktion auf den Preis des dritten Generikums oder des dritten Biosimilars zu vereinbaren. Kann eine Einigung nicht erzielt werden, so ist die Arzneispezialität aus dem Erstattungskodex zu streichen.
4. ....."
In den Gesetzesmaterialien wird hiezu ausgeführt (AA-204 XXV. GP):
"Die Bestimmungen über die Aufnahme von wirkstoffgleichen Nachfolgeprodukten in den grünen und gelben Bereich des Erstattungskodex werden neu formuliert.
Für den Bereich der Generika wird eine hinsichtlich der Preisgestaltung geänderte Regelung getroffen; zudem erfolgt eine Regelung der Biosimilars, somit von Nachfolgeprodukten von Biopharmazeutika, im Bereich des ASVG.
Bei den Generika ergibt sich gegenüber der bisherigen Rechtslage für das erste Generikum ein Preisunterschied von 50% (bisher 48%) zum ursprünglichen Preis des Originalprodukts, darüber hinaus werden die notwendigen Preisunterschiede für die weiteren Generika gesetzlich festgelegt. In Summe ergibt sich für das dritte Generikum ein regulatorischer Preisunterschied von 65% gegenüber dem Originalprodukt.
Für die Biosimilars wurden ähnliche Regelungen aufgenommen, wobei sich aufgrund der dafür festgelegten Prozentsätze ein regulatorischer Preisunterschied von insgesamt 52,5% gegenüber dem Originalprodukt ergibt."
In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Frage, ob ein Generikum im Verhältnis zum Originalpräparat als gleichwertig anzusehen ist (Vergleichbarkeit hinsichtlich Bioäquivalenz und Pharmakokinetik), bereits im Rahmen der Zulassung durch die entsprechende Zulassungsbehörde sowie bei der Aufnahme des Generikums in den Erstattungskodex geprüft wird.
Diese Gesetzesänderung bedingt somit, dass, sobald durch ein Generikum eine dritte Preisreduktion erfolgt ist, die bisherige Möglichkeit ("Kann-Bestimmung" des § 351c Abs. 10 ASVG) zur Verhandlung einer neuerlichen Preisvereinbarung mit dem Unternehmen des Originalproduktes nunmehr durch eine gesetzliche Anordnung ersetzt wurde (gesetzliche Preisregelung). Der Hauptverband ist demnach verpflichtet, eine Preisreduktion des Originalproduktes auf den Preis des dritten Generikums zu vereinbaren, andernfalls ist dieses aus dem Erstattungskodex zu streichen. Infolge dieser gesetzlichen festgesetzten Preisregulierung kommt dem Hauptverband auch kein Ermessenspielraum mehr zu - in Abwägung der Interessen der Versicherten und der wirtschaftlichen Interessen - etwa einen höheren Preis für das Originalprodukt als jenen des dritten Generikums zu vereinbaren.
Bei Absenkung des Preises auf das Niveau des die dritte Preisreduktion auslösenden Generikums stellt der Preis des auslösenden Generikums somit keine widerlegbare Vermutung des ökonomisch angemessenen Preises mehr dar. Vielmehr ist dieser kraft Gesetzes der ökonomische ausnahmslos zu vereinbarende Preis, andernfalls das Originalprodukt aus dem Erstattungskodex zu streichen ist.
Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde auf die Bestimmung des § 25 VO-EKO verweist, ist ihr somit zu entgegnen, dass entsprechend dem Stufenbau der Rechtsordnung Normen niedrigerer Rechtsstufen im Zweifel so auszulegen sind, dass sie ranghöheren Normen nicht widersprechen (VwGH 22.3.1993, 92/10/0077). Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auch zu betonen, dass dem Hauptverband verfassungsrechtlich kein Recht zur Erlassung gesetzesändernder Verordnungen zukommt.
Auch im öffentlichen Recht ist bei einer Interpretation nach jenen grundlegenden Regeln des Rechtsverständnisses vorzugehen, die im ABGB für den Bereich der Privatrechtsordnung normiert sind. § 6 ABGB verweist zunächst auf die Bedeutung des Wortlautes in seinem Zusammenhang. Dabei ist grundsätzlich zu fragen, welche Bedeutung einem Ausdruck nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder nach dem Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukommt. Dafür müssen die objektiven, jedermann zugänglichen Kriterien des Verständnisses statt des subjektiven Verständnishorizonts der einzelnen Beteiligten im Vordergrund stehen (vgl. dazu Bydlinski in Rummel, ABGB I Rz 1 zu § 6). In diesem Sinne vertreten auch Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, S. 101 f, 1996, die Auffassung, dass die Bindung der Verwaltung an das Gesetz nach Art. 18 B-VG einen Vorrang des Gesetzeswortlautes aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Legitimation der Norm bewirke und den dem Gesetz unterworfenen Organen die Disposition über das Verständnis möglichst zu entziehen sei. Dies bedeute bei Auslegung von Verwaltungsgesetzen einen Vorrang der Wortinterpretation in Verbindung mit der grammatikalischen und der systematischen Auslegung sowie äußerste Zurückhaltung gegenüber der Anwendung sogenannter "korrigierender Auslegungsmethoden".
Der Wortlaut des § 351c Abs. 10 Z 3 ASVG ist eindeutig ("...hat der Hauptverband mit dem vertriebsberechtigten Unternehmen des Originalprodukts sowie der wirkstoffgleichen Nachfolgeprodukte eine neuerliche Preisreduktion auf den Preis des dritten Generikums ..... zu vereinbaren."). Die strikte Bindung der Vollziehung an den Wortlaut der Gesetze auf Grund des Gesetzmäßigkeitsgebotes des Art. 18 Abs. 1 B-VG bewirkt einen Vorrang der Wortinterpretation vor anderen Auslegungsmethoden. Der Wille des Gesetzgebers findet dabei nur soweit Berücksichtigung, als er aus dem geschriebenen Gesetzestext hervorgeht. Nach Ansicht des Obersten Gerichthofes ist es nicht Aufgabe der Gerichte, durch zu weitherzige Interpretation rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen oder unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern (vgl. OGH 1.7.1992, 2 Ob 6/92).
Die Beschwerdeführerin brachte im Verfahren vor dem Hauptverband keinerlei Gründe vor, weshalb sie die geforderte Preisreduktion ablehnt. In der Beschwerde kann sich das vertriebsberechtigte Unternehmen gemäß § 351h Abs. 4 ASVG jedoch nur auf Tatsachen und Beweise beziehen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Hauptverbandes vom vertriebsberechtigten Unternehmen bereits eingebracht worden sind. Das Vorbringen neuer Tatsachen und Beweise im Beschwerdeverfahren ist nur zur Stützung oder zur Widerlegung der in der ersten Instanz rechtzeitig vorgebrachten Tatsachen und Beweise zulässig. Solche neuen Tatsachen und Beweise dürfen überdies nur dann berücksichtigt werden, wenn diese in der Beschwerde bereits eingebracht wurden. Vor diesem Hintergrund steht der umfassenden Argumentation der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde somit das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht entgegen.
Dessen unbeschadet gestattet der eindeutige Gesetzeswortlaut - wie bereits oben erwähnt - auch dem Hauptverband nicht mehr, in Abwägung der Interessen der Versicherten und der wirtschaftlichen Interessen etwa einen höheren Preis für das Originalprodukt als jenen des dritten Generikums zu vereinbaren oder - wie etwa in der Beschwerde ebenfalls erstmalig erwähnt - eine Verwendungsänderung im Erstattungskodex unter Vereinbarung eines höheren Preises zu verfügen.
Auch der Wortlaut der Bestimmung des § 351h Abs. 4 ASVG ("Beschwerden gegen die Streichung einer Arzneispezialität nach § 351c Abs. 10 Z 1 aus dem grünen Bereich des Erstattungskodex haben aufschiebende Wirkung im Ausmaß von 90 Tagen ab Einbringung der Beschwerde.") ist eindeutig. Eine entsprechende Änderung dieser Bestimmung durch den Gesetzgeber anlässlich der Novelle wurde offenkundig übersehen. Gerade im konkreten Fall wäre einer Beschwerde auf Basis der alten Rechtslage nämlich eine aufschiebende Wirkung lediglich im Ausmaß von 90 Tagen zugekommen. Nunmehr handelt es sich - wie oben dargetan - um einen Anwendungsfall des § 351c Abs. 10 Z 3 ASVG. Es fällt jedoch nicht in die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts, die Bestimmung des § 351h Abs. 4 ASVG entgegen des eindeutigen Wortlautes anzuwenden und diese (unbefriedigende) Gesetzesbestimmung zu ändern, weshalb festzustellen war, dass gegenständlicher Beschwerde aufschiebende Wirkung bis zur Erlassung gegenständlichen Erkenntnisses zukam.
Bei der Frage der Durchführung bzw. des Verzichts auf eine mündliche Verhandlung kommt es vor allem darauf an, ob sich die Rechts- und Tatsachenfragen anhand des Akteninhalts lösen lassen und ob die Informationen aus vorangegangen Anhörungen durch die Behörde entsprechend umfassend und vollständig sind (EuGH 26.7.2017, C-348/16, Sacko vs. Commissione Territoriale per il riconoscimento della protezione internazionale di Milano).
Der maßgebliche Sachverhalt ist aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen (vgl. dazu auch § 27 VwGVG), wobei eine mündliche Erörterung auch keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte somit gemäß § 24 VwGVG unterbleiben. Auch wurde eine solche nicht beantragt.
Zum Ausspruch über die Kosten:
Gemäß § 351j Abs. 1 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 130/2013, werden die Kosten des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht durch einen pauschalierten Kostenersatz in der Höhe von 2 620 Euro abgegolten. Den Kostenersatz hat diejenige Partei des Beschwerdeverfahrens zu tragen, die im Beschwerdeverfahren unterlegen ist. Im Falle eines teilweisen Unterliegens ist der Kostenersatz von beiden Parteien zur Hälfte zu tragen. In Verfahren bei Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Hauptverband hat den Kostenersatz jedenfalls der Hauptverband zu tragen, wenn nicht die Beschwerde mangels Säumigkeit zurückgewiesen wird.
Da unter Spruchpunkt I. verfahrensgegenständliche Beschwerde abgewiesen wurde, waren die Kosten spruchgemäß der Beschwerdeführerin aufzuerlegen.
Der angeführte Betrag ist auf das Konto des Bundesverwaltungsgerichtes, IBAN AT84 0100 0000 0501 0167, BIC:
BUNDATWW, innerhalb einer Frist von 14 Tagen ab Zustellung spesenfrei für den Empfänger zur Einzahlung zu bringen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In Bezug auf die anzuwendende Bestimmung des § 351c Abs. 10 Z 3 ASVG, BGBl. Nr. 189/1955 in der Fassung BGBl. I Nr. 49/2017 kann von einer klaren, eindeutigen Rechtslage ausgegangen werden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Arzneimittel, Aufnahmeverfahren, Auslegung, Ermessen,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W147.2198286.1.00Zuletzt aktualisiert am
08.10.2018