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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 8. Juli 1998, Zl. 203.938/0-X/30/98, betreffend Ausspruch gemäß § 8 des Asylgesetzes 1997 (mitbeteiligte Partei: A M, geboren am 20. Mai 1959, zuletzt in T), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Die Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien und Angehörige der albanischen Volksgruppe im Kosovo, reiste am 19. Mai 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 20. Mai 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.
Mit Bescheid vom 4. Juni 1998 wies das Bundesasylamt diesen Antrag gemäß § 6 Z. 1 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten nach Jugoslawien gemäß § 8 AsylG zulässig sei. In der Begründung des zweiten Spruchteils wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Bedrohung der Mitbeteiligten im Sinne des § 57 Abs. 1 und 2 FrG habe ihren Ausführungen nicht entnommen werden können. Eine solche Bedrohung liege offensichtlich auch nicht vor, weil die diesbezüglichen Angaben der Mitbeteiligten "rein spekulativer Natur" seien und "in keinster Weise" substantiiert hätten werden können. Die Behörde gelange zur Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass die Mitbeteiligte im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in Jugoslawien einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, womit festzustellen gewesen sei, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig sei.
Nur hinsichtlich des Ausspruchs gemäß § 8 AsylG erhob die Mitbeteiligte Berufung. Sie berief sich einerseits auf einen Bericht von Amnesty International vom Dezember 1997, andererseits auf einen "Informationsbericht zum Kosovo vom 19. Mai 1998" des UNHCR, wonach es im März, April und Mai zu einer rapiden Verschlechterung der Sicherheitslage innerhalb des Kosovos gekommen sei, bewaffnete Auseinandersetzungen ein immer größeres Gebiet erfassten, die Spannungen sich verschärften und begonnen hätten, zur bewaffneten Konfrontation auszuarten. Die Auseinandersetzungen in der Region Drenica breiteten sich nach diesem Bericht über Srbica und Glogovac hinaus bis nach Klina und in westlicher und südlicher Richtung bis in die Gemeinden Decani und Djakovica an der albanischen Grenze aus. Resümierend stelle der UNHCR fest, er sei angesichts des derzeitigen explosiven Klimas überzeugt, dass die Rückkehr abgewiesener Asylsuchender aus Europäischen Staaten ein Sicherheitsrisiko für die Rückkehrer bedeuten würde und sie durchaus einer Behandlung aussetzen könnte, die in den Übereinkünften des humanitären Völkerrechts untersagt sei. Die Mitbeteiligte berief sich weiters auf die Feststellung des UNHCR im angegebenen Bericht, dass sich die "Sicherheitsvorfälle", die sich fast täglich in den letzten Wochen ereignet hätten, nicht nur auf die Region Drenica beschränkten, sowohl die serbischen Spezialkräfte als auch die UCK hätten vielmehr ihre Aktivitäten auf die Stadtgemeinden Decani und Djakovica an der albanischen Grenze ausgeweitet. Die Mitbeteiligte vertrat daher die Auffassung, es sei nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, dass sie bei einer Rückkehr in den Kosovo einer unmenschlichen Behandlung unterworfen würde oder Haftstrafe oder Todesstrafe zu erwarten hätte.
Mit Bescheid vom 8. Juli 1998 gab der Unabhängige Bundesasylsenat der Berufung Folge und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten in die Bundesrepublik Jugoslawien nicht zulässig sei. In der Begründung führte der Unabhängige Bundesasylsenat im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte hätte in der Berufung mehrere Berichte vorgelegt, aus welchen nach Ansicht der Berufungsbehörde hervorgehe, dass Rückkehrer der albanischen Volkszugehörigkeit eine den Interessen des § 57 Abs. 1 FrG bzw. Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung in der Bundesrepublik Jugoslawien zu gewärtigen hätten. Diese Berichte würden als taugliche Beweismittel im Sinn des § 46 AVG dieser Entscheidung zugrundegelegt. Im Falle der Berufungswerberin lägen daher konkrete Hinweise darauf vor, dass sie bei ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien Gefahr liefe, einer Behandlung unterworfen zu werden, die den Interessen nach § 57 Abs. 1 FrG widerspricht. Außerdem habe der Unabhängige Bundesasylsenat bereits in seiner Entscheidung vom 2. Juli 1998, Zl. 203.832/0-X/31/98, dargetan, dass auf Grund der gegenwärtigen Situation im Kosovo eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Asylwerbers albanischer Volkszugehörigkeit in die Bundesrepublik Jugoslawien - dem wohlverstandenen Sinn des § 8 AsylG gerecht werdend - nicht erfolgen dürfe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde des Bundesministers für Inneres.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete aber auf die Erstattung einer Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften, die belangte Behörde habe der "rudimentären Begründung" des angefochtenen Bescheides Berichte zugrunde gelegt, die die Mitbeteiligte erst in ihrer Berufung vorgelegt habe, ohne hiezu dem Bundesasylamt Gehör zu gewähren und ohne eine öffentlich-mündliche Verhandlung gemäß § 67 AVG in Verbindung mit Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG durchzuführen. Wäre das Bundesasylamt zu den Berichten gehört worden, so hätte es vorgebracht, dass allgemeine Ausführungen über die Situation in einem Land, isoliert betrachtet, noch keinerlei Rückschluss auf die konkrete Gefährdungssituation eines bestimmten seiner Staatsbürger zuließen, weshalb die belangte Behörde auf Grund dieses Vorbringens des Bundesasylamtes zu einem inhaltlich anderen Bescheid hätte gelangen müssen.
Wie der Beschwerdeführer zutreffend erkennt, sind der belangten Behörde aus den im hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/01/0304, genannten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, die behaupteten Verfahrensfehler unterlaufen. Die belangte Behörde hätte eine mündliche Verhandlung durchzuführen und dem Bundesasylamt Gelegenheit zur Stellungnahme zu den herangezogenen Berichten einzuräumen gehabt.
Das Beschwerdevorbringen ist allerdings nicht geeignet aufzuzeigen, inwiefern die belangte Behörde bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
In seinem Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 97/21/0286, hat der Verwaltungsgerichtshof nämlich die Auffassung vertreten, dass zur Dartuung einer für den Fall der Abschiebung drohenden Gefahr im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 des Fremdengesetzes 1992 sich nicht nur gegenüber dem Einzelnen gesetzte Verfolgungsmaßnahmen eignen. Eine solche Gefahr könne auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 des Fremdengesetzes 1992 zielgerichtet gegen Dritte gesetzt würden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme bestehe, (auch) er könnte unabhängig von solchen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Diese Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 37 FrG 1992 ist auch auf den Fall der nach § 8 AsylG gebotenen Prüfung, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Asylwerbers in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG 1997), zu übertragen.
Bereits die Behörde erster Instanz war in ihrem Bescheid vom 4. Juni 1998 davon ausgegangen, dass die Mitbeteiligte aus der unmittelbaren Nähe von Decani stammt. Im angefochtenen Bescheid ist eine diesbezügliche Feststellung zwar nicht enthalten, es ist aber davon auszugehen, dass die belangte Behörde die diesbezüglichen erstinstanzlichen Feststellungen nicht in Zweifel gezogen hat. Vor dem Hintergrund der nunmehr bereits ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach - und dies scheint der Beschwerdeführer zu übersehen - die Eskalation der Situation im Kosovo ab 28. Februar 1998 als notorisch anzusehen ist und das Gebiet um Decani von den Vorgängen seit 28. Februar 1998 im Besonderen betroffen war (dies geht auch aus den im Berufungsverfahren erwähnten Berichten des UNHCR hervor; vgl. zu Decani auch das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 99/01/0072), ist nicht zu erkennen, wie ein Vorbringen des Bundesasylamtes im Sinne des Beschwerdevorbringens zu einem anderen Bescheid hätte führen können.
Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 24. November 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1998010418.X00Im RIS seit
20.11.2000